Das Debüt „Holding Hands With Jamie“ der aus Dublin, Irland stammenden Band war 2015 ein viel versprechender Anfang, aber dann passierte vier Jahre nichts mehr, und erst im September 2019 folgte „The Talkies“. Dann kam die Corona-Pandemie und ... ein Namenswechsel: Aus GIRL BAND wurde GILLA BAND. Nun steht mit „Most Normal“ das dritte Album der bisweilen extrem lärmig und kaputt klingenden Band an, und Gitarrist Alan Duggan beantwortet meine Fragen dazu – auch die nach der Namensänderung. GILLA BAND sind außerdem Dara Kiely (voc), Daniel Fox (bs) und Adam Faulkner (dr).
Alan, wie hat sich die Pandemie auf euch ausgewirkt, privat und als Band?
Es war gemischt, um ehrlich zu sein. Es gab sowohl positive als auch einige ernsthafte negative Aspekte. Als Band konnten wir in der Zeit, in der wir hier in Irland nicht eingesperrt waren, viel Zeit miteinander verbringen und einfach nur schreiben. Das war großartig. Wir haben praktisch den ganzen Sommer in unserem Proberaum verbracht, um zu schreiben und miteinander abzuhängen. Es war toll, mal nicht die irrsinnig hohen Getränkepreise in den beschissenen Clubs in Dublin zu bezahlen und einfach nur gute Musik zu hören und an unseren Songs zu arbeiten. Der Lockdown an sich war allerdings nicht so toll. Das war psychisch schon eine ziemliche Herausforderung. Aber ich habe es genossen, so viel Zeit mit meinem Hund verbringen zu können. Er ist ein guter Hund.
Manchmal wundere ich mich über die musikalischen Hörgewohnheiten der Menschen. Kürzlich konnte ich einen Karaoke-Abend beobachten. Und die Leute, selbst die mit Punk-Sozialisation, suchen sich meist Lieder aus mit einer klassischen Strophe/Refrain-Struktur. Meine Schlussfolgerung lautet folglich, dass eure Songs, zum Beispiel „Eight fivers“, kein klassisches Karaoke-Material sind.
Ja, ich glaube nicht, dass unser Zeug beim Karaoke gut ankommen würde. Dafür ist es einfach ein bisschen zu scheißig. Wir als Band lieben aber Karaoke. Dafür brauchst du was von Samantha Mumba, klassische Popsongs.
Noch einmal zu den Hörgewohnheiten: Es gibt Easy-Listening-Musik, wie die meiste Popmusik und manchmal auch Punk, und es gibt „Uneasy Listening“ – wie, nichts für ungut, eure Musik. Warum habt ihr euch für diese Seite der Welt entschieden?
Ich bin mir nicht sicher. Diese Art von Musik ergibt für uns einfach am meisten Sinn. Wir haben es auch mit einer traditionelleren Herangehensweise versucht, aber das hat nicht funktioniert. Wir alle lieben das klassische Songwriting – aber wir sind nicht sehr gut darin. Es fiel uns einfach leichter, diese eher krasse Musik zu schreiben, warum auch immer. Es macht ungeheuer viel Spaß, sich neue Pedale oder Noise-Synthesizer-Boxen zu holen, und dann sollen diese abgefahrenen Maschinen die ganze Arbeit machen.
Bei Musik geht es vor allem um Emotionen. Welche Emotionen stecken hinter euren Songs? Und habt ihr die Absicht, bestimmte Gefühle bei denen zu erzeugen, die eure Musik und Texte hören?
Auch da bin ich mir nicht sicher. Ich glaube nicht, dass es uns zusteht, zu sagen, welche Emotionen hinter den Liedern stecken. Die Leute könnten sie als wütend oder aggressiv empfinden, und das ist auch gut so, aber das sind nicht die Empfindungen, die wir bewusst in sie hineinlegen. Ich glaube nicht, dass wir irgendwelche direkten Absichten in Bezug auf Gefühle haben. Ich glaube auch, dass es für jedes Mitglied der Band anders ist, also möchte ich nicht für die anderen sprechen. Aber ich mag es besonders, wenn mich Musik durch ihre Struktur überrascht. Also versuchen wir, das auch zu tun. Aber ich habe keine Ahnung, ob wir das schaffen.
