Das Rerelease-Business ist ein hartes Geschäft, das nicht immer den besten Ruf geniesst: Wer hat sie nicht auch im Schrank stehen, die lieblos zusammengestückelten Wiederveröffentlichungen alter englischer Punkklassiker ohne vernünftiges Booklet, oder die grellbunten Rereleases alter US-Hardcore-Bands, mit denen ein uns allen wohlbekanntes Label aus Hannover bis vor kurzem den Markt überschwemmte und die manchmal den kleinen Schönheitsfehler hatten, dass die Bandmitglieder gar nicht wussten, dass jemand ihre Scheiben neu veröffentlicht hat. Und genau da beginnt die Schwierigkeit des Wiederveröffentlichens: wer das Geschäft ernsthaft und korrekt betreibt, der lässt nicht locker, bis er nicht von allen Beteiligten, vielfach in die ganze Welt verstreut, das Okay für die Veröffentlichung hat. Hat man nach monate- und jahrelangem Baggern aber dann die Bänder und das Artwork zusammen, steht man vor dem nächsten Problem: wer soll die Platte kaufen? Ausser im Falle der ganz grossen Namen steht man meist vor dem Problem, dass weltweit nur noch ein paar hundert bis tausend Leute, die schon seit ein oder zwei Jahrzehnten Punk und Hardcore hören, überhaupt was mit den Namen anfangen können. Und so bringt man, wie im Falle von Brian Sheklian und seinem in Los Angeles ansässigen Label Grand Theft Audio die Sachen eben für sich selbst und seine Bekannten raus und hofft, dass auch noch ein paar mehr Leute sich für sie interessieren. Ach ja, Besprechungen so ziemlich aller GTA-Releases finden sich in den Ox-Ausgaben der letzten Jahre in der "Der kleine Grabräuber"-Rubrik.
Brian, was hast du für einen Hintergrund? Wie alt bis du? Wie kamst du auf die Idee das Label zu gründen?
Hm, also ich bin 31 und es muss so ´79 oder ´80 gewesen sein, als ich anfing bewusst Punkmusik zu hören, Sachen wie Iggy Pop, den ich schon als Kind im Fernsehen gesehen hatte. Der trat damals nur mit einem Tanga-Slip bekleidet auf und schob sich das Mikro ganz in den Mund - diese Erfahrung hat mich wohl auf Dauer geschädigt. Ich war damals 13, es gab nur ein paar Läden, wo man in diesem Alter schon reinkam und ich sah Konzerte von Bands wie THE PLUGZ oder OINGOBOINGO. Damals habe ich zum ersten Mal gesehen, wie sich Leute bespuckt haben: die PLUGZ spielten "La bamba" von Ritchie Valens, doch weil damals alles Mexikanische verhasst war, bespuckten die ganzen weissen Suburbia-Kids im Publikum den PLUGZ-Sänger von oben bis unten. Naja, und diese Aktion fand ich so beeindruckend, dass es von da an um mich geschehen war.
Du hast dann später angefangen für Flipside zu schreiben, kennst diese ganzen Leute auch gut, doch die Idee, ein Label zu gründen und selbst szenemässig aktiv zu werden, kam erst viel später.
Ja, stimmt, ich habe früher nicht viel gemacht. Ich habe zum Beispiel Flyer für Bands layoutet, etwa für DR. KNOW und D.I. und für verschiedene andere Konzerte. Ich machte nur hier und da die eine oder andere Kleinigkeit. Für das Flipside schreibe ich seit ´89, ich kenne Al Flipside schon sehr lange und er ist echt ein netter Kerl. Als wir uns das erste Mal trafen, habe ich es zwar sofort geschafft, ihm auf die Nerven zu gehen, was bei Al echt eine Kunst ist, doch irgendwie konnten wir uns dann doch gut leiden und ich muss sagen, er war für mich damals eine grosse Inspiration. Andere Leute, die mich damals beeinflusst haben, waren Mike Thrashhead und Katz, die auch für Flipside schreiben. Mit Katz habe ich mich auch erstmals darüber unterhalten, ein Label zu machen. Er hat mich schliesslich so lange genervt, wann ich denn endlich loslegen würde, bis ich den Arsch dann hochgekriegt habe.
