SAINT VITUS sind bis heute unerreichte Meister des Doom-Rock, THE OBSESSED waren eine der heaviesten Bands überhaupt, SPIRIT CARAVAN die logische Fortsetzung – und THE HIDDEN HAND sind der aktuelle Geniestreich des Scott Weinrich, dem Mastermind hinter all diesen Bands. Und weil es schon längst überfällig war, den Mann zu interviewen, und zudem das erste Album von THE HIDDEN HAND eben erschienen war, rief ich ihn im Juni einfach zu Hause an. Ach ja, SAINT VITUS: Die spielten unlängst ein paar Konzerte mit Wino, aber mehr war da auch nicht und mehr wird auch nicht sein, wie die Beteiligten erzählten.
Neues Album, neue Band – gib mir die Basics.
Die Band ist noch ziemlich neu, wir spielen seit etwa einem Jahr zusammen. Damals hatte sich SPIRIT CARAVAN gerade aufgelöst und ich hatte natürlich Lust, wieder irgendwie Musik zu machen. Da fiel mir ein Studiomann ein, mit dem ich mal gearbeitet hatte, und der mir als exzellenter Bassist in Erinnerung geblieben war und der musikalisch auch eher einen Punk/Alternative-Background hatte. Ich und Bruce, so heißt er, fingen also an zu jammen, es klappte wunderbar, und so suchten wir uns einen Schlagzeuger und fanden Dave Hennessy. Interessanterweise hatte Dave damals keinerlei Ahnung, wer ich bin: Er hatte noch nie was von THE OBSESSED gehört, und ST. VITUS und SPIRIT CARAVAN auch nicht – und das gefiel mir. Außerdem ist Dave auch ein sehr guter Gitarrist und spielt noch in einer anderen Band namens OSTINATO, einer Psychedelic-Band. Dave bringt immer frische, neue Ideen ein, und da er nicht nur Schlagzeug spielt, bringt er sich auch im Arrangement der Songs ein, was mir gut gefällt.
Wie ist denn der Altersunterschied in der Band?
Ich werde Ende September 43, Dave ist Anfang 30 und Bruce Mitte 30.
Du hast die meiste Zeit in Washington D.C. und Umgebung gelebt, lebst auch derzeit wieder dort. Welche Rolle spielt die dortige Musikszene für dich?
Ich denke, du spielst an auf die Dischord-Bands und so weiter. Na ja, Bands wie BLUETIP, Q AND NOT U oder BLACK EYES kenne ich natürlich, und ich denke, wir sind einfach härter. Und vor allem möchte ich THE HIDDEN HAND auf ein etwas progressiveres Terrain führen, anstatt ewig auf das Doom-Genre begrenzt zu bleiben. Von den neueren Songs, die nicht auf dem Album sind – wir sind sehr fleißige Songwriter – sind auch schon ein gutes Stück progressiver. Das hat was mit unseren Roots zu tun: Bruce hört gerne KING CRIMSON und MAHAVISHNU ORCHESTRA – wie ich auch – während Dave viel Psychedelic-Zeug hört, wie TRAIL OF DEAD oder MOGWAI. Ich denke, solche Einflüsse werden in Zukunft verstärkt auftauchen. Um auf deine Frage zurück zu kommen: Ich weiß nicht genau, was den klassischen Dischord-Sound ausmacht, aber der Hauptunterschied ist auf jeden Fall die Härte. Und mit dem ganzen ‚Angst‘- und Emo-Dings haben wir nichts am Hut, außerdem haben wir mehr Groove, glaube ich. Viele dieser Dischord-Bands sind einfach so ‚anti-groove‘. Sogar FUGAZI, die ich sehr mag, haben keinen wirklichen Groove, die haben es mehr mit subtilen Tempowechseln und so weiter. Wir nennen das immer ‚herkyjerky‘, haha. Wir dagegen haben Groove und sind heavy und versuchen dennoch aus den Klischees von Doom und Stoner Rock auszubrechen.
Der große Stoner-Rock-Hype ist ja zum Glück vorbei, Doom dagegen erfreut sich in letzter Zeit wieder etwas größerer Beliebtheit. Wie stehst du zu diesen ganzen Begrifflichkeiten?