Kannst du uns Bands oder Alben nennen, die auf die eine oder andere Weise zu „Most Normal“ geführt haben?
Eine wichtige Platte für mich war Earl Sweatshirts „Some Rap Songs“. Ich habe mich wirklich in den Aufbau und die Produktion verliebt. Die Art, wie die Songs in der gefühlten Mitte des Tracks loslegen, gefällt mir sehr. Die Tracks scheinen einfach von einem zum nächsten zu springen und alles ist sehr schnell. Das hat mir sehr gut gefallen. Auch wie die Songs von der sehr heftigen, nicht gerade subtilen Produktion durchgerüttelt wurden, die die Tracks irgendwie verzerrt, finde ich sehr cool. Das hat unsere Arbeit eindeutig beeinflusst.
Gibt es eine Geschichte zu dem Coverartwork? Ich nehme an, es ist kein Foto vom Designprozess des legendären BLACK FLAG-Logos ...
Nein, es ist keine Anspielung auf BLACK FLAG. Der Künstler, der das Artwork entworfen hat, heißt David Meaney. Er sagte, dass es ursprünglich große Zahnlücken darstellen sollte, da es in den Texten viele Verweise auf Zahnärzte gibt. Er sagte auch Folgendes: „Wie die großen Holzbretter die Person überragen, ist überwältigend anzusehen. Viele der Texte handeln davon, überwältigt zu sein durch das Älterwerden oder vom Aufgeben.“ Außerdem: „Der Gedanke an gefällte Bäume kam immer wieder auf, als ich nach einem Foto suchte. Sie stehen für schöne Dinge, die endlich sind, für das Vergehen der Zeit und das Altern: ‚There’s a point where I stopped being cute, there’s a full stop on my youth.‘“ Und weiter: „Mit ‚Most Normal‘ als Titel sind sie wieder große, überwältigende, andersweltliche Objekte, aber eigentlich sind sie ganz normal und haben eine Reise begonnen, in deren Verlauf sie zu Alltagsgegenständen verarbeitet werden, wie Stühle, Schränke, Dielen, Spielzeug ... Das Gleiche gilt für die Band als Ganzes: der Sound ist sehr vielschichtig und groß – die Texte sind interessant, sie heben das Alltägliche hervor und feiern es.“
Bei den ersten beiden Alben nanntet ihr euch noch GIRL BAND, aber über den Namen gab es jahrelang Diskussionen. Warum habt ihr ihn schließlich geändert?
Wir sind alle im Laufe der Jahre zu unterschiedlichen Zeiten zu dem Schluss gekommen, dass wir ihn ändern sollten, und als wir uns endlich alle einig waren, haben wir uns entschieden, das auch zu tun.
Ich habe eine Aussage von Dara über das Erwachsenwerden gefunden, die ich sehr interessant fand: „Als ich aufwuchs, schämte ich mich oft für meine Kleidung, weil ich mir den Look, den ich wollte, nicht leisten konnte, sondern die alten Klamotten meines Bruders auftragen musste, wie diese Schlaghosen, die mir nicht mal bis zum Knöchel reichten.“ Zur Zeit wird in ganz Europa über Armut diskutiert, vor allem seit die Preise für Strom, Öl und Gas so gewaltig gestiegen sind. Wie sieht Armut aus irischer Perspektive aus? Und wie geht es euch heute?
Ich möchte auf keinen Fall für andere sprechen. Ich habe keine Ahnung, wie es ist, wenn man zum Beispiel im ländlichen Westen von Irland in Armut aufwächst. Ich bin in einem Arbeiterviertel in Dublin großgeworden. Meine Familie hatte sehr wenig Geld und wir konnten uns nicht viel leisten. Aber ich kann mich noch glücklich schätzen mit dem, was wir hatten. Vor allem im Vergleich zu jungen Familien und überhaupt jungen Leute heute in Irland. Es gibt eine echte Wohnungskrise im Land und die Regierung unternimmt nichts dagegen. Es ist sehr schwer, hier zu überleben, wenn man nicht wenigstens zur Mittelschicht gehört. Ich habe das Glück, dass ich im Haus meiner Familie wohnen kann.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #164 Oktober/November 2022 und Joachim Hiller
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