„Helem“ hat im Hebräischen zwei Bedeutungen, zum einen bedeutet es übersetzt „Schock“ – ein guter Name für eine Punkband. Aber mit „Helem“ wird auch ein Zustand bezeichnet, in dem nichts so funktioniert, wie es sollte, und in dem alles schiefgeht – und dass vieles schiefgeht, thematisieren HELEM in ihren Songs, wie aktuell auf ihrem neuen Album „Black Sheep“.
Die „Antifa Punx from Israhell“, wie sie sich selbst bezeichnen, sind seit 2018 aktiv. In dieser Zeit haben sie eine EP und zwei Alben veröffentlicht und mehrere Touren unter anderem auch in Deutschland gespielt. Wir sprachen mit Sänger Dan Dery über das letzte Album und die Situation in Israel. HELEM bestehen zudem aus Drummer Arik Baraz, Gitarrist Ran Weizman und Bassist Arcadi Maidanik.
Ihr nennt euch „Antifa Punx from Israhell“. Könnt ihr das für diejenigen erklären, die euch noch nicht kennen?
Wir wissen nicht wirklich, wie wir erklären sollen, wie es ist, Antifa in einem Staat wie „Israhell“ zu sein. Ich kann nur sagen, dass wir viel über die kaputte israelische Gesellschaft und das zionistische Regime sprechen, das wir aus Liebe zu unserer Heimat hassen. Wenn wir gegen seine Existenz wären, wäre es viel einfacher, es einfach verrotten zu lassen. Wir sind antizionistisch, weil wir glauben, dass dieser Ort von Rassismus und Faschismus geheilt werden kann – oder schon vor vielen Jahren hätte geheilt werden können.
Ihr habt 2021 „Work together“ von THE OPPRESSED gecovert, mit Unterstützung von deren Sänger Roddy Moreno. Warum und wie ist es dazu gekommen?
Ich habe Roddy Moreno angeschrieben, dass wir eine Punkrock-Version von seinem Song machen wollten und dass es uns eine Ehre wäre, wenn er dabei singen würde. Er sagte: Cool, lass es uns machen! Einen Monat später war er fertig.
2022 wart ihr auf Tournee in Georgien. Wie war es dort?
Ich kann sagen, dass jede Minute der Tour in Georgien verrückt war. Nichts ist vergleichbar mit anderen Orten, wo wir getourt haben. Es war wie mit einer Zeitmaschine in die Achtziger Jahre zu reisen, aber in eine post-sowjetische Apokalypse.
Es liegen drei Jahre zwischen „Habgida Hagdola“ und dem neuen Album. Liegt das auch an Corona?
Ja, sicher ... Wir haben unser Bestes getan, um die Zeit zu nutzen und das Album zu schreiben. Aber es hat lange gedauert, bis wir die richtigen Labels gefunden haben, die uns unterstützen, weil die meisten in den ersten zwei Jahren der Pandemie eine so schlechte Zeit hatten. Ein Lob an alle Labels, die den Punk in diesem Albtraum am Leben erhalten haben.
Das Album trägt den Titel „Black Sheep“. Die Coverzeichnung zeigt ein schwarzes Schaf in Wolfsverkleidung. Was bedeutet das?
Ich denke, wir können alle den Scheiß beiseite lassen und die Leute so sehen, wie sie wirklich sind. Die meisten – aber nicht alle – Punx setzen sich für positive Aspekte des Lebens ein, sind politisch aktiv oder haben zumindest ihr Herz am rechten Fleck.
In „Europa : Europa“ singt ihr: „Between Leipzig and Dresden you’ll lose control“. Wart ihr selbst schon einmal in Sachsen? Wenn ja, wie waren eure Erfahrungen dort?
Den Song haben wir geschrieben, als wir eben auf der Straße zwischen diesen beiden Städten fuhren. Man konnte tatsächlich den stillen Hass spüren, der an einem so friedlichen Ort in Europa unter der Oberfläche brodelt. Als ob jeden Moment wieder Chaos und Hass herrschen könnten. Die Menschen – sie ändern sich nicht so schnell und verletzter Stolz ist eine sehr gefährliche Angelegenheit.
Nehmen wir Sachsen als Beispiel, wo die AfD bei fast 30% liegt, aber auch den Rechtsruck im Rest des Landes. Wie empfindet ihr den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland?
Wir haben fast nur für lokale Antifa-Crews gespielt, also haben wir keinen wirklichen Hass gegen uns erlebt, weil wir Juden sind. Als wir in Cottbus mit ZSK gespielt haben, gab es ein paar Probleme mit linken Menschen in einer Stadt wie dieser, aber die können uns mal.
Was bedeutet es, wenn Netanjahu dem Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir seine eigene Nationalgarde verspricht? Wird sie zu einer privaten Miliz, wie die Association for Civil Rights es befürchtet?
Es bedeutet, dass dieser Wichser seine eigene SA bekommt. Eine paramilitärische Miliz, um Pro-Palästina-Demonstrationen anzugreifen. Nicht mehr und nicht weniger als eine SA.
In „Can’t compare“ singt ihr davon, dass man einen Holocaust nicht mit einem anderen vergleichen kann. Was meint ihr damit?
Wir meinen, dass wir uns beim Töten unschuldiger palästinensischer Zivilisten sehr wohl der Unterschiede, aber auch der Ähnlichkeiten bewusst sind. Die Gesetze, die Propaganda, es ist fast die gleiche Rhetorik. Aber im weiteren Sinne sprechen wir darüber, dass uns als Israelis nur der jüdische Holocaust beigebracht wurde, während es so viele andere Völkermorde gab und immer noch gibt. Was soll ich sagen, es ist ein großes Thema in unserer Geschichte, und darüber zu singen ist nicht respektlos.
Hättet ihr erwartet, dass die Koalition aus Likud und ultrarechten Parteien so schnell aktiv werden würde, um die Gesellschaft zu verändern? Stichwort: geplante Justizreform.
Das ist die Hölle, von der ich nie gedacht hätte, dass ich sie erleben würde. Und wenn es für uns schon so schwer ist, dann stell dir vor, was unsere arabischen Brüder durchmachen müssen. Die Hölle ...
Es gibt zahlreiche Proteste gegen diese so genannte Reform. Hättest du damit gerechnet, dass so viele Menschen auf die Straße gehen würden?
Die Menschen werden sich die Straße zurückholen, aber um ehrlich zu sein – bei diesen Demonstrationen geht es nicht um Gleichberechtigung für alle. Die gute Seite ist, dass es einen riesigen, ständig wachsenden Block gegen die Besatzung der Palästinensergebiete auf den Demonstrationen in Tel Aviv gibt und das jedes Wochenende. Für mich ist es wie ein wahr gewordener Traum, so viele radikale Menschen vereint zu sehen. Früher waren es nur ein paar Dutzend, aber jetzt sind es Hunderte.
Wie siehst du die weitere politische Entwicklung, für dich persönlich und für die Punk-Szene?
We’re fucked! Aber wir hoffen immer auf das Beste, für uns, für die Israelis und die Palästinenser, für den gesamten Nahen Osten und für die ganze Welt. Und hoffentlich haben wir die Chance, bald wieder in Deutschland zu spielen, um unsere Botschaft zu verbreiten.
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