FUCKING ANGRY

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Inhalte statt Phrasen

Phrasenschweine sind FUCKING ANGRY nie gewesen. Okay, vielleicht auch keine Poeten? Dass sie nach wie vor eine Instanz in Sachen intelligenter Punk und Hardcore sind, davon zeugt sowohl ihr neues Album als auch das wohltuend reflektierte Interview. Ich sprach mit Beckx, Chris, Dominik, Gabo und Daniel darüber, wie es ist, „still fucking angry“ zu sein.

Am 26. April erscheint mit „... Still Fucking Angry“ euer mit Spannung erwartetes neues Album. Was könnt ihr uns vorab verraten?

Daniel: Ich fange mal damit an, wie wir vorgegangen sind. Jeder von uns hatte ein paar Songs vorbereitet und die haben wir hier in meinem Mini-Studio als Vorproduktion eingespielt. Im Anschluss haben wir uns zusammengesetzt, die Songs durchgehört und entschieden, welche wir auf das Album packen wollen. Das ist jetzt auch schon eine ganze Weile her, dass wir das gemacht haben. Das war zu Beginn der Corona-Pandemie.
Gabo: Ja, wir hatten schon 2019 erste Songs, von denen wir gedacht haben, die könnten was werden. Wir haben unsere Ideen also einfach zusammengeschmissen. Das müssen so 25 unausgearbeitete Tracks gewesen sein. Dann haben wir überlegt, welche könnten FUCKING ANGRY-Stücke werden. Man kann jetzt auf dem Album auch hören, dass jeder seine Ideen, seinen Stil mit eingebracht hat.
Daniel: Wir hatten uns schließlich für ein paar Songs entschieden und begannen zu überlegen, wo wir das Album aufnehmen wollen. Ich weiß gar nicht mehr, wie wir auf Michael Czernicki und die Rock Or Die Studios in Düsseldorf gekommen sind. Aber es war schnell klar, dass wir unsere Gitarren wieder in Krefeld bei Klaus Schwerdt im K22 aufnehmen wollten, da ist schon unser erstes Album und die EP entstanden. Bass und Schlagzeug hatten wir zuvor bei Michael eingespielt.
Gabo: Der Klaus dreht halt gerne mal ordentlich Gitarren rein, was vor allem Daniel voll angesprochen hat. Wir hätten natürlich auch alles wieder auf Klick einspielen können, wie beim ersten Mal, aber das wäre den Songs nicht gerecht geworden. Der Sound sollte druckvoller werden und klanglich besser aufeinander abgestimmt sein, weil wir mit mehr Gitarre und, bei „Broken“, auch mal einem Banjo gearbeitet haben. Ich hatte mir über unsere fertigen Demos lange einen Kopf gemacht, wie wir die Ideen am besten umsetzen können, in welchem Studio also. Als Schlagzeuger war ich sehr angetan von dem, was Michael Czernicki bislang produziert hatte. Ich hatte dann Kontakt aufgenommen und Michael unser erstes Album gegeben mit dem Hinweis, dass ich das Gefühl hätte, dass man da soundmäßig bestimmt noch mehr hätte rausholen können. Das sah er auch so. Michael hatte voll Bock, mit uns zu arbeiten.
Dominik: Uns war wichtig, dass wir richtige Gitarren mit richtigen Verstärkern und nicht irgendwelche Simulationen verwenden. Bei Klaus konnten wir ordentlich aufdrehen.
Gabo: Zuletzt haben wir überlegt, wo wir den Gesang aufnehmen wollen. Beckx und ich kannten Tom Kornis, der unter anderem auch der Gitarrist bei PESTPOCKEN ist, der das Chaos AD Studio in Frankfurt betreibt, wo wir beide mal einen HipHop-Track aufgenommen hatten. Weil wir uns dort wohl fühlten, sind wir dort für die Gesangsaufnahmen wieder hin.
Beckx: So ist es. Früher haben wir den Gesang bei Daniel im Heimstudio aufgenommen, wo wir in Ruhe rumprobieren konnten. Für das neue Album wollten wir aber auch den Gesang etwas professioneller haben. Fun Fact: Wegen Corona und weil ich damals noch in Thüringen gewohnt habe, hatten wir den Gesang vor den Aufnahmen nicht zusammen mit den neuen Songs proben können. Ich hatte die Demos bekommen und es dann für mich allein erarbeitet. Die erste gemeinsame Probe hatten wir also im Studio. Bei Daniel haben wir aber doch noch mal ein paar Spuren neu aufgenommen, weil immer noch nicht alles so saß.
Gabo: Bei Instrumenten ist das aber auch anders als beim Gesang. Du kannst acht Stunden am Stück Gitarre zocken, aber du kannst nicht mehrere Stunden am Stück auf demselben Niveau singen. Die Stimme ist irgendwann durch. Wir hatten auch etwas Zeitdruck und haben uns deshalb für eine Post-Produktion bei Daniel entschieden.
Daniel: Viele der Backings haben wir später noch bei mir aufgenommen. Das hat gut geklappt. Ich bin sehr zufrieden.

