GERM ATTACK

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Spandau-Punk

Neulich in der Tegeler Hafenbar. Es kommen drei Leute um die fünfzig herein und setzen sich an unseren gemütlichen Tisch. Einen davon kenne ich, Uwe von HONKS 77. Da sagt der eine neben mir plötzlich, dass er mal bei DREIDIMENSIONAL spielte. Von denen hatte ich doch schon mal gehört ... „Ja, und bei GERM ATTACK auch.“ Ich frage erstaunt: „Bist du etwa Gockel, deren Sänger und Gitarrist?“ Und genau so ist es. Damals schwarze Stachelfrisur, heute graue Haare, Brille, Vollbart. Die Band, in der er dazwischen spielte, war auch ein Begriff in Berlin: THE RATTLESNAKE MEN. Der dritte ist GERM ATTACK-Drummer Micha und so können wir lustig die Punk-Geschichte von Berlin-Spandau von den frühen 1980er bis in die späten 1990er Jahre beleuchten.

Gockel, du warst, wenn ich das richtig sehe, gerade einmal 15 Jahre, als du anfingst mit DREIDIMENSIONAL, oder? 1982 gab es das erste Demo und dann wart ihr fix auf dem „Spandauer Tatendrang Sampler“ mit SOILENT GRÜN von Graf Haufen Tapes. Was fällt dir ein zur Spandauer Zeit, zu Bela B. und deinen Anfängen als Punk?

Gockel: Ich war 13 Jahre alt, 7. Klasse, da gründeten meine beiden Klassenkameraden und ich die Band DREIDIMENSIONAL. Wir konnten nichts, und damit meine ich wirklich nichts! Wir erzeugten mit Woolworth-Orgel, Schlagzeug aus Kartons, Akustikgitarre und Billig-Tonabnehmer sehr viel Lärm, was uns unerhört viel Spaß machte. Wir traten zuerst in unserer Spandauer Schule auf und ich fand toll, dass es die „älteren“ Punks dort witzig fanden, dass diese „kleinen neuen Piepels“ aus der Schule so viel Krach machten und sich auch noch trauten damit aufzutreten. Das war wirklich echter Punk! Aber musikalisch konnten wir keinen Punkrock spielen, das war eher atonale experimentelle Musik, die wir da machten. Wir nahmen unsere Songs mit einem Mono-Kassettenrekorder und einem Billig-Plastikmikro in der Gartenlaube von Mirkos Eltern auf, da es im Kinderzimmer zu laut geworden war. Wir verteilten Tapes an Freunde und so war das Kassettenlabel Schuldige Scheitel von Mirko geboren. Der hatte mit 13 Jahren schon das Manager-Gen, so wurden viele Kassetten im Eigenvertrieb zum Beispiel bei Burkhard Rausch im Zensor verkauft. Mirko hatte auch schon die Konzerte im SO36, in der Music Hall und im Loft bei Monika Döring organisiert, bei der wir den „Kleine süße Jungs“-Bonus hatten. Viele Songs kamen auch auf die Kassetten-Sampler von anderen kleinen Labels, wie Graf Haufen Tapes oder Lanzelot Records von Andreas Thomé, der auch Tape-Aufnahmen von uns machte. Die ersten Punks in Spandau lernte ich auf meiner Schule in der 7. Klasse kennen, die meinten dann auch, ich solle unbedingt zur „Punkrockstunde“ am Mittwoch im Jugendfreizeitheim Wilhelmstraße kommen, weil da auch Ska gespielt wird, denn ich war zu der Zeit nämlich eher Nutty Boy und absoluter 2Tone-Fan. In dem Freizeitheim, in dem übrigens SOILENT GRÜN ihren Proberaum hatten, war die ganze Spandauer und Berliner Punk-Szene versammelt. Einer der DJs war Mario Reuter, der das Reuters Fanzine machte. Er ist heute immer noch einer meiner besten Kumpels. Donnerstagabends trafen sich dann alle wieder im Ballhaus Spandau bei Punk, Wave und Rock. Dazu kamen am Wochenende viele Partys und Konzerte in Spandau und Rest-Berlin. Von nun an war ich auch begeistert vom Punkrock und mein Outfit wurde auch immer punkiger. Mit viel zu wenig Taschengeld konnte ich mir allerdings kaum Platten leisten und die Punks von meiner Schule nahmen mir netterweise alles auf Tape auf. Ich stand erst einmal eher auf die älteren Bands, wie BUZZCOCKS, EDDIE & THE HOT RODS, CLASH, THE BOYS und natürlich die SEX PISTOLS.

