Schon Ende 2005 erschien auf Gold Standard Laboratories die "Thunderstatement"-EP von THE JAI ALAI SAVANT ("Hailai-Savant" ausgesprochen) aus Chicago, die jüngst, nachdem sie für Europa von City Slang gesignt wurden, ihr Album "Flight Of The Bass Delegate" veröffentlichten. Der Debüt-Longplayer der Band um Ex-FRANKLIN-Frontmann Ralph Darden baut aus, was JAS auf den paar EP-Songs bereits erstaunlich facettenreich als nicht unbedingt neuen, aber sehr frisch dargebotenen Sound etabliert haben: Post-Punk, Indierock, Electronica, Dub und Pop in überzeugender Kombination und bestechender Produktion. Und wer weiß, vielleicht wird eines Tages auch was aus Ralphs perfektem Tourpaket: THE ETERNALS, THE WATCHERS, DEFACTO und THE JAI-ALAI SAVANT ... Ich traf Ralph in Köln.
Hallo Ralph.
Guten Tag, wie geht es dir?
Gut - du sprichst deutsch?
Na ja, nicht fließend, aber ich gebe mir Mühe. Es reicht, um sich durchzuschlagen. Ich bin jetzt das dritte Mal in Europa, aber ich weiß noch, wie unsicher ich beim ersten Mal war, nicht wusste, was mich erwartet. Aber ich mag die Idee, irgendwo hinzukommen und völlig fremd zu sein. Dabei finde ich es aber auch okay, wenn das unter "kontrollierten Bedingungen" geschieht.
Gab es schon mal einen Ort, wo du dich nicht wohl gefühlt hast, auch wegen deiner Hautfarbe?
In den USA bislang erst einmal. Ich fühlte mich da nicht wirklich bedroht, aber doch sehr unwohl. Es war auf Tour und wir waren in Jackson, Minnesota gestrandet, einem kleinen Städtchen im Mittleren Westen, ein Ort wie aus "Texas Chainsaw Massacre" oder so, haha. Wir gingen da in eine Bar, alle starrten uns an, es war eine sehr ungemütliche Situation, und eine ältere Frau kam auch mich zu und fragte mich, was ich hier wolle. Meine erste Reaktion war natürlich, wütend und schnippisch darauf zu antworten à la "That's none of your fucking business!", doch stattdessen antwortete ich ganz freundlich, ich hätte vor, mich hier niederzulassen. Darauf sie: Und was willst du hier machen? Und ich: Mal sehen, einen Job suchen, eine Freundin finden, heiraten ... Sie: Hier gibt es keine Jobs. Ich: Keine Sorge, ich finde einen. Zu dem Zeitpunkt war mir klar, dass wir uns besser vom Acker machen sollten, dass die Situation womöglich bald nicht mehr so lustig ist.
Just heute morgen wurde im Radio berichtet, dass THE POLICE anlässlich ihrer Reunion eine Welttournee planen. Wirst du auf ein Konzert gehen?
Hahaha, was willst du damit andeuten? Dass THE POLICE sich offensichtlich von uns haben beeinflussen lassen? Hahahaha. Damals war ich gerade mal vier Jahre halt ... Tja, was soll ich dazu sagen? Wir sind uns sicher in vielerlei Hinsicht ähnlich, wobei wir aber nicht mal so besonders nach denen klingen. Klar, der Einfluss ist ganz offensichtlich vorhanden, jedoch empfinde ich es als geringschätzig, wenn jemand sagt, wir würden wie THE POLICE klingen, denn bei uns passiert noch eine ganze Menge mehr. Vor allem aber klingt meine Stimme nicht wie die von Sting, wobei das natürlich schön wäre. Aber es stimmt schon, das ist eine meiner ewigen Lieblingsbands. Ich selbst spiele ja die verschiedensten Instrumente, und Stewart Copeland ist für mich einer der besten Drummer überhaupt. Diese seltsame Mischung aus Rock und Reggae finde ich faszinierend, diese Herkunft aus dem Punk und New Wave. THE POLICE sind für mich die Verkörperung dieser Phase in der Musikgeschichte Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger, diese Verbindung von Punkrock, Disco, Reggae, HipHop. All diese Musikstile waren damals noch frisch und neu, es war alles noch nicht so festgefahren, die Stile waren miteinander verzahnt, es war eine erstaunliche Zeit. Ich bin Jahrgang 1973, ich war noch ein Kind, als das alles geschah, aber ich hörte die Lieder im Radio und halte diese Ära rückblickend für die für mich als Künstler und Musiker prägendste.
