GUDRUN GUT

Foto© by Edo Bertoglio

Mehr Kunst in die Musik

In ihrem soeben im Ventil Verlag erschienenen Buch „M_Dokumente“ berichten Gudrun Gut, Bettina Köster und Beate Bartel mit einer dezidiert weiblichen Sichtweise von den All-Female-Bands MANIA D., MALARIA! („Kaltes klares Wasser“) und MATADOR aus der West-Berliner Musikszene der frühen Achtziger Jahre. Die drei Bands spielten ab 1979 in wechselnder Zusammensetzung Konzerte, veröffentlichten wegweisende Alben und tourten weltweit, unter anderem spielten MALARIA! mit Nina Hagen im Studio 54 in New York. Bartel war zudem Gründungsmitglied von LIAISONS DANGEREUSES mit Chrislo Haas, der auch bei DAF aktiv war. Die verschiedenen Bands einte ein Credo: Mehr Kunst in die Musik, mehr Musik in die Kunst. Bis heute gelten diese Bands als visionär und prägen ein starkes Frauenbild in der Popkultur. Grund genug, Gudrun Gut einige Fragen zu stellen.

Was hat euch für diese Buchproduktion zusammengeführt? Hattest du mit Beate und Bettina all die Jahre engen Kontakt und das Projekt schon lange im Kopf?

Ja, wir hatten das schon länger in Planung und wir drei hatten auch immer Kontakt. Mit Beate habe ich auch musikalisch zusammengearbeitet, zum Beispiel 2017 bei Myra Davies’ „Sirens“-Produktion, das ist eine befreundete kanadische Spoken-Word-Perfomerin, dazu gibt es auch eine weitere Platte von Beate und mir, „Instrumentals For Sirens“. Beate war auch oft Teil der Monika Werkstatt, einem Female Producer- und Künstlerinnenkollektiv in Berlin, das ich vor einiger Zeit ins Leben gerufen habe. So kam auch die Idee zu den „M_Sessions“, der Neubearbeitungen der alten MMM-Tracks vom Monika Werkstatt Kollektiv. Daran waren insgesamt elf Künstlerinnen beteiligt und Beate hat das Recording-Projekt mit mir betreut. Es ging über fast ein Jahr. Bettina habe ich zusammen mit Manon Duursma auch in ihrem Haus in Italien besucht, das war ein Fest. „M_Dokumente“ ist ja insgesamt ein sehr ambitioniertes Projekt. Es ist ja nicht nur das Buch, es gab auch im Oktober im Berliner Silent Green ein viertägiges Event mit einer Ausstellung, vielen Videos, einem DJ-Set von Mark Reeder und Konzerten, unter anderem von CHICKS ON SPEED und DIE MÜCKEN, und Filmen sowie die begleitende Doppel-LP „M_Sessions“. Und wir haben jetzt extra eine Homepage dafür angelegt, damit diese Relikte im Netz auch länger zu sehen sind.

Die wechselseitige Beziehung von Musik und Kunst war euch wichtig. Du hast damals Visuelle Kommunikation studiert. Vermisst du heute diese intensive und fruchtbare Symbiose von Kunst und Musik?
Ja, ich vermisse das. Das ist doch eine perfekte Symbiose!

Stimmt es, dass Markus Oehlen, damals Schlagzeuger von MITTAGSPAUSE, für dich eine Art Vorbild war? Wie hat er dich konkret beeinflusst?
Ja! Ich habe seinen Schlagzeug-Stil geliebt. So wollte ich auch Schlagzeug spielen, schön brachial, klar und schlicht. Und wie Klaus Dinger, der Schlagzeuger von NEU!, der war auch Vorbild für mich.

