David Opp ist einer der Betreiber des Labels Heart & Crossbone, das in Tel Aviv ansässig ist und sich sämtlicher Formen extremer Musik annimmt (Noisecore, Grindcore, extreme Formen experimenteller und elektronischer Musik) und Alben von Gruppen und Individualkünstlern aus Israel der ganzen Welt veröffentlicht –MONEY IST GOD aus Japan und Dave Phillips aus der Schweiz, aber auch israelische Bands wie DIRK DIGGLER oder D9. Daneben ist er auch selbst musikalisch aktiv und widmet sich in seinem aktiven Schaffen in etwa der Musik, die er veröffentlicht, erwähnenswert hier beispielsweise die Grindcore-Band CADAVER EYES. David ist seit Anfang der Achtziger Teil der israelischen Punk-Szene, er spielte damals in der Band CHOLERA, die, wie Fotos aus der Zeit demonstrieren, sich sowohl musikalisch als auch optisch dem Stil ihrer englischen Counterparts verschrieben haben – was durch die Tatsache, dass die ganze Geschichte in der unheiligen Stadt Jerusalem vonstatten ging, doch eine Erwähnung wert ist. Leichenschänder aufgepasst, eine Veröffentlichung alter Tapes in digitaler Form ist geplant. Das Interview fand in seinem Studio in Tel Aviv statt.
Direkter Start: Bist du eher ein Mann des Agierens oder des Reagierens?
Ich will agieren. Aber wenn ich dir das hier zeige, das Cover des Albums meiner Band CADAVER EYES, ein zerstörtes Haus in Gaza , dann sieht man, dass es eine Reaktion ist. Es geht vor allem darum – den Versuch, da etwas zu machen.
Kann man davon ausgehen, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn jeder sich so verhalten würde wie du?
Ich weiß nicht, ob ich so ein großartiges Werk verrichte. Ich versuche es auf verschiedenste Arten. Ich bin kein Aktivist, aber ich würde wünschen, ich wäre einer. Ich habe Freunde, die ich immer wieder nerve: Nimm mich mit zu einer Aktion! Die sagen dann, gut, Freitag, um vier musst du in Jerusalem sein. Und ich: Oh Scheiße, ich muss erst mein Kind in die Schule bringen ... Ja, ich habe schon auch Angst hinzugehen, da festzuhängen und nicht heimzukommen für das Freitagabend-Dinner. Vielleicht bin ich nicht im richtigen Alter dafür, aber ich bin der Ansicht, dass die Menschen aktiver sein sollten in dieser Krisensituation. Das ist wirklich Wahnsinn, was hier passiert, wie wi mit Menschen umgehen, die aus Afrika oder den Philippinen kommen, Flüchtlinge, die verfolgt werden und hierher kommen, wir stellen sie an, feuern sie, das ist so mies.
Hältst du dich für einen Außenseiter?
In diversen Dingen bin ich ein Außenseiter. Das komische Label, eben diese komische Musik, zu der wirklich nur ein paar Leute Bezug haben. Aber in anderen Bereichen kann ich dazugehören, etwa mit der Klasse einen Ausflug zum Toten Meer unternehmen ... Ich habe lange in New York und London gelebt, da kannst du einen verrückten pinkfarbenen Irokesen haben, es schert niemanden. Hier in Israel kann es schon eine schwache Form von Rebellion sein, eine komische Frisur zu haben oder am falschen Tag ein schwarzes T-Shirt zu tragen.
Was hat dich dazu gebracht, dich in den musikalischen Underground zu begeben?
Ich bin mit Punk-Musik sehr früh in Berührung gekommen, für mich war das mein Ding. Ich habe immer wieder Diskussionen geführt mit Musikern aus irgendwelchen Szenen über solche Thematiken: Was ist Mainstream? Was zur Hölle ist Subkultur? Wer macht es besser und wo genau will einer sein? Ich habe den Drang verspürt, Institutionen und Systeme aufzumischen. Es geht darum, kreativ zu sein, wichtige Statements von sich zu geben, Konventionen über den Haufen zu werfen, herumzuexperimentieren, an die Grenzen zu gehen. Darum sollte es zumindest gehen, wenn es ernst gemeint ist.