Und wie läuft das Songwriting bei euch ab?
Dominik: Wir haben drei bis vier Leute in der Band, die die Songs schreiben. Jeder bringt sich mit seinen Ideen ein und wir sehen zu, dass zusammen etwas Gutes rumkommt, egal, wer die ursprüngliche Idee hatte. Manchmal muss man sein Ego auch ein bisschen zurückstellen. Dieses Mal war es so, dass jeder zu Hause etwas aufgenommen hat, mehr oder weniger ausgearbeitete Stücke. Wir haben uns das Material dann zusammen angehört, eine Auswahl getroffen und fertige Songs daraus gemacht. Das Ergebnis muss allen gefallen. Wir hatten bei der Auswahl dieses Mal ein Punkte-System. Jeder durfte sagen, was er gut findet oder scheiße, und Punkte vergeben.
Chris: Beim neuen Album haben wir mehr kollaboriert. Dominik hat zum Beispiel bei zwei Songs die Instrumentals gemacht und ich habe dann einen Text dazu verfasst. Zuvor war es eigentlich immer so, dass einer einen im Prinzip fertigen Song zur Probe mitgebracht hatte und die anderen lediglich ihr Instrument hinzuzufügen hatten.
Daniel: Dieses Mal war für jeden beim Songwriting weniger gemeinsame Arbeit im Proberaum angesagt, dafür mehr Heimarbeit. Wir hatten wegen Corona weniger Möglichkeiten zu proben. Dadurch hatten wir aber auch mehr Kollaborationen, konnten mehr Ideen einarbeiten. Im Endeffekt haben wir die Songs aber schon noch zusammen ausgearbeitet. Im gemeinsamen Prozess sind dann hoffentlich gute Songs entstanden.
Gabo: Ich habe letzte Woche auf meiner Festplatte die allerersten Songideen zum neuen Album gefunden und mal reingehört. Man erkennt noch, wo die jeweiligen neuen Songs herkommen, aber wir haben sie schon stark gemeinsam bearbeitet, auch wenn das eher selten im Proberaum als gesamte Band stattfinden konnte.

Wer von euch hatte die Idee zu den Dub-Elementen bei „Peace x Love“?
Gabo: Ich bin in einem Reggae-Haushalt aufgewachsen. Mein Vater hat mehr als zwanzig Jahre in Reggae-Bands gespielt und war damit in den Neunzigern auch relativ erfolgreich. Ich war oft mit ihm auf Tour und bei uns zu Hause lief auch eigentlich nichts anderes. Ich höre auch heute noch viel Reggae, auch wenn das politisch nicht so geil ist, diese ganze Homophobie. Das ist natürlich schwierig, aber trotzdem wollte ich schon immer mal ein bisschen Reggae bei FUCKING ANGRY einfließen lassen. Der Song ist punkig und dubbig genug, dass sich die Leute, die das gerne hören, angesprochen fühlen könnten. Es sollte durchdacht klingen und nicht einfach so, wie eine Punkband, die eben mal Reggae spielt.
Dominik: Eine geile Idee! Ich war auch sofort dafür, was mit Dub zu machen. Ich habe als Kind vier Jahre auf Jamaika gelebt und habe auch eine Reggae-Vergangenheit.
Daniel: Ich habe früher immer gesagt, dass ich mit der Band niemals so einen Offbeat-Scheiß spielen würde. Ich fand das total grauenvoll. Aber mittlerweile hat mich Gabo überzeugt und inzwischen finde ich Reggae super, unseren Song sowieso.