Wegen meiner Vergangenheit mit SAINT VITUS und OBSESSED wird wohl alles, was ich mache, und damit auch THE HIDDEN HAND, immer irgendwie mit Stoner und Doom in Zusammenhang gebracht werden. Damit komme ich klar, damit habe ich kein Problem. Aber ich konnte ehrlich gesagt nie viel mit dem Begriff Stoner-Rock anfangen, der war einfach ein neuer Name für eine neue Bewegung. Stoner-Rock, das war schon eine Art Bewegung, mit Bands wie ATOMIC BITCHWAX, ACID KING oder HIGH ON FIRE und vielleicht auch SPIRIT CARAVAN, aber eigentlich meinte der Begriff nur eine junge Hardrock-Bewegung. Für mich persönlich bezeichnet Stoner-Rock Musik mit einer stärkeren Betonung der Melodien, und bei THE HIDDEN HAND etwa singen wir, wir schreien nicht, das ist wichtig. Und was mir kürzlich noch bei einem großen Stoner-Rock-Festival auffiel: die meisten Bands ähneln sich sehr stark. Das ist ein großer Ansporn für uns, was eigenes zu machen, doch alles in allem denke ich, dass wir eigentlich nur eine Hardrock-Band sind. Oder nimm die MELVINS, das ist auch ein gutes Beispiel.
Wieso die MELVINS?
Ich fand die MELVINS bis zu ‚Houdini‘ richtig gut, aber seitdem gefallen sie mir immer weniger, weil sie sich zu weit vom Rock entfernt haben. Auf der einen Seite hast du also Bands, die Rock spielen, aber ziemlich langweilig sind, weil einfach immer alles gleich ist, und andererseits sind da die experimentellen Bands, wie die neuen Sachen der MELVINS, dieser noisy Sound, diese Math-Rock-Sachen. Mein Ding sind einfach harte Sounds, ich hatte noch nie was übrig für fröhlich klingende Musik. Dabei ist es gar nicht wichtig, ob es langsam oder schnell ist, es muss einfach nur in den Bauch gehen. Gleichzeitig sind mir aber auch die Texte wichtig, die müssen irgendwie stimulierend sein – und dazu muss ich die Texte verstehen können, ein Grund mehr, weshalb mir schreiende Sänger nicht gefallen. Eine aktuell richtig großartige Band sind übrigens MASTODON: ihre Platte wird ihnen zwar nicht gerecht, aber live sind sie unglaublich, gerade der Drummer. Und trotzdem: nach einer Weile ertrage ich auch die nur noch schwer, sie haben einfach nicht genug Melodien. Doch in den Momenten, wo sie aufhören zu schreien und richtig singen, wird es für mich richtig großartig.
Und was denkst du, was die nahe Zukunft für THE HIDDEN HAND bereit hält?
Die Band steht in meinem Leben derzeit schon auf Platz 1. Es gibt auch noch PLACE OF SKULLS, aber bei denen tut sich momentan nichts. THE HIDDEN HAND hat meiner Meinung nach das Potential zu wachsen, weil die beiden anderen die besten Musiker sind, mit denen ich bislang zu tun hatte und so musikalisch noch eine Menge Möglichkeiten gegeben sind. Zudem schreiben die Beiden auch Stücke, so dass ständig neue, frische Ideen kommen, und gesanglich freut es mich auch, dass wir zu zweit sind. Bruce hat eine echt gute Stimme, er singt bei der Hälfte der Stücke die Leadvocals. Ich denke, wir werden als Band bei einem Indie-Label bleiben und versuchen, uns Stück für Stück hochzuarbeiten. Wir sind in den USA auf Meteor City – in Europa auf Exile On Mainstream – und kommen mit denen gut klar, mal sehen, wie sich das entwickelt. Ich denke, wir haben durchaus das Potential, auch einen Song fürs Radio zu schreiben. Derzeit arbeiten wir an einem Stück, das einerseits heavy ist, das ich mir andererseits wegen der Melodie auch im Radio vorstellen kann, aber da muss man abwarten, was passiert. Ich denke, wenn wir unserer Musik treu bleiben können, dann habe ich auch kein Problem mit Airplay. Alles in allem denke ich also, dass diese Band recht langlebig sein kann.
Das hast du bei SPIRIT CARAVAN auch gedacht ...
Zugegeben. Aber da waren die beiden anderen Jungs nicht daran interessiert, sich musikalisch zu entwickeln. Da hat keiner mal geübt, der Basser war mehr daran interessiert, ständig Party zu machen. Und irgendwann hatte er dann keine Lust mehr, aber was erwartest du? Du kannst nicht ständig saufen und dann noch erwarten, dass du vernünftig spielst. Bei THE HIDDEN HAND waren wir von Anfang an disziplinierter, und ich muss mir keine Gedanken darüber machen, wie viel Bier die anderen vor dem Konzert trinken.
Du hast von ganz unten bis Semi-Rockstar-Status schon alles erlebt. Was bringt dich dazu immer weiterzumachen?
