2010 erschien Gabriel S. Moses’ Graphic Novel „Spunk“, in dem es um die israelische Subkultur zwischen Punk und Emo geht. Der heute in Berlin lebende, 29 Jahre alte Autor wuchs in einem israelischen Suburb amerikanischer Prägung auf, und genau darum geht es in „Subz“, seinem zweiten Buch von 2011: Vorstädte als Orte eines scheinbar sorgenfreien Mittelklasse-Lebens. Dort verbringt Moses seine Teenager-Jahre mit Freunden auf einer Bank an der Straßenkreuzung nahe seines Elternhauses, sorgenfrei, während ein paar Kilometer weiter ihre Eltern mit der Aufstandsbekämpfung beschäftigt sind. „Funny place Israel“ kommentiert er dies zynisch, und diese Jugend zwischen Hip Hop, Punk, MTV, erstem Sex, viel Alkohol und Drogen beschreibt er in mit skizzenhaften Bildern. Ich befragte Gabriel nach den Hintergründen von „Subz“ und dazu, warum so viele junge Israelis auf der Suche nach einem „richtigeren“ Leben ins Ausland gehen, gerade auch nach Berlin.
Gabriel, wer bist du, was machst du? In deiner Signatur steht „Pictures & stories“.
Ich bin 29 Jahre alt, in Israel, geboren, und aufgewachsen in Makabim, einer Vorstadt von Jerusalem. Jetzt bin ich nach Berlin umgezogen und wohne in Friedrichshain mit meiner Frau und mit unserer vier Jahre alten Hündin Style. Beruflich bin ich Künstler, nämlich Autor und Illustrator von Graphic Novels. Ich erzähle meine Geschichten mit allen möglichen Verbindungen zwischen Bildern und Text. Manchmal sieht es wie ein typischer Comics aus, manchmal passt es mehr zu illustrierter Schriftstellerei, aber die Spannung zwischen den beiden Aspekten bleibt immer.
Wie wurdest du Punk, welche Bands, welche Platten spielten für dich eine Rolle und wie autobiografisch sind deine Graphic Novels in dieser Hinsicht? Bist du heute noch Punk, irgendwie?
Ja, ich sehe mich als Punk, aber wie jeder selbsterklärte Punk denke ich, dass Punk sich in etwas anderes als Punk verwandelt hat. Zum Beispiel sind meine aktuelle Top Five der „punky“ Platten: P.O.S. „Never Better“, ELECTRIC SIX „Zodiac, NOFX „Never Trust A Hippy“, AGAINST ME! „White Crosses“ und SXFXTXCX „God Bless SxFxTxCx“. Auf der anderen Seite denke ich, dass BAD RELIGION und FLOGGING MOLLY nicht viel mit echtem Punk zu tun haben, obwohl ich ihre Musik mag. Punk war für mich auch immer eine künstlerische Plattform, auf der ich kulturelle Fragen stellen konnte. Egal, ob aus künstlerische Gründen, wie in den USA, oder aus soziopolitischen Gründen, wie in Großbritannien. Die Hauptsache war, dass man immer versucht, Grenzen zu kritisieren und zu überqueren, um neue Ergebnisse zu bekommen. Ohne Ego, ohne Standards, manchmal mit starker Wut, manchmal mit unglaublich selbstbewusstem Humor, aber immer mit einem Anflug von Ironie und Sarkasmus. In dieser Hinsicht bleibe ich immer Punk, allerdings kann man es auch Postmodernismus nennen, aber ich glaube, Postmodernismus hat eine zu pompöse akademische Konnotation. Ich bezeichne es also lieber als Punk.
Welche Rolle spielt Punk für israelische Jugendliche heute und welche hat sie früher gespielt? Wie ist Punk in der Gesellschaft angesehen, welche Probleme hat man, und wie gehen Punks mit der Wehrpflicht um? Apropos, warst du bei der Armee?