Denkst du, es war eine bewusste Entscheidung, dass du da gelandet bist, wo du bist, oder warst du einfach für diese Art zu leben bestimmt?
Ich glaube nicht, dass es eine bewusste Entscheidung war. Vielleicht versuche ich, einen Ausgleich zu finden, wenn ich normal arbeiten gehe. Ich versuche hier, einen anderen Hut zu tragen. Vielleicht auch dem Mainstream zu entfliehen, mich in einen anderen Geisteszustand zu versetzen.
Daraus ergibt sich doch, dass du aus einer Luxusposition heraus in den Underground gehst.
Nicht wirklich. Gut, wenn du einen Blick auf das Studio wirfst, das ist schon nett. Aber es könnte besser sein. Ich habe ein angenehmes Leben, aber ich habe üblicherweise ein Minus auf der Bank. Was meinen Beruf betrifft, ich mag ihn, aber es ist nicht die Beschäftigung, die ich mir ausgesucht habe. Es ist halt der Kompromiss. Es ist mir unglaublich wichtig, meine Familie wenigstens einmal im Jahr für einen Urlaub aus dem Land bringen zu können.
Gut, aber ich bleibe dabei. Luxus ist, überhaupt eine Wahl zu haben.
Ich weiß nicht. Ich fantasiere herum und hänge irgendwelchen Träumen nach: Was wäre, wenn ich nicht dieser Art von Musik verfallen wäre? Wenn alles nicht so abgedreht, bizarr und extrem wäre, sondern poppig, freundlich und nett? Ich finde mich immer wieder in Gesprächen mit Leuten wieder, die fragen: Was ist das, was du da machst? Es ist nicht Luxus, es ist eher eine Besessenheit, ich kann nicht dagegen ankämpfen, ich will auch gar nicht
Wenn sich einer deiner Releases aus irgendwelchen Gründen eine Million Mal verkaufen würde – wünscht du dir das?
Irgendwie würde es mir gefallen, weil ich finanziell besser dran wäre. Ich könnte mehr Sachen herausbringen, ich könnte mehr reisen, mehr Konzerte spielen. Aber auf der anderen Seite würde diese Underground-Frage damit kollidieren. Ich bin nicht sicher, ob ich damit umgehen könnte. Aber eine Million wäre auch unrealistisch, aber nehmen wir 10.000, dann wäre ich echt glücklich.
Was sind deine hauptsächlichen Einflüsse, nicht unbedingt nur musikalisch?
Meine Eltern haben in Washington D.C. gearbeitet und da war ein Plattenladen, da hingen die Leute von MINOR THREAT ab. Da habe ich natürlich all diese Platten gekauft, die damals so rauskamen. BLACK MARKET BABY, BAD BRAINS ... Ja, und die Uhren haben sich halt weitergedreht, ich habe nie aufgehört, mich für neue und spannende Sachen zu interessieren, und ich bin beeinflusst vom täglichen Zeitungslesen, ich lese die Schlagzeile, das kann schon die die Basis für einen Song sein, manchmal sogar für ein ganzes Album. Noam Chomsky wurde es nicht erlaubt, nach Israel einzureisen. Ich wusste vorher nicht viel über ihn. Ja, so etwas wie das kann mich durchaus beeinflussen.
Was kannst du für dein Label akzeptieren, wo ziehst du Grenzen?
Das Label ist offen für alle Arten von experimenteller Musik. Wichtig ist, dass die Leute dahinterstehen. Aber wenn eine Band klar rechte Positionen vertreten würde, dann würde ich da auf jeden Fall zweimal darüber nachdenken. Ich war bis jetzt noch nie in einer Situation, in der ich eine solche Entscheidung fällen musste.