Den Song „U Bahn fahren ist monoton!“ kann man sich im Netz anhören. Das war ja eher Wave, Industrie-Punk, und ist jedenfalls für heutige Ohren eher gewöhnungsbedürftig, oder?
Gockel: Wir haben ohne irgendwelche Vorkenntnisse mit einfachsten Mitteln versucht, Musik zu machen, heraus kam atonaler Krach, den wir einfach veröffentlichten.

Die Tape-Szene war in den 1980er Jahren äußerst aktiv und kreativ. Heute wird ja viel von DIY gefaselt, auch von Bands mit großem Management. Ihr wart aber wirklich noch auf euch gestellt und das ging offenbar auch.
Gockel: Tapes waren die billigste Möglichkeit, unseren Krach unter die Leute zu bringen. Wenn zum Beispiel HALSABSCHNEIDER, SOILENT GRÜN, KONSUMTERROR oder MALINHEADS eine Single veröffentlichten, waren das für uns 13-Jährige schon ganz große Punkbands! Unsere Tapes wurden zuerst an Klassenkameraden verliehen, dann mit unserem ersten Doppeltapedeck vervielfältigt, danach in Berliner Plattenläden verteilt oder natürlich als Demos an Veranstalter, Zeitungen und Fanzines versandt. So machten es viele kleine Bands, viele gründeten ein kleines Label und so kamen sehr viele Tape-Sampler zustande.

Was war für euch das Wichtigste am Punk-Dasein? Viele halten es vorrangig für ein Modeding, was ja durch SEX PISTOLS und THE CLASH auch früh plausibel wurde ...
Gockel: Ich fand zuerst das Aussehen der Punks sehr beeindruckend, dann auch die Einstellung, und dass eigentlich jeder sein Ding machen kann, ohne auf andere hören zu müssen. Man war tolerant und vor allem gegen rechts. Die Musik hat mich fasziniert, es war aber auch toll, zu einer Gruppe von Gleichgesinnten mit gleichen Interessen zu gehören.
Micha: Ich kam wie viele über die Musik zum Punk, das Outfit fand ich dann auch cool, dieses DIY-Ding hat mir auch gefallen, meine Punk-Klamotten habe ich nämlich noch selber gestaltet und zusammengenäht. Und ich habe mir ein Schlagzeug gekauft, obwohl ich noch nichts darauf spielen konnte, ich wollte sofort eine Punkband gründen, denn jeder konnte in dieser Szene Musik machen, auch wenn am Ende nur Krach dabei herauskam. Heutzutage sind die meisten Punkbands wesentlich professioneller unterwegs. Ja, und die wichtigste Message für mich war und ist: Gegen Intoleranz und Nazis, leben und leben lassen!

2007 hat ein Berliner Underground-Label eine LP-Compilation von DREIDIMENSIONAL herausgebracht. Schwer zugänglich, wie stets bei denen. Was sagst du dazu? Hätte es da nicht auch eine CD-Version geben können?
Gockel: Das Label war Rotten Totten in Zusammenarbeit mit Lanzelot Records, Andreas Thomés Kassettenlabel, er hatte noch viele alte Aufnahmen. Sie machten grundsätzlich Kleinstauflagen mit viel Liebe, ohne damit etwas zu verdienen. Größere Auflagen würden sich bei diesen unbekannten alten Bands mit miesen Aufnahmen kaum lohnen. Vinyl ist in diesem Fall etwas ganz Besonderes und das Ganze hätte als CD nicht diesen Liebhabereffekt gehabt.

Jedenfalls ging es 1987 mit THE RATTLESNAKE MEN und Musik abermals im Kassettenformat weiter. Euer Basser war ein Psychobilly, was auch Einfluss auf den Stil hatte. Und Micha kam hinzu. Was war die Idee, Punk und Billy fusionieren?
Gockel: Unser Bassist Ali hatte zwar eine Tolle, hörte aber alles Mögliche: Punk, Hardcore, Rockabilly und Wave. Bei Micha und mir war es genauso. Ohne uns etwas dabei zu denken, kam genau das heraus, wozu wir gerade Lust hatten.
Micha: Das Fusionieren von Musikstilen haben wir jedenfalls bewusst nie geplant. In erster Linie wollten wir Punkrock spielen, die anderen Einflüsse sind durch unseren breiten Musikgeschmack wahrscheinlich eher unbewusst eingeflossen, da war vielleicht auch mal ein Psychobilly-Song dabei.

