GRADE

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Unter dem Radar

Die Band um Sänger Kyle Bishop war und ist einer der wichtigsten Vertreter der Emo-Bewegung der Neunziger, auf die Bands wie THRICE oder THURSDAY um die Jahrtausendwende aufbauten. Nach Veröffentlichung ihres vierten Albums „Headfirst Straight To Hell“ von 2001 löste sich die Band auf, um knapp neun Jahre später mit neuen Songs wieder auf der Bildfläche zu erscheinen. Auf ein weiteres Album wartet man seitdem jedoch vergeblich – auch wenn die Veröffentlichung von neuen EPs immer wieder Hoffnung aufkeimen lässt. Aus Anlass ihrer neuesten Veröffentlichung, beantwortet Sänger Kyle Fragen zu einer Band, die nie wirklich von der Bildfläche verschwand und immer einen Platz im Herzen verdient hat.

Kyle, wie kam es, dass ihr euch doch wieder zusammengetan habt?


Aus purer Sehnsucht nach der Musik, die unser ganzes Leben veränderte, uns zu noch engeren Freunden hat werden lassen und uns immer noch begeistert. Ich kann hier auch nur für mich sprechen, aber jede andere musikalische Betätigung, die ich nach GRADE begonnen habe, hat nicht annähernd den gleichen Effekt auf mich gehabt. Ich mag es, mit diesen Jungs zusammen zu sein, und sei es nur einmal in drei Monaten, um ein paar Songs zu spielen. Wir sind bei den härteren Shows, die wir zum Beispiel mit CONVERGE gespielt haben, irgendwie fehl am Platz gewesen. Spielten wir Shows mit JIMMY EAT WORLD oder TAKING BACK SUNDAY, konnten auch da die wenigsten etwas mit unserer Art von Musik anfangen. Wir haben uns zwischen den Stühlen jedoch immer sehr gut gefühlt.

Auf Konzerten kurz nach Veröffentlichung des Albums „Under The Radar“ von 1999 konnte man den Eindruck gewinnen, das ihr euren Spaß daran hattet, bei den Leuten anzuecken.

Ich bin ein sehr unsicherer Mensch und werde vor jeder Show, die wir gespielt haben und immer noch spielen, immer sehr nervös. Ich befürchte, dass das, was wir da fabrizieren, den Leuten aus irgendeinem Grund nicht gefallen wird. Wenn ich jedoch auf die Bühne gehe, vergesse ich alles um mich herum und kann das, was ich beim Schreiben der Songs gefühlt habe, immer wieder kanalisieren. Natürlich identifiziere ich mich nicht mehr unbedingt mit jedem Song von damals. Das Gefühl kann ich jedoch immer wieder hervorrufen. Und dann kommt es schon mal vor, dass ich darauf Lust habe, alles in Grund und Boden zu schreien.

Was war für dich der Hauptgrund, mit dem Musikmachen anzufangen, und warum ist es dann die Musik geworden, die GRADE schon fast einzigartig gemacht hat?

Mein Vater war ein unglaublicher Musikliebhaber. Ständig lief irgendwelche Musik bei uns zu Hause. Die ROLLING STONES, THE WHO, aber auch punkrockige Sachen – mein Vater hatte alles am Start. Ironischerweise hat er mich nie dazu überredet, ein Instrument zu spielen, und so kam ich auch erst recht spät zum Musikmachen. Ich war schon 19 oder so, als ich eine Hardcore-Show im Konzertkeller meiner Uni gesehen habe. Freunde von mir spielten in der Band CHOKEHOLD. Ihre Energie war es, die uns – die wir schon als INCISION ein wenig Punkrock mit Hardcore-Einschlag machten – dazu bewog, mehr aus unsere Musik herauszuholen. Ich war natürlich vorher auch schon auf Konzerten gewesen. Diese waren größer und nicht ganz so persönlich wie eben diese Kellershow. Damals wurde ich von der Stimmung so gepackt, dass ich das auch selber erleben wollte. So kam eins zum anderen.

Wie fühlt es sich für dich an, wenn du beobachtest, dass andere Bands, die aus dem gleichen musikalischen Umfeld kommen wie ihr – die ihr möglicherweise sogar geprägt habt –, mit ihrer Musik auch kommerziellen Erfolg haben?

Ich gönne es ihnen von ganzem Herzen. Seien wir doch mal ehrlich: Unterm Strich wird aus dem reinen Musikmachen doch für viele auch ein Job, mit dem sie ihr Leben bestreiten müssen. Dass dies der schönste Job der Welt sein kann, er aber auch mit sehr viel psychischer Belastung verbunden ist, ist nicht ganz unwichtig. Wir haben irgendwann für uns erkannt, dass unsere Musik uns eine verdammt gute Zeit verschafft, wir viele neue Leute kennen lernen, aber jedoch nicht wirklich unsere Rechnungen bezahlen konnten. Vielleicht und auch irgendwie glücklicherweise war unsere Musik damals zu speziell, als dass wir damit die Charts stürmen, so wie zum Beispiel TAKING BACK SUNDAY und DASHBOARD CONFESSIONAL, und von unserer Musik hätten leben können. Ich bereue nicht, dass wir den Schritt gemacht und unsere Band aufgelöst haben. Dass wir nun wieder ab und zu zusammen Konzerte geben, hat damit zu tun, dass wir nicht wirklich ohne GRADE leben können. Wir alle haben Jobs und Familien, die einem zweiten großen Anlauf eher im Wege stehen würden. Was uns jedoch nicht davon abhält, weiter Musik zu machen.