Die israelische Punk-Szene ist geteilt. Es gibt die politischen Gruppen, die sich mit der Besetzung beschäftigen, und natürlich auch mit ungerechten Gesetzen und anderen wichtigen Themen. Dann gibt es auch die Gruppen, die Spaß haben möchten. Aber meiner Meinung nach sind beide mit verschiedenen Konzepten von Freiheit beschäftigt, weil es auch schwierig ist, Party zu machen, wenn alle non-stop arbeiten und die Konkurrenz so stark ist, nur um grundlegende Lebensstandards zu erreichen. Es geht dabei nicht ausschließlich um die Besetzung der Palästinensergebiete, für mich gibt es auch so etwas wie eine „Geistige Besetzung“ für die ganze junge Mittelstandsbevölkerung. Es geht sozusagen um „We fight for the right to party“. Ich war nicht bei der Armee, wie andere junge Leute auch. Seit den Siebziger und Achtziger Jahren hat es sich sehr verändert. Es ist nicht einfach, das System zu überzeugen, dass du nicht für die Wehrpflicht geeignet bist, das geht nur über angebliche gesundheitliche Gründe.
„Funny place Israel“ findet sich als sarkastischer Satz in „Subz“. „Funny“ ist das Leben in Israel im Vergleich zu Deutschland kaum. Klar, auch hier gibt es Probleme, aber keiner wirft Bomben oder Raketen, die Mieten sind meist auch noch bezahlbar, der Armeedienst wurde abgeschafft, und außer beim Papstbesuch hat man es kaum mit religiösen Fanatikern in größerer Menge zu tun. Funny place Germany?
In „South Park“ wird behauptet, dass die Deutschen keinen Humor haben, aber Loriot hat mich wirklich zum Lachen gebracht! Aber mag sein, dass man in Israel sehr schnell ein Gespür für Sarkasmus und Ironie entwickelt hat, genau wie amerikanische Stand-up-Comedians wie Bill Hicks, Louis CK, oder George Carlin so scharfzüngig geworden sind. Wenn der Alltag wirklich scheiße ist, dann kann man gar nichts anderes tun, als darüber zu lachen.
„Subz“ ist eine ähnlich düstere „Coming of Age“-Geschichte wie Bret Easton Ellis’ Debüt „Less Than Zero“. Alles verschwimmt, alles ist sinnlos, Drogen, Tod – keine schöne Jugend, oder doch?
Ich bin mehr beeinflusst vom Fotografen und Regisseur Larry Clark und dem Zeichner Charles Burns. In Israel sollte man fragen: „Coming of what age exactly!?“ Israel war nie rosa mit klarem blauen Himmel. Das Gegenteil war der Fall, wir waren immer dabei zu kämpfen, zu hassen und zu konkurrieren. Für jemand, der ein bisschen verträumter und künstlerischer ist, gibt es grundsätzlich null Chancen. Also ich sehe es ein bisschen anders. „Subz“ erzählt von unserem persönlichen Kampf, mehr als null zu werden, egal, um welchen Preis.
„Subz“ schafft es irgendwie, eine sehr vielschichtige Vorstellung davon zu vermitteln, wie man in Israel als Jugendlicher lebt. Denkst du, das Buch wäre geeignet, beispielsweise in deutschen Schulen gelesen zu werden? Eigentlich sprichst du ja wirklich alle Themen an, die man kennen muss.
Das war einer der Hauptgründe, warum ich „Subz“ gemacht habe. Am Anfang wollte ich der israelischen Bevölkerung von israelischen Vorstädten erzählen. Die meisten Leute kennen diesen Teil der israelischen Gesellschaft nicht. Aber als ich dann nach Deutschland gekommen bin, ist mir klargeworden, dass dadurch auch Leute außerhalb von Israel über die Jugend des Landes etwas lernen können. Jetzt wurde „Subz“ vorgeschlagen für einen Teil der pädagogischen Projekte meines Verlages, dem Archiv der Jugendkulturen. Mit ihnen mache ich auch Workshops und Vorträge über israelische Jugendkulturen.
