2015 gründeten sich in Nantes im Westen von Frankreich HEAVY HEART. Nach den Alben „After Distance“ (2017) und „Love Against Capture“ (2018) veröffentlichten sie im Oktober 2021 auf Gunner Records ihr drittes Album „Closer“, das eigentlich ein „Frühlingsalbum“ sein müsste, so optimistisch, sonnig, melodiös präsentiert die Band ihren Punkrock mit melancholischem Pop-Einschlag.
Wie ging das los mit euch?
Louis: Wir haben 2015 angefangen, zusammen zu spielen. Davor waren wir in verschiedenen Bands, die oft zusammen auf Tour waren und sich etwa zur gleichen Zeit getrennt haben. Wir haben HEAVY HEART aus unserer gemeinsamen Liebe zum Punkrock und der DIY-Szene heraus gegründet und weil wir uns gegenseitig mögen.
Moreno: Als wir loslegten, wollten wir so schnell wie möglich Konzerte spielen, weil wir das nach der Auflösung unserer früheren Bands vermisst hatten. Also haben wir an ein paar Songs gearbeitet und dann zwei Tage in einem Keller verbracht, um eigenständig unsere erste EP „Discoveries“ aufzunehmen. So konnten wir unsere Songs an Freunde schicken, die in Frankreich Punk-Shows organisieren, und spielten bald die ersten Gigs.
Lylian: Als sich meine frühere Band auflöste, sagte ich mir: Ich muss Louis fragen, ob er mit mir eine neue Band gründen will, er hat so eine fantastische Stimme.
Wie oft wurdet ihr schon mit HAVE HEART verwechselt ...?
Louis: Das ist schon vorgekommen, aber wir haben nicht genug mit Youthcrew-Hardcore zu tun, als dass es unangenehm wird. Trotzdem hat es zu ein paar lustigen Situationen geführt, zum Beispiel als wir auf dem Fluff Fest, einem DIY-Hardcore-Festival in der Tschechischen Republik, gespielt haben. Da erlebten wohl Fans von HAVE HEART eine ziemliche Gefühlsachterbahn beim Anblick unserer Band.
Moreno: Ich erinnere mich, dass einmal in Belgrad vor der Show ein Typ zu uns kam, um uns zu sagen, wie sehr er unsere Songs mochte, aber er sei überrascht, dass wir seltsamerweise nicht so aussehen wie in unseren Videos,. Nach ein oder zwei Liedern war er sicher ein bisschen enttäuscht.
Ich mag den modernen Pop-Punk nicht, bei dem die Stimme durch AutoTune verstümmelt wird. Zum Glück macht ihr das nicht – warum nicht? Und was sind eure Vorstellungen von perfektem Pop-Punk und Powerpop?
Louis: Ich mag modernen Pop-Punk eigentlich auch nicht, er ist mir zu überproduziert. Als Kind habe ich die BEACH BOYS und SIMON & GARFUNKEL gehört, bevor ich den Punkrock entdeckte und mich für eine Weile von ihnen abwandte. Ich liebe also Melodien und Popmusik sehr, aber ich mag auch Musik, die kraftvoll und geradlinig ist, und ich glaube, so spielen wir auch. Uns geht es darum, dass der Sound auf unseren Alben an die Intensität von Live-Musik erinnert. Das bedeutet, dass wir einige Fehler und Ungenauigkeiten in Kauf genommen haben, damit es warm und echt klingt. Manchmal langweilt es mich, Musik zu hören, bei der alles perfekt ist. Ich mag es lieber, wenn Kleinigkeiten schiefgehen, damit es sich authentisch anfühlt.
Lylian: Ich glaube, bei Pop-Punk und Powerpop geht es um Melodie und Einfachheit, darum, mit nur zwei oder drei Akkorden einen Song zu schreiben, der einem für immer im Kopf bleibt, auch wenn ich zugeben muss, dass das ein bisschen klischeehaft ist. Es geht um diese seltsame Mischung aus Freude und Nostalgie. Leicht und doch ernst. Außerdem, und das ist nicht der einfachste Teil, muss es tanzbar sein. Ein guter Popsong muss dir das Gefühl geben, dass dir ein Freund auf die Schulter klopft und sagt: „It’s gonna be alright, you’ll never be alone.“
Das physische Album scheint eine aussterbende Spezies zu sein. Wie steht ihr dazu?