Die erste RATTLESNAKE MEN-LP „Sahara Tour ’88“ war dann ein vorweg genommener Meilenstein. Wie erinnerst du die Zeit kurz vor der Wende in Berlin-Spandau und in West-Berlin generell? Es war ja alles wild über die Stadt verstreut ...
Micha: Ich fand, dass sich vor der Wende in West-Berlin die Punk-Szene hauptsächlich in Kreuzberg und Schöneberg konzentrierte, da waren auch die meisten Clubs, wo wir regelmäßig gespielt haben, zum Beispiel KOB, Blockschock, SO36, Huxleys, Pike oder Wild at Heart. Als es nach der Wende auch möglich war, in Ost-Berlin und Potsdam zu spielen, wurde es für mich erst mal unüberschaubar, die Konkurrenz unter den Clubs wurde größer, die Stadt an sich war plötzlich viel größer, die Punk-Szene verlagerte sich mit der Zeit mehr Richtung Ost-Berlin, denn neben den ehemaligen FDJ-Clubs wie zum Beispiel Knaack oder Linse entstanden auch in Abbruchhäusern spannende neue und noch wildere Clubs als in West-Berlin.
Gockel: Und wegen der Mauer spielten wir natürlich viel in West-Berlin. Wenn wir tourten, mussten wir immer sehr lang durch die Zone fahren, ätzend! Die Szene hier war aber recht überschaubar, denn die Mauer war ja rundherum.

Gab es in der Zeit die Hoffnung, von der Musik leben zu können?
Micha: Die Musik war immer ein Hobby neben der Arbeit oder dem Studium, und wir waren immer realistisch genug, um zu sehen, dass es schwierig sein würde, von dieser Art von Musik gut leben zu können. Aber durch die vielen Konzerte in den 1980er und 1990er Jahren konnten wir wenigstens unser Hobby, also Studioaufnahmen, Equipment und so weiter, finanzieren, das war schon gut. Wir haben sogar mal ein Angebot abgelehnt, als Vorband mit GOOD RIDDANCE für fünf Wochen auf Tour zu gehen, weil wir dafür nicht mehr genug Urlaub hatten.
Gockel: Natürlich hätte ich damals gerne ein paar Jahre von der Musik gelebt. Wir hatten aber damals alle unsere Jobs und für einen Sprung ins Professionelle hätte das Geld niemals gereicht. So war es ein sehr aufwändiges Hobby, das aber unwahrscheinlich viel Spaß machte.

Geht doch mal bitte labeltechnisch ins Detail: Schuldige Scheitel Tapes, Tiara Tonträger, Happy Bone Records ...
Gockel: Meine Band DREIDIMENSIONAL erschien damals nur auf Kassette, auf Mirkos Tapelabel Schuldige Scheitel.
Micha: Es war später natürlich toll, dass wir mit RATTLESNAKE MEN unsere Platten auf Tiara Tonträger herausbringen konnten, Labelchef Ralf Rexin war damals auch unser „Manager“ und hat die vielen Konzerte in dieser Zeit für uns gebucht, er ist auch fast immer zu allen Gigs mitgefahren. Happy Bone Records war das Label unseres Kumpels „the Bernd“, das er für uns gegründet hat, um die ersten GERM ATTACK-Singles herauszubringen, später hat er auch andere befreundete Bands wie 3RD STATEMENT oder die Finnen DEEP TURTLE unterstützt und deren Singles auf Happy Bone Records veröffentlicht.
Gockel: Die vier GERM ATTACK-CDs kamen dann bei Sascha von Wolverine Records heraus.