Ich bekomme sehr viel Feedback aus aller Welt, wo mir Leute schreiben, wie wichtig ihnen meine Musik ist, was sie ihnen bedeutet. Abgesehen von meinem eigenen Antrieb, einfach was machen zu müssen, hilft mir das am meisten. Wenn ich mal eine Weile keine Band habe, nicht live spielen kann, habe ich immer das Gefühl, etwas zu verpassen, mein Talent, das ich als Geschenk empfinde, zu verschwenden, und so mache ich einfach immer weiter. Wie du weißt hatte ich ja in den 90ern ein paar verschwendete Jahre, bedingt durch heftigen Alkohol- und Drogenmissbrauch, aber das liegt hinter mir und ich habe derzeit das Gefühl, an meinem kreativen Höhepunkt angelangt zu sein. Ich spiele zwar nicht so schnell wie mit zwanzig, aber dafür ist meine Technik viel besser, ich kenne mein Equipment und stehe einfach mit beiden Füßen auf dem Boden und bin ziemlich glücklich. Und ich habe auch gelernt, dass man Erfolg mit unterschiedlichem Maß misst: Du kannst einen Radiohit haben, mal eben eine Million verdienen und dich damit zur Ruhe setzen – oder du bringst 30, 40 Platten raus und kannst davon halbwegs leben. Bei mir ist zweiteres der Fall, und damit bin ich zufrieden.
Kommen wir wieder auf euer Album zu sprechen: Wenn man die CD aus dem Tray holt, findet sich dort eine ganze Liste von Büchern, die zu lesen ihr empfehlt. Ich habe mal recherchiert, was das für Bücher sind, und mir scheint, du bist ziemlich fasziniert von Verschwörungstheorien.
Ja, und schon allein dieser Begriff ist ein Problem: Der wird vom ‚Feind‘ verwendet, um diese Meinung zu diskreditieren. Jede Art von abweichender Idee wird gleich als Verschwörungstheorie und damit als Blödsinn abgetan, und das ist eine praktische Methode, Unbequemes klein zu halten. Aber grundsätzlich hast du schon Recht, diese ganze Thematik interessiert mich, und ich finde es sehr verstörend, was ich da so gelesen und entdeckt habe. Klar, jeder weiß, was abgeht. Jeder, der denken kann und will, durchschaut die Rhetorik der Regierungen, sei es die der USA, die von England oder die von Deutschland. Aber interessant wird es erst, wenn man etwas tiefer schaut. Dazu will ich die Leute ermutigen und das ist auch der Hintergrund des Bandnamens THE HIDDEN HAND.
Was hat es damit auf sich?
Es ist ein Symbol für die unsichtbaren Kräfte im Hintergrund, und der Albumtitel „Divine Propaganda“ geht da Hand in Hand. Interessanterweise wird er in Europa anders – besser – verstanden als in den USA. Mir scheint, die europäische Kultur ist offener, hat ein größeres Verständnis dafür, was ‚richtig‘ ist. Und noch eine dritte Sache findet sich im Booklet, eine Seite mit 13 Hinweisen, die ‚Weapons to use in the face of tyranny‘ betitelt ist.
Würdest du denn sagen, dass du ein politischer Mensch bist?
Auf jeden Fall. Ich wähle, ich bin ein registrierter Demokrat, war früher mal Independent – und das, obwohl es mir schwer fällt daran zu glauben, dass das irgendwas ändert. Man muss sich nur mal anschauen, wie die letzte Wahl in diesem Land gelaufen ist. Dazu kann ich nur empfehlen, eines der Bücher aus meiner Liste zu lesen, ‚The Best Democracy Money Can Buy‘ von Greg Palast. Doch obwohl jeder wissen kann, wie die Republikaner den Wahlsieg gestohlen haben, interessiert es niemanden mehr.
Oder der Irak-Krieg: Die „Gründe“ waren alle erfunden, aber wenn interessiert das jetzt noch?
Exakt! Interessant ist auch, welche Rolle immer wieder Drogen spielen. Etwa in Afghanistan, wo die Taliban den Drogenhandel und die Erzeugung verboten und bekämpft hatten, im Gegensatz zur Nord-Allianz, den US-Verbündeten. Kaum ist der Krieg vorbei, hat sich dank der Nord-Allianz die Opiumproduktion verdreifacht. Ganz ähnlich war es in Indochina in den 50ern, und ähnlich ist es in Kolumbien, das meiner Meinung nach das nächste Vietnam der USA werden wird. Okay, das alles hat jetzt nicht viel mit meiner Musik zu tun, aber ich denke eben, dass ich den Mund aufmachen muss, dass ich meine Musik dazu einsetzen kann, anderen Menschen zu helfen, aber dass es auch meine Pflicht ist, mein Gehirn einzusetzen.
Scott, das war ein guter Abschluss für das Interview. Danke.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #52 September/Oktober/November 2003 und Joachim Hiller
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