Gab es denn auch Labels, die du so gut fandest, dass du sie als Vorbild nehmen wolltest?
Ja klar, aber nenne jetzt besser keine Namen, denn Jahre später habe ich die meisten dieser Leute getroffen und musste fast bei allen feststellen, dass sie ziemliche Arschlöcher sind. Letztendlich ist eben von all diesen Leuten nur Al Flipside übriggeblieben.
Was für ein Konzept, was für eine Idee hattest du im Kopf, als du Grand Theft Audio schliesslich ins Leben gerufen hast? War denn von vorneherein - ich denke da an den Namen - geplant, ein fast reines Rerelease-Label zu machen?
Eigentlich nicht. Grand Theft Audio war als Anspielung auf die Praktiken der Musikindustrie gedacht, denn für das Major-Business hatte ich noch nie was übrig. Ausserdem ist der Name schön provokant - viele Leute finden den viel zu gewagt. Mein "Konzept" war Bands wiederzuveröffentlichen, die ich immer schon gut fand, deren Platten aber nicht mehr zu bekommen waren. Und loslegen wollte ich "D-Day-mässig", mit einem massiven Angriff: ich hatte soviel Geld gespart, dass ich zu Beginn gleich zehn CDs auf einmal rausbringen wollte. Zum Glück wurde das nichts draus, ich machte kleine Fehler und verkalkulierte mich ein bisschen. Anfängerfehler eben, aber die muss man wohl machen.
Woher hattest du das Geld? Hattest du so einen tollen Job?
Hahaha! Klar, ich hatte supertolle Jobs: als Hausmeister für $4 die Stunde, als Trainer im Fitness-Studio für $4.50, die tollen Jobs in als Plattenläden getarnten Crack-Umschlagplätzen und die Jobs für weniger als den Mindestlohn. Ja, doch, ich habe richtig gut verdient, hahaha. Aber ich habe nie viel Geld gebraucht und konnte so eine ganze Menge sparen. Ich gebe das Geld lieber für neue Platten aus als für irgendwelchen Scheiss.
Komm, erzähl doch nichts: für Frauen und teure Autos gibst du das ganze Geld aus, ich habe es doch letztes Jahr bei meinem Besuch mit eigenen Augen gesehen.
Jaja, die teure Autos: diese Gurke, die du letztes Jahr ja selbst gesehen hast, hat gestern während der Fahrt zu brennen angefangen. Ich habe es erst selbst mit meinem Feuerlöscher versucht und musste dann die Feuerwehr rufen. Tja, das sieht nach einem Totalschaden aus.
Machst du das Label allein oder sind da noch andere Leute involviert?
Derzeit mach ich es alleine, aber je nach anfallender Arbeit habe ich auch Freunde, die mir helfen.
Das Rerelease-Geschäft ist beinahe mehr noch als das normale Labelbusiness eine Sache, die auch viele Leute anzieht, die mit schlampigen Veröffentlichungen schnelles Geld machen wollen.
Du meinst Labels wie Lost & Found? Die haben eine ganze Menge Leute abgezogen - die und Flowers Of Grain Records in Italien. Die Sache ist einfach die, dass manche Leute Aufnahmen nehmen, die nicht ihnen gehören, sondern anderen Labels und der Band, sie zusammen auf eine CD packen, ihr Labellogo draufsetzen und dann behaupten, sie hätten die Erlaubnis dazu. Ich meine, wenn du schon ein Bootleg machen willst, dann sei nicht auch noch so dreist und setze deinen Namen auf´s Cover.
Wie gehst du bei deinen Rereleases vor?