Was war der Grund, RATTLESNAKE MEN Anfang der 1990er Jahre aufzulösen und mit GERM ATTACK zu beginnen? Der Stil war ja anders und offenbar von der sogenannten dritten Punk-Welle aus den USA inspiriert. Ihr habt auch mal mit LAGWAGON gespielt.
Micha: Im Februar 1992 war das letzte RATTLESNAKE MEN-Konzert, zwei Tage später rief mich unser Bassist Ali auf der Arbeit an und sagte, dass er aus der Band aussteigen will. Das war schade, auch weil wir bereits genug Songs für eine dritte RATTLESNAKE MEN-LP zusammenhatten. Ich denke, er wollte einfach etwas anderes machen, er hat ja dann SLICK gegründet, das war eher Noise/Grunge mit Schreigesang, das sollte nicht mehr so poppig sein wie RATTLESNAKE MEN. Ich habe dann mit Gockel bei GERM ATTACK weitergemacht. Gockel hat bei GERM ATTACK einfach mehr Distortion auf die Gitarre gegeben, dadurch war der Sound etwas härter, und US-Punk haben wir in den 1990er Jahren auch gehört, klar fließt so was ein.

Und ihr hattet sogar einen Manager namens „the Bernd“ ...
Micha: Das ist der Künstlername von Martin, so heißt er eigentlich, und der Bruder von Martin ist Arno, der Bassist bei GERM ATTACK wurde. Bernd ist ein Freund, der den Managerposten übernommen hat, er hat Konzerte für uns gebucht, und Bernd ist auch dafür verantwortlich, dass wir mit GERM ATTACK auf unzähligen Compilations vertreten sind.

Gerade die 1990er Jahre waren ja die Zeit der CD, was ein gutes Format war und ist. Aber GERM ATTACK auf Vinyl, damit sah es auch später mau aus?
Micha: Leider hat Sascha von Wolverine Records in den 1990er Jahren nur CDs veröffentlicht, Vinyl war bei ihm die absolute Ausnahme. Ich fand das auch doof, denn ich bin selber der absolute Vinyl-Junkie, auf der anderen Seite waren wir froh, dass ein Label unsere Songs veröffentlicht hat, auch wenn es nur auf CD war.

Euer Debüt „Sick“ aus dem Jahr 1994 war ja die Wolverine Katalognummer 22. Wie gestaltete sich das Zusammenwirken über die ganzen Jahre, wart ihr zufrieden dort?
Micha: Ich war zufrieden, wir hatten zwar nicht ständig Kontakt, aber wenn neue Studioaufnahmen fertig waren, haben wir sie an Sascha geschickt, und er hat sich dann um Mastering, Pressung, teilweise sogar ums Coverartwork und die ganze Promotion nach der Veröffentlichung gekümmert. Wir haben immer ein paar Kisten mit unseren CDs erhalten, die haben wir dann auf Tour und an Freunde verkauft. Es waren ja auch nicht die Riesenauflagen. 2005 kam die letzte CD heraus, danach haben wir aber nicht mehr viele Live-Konzerte gespielt. Erst 2019 gab es neue Aufnahmen, aber wir haben Sascha nicht noch mal gefragt, und ich habe sie nur digital via Bandcamp und auf YouTube veröffentlicht, zum kostenlosen Download.
Gockel: Ich fand das mit Sascha auch sehr gut, denn er hat uns nie reingequatscht und uns alles machen lassen, wie wir es wollten.

Und erneut wart ihr ein Trio. Arno übernahm bei GERM ATTACK den Bass. Was macht er heute? Ist sein Nachfolger Tom noch immer an Bord`?
Micha: Wir waren überwiegend als Trio unterwegs, die ersten zehn Jahre mit Arno, dann kam für etwa dreieinhalb Jahre Tom als Bassist. Nach Tom kam wieder Arno für zwölf Jahre in die Band, in dieser Zeit hatten wir mit Pat auch für zwölf Jahre einen zweiten Gitarristen. Seit 2018 sind wir mit Tilman, ehemals CARRY THE DAY, wieder als Trio unterwegs.
Gockel: Am Anfang, also 1992/93, hatten wir für etwa sechs Monate noch einen Sänger namens Alex, mit dem haben wir unser erstes Demotape aufgenommen. Leider ist er kurz vor unserem dritten Konzert überraschend ausgestiegen, ab dem Zeitpunkt habe ich gesungen, und wir haben es nicht noch mal mit einem neuen Sänger probiert. Alex war später bei DESERT HEARTS aktiv, und heute ist er Sänger und Mastermind bei KAIZER, einer Goth-Band.
Micha: Genau, dann hatten wir von 1999 bis 2000 Tobias als zweiten Gitarristen in der Band, mit ihm haben wir auch ein paar Songs aufgenommen, die aber nur auf einer Demo-CD gelandet sind. Auch nur kurz in der Band war nach Arnos erstem Weggang ein anderer Alex, der für gut sechs Monate Bass gespielt hat und dann überraschend ausgestiegen ist, über ihn kam aber der Kontakt mit Tom zustande, der anschließend den Bass spielte. Tom hat auch sofort den Managerposten in der Band übernommen. Er hat sehr viele Auftritte organisiert, wie auf dem Punk & Disorderly Festival 2006, wo wir dann auch mit einem Song auf der DVD gelandet sind. Wir hatten einige Radiointerviews, er hat einen Videodreh organisiert, und er hat das Video dann sogar beim RBB in der Kultursendung „Stilbruch“ untergebracht. Schließlich haben wir mit ihm noch die „Bomb Party“-CD aufgenommen. Als Tom ausgestiegen war, wurde es wieder etwas ruhiger um GERM ATTACK.