Man hat in dieser Zeit oft von den „Genialen Dilletanten“ gesprochen, und du bist auch beim gleichnamigen Festival 1981 im Berliner Tempodrom aufgetreten. Doch ich nehme an, ihr wolltet auch als ernstzunehmende Musikerinnen mit feministischer Position wahrgenommen werden, wie etwa THE AU PAIRS in UK?
Die AU PAIRS mochten uns. Ihr Manager Martin Culverwell hat uns unterstützt, und er war bei MALARIA! damals auch bei den Studioproduktionen unseres Debütalbums „Emotion“ von 1982 dabei und hat auch bei unserer ersten Single „How Do You Like My New Dog?“ im britischen Farnham zusammen mit Ken Thomas mitgewirkt, der ein wunderbarer Tontechniker und Mensch war.

Du hast mal, meine ich, im Zuge eures Konzerts mit SIOUXSIE AND THE BANSHEES, erwähnt, dass du gerne auch so „stylish“ mit Wimperntusche wie Siouxsie aussehen wolltest. Wie wichtig war die Optik?
Ja klar, Style war wichtig. Damit hat man sich abgegrenzt und als Gruppe definiert. Am Style konnte man erkennen, was für Musik man beziehungsweise frau hörte. Lange Haare bei Männern gingen damals gar nicht. Androgyn, leidenschaftlich und stark, das war klar unser Thema.

Im April dieses Jahres ist Anita Lane verstorben. Du hattest einen Song mit ihr eingespielt. Warst du noch mir ihr in Kontakt?
Ja, das war eine wirklich traurige Nachricht. Ich hatte Anita leider lange nicht gesehen, aber es hat mich mitgenommen. Sie war eine ganz besondere Person. Sie wohnte in den Achtziger Jahren auch im Zuge ihrer Aktivitäten bei BAD SEEDS in Berlin und blieb länger dort. Ich habe in den Neunziger Jahren an zwei Tracks mit ihr gearbeitet für mein „Members Of The Ocean“-Album, an dem auch Blixa Bargeld, Inga Humpe und Danielle De Picciotto mitgewirkt haben. Das war was Besonderes.

Früh auf MALARIA! aufmerksam wurde die Journalistin Annik Honoré, die auf ihrem Label Les Disques du Crépuscule, dem Brüsseler Ableger von Factory Records, 1981 die Single „How Do You Like My New Dog?“ veröffentlichte. Welche Erinnerungen hast du noch an sie?
Wir haben Annik oft in Brüssel getroffen, sie war sehr nett und hat MALARIA! supportet.

Ich glaube, nachdem du dir ein Bein gebrochen hattest und vorübergehend nicht mehr Schlagzeug spielen konntest, habt ihr euch einen Roland CR-78 Drumcomputer zugelegt. War das ein bewusste Entscheidung? Ich frage, weil BLONDIE kurz zuvor mit exakt diesem Drumcomputer ihren Welthit „Heart of glass“ eingespielt haben.
Wir haben den Drumcomputer damals nur ausgeliehen, quasi als Rettung. Und der CR-78 war der einzige, den es im Musikbedarfsladen gab. Ich habe mir die Sounds im Bett zurechtgelegt und dann auf dem Konzert so umgesetzt. Das Konzert musste einfach stattfinden. Ich habe dann nach dem Auskurieren meines Beins aber wieder Schlagzeug gespielt.

„Kaltes klares Wasser“ ist der bekannteste Song von MALARIA!. Wie kommt man auf so einen Text?
Den hat Bettina geschrieben. Sie war wohl durstig, haha. Das Stück hatten wir bereits im Live-Programm und haben es dann endlich aufgenommen und es kam gut an. Mehr Geschichten dazu gibt es im Buch nachzulesen.

MALARIA! haben auch zusammen mit NEW ORDER und HUMAN LEAGUE gespielt. Habt ihr euch mit diesen Bands auch musikalisch ausgetauscht, also beispielsweise über das Equipment gesprochen?
Mit MANIA D. haben wir vor SIOUXSIE AND THE BANSHEES, DAF und THE HUMAN LEAGUE gespielt. Mit MALARIA! dann vor NEW ORDERin Brüssel und Berlin, das war ganz am Anfang. Wir haben uns mit allen sehr gut verstanden. Ich erinnere mich nicht, ob wir über Equipment gesprochen haben, aber wir haben uns amüsiert.

