FUNCTIONAL BLACKOUTS

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Tick, tick, tick, tick ...

Chicago ist einmalig. Es ist die einzige Stadt in Amerika, die durch und durch korrupt ist. Sagte ein gewisser Charles E. Merriam zu Zeiten, als Al Capone sein Unwesen trieb in der mittlerweile fast zehn Millionen Einwohner zählenden Metropole am Michigan-See. Chicago ist in Gefahr. Es wird in Flammen stehen wie einst im Jahre 1871. Sage ich, denn ich habe FUNCTIONAL BLACKOUTS gehört.

Wie eine terroristische Untergrundorganisation, die nur ein Ziel kennt, nämlich Verwirrung und Irritation zu stiften, treten die FUNCTIONAL BLACKOUTS auf ihrem Debütalbum eine Lawine an schrägem Kellerpunk los, dass einem ganz Angst und Bange werden muss. Die sperrigen, an die frühen FEEDERZ erinnernden Strukturen der insgesamt zehn Songs drohen ständig in sich selbst und damit ins komplette Chaos zu zerfallen, doch meistens kriegen die Blackouts gerade noch die Kurve und sind dem Mörderpunk der BASEBALL FURIES weitaus näher, als den Krachorgien von PUSSY GALORE. Apropos BASEBALL FURIES, deren Jimmy Hollywood zeichnet sich für die Produktion (wenn man davon überhaupt sprechen darf) verantwortlich. Da erscheint einem der Opener „Destroy Hollywood“ doch gleich weniger als Kampfansage an die amerikanische Filmindustrie, sondern vielmehr als Aufforderung an den Produzenten, noch eine Schicht Hall und Feedback auf die ohnehin schon durch den Fleischwolf gedrehten Aufnahmen zu legen. Der Gedanke zumindest liegt nahe. „Nein, es ist tatsächlich unsere Kriegserklärung an die Filmindustrie“, versichert mir Dr. Filth, zuständig für Gitarre und mittlerweile, nach diversen Umbesetzungen, auch für den Gesang. „Der Song ist ein Aufruf zur Zerstörung der Maschinerie, die ausschließlich massiver Manipulation und letztendlich totaler Kontrolle dient.“

Nanu? Halten etwa sozial-kritische Botschaften im Stile eines Jello Biafra Einzug in das Genre Garagepunk? Keine Angst, das selbst-betitelte Album der BLACKOUTS ist zwar in Sachen Sound und Intensität durchaus mit dem DEAD KENNEDYS-Klassiker „Plastic Surgery Desasters“ zu vergleichen, doch anstatt gut durchdachter und klug formulierter Thesen gegen das Establishment prügeln die Mannen um Dr. Filth ihrer Zuhörerschaft irrationale Hasstiraden mit dem Charme und der Durchschlagskraft einer Briefbombe um die Ohren. Bezeichnenderweise findet sich auch ein Song mit dem Titel „Mail bomb“ auf der Platte. Und er macht seinem Namen alle Ehre. Dabei besitzen die meisten Songs durchaus Erkennungswert – allerdings fällt es schwer, von Ohrwürmern im traditionellen Sinne zu sprechen. Vielmehr brennen sich Stücke wie „Little victim“, „Stupid face“ und das perfekt passende GERMS-Cover „Land of treason“ wie Salzsäure tief in die Haut und hinterlassen dicke Narben, die man so schnell nicht mehr loswird. Aber so, wie die Zunge immer wieder ihren Weg zum blutenden Zahnfleisch findet, so lässt man diese Scheibe wieder und wieder auf dem Plattenteller kreisen, bis die Trommelfelle bersten. Selten gab’s in letzter Zeit derart radikalen und kompromisslosen Punkrock zu hören, der trotz aller Schrägheit mächtig abgeht und in den Hintern tritt.

Bleibt die Frage nach den Gesichtern hinter der Maske des Terrors. Wer sind diese Twelve Monkeys, die sich nur im Schutze der Dunkelheit bewegen und in ihren Texten Louis-Ferdinand Céline zitieren? „Wir haben alle normale Jobs“, entgegnet Dr. Filth. Wir, das sind neben dem Doc, der Mitte der 90er zusammen mit Brian McMahon von den ELECTRIC EELS in einer Band mit dem viel sagenden Namen DAS VOLTS spielte, Mac „The Baby Face Killer“ Blackout an der zweiten Gitarre, Ron Cozumel am Schlagzeug und als jüngstes Mitglied Rob Vomitas am Bass. „Ich arbeite in einer Klinik für Schizophrenie, Mac managet einen Buchladen, Rob ist Verkäufer in einem Laden für Schwulenpornos und Ron ist Grundschullehrer. In unserer Freizeit schreiben wir Songs, malen Bilder, spielen Rock’n’Roll und pflegen allgemein asoziales Verhalten: Leben in der Großstadt!“
Womit wir wieder in Chicago angekommen wären. Es brodelt in der „Windy City“, Garagenbands der schrägen Sorte sprießen wie Pilze aus dem Boden. Dank solcher Acts wie den HOT MACHINES, VEE DEE, TYRADES und nicht zuletzt den PONYS, die völlig zu Recht weltweit Lob für ihr erstes Album einheimsen konnten, mausert sich die Stadt so langsam aber sicher zum Mekka der US-amerikanischen Garagepunk-Szene. „Keine Ahnung wieso ... Ich lebe schon mein ganzes Leben hier und für eine lange Zeit gab’s kaum bis gar keine Bands. Dann plötzlich zogen Leute aus der Szene – wie z. B. die BASEBALL FURIES – hierher, gründeten Bands und Fanzines and Labels.“

Als Sammelbecken dient das kleine, aber stetig wachsende Label Criminal IQ Records, das auch die FUNCTIONAL BLACKOUTS unter seine Fittiche nahm. Und was hält die Zukunft für die BLACKOUTS bereit – Brandbomben, Selbstmordattentate oder einfach nur ein gutbürgerlicher Trip über den großen Teich? „Europa wäre großartig. Kann ich eine Staatsbürgerschaft beantragen? Leider ist Mac Hypochonder, was das Touren erheblich erschwert. Aber neue Platten wird es geben. Eine Single wird auf Wrench Records erscheinen, eine weitere auf Goodbye Boozy. Das nächste Album nehmen wir wieder für Criminal IQ auf, wahrscheinlich schon im Mai! Diesmal wird uns Tommy Vulger von den CLONE DEFECTS zur Seite stehen ... Helps to get the big names, baby, grand surplus superstar magnetism money march!“ Was immer du sagst, Doc.
mack ¡

www.criminaliq.com