Gockel, deine damalige Lebensgefährtin Babsi, mit der du ja auch einen Sohn hast, sang später bei CARRY THE DAY und startete somit ihre Musiklaufbahn. Hast du sie da gefördert oder wie standet ihr in dieser Hinsicht zueinander?
Gockel: Was du so alles weißt! Babsi hatte damals schon ihre Band CARRY THE DAY, ich fand ihren Gesang sehr gut. Dann machten wir mit GERM ATTACK dieses BLONDIE-Projekt. Wir brauchten eine weibliche Stimme und haben es mit ihr probiert, und das lief sehr gut. Später sind wir uns dann nähergekommen. Letztendlich ist alles Geschmacksache und total subjektiv, ob einem ein Sänger oder eine Sängerin gefällt oder nicht.
Micha: Ja, das stimmt, und der Gesang ist ja auch die halbe Miete bei einer Band, also sehr entscheidend, meiner Meinung nach. Die Musik kann noch so toll sein, wenn der Gesang aber schlecht ist oder einem nicht gefällt, fällt das auf die ganze Band zurück.

Euer zweiter Longplayer „Microkiller“ stellt für mich das absolute Highlight dar. Später ging es in Richtung YUM YUMS und Pop-Punk, aber ein Song wie „Not for a while“ fetzt noch heute ...
Micha: Ich finde auch, dass uns die „Microkiller“-CD insgesamt am besten gelungen ist. Wir hatten nie das Geld, um viel Zeit in den besten Studios mit dem besten Mixer zu buchen, dafür sind viele Veröffentlichungen dennoch recht gut geworden. Die „Sahara Tour“ von RATTLESNAKE MEN haben wir zum Beispiel in drei Tagen aufgenommen und abgemischt, und die LP ist trotzdem ein Meilenstein geworden.
Gockel: Ich finde die „Microkiller“ auch am besten. Da hatten wir etwas mehr Zeit und einen ganz tollen Mixer namens Stephan, der hat sich super viel Mühe gegeben. Mit ihm haben wir auch später noch sehr viel zusammengearbeitet.

Was habt ihr noch für skurrile Anekdoten bei Gigs in Erinnerung, wer stahl die Kasse, welcher Promi übergab sich vor der Bühne?
Micha: 1989 wurden uns im B52 in Mönchengladbach die Gitarren geklaut, in diesem Laden hatten zwei Wochen vor uns NIRVANA ihr erstes Deutschland-Konzert vor zwanzig bis fünfzig Zuschauern. Ob denen auch die Gitarre geklaut wurde, weiß ich nicht. Die wäre heute jedenfalls sehr wertvoll, im Gegensatz zu unseren Gitarren, die kurioserweise Jahre später wieder in diesem Laden aufgetaucht sind, wir haben sie dann aber nicht mehr abgeholt. Bei einem anderen Konzert hat eine Band den Veranstalter, einen Freund von uns, mit dem Messer bedroht und ihm die Kasse abgenommen. Diese Band war der Meinung, dass die vereinbarte Gage zu niedrig war und ihnen noch mehr zusteht. Diese damals sehr bekannte Arschloch-Band aus Osnabrück hat sich zum Glück nach ihrem fünften Album 1994 aufgelöst.
Gockel: Und bei einem RATTLESNAKE MEN-Gig im SO36 wurde die Kasse geklaut, die Diebe sind unbekannt. Dieses Konzert war übrigens mit unseren Freunden von DISASTER AREA, mit denen wir zu der Zeit einige Gigs in Berlin hatten. Und bei einem anderen Konzert in Berlin bin ich nach einem Sprung in die Bühne eingebrochen, mir ist aber zum Glück nichts weiter passiert, ich habe einfach weitergespielt. Dann gab es einen Kolbenfresser auf der Autobahn in Süddeutschland, ich kam trotzdem pünktlich zum Gig. Und einen Promi nicht vor, aber auf der Bühne gab es auch: Evan Dando von den LEMONHEADS hat live im Ecstacy in Berlin 1989 zwei Coverversionen mit RATTLESNAKE MEN gesungen. Er war allerdings so breit, dass er Schwierigkeiten hatte, das Timing zu halten, und auch mehr gelallt als gesungen, so dass Ali hier und da doch gesangstechnisch einsteigen musste, um die Situation halbwegs zu retten.
Micha: Es gab ja auch nette Erlebnisse, bei einem Konzert in Konstanz gab es einen totalen Stromausfall für 15 Minuten, alles stockfinster. Ich hatte an dem Tag Geburtstag und das ganze Publikum hat im Dunkeln „Happy Birthday“ für mich gesungen, das fand ich gut.

