Im Vorfeld hoch gehandelt und die Tonträger heiß begehrt, waren wir froh, dass diese sympathische Band aus Vancouver zusammen mit den musikalisch etwas tougheren BLUE MONDAY auf Tour kommen sollte. GO IT ALONE haben neben einer turbulenten Bandgeschichte voller unschöner Ereignisse und den meisten Line-Up-Wechseln der Welt aber noch etwas zu bieten, was man zurzeit in der so genannten Hardcore-Szene leider suchen muss: Inhalt, der über die typischen oberflächlichen Klischees hinaus geht. Mark (Sänger) und Lucas (Trommler), die beiden Gründer der Band, erklären warum.
Wenn man sich das Layout eurer 7“ genauer ansieht, dann fallen einige Bilder auf, zum Beispiel ein Sexshop, eine Gleisanlage etc. Warum habt ihr gerade diese Bilder gewählt? Haben sie irgendetwas mit den Texten der Songs zu tun oder wolltet ihr etwas damit ausdrücken?
Lucas: Wir haben einfach eine ganze Menge Fotos genommen und jedes Bandmitglied hat seinen Favoriten ausgewählt.
Mark: Das Konzept war im Prinzip, verschiedene Seiten von Vancouver zu zeigen. Auf der einen Seite ist die Stadt wirklich schön und hat eine schöne natürliche Umgebung und auf der anderen Seite gibt eine dreckige, dunkle Seite der Stadt. Und das sollte damit rübergebracht werden.
Zu den Texten der LP: Immer, wenn ich sie gelesen habe, hatte ich ein kaltes, dunkles, verregnetes Bild vor mir, eine Art „urban wasteland“, da sie gewisse Metaphern aus der Stadt enthalten. Meiner Meinung nach scheinen die Texte der LP im Vergleich zu denen der EP irgendwie dunkler, ist das richtig?
Mark: Ich habe die Texte nicht absichtlich dunkler und düsterer gemacht, das geht auch wieder auf die Vancouver-Referenzen zurück, aufgrund der Tatsache, dass es dort quasi die Hälfte des Jahres über regnet. Auf der einen Seite ist Vancouver sehr schön, aber auf der anderen Seite gibt es, wie gesagt, eine dunkle Seite der Stadt, die auch die Texte beeinflusst hat, so zum Beispiel „Evelyn“.
Scheinbar beziehen sich die Texte der EP mehr auf das Individuum und zwar im Hinblick darauf, dass Menschen sich oft depressiv fühlen, dass das Leben manchmal sehr schwer sein kann. Aber auf der LP beziehen sich einige Songs auf abstraktere Themen wie Gender in „A constant refrain“ oder Politik bei „Inheritance“. Könnt ihr erklären, wie ihr zu diesen Themen steht, und vielleicht auch, ob solche sozialkritischen Themen für euch irgendwie zu Hardcore gehören?
Mark: Wie du schon sagtest, waren die Texte auf der EP mehr auf das Individuum bezogen. Bei der LP habe ich mich darum bemüht, sowohl individuelle Gefühle herüberzubringen, als auch auf soziale oder meinetwegen auch politische Themen einzugehen. Das Thema Gender beschäftigt mich schon seit längerer Zeit, schon allein aufgrund der Tatsache, dass ich sehr enge weibliche Freundinnen und auch ein sehr enges Verhältnis zu meiner Mutter habe. Mich beschäftigen die Ansichten und Perspektiven anderer Menschen als lediglich Männern wie mir, weil ich viele Jahre die Welt lediglich aus den Augen eines Mannes oder Jungen gesehen habe. Ich habe nie gemerkt, dass das Leben sehr, sehr anders aussehen kann, abhängig vom Geschlecht oder auch von sexueller Orientierung. „A constant refrain“ handelt deshalb davon, dass ich denke, dass es in unserer Gesellschaft einen großen Druck gibt, in eine bestimmte Rolle passen zu müssen. Als Mann zum Beispiel gibt es viel Druck, sich so und so verhalten und sich zu einer bestimmten Art von Person hingezogen fühlen zu müssen. Man erwartet von mir, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle oder mich eher machomäßig verhalte im Gegensatz zu Frauen. Jetzt, wo ich älter werde, wird es immer wichtiger für mich, die Rollen und Grenzen, die man mir von klein auf eingetrichtert hat, zu brechen. Es wird immer wichtiger für mich, einfach mit mir selber zufrieden zu sein, ganz außerhalb solcher Rollen, die mir aufgezwungen worden sind.