Nick Cave schreibt im Vorwort zum Buch, dass er sich erst unter dem Eindruck eures Konzerts 1981 mit THE BIRTHDAY PARTY in Washington für elektronische Musik interessiert hat, zuvor war ihm das wohl fremd, und begeistert war von eurer Intensität. Hat er euch das damals schon gesagt oder ist das eher eine verklärte Erinnerung?
Es ist ja nicht das Vorwort, das Nick Cave geschrieben hat, sondern einen Beitrag als Wegbegleiter, das Vorwort stammt von Diedrich Diederichsen. Nein, Nick Cave hat das nicht verklärt, uns verbindet eine langjährige Freundschaft. Nick hat ja mit THE BIRTHDAY PARTY lange in Berlin gelebt. Wir haben uns oft auf diversen Festivals getroffen und auch mit ihnen zusammengespielt, sowohl mit MALARIA! als auch mit MATADOR ein paar mal.

Verfolgst du noch die Musik von Nick Cave, die durch den Einfluss von Warren Ellis ja auch deutlich elektronischer geworden ist?
Ja, ich verfolge das auch. Wir haben nicht mehr so intensiven Kontakt, aber ich versuche, auf jedes Konzert in Berlin zu gehen. Manche Sachen gefallen mir besser, manche weniger. Wie das so ist. Insgesamt schätze ich aber die Arbeit von Nick in allen Facetten.

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MALARIA!
Compiled 2.0 Gudrun Gut, die im Zensor Plattenladen in Berlin-Schönberg gearbeitet hatte, gründete MALARIA! zusammen mit Bettina Köster im Januar 1980. Sie avancierten schnell zu den Lieblingen des New-Wave-Undergrounds in Deutschland und darüber hinaus. Sie spielten mit Nina Hagen, John Cale, THE SLITS, THE AU PAIRS, NEW ORDER und THE BIRTHDAY PARTY. Und natürlich immer wieder im SO36 in Berlin. „Kaltes klares Wasser“ (1981) war ihr größter Hit, wurde unzählig oft gecovert und noch öfter mehr oder minder gut einem Remix unterzogen. „Compiled 2.0“ enthält die 16 Songs ihrer ursprünglich 2001 als CD veröffentlichten Zusammenstellung „Compiled 1981-1984“ mit ihrem Debütalbum „Emotion“, drei Songs ihrer selbstbetitelten 1981er EP (ohne die Tracks „Laufen“ und „Verführung“) und einigen weiteren EPs. 1984 löste sich die Band auf, Bettina Köster ging nach New York und Gudrun Gut gründete mit Beate Bartel (vormals bei LIAISONS DANGEREUSES) die Formation MATADOR. Diese Doppel-LP ist ein mit Highlights und Kuriositäten gespicktes Zeitdokument des musikalisch aufbegehrenden Berlins der frühen Achtziger, wie es Mark Reeder in seinem Film „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989“ beschreibt.
Mark Reeder, Booker, Tourmanager und Techniker für MALARIA!, über das Debütalbum „Emotion“ (1982) in Ox #126:
„Emotion“ ist das erste Album von MALARIA!. Es ist auch ein zeitloses Werk, produziert für das belgische Label Les Disques du Crépuscule von Martin Culverwell, der bereits Produzent für die britische Post-Punk-Formation THE AU PAIRS war. Er hatte wohl eine schwierige Zeit im Studio mit der Band, aber trotzdem, sie haben ein grandioses und wegweisendes Album geschaffen. Ich habe zusammen mit Gudrun Gut für die deutsche Version des Albums ein paar Songs remixt.“