HALF ME

Foto© by Jana Boese

Das System

Ende 2022 haben wir das letzte Mal mit HALF ME gesprochen. Seitdem ist viel passiert: Mit ihrem Debütalbum sind sie durch Europa getourt, haben ihre beste Show in Wacken und ihre schlechteste in Dresden gespielt, waren bei den Heavy Music Awards nominiert und haben einen kleinen Line-up-Wechsel vollzogen. Jetzt steht die Veröffentlichung ihrer EP „Opium“ kurz bevor, ebenso ihre USA-Tour mit OCEANO. Chris Zühlke (voc) verrät uns mehr dazu – und ein kleines Geheimnis.

Euer letztes Album befasste sich mit mentalen Erkrankungen, die neueren Sachen wirken gesellschaftskritischer.

Ja, genau. Es geht um Kritik an sozialen und wirtschaftlichen Systemen, in die man hineingeboren wird, und die Frustration darüber, wie es sich anfühlt, sich den Hintern abzuarbeiten und trotzdem nicht genug zum Überleben zu haben. Wir befassen uns auch mit den Folgen, die von Sucht bis Depression reichen. Wir wollten es in jedem Fall ehrlich und echt halten, das passt auch gut zur Musik, die etwas roher und härter geworden ist.

Im Song „Concrete ceiling“ heißt es: „Life is just a casualty“. Was waren deine Gedanken, als du das geschrieben hast?
Geil, dass du die Line ansprichst, weil die so gut aussagt, worum es auf der neuen EP geht: Menschen werden in unserem System wie eine Ressource, wie Material eingesetzt. Wir sind alle gleich viel wert, aber es gibt Leute, die das anders sehen. Es reicht manchmal ein Blick ins Internet, um festzustellen, dass das die Realität ist. Vielleicht ist es naiv zu glauben, dass das Leben fair sein muss. Aber wie kann es sein, dass der Verlust von menschlichem Leben einfach so hingenommen wird – oft nur für Profit?

Und das Problem ist gar nicht so weit weg ...
Genau! Man schaut nach Asien oder in den globalen Süden und sieht Ausbeutung in verrücktem Ausmaß. Und dann entdeckt man, dass es auch in Europa und Deutschland Missstände gibt. Das alles macht echt traurig. Unsere Motivation ist, das Problem zu benennen und daraus etwas zu kreieren. Es ist zum Beispiel cool zu sehen, wenn auch unter Reaction-Videos bei YouTube einige Leute in den Kommentaren auf die Inhalte unserer Musik eingehen und ihre Gedanken dazu teilen, obwohl einige Reactor selbst nur auf die Musik achten und feiern, wenn die möglichst heavy ist. Ich freue mich, wenn man zwei-, dreimal hinhört und die Lyrics liest.

Ihr habt einen neuen Gitarristen, Silvan Petersen. Hat das euer Songwriting verändert?
Ja, schon. Unser ehemaliger Gitarrist, Julius Jansen, hat vor allem aufs Polishing geachtet. Ohne ihn hätten wir das nicht mehr so clean hinbekommen. Angesichts der neuen Themen dachten wir uns dann, dass es auch cool wäre, den Sound roher und weniger mechanisch zu halten. Der Ansatz spiegelt sich auch in den Cover-Visuals der Singles und EP wider. Die sind alle analog erstellt, teilweise angeflämmt, durch Wasser gezogen, dann erst eingescannt. Das ist auch ein kleiner Hint auf den Merch, der kommen wird ...

Und es wird nicht bei der EP bleiben.
Genau, es wird einen zweiten Teil geben, eine zweite EP, die schon Anfang 2025 erscheinen soll. Thematisch knüpft sie nahtlos an „Opium“ an. Die Aufnahmen dazu sind nach unserer US-Tour eingeplant.