Wie ist dein Verhältnis zu Israel, deiner Heimat?
Ich schulde dem Land einen Scheiß. Ich zahle Steuern, ich war drei Jahre in der Scheißarmee, ebenso in drei verschiedenen Militärgefängnissen, haha. Ich glaube nicht, dass eine Person dem Land etwas schuldet, sondern das Land ist verantwortlich für die Personen.
Aber das Land gibt dir zum einen Identität, zum anderen gibt es dir die Chance, als eine Art Avantgarde gesehen zu werden.
Zum Ersten: Ich mag diese Identität nicht. In Amerika habe ich nur englisch gesprochen, kein einziges hebräisches Wort. Wenn Leute mich gefragt haben, woher ich komme, habe ich versucht, die Frage zu umgehen, oder habe gelogen, weil ich nicht sagen wollte, dass ich aus Israel komme, weil ich mich wirklich dafür geschämt habe, was dieses Land macht. Ich bin in Kalifornien geboren, aber ich bin in Jerusalem aufgewachsen, ich spüre schon, dass das meine Heimat ist, Jerusalem mehr als alles andere, aber auch Tel Aviv, Israel im Generellen. Ja, und ich habe meine Familie hier. Da, wo du aufgewachsen bist, das ist der Ort, an dem deine Wurzeln sind. Dem kannst du dich nicht entziehen, auch wenn du es vielleicht willst. Ich hatte früher eine Post-Punk-Band, fast alle Songs waren in Englisch. Das war eine Art Regel: Du kannst nichts herausbringen, das israelisch klingt. Für Post-Punk oder was auch immer ist diese Sprache falsch. Mittlerweile sehe ich das ganz anders. In meinen Projekten wird durchaus hebräisch gesungen.
Würdest du die israelische Armee abschaffen, wenn du die Möglichkeit hättest?
Ja, ich hasse sie und ich weiß, wovon ich rede, ich habe drei Jahre gedient. Ich war jung und ich war dumm, das kann man nicht anders sagen. Später, als ich in die Staaten zurückgegangen bin, wurde ich angerufen: Du musst zu dieser Zeit an diesem Ort sein, zum Reservistendient ... Ich habe aufgehängt und sechs Monate später realisiert, dass das kein Teil von mir ist. Die kamen auch schon zu mir nach Hause und haben mir so einen roten Zettel an die Türe gehängt. Meine Frau hat ihn entdeckt: „Die Militärpolizei war hier, die suchen dich.“
Würdest du auch die Polizei abschaffen?
Kommt darauf an. Ich sage schon: Fick die Bullen, aber ich muss zugeben, dass da nicht immer alles schlecht ist. In gewisser Hinsicht verrichten sie auch gute Arbeit, wenn sie die Korruption der Regierung angehen. Ich würde mir wünschen, wir würden in einer Welt leben, in der wir keine Polizei bräuchten, aber das scheint nicht möglich zu sein. Wenn wir es ohne Geld könnten, dann könnten wir es auch ohne Polizei. Es gibt übrigens ein paar Leute in Tel Aviv, die das versuchen, das ist auch eine Art Subkultur. Ich kenne das auch nur vom Hörensagen. Da wird einfach getauscht, ein Klempner tauscht seine Arbeit gegen Brot.
Sollte einer imstande sein, über wirklich alles zu lachen zu können, oder gibt es da Grenzen?
Wir haben hier in Isarel in der Schule diese Erziehung über den Holocaust. Schon früh werden wir mit Bildern von toten Körpern konfrontiert, all diese schrecklichen Bilder und wir lachen darüber. Wir haben das Gefühl, wir müssten darüber lachen, um diesen absoluten Irrsinn irgendwie loszuwerden. Also ja, ich denke, man sollte über alles lachen können.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #96 Juni/Juli 2011 und Manuel Güntert