Die Anregungen für neue Texte findet ihr wahrscheinlich gleich beim Blick aus dem Fenster, oder?
Chris: „... Still Fucking Angry“ ist wohl mein bisher persönlichstes Album. Ich habe mich diese Mal in meinen Songs politisch etwas zurückgehalten und habe eher finstere persönlichere Texte geschrieben. Ich habe über Dinge geschrieben, die zu Ende gehen – das können Beziehungen sein oder das Leben eines guten Freundes.
Dominik: Mich beschäftigt besonders der weltweite Rechtsruck. Ich finde auch die ganzen Kriege erschreckend, überall sind Krisen. Ich bin ja schon etwas älter und dachte bereits in den Achtzigern, dass die Welt bald untergeht, bald kommt der dritte Weltkrieg. Jetzt habe ich Angst, dass wir da schon wieder sehr nah dran sind.
Daniel: In meinen Texten beschäftige ich mich angesichts der ganzen Scheiße, die in der Welt passiert, mit den Zukunftsaussichten für uns und die nachfolgenden Generationen. Es macht mich auch wütend, wenn ich sehe, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken und darüber hinweggesehen wird. Oder wenn ich sehe, wie die Türkei Kurdistan wegbombt, und kein Schwein interessiert es. Es gibt vieles, worüber ich mich aufrege. Daher rührt auch „Zeit für Punk“. Es fühlt sich heute alles wieder so an wie „No Future“ vor vierzig Jahren, obwohl ich damals dafür noch nicht alt genug war, aber so stelle ich mir das vor. Wenn ich an die Zukunft denke, habe ich nicht die positivsten Gedanken. Aber es hilft mir nicht wirklich, wenn ich die ganze Zeit wütend bin. Das ist nicht gut für die Mental Health. Aber wütende Songs wecken ja vielleicht auch noch ein paar andere Menschen auf.
Gabo: Ich finde es total gut, dass das Album persönlicher ist und die Texte nicht so parolenhaft geraten sind. Das hätten wir uns früher nicht getraut, denke ich. Wir waren vielleicht zu sehr in diesem Punk-Schema und dominanten Dagegensein unterwegs. Verkürzte politische Texte, wie sie von vielen Punkbands zuletzt wieder geschrieben werden, erzeugen komische Bilder. In zwei Minuten die Welt zu erklären, das kann nicht funktionieren. Ich bin froh, dass wir nicht in diese Falle getappt sind. Wir haben uns eher gefragt, wie es uns selbst damit geht, dass die Welt so scheiße ist.
Beckx: Der Rechtsruck ist ein wichtiges Thema, ja. Ob die ganzen Anti-AfD-Demos zur Zeit wirklich was ändern können, wird sich erst noch zeigen. Der Rechtsruck ist ja kein neues Phänomen und es ist nicht nur die AfD. Wir warnen seither vor Nazis, aber Demos bringen offenkundig nicht so viel. Es ist okay, dass viele Leute auf die Straßen gehen, aber die Politik ändert sich nicht. Es werden weiterhin alternative Jugendzentren und Orte geschlossen, wo man Antifaschismus quasi lernen kann. Die Faschos haben über Sportclubs und Ähnliches hingegen die Möglichkeit, junge Menschen für sich zu gewinnen. Die wirtschaftliche und soziale Situation frustriert mich außerdem. Das Geld, das du verdienst, reicht kaum zum Leben. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung als Programmiererin bezahlen? Vergiss es! Die Reallöhne sinken, aber keiner spricht darüber.

Wie schätzt ihr die demokratische Mobilisierung der letzten Wochen und Monate ein? Kann die Wanderung nach rechts nachhaltig gestoppt oder sogar rückgängig gemacht werden? Welche Rolle könnte Punk als emanzipatorische Bewegung hierbei spielen?
Beckx: Lass mich an meinen Gedanken von vorhin anknüpfen: Der Widerstand ist jetzt immerhin etwas lauter geworden. Ich denke aber auch, dass die Demos mancherorts als PR-Maßnahme von den anderen Parteien initiiert werden. Ich glaube übrigens, dass ein Verbot der AfD nichts bringen würde. Parteien zu verbieten, ändert ja nichts an der Einstellung der Menschen. Zudem fehlen uns die Räume zur Erprobung gesellschaftlicher Alternativen.
Dominik: Ich finde es einerseits gut, dass die Menschen auf die Straße gehen. Aber ich frage mich, warum erst jetzt? Zudem machen die bürgerlichen Parteien, die auch gerade mobilisieren, aktuell exakt die Asylrechtspolitik, wie sie von der AfD gefordert wird.
Daniel: Wie vor dreißig Jahren besorgen die bürgerlichen Parteien das Geschäft der Rechten. Deshalb werden Großdemos allein auch nichts ändern können. Ob Punk hier aktiv was beitragen kann, weiß ich nicht. Wir bespaßen uns zu oft selbst, denke ich. Hier in Bonn erlebe ich allerdings, dass wieder mehr junge Menschen zu Punk-, Hardcore- und anderen Konzerten gehen. Wir können also ein paar mehr Leute erreichen und politisieren. Es entstehen auch neue selbstverwaltete Orte, zum Beispiel die Alte VHS und ihr Umfeld. Da passiert gerade viel. Diese Entwicklung scheint mir nachhaltiger zu sein als die Demos.
Chris: Ich finde es gut, dass den Rechten öffentlich nicht mehr unwidersprochen Raum gegeben wird, dass wir jetzt laut sind. Vielleicht können dadurch rechte Mitläufer noch umgestimmt werden? Im Übrigen sehe ich das wie die anderen hier kritisch.
Gabo: „Wer gegen Nazis kämpft, darf sich nicht auf den Staat verlassen“, sagte Esther Bejarano mal. Ich hoffe, dass ein paar der Demonstrierenden von heute auch zu dieser Einsicht kommen und sich politisch selbst organisieren. Hier könnte Punk aufklärerisch, gesellschaftsanalytisch und netzwerklich ansetzen, auch über die eigene Szene hinaus. Was bedeutet es zum Beispiel, gegen Deutschland zu sein? Inhalte statt leerer Phrasen, das muss Punk leisten.