Louis: Ich hänge sehr am Albumformat. Ich mag Vinyl sehr, weil es uns die Möglichkeit gibt, ein grafisches Universum zu erkunden, das mit der Musik einhergeht. Vinyl ist fantastisch, aber es ist inzwischen wahnsinnig teuer, und ich hasse es, dass Platten zu Luxusartikeln werden. Deshalb finde ich es auch nicht schlimm, dass Streaming immer beliebter wird, auch ich entdecke so Bands. Aber die Streaming-Plattformen sind definitiv zu Imperien geworden und sie haben eindeutig den Ehrgeiz, die Art, wie wir Musik hören, neu zu definieren. Ich erinnere mich, dass ich in einem Artikel eine Aussage des CEO von Spotify gelesen habe, nachdem ihm vorgeworfen wurde, dass er den Künstlern nicht genug zahle. Er antwortete, dass die Zeiten, in denen die Veröffentlichung neuer Musik alle zwei oder drei Jahre ausreichte, um davon leben zu können, vorbei sind. Um es klar zu sagen: Wir leben nicht von dieser Band, also ist uns dieser Aspekt egal. Aber das Albumformat ist uns wichtig, denn es ermöglicht Bands und Künstlern, Dynamik, Stimmungen, Farben und Fortschritte in ihrer Musik zu entwickeln. Wir wollen nicht, dass dieses Format verdrängt wird von Singles und zufällig zusammengestellte Playlists. Die meisten unsererSongs sind kein Single-Material, doch an der richtigen Stelle in einem Album können sie etwas ganz Besonderes sein. Ich habe das Gefühl, dass wir das zunehmend verlieren, weil das Albumformat weiter an Bedeutung einbüßt.
Moreno: Ich bevorzuge es auch, physische Alben zu besitzen, aber ehrlich gesagt ist Vinyl so teuer, also kaufe ich es meistens nur, wenn ich mir sicher bin, dass ich die Platte immer wieder hören möchte. Mit der Demokratisierung des Streamings hat sich die Art, wie Musik konsumiert wird, stark verändert. In gewisser Weise ist das auch ok, weil alles verfügbar ist und es sehr einfach ist, neue Bands, neue Alben, neue Genres usw. zu entdecken. Aber auf der anderen Seite setzen Streaming-Plattformen ihr Modell durch und definieren die Art und Weise neu, wie Bands denken und ein Album schreiben müssen. Wenn du willst, dass die Leute dir zuhören, musst du nach ihren Regeln spielen, und ich muss zugeben, dass ich mich damit nicht wirklich wohl fühle.
Wie habt ihr die Corona-Pandemie überstanden, privat und als Band? Und wie hilfreich war die Regierung in Frankreich bei der Unterstützung von Künstlern, Clubs etc.?
Lylian: Als Band haben wir einen Teil der Pandemie damit verbracht, Songs zu schreiben und unser neues Album aufzunehmen. Wir haben es vermisst, Shows zu spielen und gemeinsam Spaß zu haben, so dass die Pandemie uns nicht dazu gebracht hat, ans Aufhören zu denken. Unser ehemaliger Schlagzeuger Antoine verließ die Band während des ersten Lockdowns und John ersetzte ihn. Es war also eine große Umstellung für uns, obwohl alles ziemlich reibungslos ablief. Beide sind Freunde, also waren wir traurig, dass Antoine ging, aber wir haben uns gefreut, John in der Band willkommen zu heißen. Wir fanden heraus, dass es in dieser Band um Freundschaft geht und darum, neue Leute oder neue Orte kennen zu lernen. Sie ermöglicht es uns, etwas gemeinsam zu leben und die Beziehungen zu pflegen, die wir haben. Es ist nichts Großes, aber es ist wertvoll. Es ist ein Projekt, bei dem es keine großartigen Ambitionen gibt, keinen Karriereplan, also auch keinen Grund aufzuhören. Es gäbe viel darüber zu sagen, wie unsere Politiker diese ganze Krise bewältigt haben und wie wir alle akzeptiert haben, alles zu stoppen und für Wochen zu Hause zu bleiben. Um deine Frage zu beantworten: In Frankreich hat die Regierung einigen professionellen Künstlern geholfen, die bereits vorher offiziell als solche anerkannt waren. Da wir keine Profimusiker sind und nicht davon leben wollen, war das bei uns nicht der Fall. Irgendwie haben wir die Krise durchgestanden, wie wohl alle anderen auch. In Frankreich hat die Krise im Gesundheitswesen wie überall die prekäre Lage, die Isolation und die soziale Ungleichheit verstärkt. Wir selbst können uns nicht beklagen.Wir arbeiten als Sozialarbeiter, in der Fabriken oder auf dem Bau, so dass wir die meiste Zeit weiter gearbeitet haben.Zum Glück gibt Einzelpersonen, Verbände und Kollektive die versuchen, in dieser beschissenen Situation andere Menschen zu unterstützen und gegenseitige Hilfe von ganz unten organisieren. Wie so oft führen dramatische Umstände auch zu interessanten Reaktionen und machen deutlich, wie wichtig Prinzipien wie Solidarität, gegenseitige Hilfe, Empathie und Teilen sind. Diese Werte dürfen nicht nur behauptet werden, sondern müssen von realen Menschen in der Realität umgesetzt werden. Es gibt eine Zeile auf dem Album, die wir von einem französischen Philosophen übernommen haben, die besagt: „Wir sind nichts anderes, als die Art und Weise, wie wir die anderen existieren lassen“. Ich denke, das fasst ziemlich gut die Gefühle zusammen, die wir hatten, als wir dieses Album geschrieben haben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #159 Dezember 2021 /Januar 2022 2021 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #131 April/Mai 2017 und Robert Rittermann