Nervt es nicht, wenn man sich den POLICE-Vergleich ständig anhören muss?
Manchmal schon, denn wir haben ja noch zig andere Einflüsse, die niemandem aufzufallen scheinen. Was ist denn etwa mit THE CLASH? Wir haben ja auch all diese Dub-Einflüsse, wir haben elektronische Einflüsse, und darin ähneln wir THE CLASH, die stilistisch völlig offen waren, einfach nur "rebel music" spielen wollten. Erst neulich sah ich noch eine Doku über THE CLASH, in der Joe Strummer über die Verbindung von Reggae und Punk sprach, wie sie als Band immer versuchten, die verschiedensten Stile und Trends aufzugreifen. Diese Attitüde hat mich stark beeinflusst, und so versuche ich heutzutage eine moderne Version davon zu schaffen. Es ist also kein Zufall, dass wir auch mit Rappern, DJs und so weiter zusammenarbeiten, so wie es kein Zufall war, dass THE CLASH und die SEX PISTOLS befreundet waren, dass Allen Ginsberg und Jack Kerouac Freunde waren. Nein, das geht alles Hand in Hand, das ist auch keine künstliche, ausgedachte Sache, das passiert einfach. Und so ist das auch mit unseren Verbindungen zu anderen Bands aus Chicago, etwa den ETERNALS und den WATCHERS, zu RAHIM und all den anderen Bands aus unserem Bekanntenkreis. Wir ticken alle irgendwie gleich, haben einen ähnlichen Hintergrund. Das ist aber eine Ausnahme, finde ich, denn sonst fehlt mir bei vielen heutigen Bands diese Art von Verbundenheit. Klar, durch das Internet sind alle irgendwie vernetzt, aber ich sehe keine neue Bewegung, verstehst du?
Denkst du, dass einer von Dub beeinflussten Band ein schwarzer Frontmann eine gewisse "Authentizität" verleiht ...?
Nein, das hat höchstens die Funktion, dass es Vorurteile bestätigt, etwa in der Art, dass ein Reggae-Einfluss allein am Vorhandensein dieser Person festgemacht wird. Oder es führt dazu, dass wir mit TV ON THE RADIO verglichen wurden, einfach nur wegen der zufälligen Ähnlichkeit in der Besetzung, verstehst du? Klar, gibt es zwischen unseren Bands gewisse Parallelen, aber auf ganz anderer Ebene. Wenn die Leute mich nicht gesehen hätten, wären sie nie mit dem Vergleich angekommen, das ist es. Mich würde echt interessieren, was die Leute über uns schreiben würden, wenn es keine Band-Bio, keine Pressefotos gäbe. Würden die dann überhaupt ein Wort über Dub und Reggae verlieren, würden sie das überhaupt verstehen? Von daher denke ich also, dass meine Hautfarbe schon eine Rolle spielt, denn es bedient gewisse Vorurteile. Aber das hat dann eher den Effekt, dass die Leute den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Wobei in den USA sich ja keiner traut, das mit dem "black frontman" zu schreiben, weil das ja schon als Rassismus gewertet wird, hahaha. Die versuchen das dann dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass sie uns mit BLOC PARTY vergleichen, oder dass die Band einen "funky" Sound habe. Das geht den ETERNALS übrigens auch so, denn Damon, deren Sänger, ist ja auch schwarz. Und shit, die sind überhaupt nicht funky, das ist nur der verzweifelte Versuch, etwas zu schreiben, das einen Hinweis auf die schwarze Hautfarbe des Sängers darstellt. Aber ich will auch nicht bestreiten, dass es ein Element unseres Sounds gibt, das ein Resultat meiner Hautfarbe ist. Wenn du als schwarzes Kid in einer großen Familie in Philadelphia aufwächst, dann hast du halt andere Referenzpunkte als ein weißes Kid, das mit 13 die SEX PISTOLS entdeckt. Ich wuchs mit sehr viel Jazz auf, und das hat mich geprägt. Aber der Reggae-Einfluss ist ja viel deutlicher, und wie gesagt, ich bin mir sicher, ohne Kenntnis eines Fotos fiele das Urteil anders aus.
Die BAD BRAINS sind ja auch so ein Fall: Da spielte die Hautfarbe der Mitglieder immer eine Rolle.
Klar, deren Familien kamen aus Jamaika. Und sie sind eine der großartigsten Bands aller Zeiten. Übrigens wurden auch wir schon mal mit denen verglichen, und das ist totaler Blödsinn. Nicht mal unsere Reggae-Sachen lassen sich vergleichen: Die Reggae-Songs der BAD BRAINS waren ganz klassischer Reggae, genau wie die Hardcore-Songs ganz straighter Hardcore waren. Beides trifft auf uns nicht dazu.