Mark: Den Song „Inheritance“ habe ich geschrieben, um auszudrücken, wie Geschichte in Kanada, und mit Sicherheit auch an anderen Orten, von den Mächtigen geschrieben wird. Und das zerstört die Stimme aller anderen Menschen. Kanada zum Beispiel hat eine sehr dunkle Geschichte, unter anderem die schlechte Behandlung von Ureinwohnern und Einwanderern bis zum heutigen Tage. „Inheritance“ handelt deswegen davon, dass wir in der Schule nichts über die wahre Geschichte unseres Landes erfahren. Wir bekommen beigebracht, dass Kanada eine friedliche Nation und ein progressives Land ist. Zum Teil mag das ein wenig wahr sein, aber ich denke, uns wird einfach beigebracht, die Tatsache zu ignorieren, dass viele Grausamkeiten in Kanada passiert sind.
Lucas: Im Hinblick auf die Behandlung von Eingeborenen übersteigen die Grausamkeiten Kanadas zum Teil sogar die einiger Regionen der USA. Beide Länder haben schreckliche Dinge gemacht. Kanada allerdings war in so viele Kriege involviert und beteiligte sich auch sehr schnell an Kriegen und die Soldaten haben einen schlimmen und brutalen Ruf und all diese Dinge werden verdeckt, um den Anschein der friedliebenden Nation aufrecht zu erhalten.
Auf der Compilation „Look Out Below“ gibt es einen Song von euch, der „Ten percent“ heißt und sich mit dem Thema Homophobie beschäftigt. Engagiert ihr euch auch ansonsten auf solchen Gebieten? Was haltet ihr von dem Tough-Guy-Gehabe und der Homophobie im Hardcore?
Mark: Ich versuche einfach, nur ein zufriedenes Leben zu leben und mich von solchen Dingen nicht beeinflussen zu lassen. Außerdem unterstütze ich meine Freunde, die homosexuell oder bisexuell sind, weil ich weiß, dass sie manchmal mit derben Dingen zu kämpfen haben – sowohl im echten Leben als auch leider in der Hardcore-Szene.
Lucas: Dieser Song war auf jeden Fall eine Reaktion auf Homophobie in der Welt und in der Hardcore-Szene, wobei diese den Anstoß dazu gegeben hat, so eine Reaktion in einem Song umzusetzen. Allerdings spielen wir den Song gar nicht mehr live. Wir haben Ideen und Ansichten, die in unseren Songs hervorkommen. Ansonsten benutzen wir zum Beispiel auch nicht Worte wie „faggot“ und wir dulden so eine Ausdrucksweise auch nicht stillschweigend. Du hast außerdem Tough-Guy-Verhalten angesprochen. Ich denke nicht, dass beides immer zusammenhängt, Tough Guys sind nicht unbedingt gleichzeitig homophob. Sobald man in einer Position ist, in der man „Macht“ hat in der Szene und ein Mikro in der Hand hält, auf der Bühne steht und die Leute dich kennen, kann man sie über Songtexte oder kleine Erläuterungen dazu, die wir auch haben, wissen lassen, wie man über gewisse Dinge denkt. Es lässt uns hoffen, dass man sich darüber Gedanken macht und vielleicht anfängt, Dinge anders zu sehen, als sie insbesondere in der amerikanischen Hardcore-Szene im Großen und Ganzen vertreten werden. Es ist zum Beispiel ein Tabuthema, dass es auch andere Menschen im Hardcore gibt als die typischen Straight-Up-Youthcrew-Hardcore-Leute. Und das würde ich gerne mehr zu Thema machen, nämlich, dass es da auch anderes gibt.
Könnt ihr erklären, was auf eurer Show in Wunstorf passiert ist, da es dort einen Konflikt zwischen den Bands und einigen Kids beziehungsweise den Veranstaltern gab, der im Nachhinein auf einigen deutschen Messageboards zu Diskussionen um Tough-Guy-Gehabe geführt hat?