Wie ich mitbekommen habe, seid ihr ja noch weiter aktiv mit GERM ATTACK. Was hat sich am meisten verändert seit damals? In den 1980er Jahren sollte man möglichst politisch agieren, in den 1990er Jahren zählte der Spaß – und heute?
Micha: In den 1980er Jahren stand bei uns ganz klar der Spaß im Vordergrund, bei den Texten ging es bei uns immer quer durch den Garten, Beziehungskisten-Texte, politische Texte, Fun-Texte, sozialkritische Texte, da waren wir nie einseitig festgelegt, bis heute nicht. Aber heute muss man umso mehr gucken, dass alles politisch korrekt ist, denn manches, was vielleicht nur spaßig oder ironisch gemeint ist, wird von einigen Leuten einfach nicht richtig verstanden. Die „Kuttes Party“-Maxi mit dem Hörspiel führte aber bereits in den 1990er Jahren wegen Sexismus-Vorwürfen dazu, dass wir in einem Club in Berlin nicht mehr auftreten durften. In einem anderen Club mussten wir über Stunden diskutieren und uns rechtfertigen, das hat uns dann den ganzen Abend vermiest. Wir sind wirklich nicht sexistisch, das können alle Frauen, die uns kennen, bestätigen.

Was plant ihr gerade so?
Gockel: Wir könnten eigentlich mit unseren neuen Songs zwei LPs füllen, wer weiß, vielleicht veröffentlichen wir ja noch mal etwas. Der nächste Gig wird eine fette Party sein in unserem Übungsraum mit unseren Spandauer Freunden, den HONKS 77, zu meiner Geburtstags-Nachfeier sein, natürlich in Spandau!
Micha: Ich denke auch, dass wir bald mal wieder neue Aufnahmen machen werden, und GERM ATTACK auf Vinyl, eine kleine Auflage, fände ich auch gut. Vielleicht schaffen wir es ja mal wieder, ein paar mehr Konzerte selber zu organisieren, uns fehlt eben doch aktuell ein Manager, der sich um so etwas kümmert.

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Diskografie
DREIDIMENSIONAL: „Der kulturbefördernde Füll“ (MC, Schuldige Scheitel, 1982) • „Vier Männer und ein Pokerspiel“ (MC, Schuldige Scheitel, 1983) • „Crack The Heart“ (MC, Schuldige Scheitel, 1985) • „s/t“ (LP, Rotten Totten/Lanzelot, 2007) THE RATTLESNAKE MEN: „s/t“ (MC, Tiara Tonträger, 1987) • „Sahara Tour ’88“ (LP, Tiara Tonträger, 1988) • „Kuttes Party“ (12“, Tiara Tonträger, 1989) • „Killjoy“ (LP, Tiara Tonträger, 1990) • „s/t“ (MC, Happy Bone, 1991) GERM ATTACK: „Wake Me Up“ (7“, Happy Bone, 1993) • „Holocaust“ (7“, Happy Bone, 1994) • „Sick“ (CD, Wolverine, 1994) • „A Tribute To Blondie“ (CD, Wolverine, 1996) • „Microkiller“ (CD, Wolverine, 1997) • „Bomb Party“ (CD, Wolverine, 2005)