Naja, ich erzähle dir jetzt ein Geheimnis: alle paar Monate fährt hier ein Typ mit einem schwarzen Lieferwagen durch die Strasse, ich gehe hin und er gibt mir dann im Tausch gegen kleine Kinder aus der Nachbarschaft eine Tüte mit alten Aufnahmen. Nein, es läuft ein bisschen anders: ich bin manchmal wochenlang damit beschäftigt die Mitglieder schon seit Jahren aufgelöster Bands ausfindig zu machen, um von ihnen direkt die Aufnahmen zu bekommen. Ich arbeite nicht mit Labels, lizensiere nichts. Warum? Ich habe oft genug mitbekommen, dass ein Label, das vor zehn Jahren eine Platte rausgebracht hat, dir zwar liebend gerne für ein paar Mark die gewünschten Aufnahmen überlässt, die oft längst aufgelöste Band davon aber nie einen Pfennig sieht. Eine Band bekommt immer erst als letztes Glied in der Kette ihr Geld, und ich habe keine Lust, dieses Spiel zu unterstützen.
Wie findest du denn die Mitglieder mittlerweile längst aufgelöster Bands? Das ist doch ein klassischer Detektivjob.
Ja, schon. Ich habe da kein Standardverfahren. Ich kenne sehr viele Leute in Europa und den USA, und wenn mich eine Band interessiert, versuche ich erst selbst was herauszufinden, und wenn das nicht funktioniert, frage ich Bekannte vor Ort, ob sie mir weiterhelfen können. Oder ich schalte Kleinanzeigen, etwa im Flipside. So kam ich z.B. an REBEL TRUTH oder BAD POSTURE. Die PROLES kamen auf mich zu, weil sie meine bisherige Labelarbeit mochten. Der Kontakt zu MOURNING NOISE kam über Bruce von ADRENALIN O.D. zustande - eine mittlerweile übliche Connection, denn wenn du von so einer alten Band nochmal was rausbringst, sind die Mitglieder meist sehr glücklich darüber, erzählen das weiter und stellen Kontakte zu anderen alten Bands her.
Was sind für dich die Vorteile, fast nur mit alten Bands zu arbeiten, was die Nachteile?
Der grösste Nachteil ist, dass die Bands meist nicht mehr existieren, somit keine Konzerte mehr spielen und sie somit nur noch relativ wenige Leute kennen. Dem steht der Riesenvorteil gegenüber, dass du fast immer mit Leuten zu tun hast, die aus einer anderen Zeit stammen, älter sind und dadurch viel realistischere Ansichten über das Musikbusiness haben. Du hast da nicht mit Leuten zu tun, die sich für die nächsten GREEN DAY oder so halten. Die machen das nicht wegen des Geldes, die sind glücklich, dass du die Platte machst und sie noch ein paar Mark dafür bekommen. Viele neue Bands dagegen glauben, dass das Label natürlich tausende von ihrer CD verkauft und richtig fett Geld damit verdient.
Warum sind deine Veröffentlichungen relevant in Zeiten, in denen mehr Platten erscheinen als je zuvor?
Jemand von einem italienischen Fanzine hat neulich geschrieben, meine Releases seien mit Liebe gemacht. Und ja, das trifft es. Mit Liebe meine ich jetzt nicht diese lahme Hippieversion von Liebe, sondern es ist so, dass ich die Bands und Platten, die ich rausbringe, wirklich mag. Und wenn ich mich für eine Idee begeistere, dann ziehe ich das auch durch, dann denke ich nicht gleich darüber nach, ob sich das verkaufen lässt, sondern mache es in erster Linie für mich selbst. Ich achte darauf, dass die Aufnahmen, seien sie auch noch so krachig, vernünftig gemastert werden, dass das Booklet schön dick ist, viele Fotos und gute Linernotes sowie eine Bandhistory enthält. Qualität ist für mich sehr wichtig, ich lege Wert darauf, dass meine Releases ein hohes Niveau haben. Und dann muss die Musik an sich natürlich gut sein, das ist das wichtigste: es muss Musik sein, die Integrität und Ehrlichkeit besitzt.