Kommen wir zu den zwei neuen Songs, die ihr 2014 veröffentlicht habt. Sie klingen sicherlich nicht nach dem, was man nach Alben wie „Under The Radar“ und „Heartfirst Straight To Hell“ von euch erwartet hätte. Es wirkt eher so, als würdet ihr euch an neuen Ideen versuchen, was nicht mehr zwingend etwas mit der Musik von damals zu tun hat.

Im Grunde klingen die beiden Songs genauso, wie wir uns 1997 zu Zeiten der „Seperate The Magnets“-Aufnahmen anhörten. Alles war irgendwie roh, wir hatten kein Geld, um lange im Studio an den Songs und dem Klang der Platte zu feilen. Also prügelten wir unser zweites Album in relativ kurzer Zeit und vielleicht ein wenig zu überhastet ein. Ich kann mir, um ehrlich zu sein, unsere alten Platten auch nicht mehr wirklich anhören. Ich mag die Songs auf jeden Fall, denke jedoch jedes Mal darüber nach, wie wir viele Dinge hätten besser machen können. Ich muss auch gestehen, dass ich es eigentlich gar nicht mag, Platten aufzunehmen. Ich will das, was wir zusammen erarbeitet haben, natürlich gerne irgendwie konservieren, will mich aber nicht in Aufnahmeprozeduren verlieren, welche die Intensität unserer Songs irgendwie verändern. Aus diesem Grund klingen unsere neuen Songs von der Aufnahme her für viele wahrscheinlich auch etwas roh. Es geht hier aber einfach nur darum, etwas aufzunehmen und dann direkt weiterzumachen.

Wovon habt ihr euch beim Schreiben der neuen Songs inspirieren lassen?

Wir wollten die Energie der „Separate The Magnets“-Zeit irgendwie wieder einfangen. Zwar klingt das Ergebnis nun ein wenig experimenteller und weniger nach Hardcore als damals, dafür haben wir beim Schreiben aber wieder genau diese Intensität gespürt, die uns damals so viel bedeutet hat und uns als Band hat zusammenwachsen lassen.

Wie ist es für dich, wenn du die Leute im Publikum noch immer deine Texte mitsingen siehst?

Hardcore ist ein Gemeinschaftsding. Es ist unheimlich befreiend, wenn du Menschen um dich herum hast, die genau das Gleiche fühlen und auf die selben Sachen stehen wie du. Für mich ist es immer noch irgendwie unglaublich, dass meine Songs andere Leute bewegen. Ich bin selbst Fan von vielen Bands, deren Texte ich aus voller Kehle schreie oder singe, daher weiß ich, wie es ist, wenn man sich verstanden fühlt. Es ist schön zu sehen, dass Leute heutzutage immer noch Begeisterung für etwas zeigen können. Und es ist dabei vollkommen egal, ob es allein im Wohnzimmer oder auf einer Hardcore-Show ist. Die Hauptsache ist, dass alle mit vollem Herzen bei der Sache sind.

 


Die GRADE-Alben

„And Such Is Progress“ (1995): Ein rohes, stellenweise rauhes Debüt einer jungen Band, die versucht, die treibenden Elemente aus Hardcore, Punkrock und Metalriffs zu vereinen. Der signifikante Gesang von Sänger Bishop wird sich über die ganze Schaffenszeit der Band nicht wirklich verändern. Anspieltips: Der Titeltrack „And such is progress“ und das David Bowie-Cover „Ziggy Stardust“

„Separate The Magnets“ (1997): Ausgereifter als das Debüt und stellenweise auch eingängiger, mit Songs, die nun weniger nach Metal klingen. Anspieltips: „Conceptualizing theories in motion“ und „The tie that binds“.

„Under The Radar“ (1999): Das Victory-Debüt mit Hits, die immer noch eine Gänsehaut hervorrufen. Anspieltips: „The inefficiency of emotion“ und „Triumph and tragedy“.

„The Embarrassing Beginning“ (2000): Sammlung unveröffentlichter Aufnahmen und Demos.

„Headfirst Straight To Hell“ (2001): Das wohl vertrackteste und Metal-lastigste Album. Die Band ist ihrem Stil zwar treu geblieben, versucht aber aus traditionellen Songstrukturen auszubrechen. Anspieltips: „Termites hollow“ und „Little satisfactions“.