Wie sind die Reaktionen auf dein Buch in Israel, oder ist es bislang nur in Deutschland erschienen? Was sagen deine Eltern dazu?
Vor einiger Zeit hatte ich das Buch zunächst selbst veröffentlicht. Das Hauptthema war abstrakter, ohne eine deutliche Geschichte und bestand zum Großteil aus Bildern. Entsprechend undeutlich haben die Leute dann auch reagiert und es kam oft die Frage, was denn eine israelische Vorstadt nun sei, was sie ausmache. Diese Reaktionen haben dann die aktuelle Version beeinflusst. Ich wollte, dass es klarer wird. Jetzt reagiert das deutsche Publikum besser und mit einem größeren Verständnis für die israelische Umgebung und ihre komplizierten sozialen Probleme. Meine Eltern sind sowieso immer stolz auf mich, ich bin ein sehr glückliches Kind.
Wie kamst du zum Zeichnen, wer sind deine Vorbilder, wie würdest du deinen Stil bezeichnen – und wer hat dir das alles beigebracht?
Ich zeichne schon seit dem vierten Lebensjahr. Als Kind war ich immer mit Zeichnen beschäftigt. Ich erinnere mich noch genau an der Tag, als ich alleine in meinem Zimmer saß und bemerkte, dass es in der Realität keine Linien gibt, sondern nur einen Unterschied zwischen Licht und Schatten. Ich fühle mich sozusagen immer noch wie ein Autodidakt, obwohl ich an verschiedenen Kunstschulen war und einen Abschluss habe. Ich kann auf jeden Fall immer gut über mich selbst lachen. Ich habe außerdem wirklich viele Vorbilder, die alle um Welten besser sind als ich. Da wären zum Beispiel Chris Wares „Acme Novelty“, Tomer Hanuka, Katsuhiro Otomos „Akira“, Stuntkid, Mark Rothko, Jan Vermeer, David Laphams „Stray Bullets“ oder Scott McCloud, um nur einige zu nennen. Ich weiß nicht, wie ich meinen Stil beschreiben sollte. Wahrscheinlich sind es am ehesten Geschichten über Jugendkulturen mit realistischen Zeichnungen und einem klugscheißerischen Erzählstil.
Welche Faszination übt Berlin auf junge Israelis aus – oder um es direkt zu sagen: wie und warum lebt man in der Stadt, von der aus einst der Holocaust geplant und ausgeführt wurde, warum macht man da Urlaub, was ja wohl viele junge Israelis tun? Und, ist das eine typisch deutsche Frage?
Ja, eine sehr typische Frage, aber ich verstehe, warum Leute sie immer stellen. Ich antworte immer mit einem Zitat aus „Fight Club“, als die namenlose Hauptfigur Marla Singer fragt: „Warum kommst du zu diesen Selbsthilfegruppen für unheilbare-Krankheiten? Was willst du damit zu tun haben?“ Marla antwortet darauf ziemlich clever: „Es gibt kostenlosen Kaffee und es ist billiger, als ins Kino zu gehen.“ Ich interpretiere es wie sie: Wenn etwas so schön, interessant und billig ist, wer kümmert sich schon um die eigentlichen Hintergründe?!
Wie würdest du die Unterschiede zwischen deinem Wohnort in Israel und dem in Berlin beschreiben? Wann wohnst du wo, warum?
In Berlin ist alles leichter. Es ist billiger, ich habe mehr Zeit, um an meiner Kunst zu arbeiten und um meine Gedanken zu Ende zu denken. In Israel ist es wesentlich schwieriger, dein Leben zu führen. Aber dort kann man auch den Wert der Dinge besser erkennen und sie mehr schätzen. Deshalb versuche ich, mein alltägliches Leben in Berlin zu bestreiten und Israel jedes Jahr nur für ein paar Wochen zu besuchen.