Was war deine bisher erfolgreichste Veröffentlichung?
Natürlich die AGNOSTIC FRONT-Scheibe, und auch die Benefit-Compilation für Roger Mirets Krankenhausrechnung. Das hängt natürlich von der Band ab: von manchen Sachen habe ich sofort tausend verkaufen können, andere liegen nur bei ein paar hundert und verkaufen sich jetzt so tröpfchenweise.
Warum sollte sich jemand eine Platte von einer Band kaufen, die es seit zehn Jahren nicht mehr gibt, anstatt die einer jungen, aktiven Band?
Die Leute sollen ganz einfach kaufen, worauf sie Lust haben. Ich persönlich kaufe mittlerweile mehr Reissues als neue Platten. Oder drücken wir es so aus: Was hat mehr Relevanz, Rock´n´roll, der 1958 gespielt wurd,e oder der, der heute gespielt wird? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Und oft ist es doch so, dass es gerade die älteren Bands sind, die die entsprechende Punk- oder Hardcore-Attitüde haben, die verstehen, worum es geht.
Du bringst ausschliesslich CDs raus, was ich manchmal nicht so ganz verstehe, weil wohl die meisten deiner Bands früher nur auf Vinyl erschienen sind und gerade Fans und Sammler alter Bands eher auf Vinyl als auf CDs stehen.
Puh, das ist natürlich ein sehr komplexes Thema und ich könnte dir jetzt eine Stunde was dazu erzählen. Aber um es kurz zu machen: viele Leute, die sich als überzeugte Vinylfans darstellen, haben beschissene Stereoanlagen und verpassen so sehr viele Details der Musik, die sie hören. Ich dagegen finde, dass es sehr wichtig ist, guten Sound in guter Qualität zu hören, denn es sind oft Kleinigkeiten, die den Reiz einer Band ausmachen. Aber ich liebe Vinyl durchaus, so ist es nicht. Das wichtigste Argument für die CD ist jedoch, dass meine CDs meist über 70 Minuten lang sind und ich so immer Doppel-LPs machen müsste - und das ist beinahe unbezahlbar, denn heute kostet eine LP in der Herstellung mehr als eine CD, eine Doppel-LP wäre also mehr als doppelt so teuer in der Herstellung wie eine CD und ich müsste die auch viel teurer weiterverkaufen, was es nicht gerade einfacher machen würde, meine Sachen loszuwerden. Wichtig ist auch noch, dass man beim digitalen Mastern sehr, sehr viel aus den oft miserablen alten Analogaufnahmen - oft sind es ja auch nur Demos - herausholen kann und man diesen Vorteil bei Vinyl wieder einbüssen würde. Und das letzte Argument ist, dass bei geringeren Herstellungskosten mehr für die Band übrigbleibt, denn ich bezahle alle meine Bands.
Gibt es unter den Rerelease-Labels - ich denke da jetzt nur mal an Bomp!, Norton, Crypt, Overground etc. - grosse Konkurrenz oder hat sich da jeder seine eigene Nische geschaffen?
Es gibt natürlich ein paar Sachen, die jeder gerne hätte, und dann sind da so Geheimtips, die man besser für sich behält, bis man die Tapes in den Händen hält. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mit jemandem konkurrieren muss, ich bin auf kein anderes Label neidisch, sondern mache mein eigenes Ding. Das heisst, ich schiele schon so ein bisschen auf das, was Jürgen von Bitzcore so rausgebracht hat: der macht zwar heute fast nur noch neue Bands, aber seine Wiederveröffentlichungen sind alle erste Sahne, die würden sich auch auf meinem Label gut machen. Wir sind übrigens gute Freunde.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #33 IV 1998 und Joachim Hiller