Lucas: In Wunstorf ist eigentlich gar nichts passiert. Die Leute haben aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Wir und auch BLUE MONDAY wollen, dass die Kids ausrasten, Spaß haben und moshen. Wir wollen eine bestimmte Art von Crowd-Response. Und es waren Leute da, die das nicht verstanden haben und das Moshen zu heftig fanden. Allerdings haben diese Leute selbst andere weggestoßen und wir haben versucht, das zu unterbinden. Nachdem einer zum dritten Mal beim BLUE MONDAY-Set recht aggressiv getanzt hat, hat der Sänger von BLUE MONDAY den Jungen am Kragen gepackt und rausgeschmissen, weil er derjenige war, der das ganze Problem verursacht hatte. Als der Junge raus war, gab es auch kein Problem mehr. Das einzige Problem war dieser eine Typ, nicht die anderen, die gemosht haben. Dieser Junge war dann eine Weile draußen und hat sich tierisch aufgeregt und drinnen haben einige den Sänger von BLUE MONDAY angespuckt, was in dieser Situation nun wirklich nicht half. Folglich waren wir da und haben eine Show gespielt, so wie wir sie immer spielen, und die Kids sind so abgegangen, wie sie es immer tun, wie wir und sie selber es gut finden. Bis dann jemand aus der Reihe tanzte und wir das nicht gut fanden und das Ganze unterbunden haben und dieser Junge dann sauer war. Ich habe ihm nach der Show genau das gesagt, was ich euch erzähle und er meinte, dass sich mit dieser Einstellung nie etwas ändern wird. Und dann habe ich gesagt, dass ich nicht möchte, dass sich etwas ändert, dass ich nicht möchte, dass die Kids tanzen und ausflippen, ich will ihre Reaktion auf die Musik nicht verlieren. Dave von BLUE MONDAY hat genau dasselbe zu ihm gesagt und sich sogar auch entschuldigt dafür, dass er ihn rausgeworfen hat, nur um ihn zu beruhigen. Und scheinbar haben die Veranstalter nun beschlossen, keine Hardcore-Shows mehr zu machen, aufgrund von Tough Guys wie uns. Ich weiß nicht, wie es dort bei denen ist, aber da wo wir herkommen, sind wir so genannte Weicheier oder Nerds und die Musik, die wir machen, ist wirklich soft und die Reaktion der Kids ist ebenso sanft, im Vergleich zu vielen anderen Dingen, die passieren. Und die Sachen, über die wir singen, sind auch keine Tough-Guy-Sachen. Deshalb denke ich, der Junge hat einfach nichts verstanden und sein eigenes Problem zu einem Problem aller gemacht und es vor allem für alle verdorben.
Wie wichtig ist es für euch, live zu spielen? Ich kann mir vorstellen, dass es für euch eine Art Ventil ist.
Mark: Für mich persönlich ist das größte Ventil für meine Gefühle das Schreiben der Texte. Obwohl das auch live so ist, ist das Schreiben der Songs noch eine viel größere kathartische Erfahrung, denn dann sind die Gefühle am frischesten und werden das erste Mal herausgelassen. Auf Tour jeden Abend live zu spielen, kann auch bedeuten, manchmal die anfängliche Intensität zu verlieren, die ich beim Schreiben hatte.
Lucas: Für mich ist live zu spielen der Hauptgrund, das hier zu machen. Noch nicht einmal so sehr, weil es ein Ventil ist, sondern eher weil ich dann aufgeregt und glücklich bin. Für mich sind das hauptsächlich positive Gefühle, wenn ich live spiele. Deshalb liebe ich es auch auf Tour zu sein. Das Aufnehmen für mich als Drummer ist eher zum Zurücklehnen.
Wie wichtig ist die Verbindung zu den Kids vor der Bühne? Für manche Bands ist das ja eher ein egoistisches Ding, andere wiederum wollen, dass die Kids mitsingen.
Mark: Ich schätze und liebe es, wenn es eine gute Verbindung gibt und die Kids mitmachen und mitsingen. Aber für mich ist es nicht das Wichtigste. Für mich ist es wichtiger, als Band gut zu spielen. Viele meiner Lieblingsshows sind solche, bei denen die Kids nur so dastanden und die Texte nicht konnten, ich mich aber sehr wohl mit unserem Auftritt als Band gefühlt habe. Und die wirklich schönsten Erinnerungen habe ich an die Shows, bei denen beides zusammenkommt: unser Auftritt war gut und die Kids haben mitgemacht.
Wie hat euch denn eure erste Europatour gefallen?
Mark: Ich bin sehr glücklich darüber, wie sie gelaufen ist. Ich glaube, sie war sehr erfolgreich. Wir wussten nicht so wirklich, was uns erwarten würde. Auf manchen Shows hatten uns viele noch nie gehört, auf anderen Shows konnten viele jede Zeile mitsingen. Das war immer sehr aufregend und toll. Außerdem bin ich sehr glücklich, einige Länder gesehen zu haben, in denen ich vorher noch nie gewesen bin, und auch ein wenig andere Hardcore-Szenen als unsere kennen zu lernen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #64 Februar/März 2006 und Oliver Niermann Sarah Shokouhbeen,
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #73 August/September 2007 und Stephan Zahni Müller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Fabian Dünkelmann