Ich nehme mal an, dass du dich politisch als im weitesten Sinne irgendwie links bezeichnen würdest. Wie nimmst du die Diskussionen in der politischen Linken in Deutschland wahr, sei es das Thema „Antideutsche“ oder die Partei „Die Linke“ und die Schwierigkeit mancher ihrer Mitglieder, das Existenzrecht Israels uneingeschränkt anzuerkennen? Als Punk bewegt man sich ja gerade in Berlin immer auch in Kreisen, in denen Vertreter dieser Positionen präsent sind.
Das ist ein sehr umfangreiches Thema und für dieses Gespräch kann ich nur ein bisschen darüber erzählen: Im Moment schreibe ich ein neues politisches Sci-Fi-Buch und darin gibt es ein Kapitel, in dem ich beschreibe, was passieren würde, wenn Israel plötzlich für einen Tag nicht mehr da wäre. Nur das Land bleibt, ohne Leute, jeder verschwindet. Absurderweise entwickelt sich daraus eine friedliche Welt, ohne Armut, Hunger und ohne eine Dritte Welt. Es ist eine Fabel. Damit wollte ich ausdrücken, dass Israel existiert, genau wie die Palästinenser existieren, die unter der Besetzung leiden. Genau wie die Hamas und illegale religiöse Siedlungen außerhalb Israels existieren. Genau wie Antisemitismus, Rechtsextremismus, Masseneinwanderung, Intoleranz gegen Ausländer in Europa und globale Islamophobie. Diese ganzen Phänomene existieren, ob es uns passt oder nicht. Wir sollten nicht ein Problem besonders hervorheben, indem wir ein anderes unterdrücken, und wir sollten nicht über Ad-hoc-Lösungen nachdenken.
Im Juli 2011 sollte Jello Biafra von den DEAD KENNEDYS mit seiner neuen Band in Israel spielen, doch wegen starken Drucks haben sie die Tour abgesagt. Ich halte diesen Boykott und diese Absage für falsch, schließlich können die Punk-Fans in Israel doch nichts für die Politik der Regierung. Deine Meinung dazu und zu solchem Kulturboykott allgemein?
Allgemein stimme ich deiner Meinung über Biafras Absage zu. Vor allem, weil die meisten Leute, die darunter gelitten haben, linke Punks gewesen sind. Aber dann sah ich, wie das israelische Publikum bei Biafra reagiert hat, mit Sprüchen wie „Antisemit“ oder „Biafra, bekenne Farbe!“ und so weiter. Ich weiß, dass die Leute sehr wütend waren, aber diese fremdenfeindlichen und paranoiden Reaktionen habe ich nicht erwartet. Mir stellt sich dann die Frage: Wie tolerant sind wir Israelis wirklich? Wie tief sind wir in unsere gewaltsamen Konflikte eingebettet?
Zum Schluss eine hypothetische Frage: Du wirst überraschend zum israelischen Regierungschef gewählt und musst in fünf Sätzen deinen ultimativen Nahost-Friedensplan darlegen, unter der Vorgabe, alle besetzten Gebiete zurückzugeben, im Tausch gegen die Anerkennung durch die arabischen Staaten. Was sagst du?
Ich bin kein Politiker, aber zufällig ist mein Vater ein Demograf. Er beschäftigt sich mit wissenschaftlich basierten Vorhersagen, was dem „Wort Gottes“ sehr nahe kommt, haha. Je häufiger ich seine Prognose höre über das Wachstum der religiösen und rechtsextremen Bevölkerung – welche in Israel im Laufe der Zeit mehr und mehr verschmolzen ist –, desto überzeugter bin ich, dass jemand wie ich nicht nur niemals Regierungschef sein werden kann, sondern auch in Zukunft nie bequem in Israel leben werde leben können.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #99 Dezember 2011/Januar 2012 und Joachim Hiller