Und ihr seid auch nicht homophob ...
Haha, richtig. Übrigens: Hast du schon mitbekommen, dass H.R. sein Coming-Out hatte, dass der schwul ist? Aber das ist ja eine Geschichte wie aus dem Lehrbuch.
Um auf das Thema mit der Hautfarbe zurückzukommen: So was ist eigentlich immer erst ein Thema, wenn man sich so einer Tatsache bewusst ist. Mir fiel das, ehrlich gesagt, erst heute morgen auf, als ich zu deiner Band etwas recherchierte und dann erstmals ein Foto von euch sah. Und jetzt frage ich mich natürlich, ob meine Rezensionen von Album und EP anders ausgefallen wären, wenn ich das gewusst hätte.
Das ist echt eine interessante Frage. Ich hatte da so ein Erlebnis mit TV ON THE RADIO. Als ich das erste Mal was von denen hörte, fragte ich mich, ob das wohl Schwarze sind. Ich kannte die bis dahin überhaupt nicht, hatte sie nie live gesehen. Ich kam nur auf die, weil die CD gerade im Plattenladen eines Freundes lief. Ich kaufte die, hörte sie mir zu Hause an, und dann machte ich den offensichtlichen Vergleich: Der Sänger klingt wie Peter Gabriel. Aber irgendwie hatte seine Stimme etwas mehr "Würze", ich konnte das nicht genau beschreiben. Und dann sah ich ein Foto der Band, stellte fest, dass der schwarz ist. Woran ich das gemerkt habe? Ich habe keinen Abschluss in Linguistik, aber es ist nun mal so, dass Schwarze anders reden als Weiße. Die Betonung und so, die ist einfach oft anders. Die Leute sind eben, wie sie sind!
Aber es ist auch schwer, sich selbst so ein Denken einzugestehen, oder? Ich meine, die Punkszene ist ja generell sehr offen und politisch korrekt, aber an solchen Punkten wird es schon mal schwierig.
Genau, alle sind so offen und haben keine Vorurteile, aber wie kommt es, dass alle Konzertbesucher weiß sind?
Es ist wohl einfach so, dass ein bestimmter gesellschaftlicher Hintergrund immer durchschlägt, man sich von so einem Einfluss eben nicht frei machen kann.
Exakt, und so was macht einen ja nicht zu einem Rassisten. Ich meine, ich bin Amerikaner, und dieses Land ist geradezu besessen vom Thema Rasse. Dieses Land wurde auf Rassismus aufgebaut, auf Sklavenarbeit und der Vernichtung der Indianer, und so tragen wir heute die Bürde, von diesem Thema besessen zu sein. Es ist aber nun mal so, dass Unterschiede zwischen den Menschen existieren und es wichtig ist, diese Unterschiede anzuerkennen. Der Punkt ist, dass es immer dann schwierig wird, wenn man sich mit einer Kunstform beschäftigt, die von Leuten einer bestimmten Rasse dominiert wird, und diese dann Aussagen über Angehörige einer anderen Rasse machen, die sich ebenfalls in dieser Kunstform betätigen ... In der New York Times war neulich ein Artikel, der für mich das Lächerlichste war, was ich jemals zu diesem Thema gelesen habe. Es ging um Afro-Punk - kennst du die Doku, die mein Freund James Spooner gedreht hat, eine Doku über schwarze Punkrocker eben, in der auch Damon und ich vorkommen? Nicht? Jedenfalls schrieb in der New York Times ein junges Mädchen über genau dieses Thema, die keinerlei Ahnung davon hat, und letztlich war der Artikel richtig beleidigend. Die stellte das als etwas höchst Erstaunliches dar, dass ein paar Schwarze da aus dem Ghetto gekrochen kamen und es tatsächlich geschafft hatten, eine Gitarre in die Hand zu nehmen. Die benutzte da tatsächlich den Begriff "Blipster" für "Black Hipster", und das war das allerletzte. Und aus genau so einem Hintergrund kommen dann auch Besprechungen zustande, wo JAI-ALAI SAVANT mit BLOC PARTY verglichen werden und die ETERNALS mit TV ON THE RADIO.
Kannst du mir wohl die abgelutschte Frage beantworten, was es mit eurem Namen auf sich hat?
Jai-Alai ist ein Ballsport, der aus dem Baskenland stammt, und der Name lässt sich mit "fröhliches Fest" übersetzen. Es spielen immer zwei Männer gegeneinander, und sie werfen einen sehr harten Ball mittels eines an ihrem Arm befestigten Wurfkorbes an eine Wand, und der Gegner muss versuchen den Ball zu fangen. Der Ball erreicht dabei Geschwindigkeiten von bis zu 300 km/h, und das Ganze ist dem Squash ähnlich. Es wird heute vor allem in Florida gespielt und ist sehr beliebt für Sportwetten. Das Spiel kommt, wie gesagt, aus dem Baskenland, und über Spanien und Kuba fand es seinen Weg nach Florida. Als ich damals noch bei meiner alten Band FRANKLIN war, arbeitete ich als Fahrradkurier, und da erzählte mir mal jemand, das sei laut einem Zeitungsartikel, den er kürzlich gelesen habe, einer der gefährlichsten Berufe überhaupt. Ich war natürlich neugierig, was die anderen gefährlichen Berufe sind, und da stieß ich neben Tiefseetaucher und Taxifahrer in New York City auf "Professioneller Jai-Alai-Spieler", hatte aber keine Ahnung, was das sein sollte. Aber mir gefiel das Wort, ich informierte mir, und was ich erfuhr, das gefiel mir, das klang wie eine Sportart direkt aus einem "Mad Max"-Film. Schon allein der Klang des Wortes Jai-Alai ist wunderbar, ja, es ist einfacher auszusprechen als zu buchstabieren, und es sieht komplizierter aus als es ist. Das "Savant" ist dazu eine gute Ergänzung, es bezeichnet einen Menschen, der in einem Bereich ein Meister ist, und jemand, der der beste Jai-Alai-Spieler ist, ist doch ziemlich cool, oder? Und so schwor ich mir, dass meine nächste Band so heißen wird - der Meister des gefährlichsten Sports der Welt.
Hast du Jai-Alai jemals selbst gespielt?
Nein, aber als wir in Florida auf Tour waren, haben wir mal eine Spielstätte besucht und uns mit Spielern unterhalten. Aber das selbst spielen? Dazu lebe ich zu gerne, hahaha. Wir haben da aber ein paar coole Fotos gemacht. Übrigens solltest bei einer der Wiederholungen von "Miami Vice" mal auf den Vorspann achten, da sieht man ganz kurz einen Ausschnitt aus einem Jai-Alai-Spiel. Und in einer Folge taucht auch mal ein Jai-Alai-Spieler auf, der in irgendwelche illegalen Geschäfte verwickelt ist. Und am Ende stirbt der dann bei einem Spiel - er wird vom Ball getroffen ...
Und was hat es mit dem Mammut auf sich, das man beispielsweise auf eurem T-Shirt sieht?
Das war die Idee von Damon von den ETERNALS. Und daraus entstand die Idee der "Mastodons", des ersten professionellen Jai-Alai-Teams aus Philadelphia. Was natürlich Blödsinn ist, da Jai-Alai kein Mannschaftssport ist, haha. Die Shirts, die eben aussehen wie Vereins-T-Shirts, haben wir dann an unsere Freunde verteilt.
Und dabei seid ihr ja auch noch aus Chicago ... Apropos: Im Kontext mit JAI-ALAI SAVANT werden auch immer wieder mal die leider zu Unrecht in Vergessenheit geratenen ETERNALS-Vorgänger TRENCHMOUTH als Vorbilder genannt.
TRENCHMOUTH, deren Damon und Wayne ja heute bei den ETERNALS sind, sind eine meiner absoluten Lieblingsbands. Die haben mich so stark beeinflusst wie keine andere Band, und deshalb covern wir auch einen Song von ihnen. Ich habe sie das erste Mal mit ungefähr 20 in Philadelphia in einem kleinen Club live gesehen, und sie waren beeindruckend: Exzellente Musiker, die gut aussahen und auch noch phantastische Lieder schrieben, die einerseits kompliziert und komplex sind, aber doch auch als Popsongs funktionieren. Leider blieben sie immer ein gut gehüteter Geheimtip. Mit den ETERNALS ist das ähnlich, auch sie leiden unter dem "Favorite Band"-Syndrom: Keiner kennt sie, aber sie sind die Lieblingsband deiner Lieblingsband. Und so was ärgert mich, denn da ich die persönlich gut kenne, weiß ich ja, wie hart sie an ihrer Musik arbeiten. Chicago ist aber auch generell eine gute Stadt für Musik, es gibt viele gute Bands, etwa aus dem Thrill Jockey- und Touch & Go-Umfeld.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #72 Juni/Juli 2007 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #63 Dezember 2005/Januar 2006 und Joachim Hiller