Forensik rockt! - Tuberkel hinter Mauern

Prolog:

Die Erinnerung an eine vage Konzertidee flatterte per Brieftaube in den Proberaum, nachdem ich mehr oder weniger fest bei einer Kölner Trachtengruppe eingestiegen war. Wir (dieser Bericht dürfte zugegeben die Einblendung am Bildschirmrand erhalten: parteiisch!) probten zu der Zeit eifrig, lechzten wir doch wie Junkies nach dem Bühnenelixier - die Brieftaube traf unsere Proberei freilich wie der Schlag; sie war auf der Stelle taub! Der Briefeschreiber und sein letzter freier Wunsch eines sternhagelvollen Flaschengeistes aber nutzten die Gunst der Stunde: die Band war nun wieder im Vier-gewinnt!-Modus, so wollte er denn mal höflich anfragen, auch, weil der Trubel um den Herren Büch langsam vorüber war, ob wir denn nicht mal spielen wollten und wann wir es denn einrichten könnten...

Das Konzert sollte stattfinden in der Forensischen Klinik zu Düren, die modernste Forensik in Deutschland, von der eine Infobroschüre (Stand: ´86) weiß, daß sie 41 Millionen Mark Baukosten schwer ist. Vage sinniert ist die Abteilung angeschlossen am Landeskrankenhaus ebd. - liegt aber abseits davon. Die Forensik ist ein besonders gesichertes Terrain für psychisch kranke Rechtsbrecher - wahrlich also eine geschlossene Gesellschaft! Aus deren Mitte heraus unlängst ein flüchtender Büch in der Medienzone zur Berühmtheit avancierte, weil er sich mit List und Gewalt davonstahl, um auf seiner Flucht zu morden, zu quälen und zu vergewaltigen. Was also würde uns erwarten, sollten wir da zum Tanze aufspielen?

Eine sehr unpräzise Antwort gab mir der Veranstalter später: Mindestens er selber sei vor Ort; höchstens um die 150 Patienten. (Lt. Az ist die Klinik im Dezember mit 178 Patienten überbelegt, wovon einer flüchtig ist.) Deren Spektrum reichte von zum Teil wenig, bisweilen aber auch hoch intelligenten und gewitzten Menschen. Es seien zumeist psychisch Kranke, die vielleicht ein wenig unter Downern stehen könnten. Einige wenige seien verhindert, da sie als sehr gefährlich und unberechenbar eingestuft seien und Stubenarrest hätten - zumeist auf einer sogenannten besonders gesicherten Krisenstation. "So viele Rowdys hattet ihr garantiert noch nie als Publikum!" schloß er seine Ausführungen und mahnte uns nebst einigen Begleiterinnen, daß Flirts tabu seien, denn damit könnten viele Patienten nicht umgehen. Das Info erklärt mir später weiterhin: In Düren sind nur psychisch kranke, keine geistig behinderten Straftäter untergebracht.

Möglicherweise wären auch eine begrenzte Anzahl von Außenstehenden zugelassen. Ansonsten gebe es "verschärfte Sicherheitsbedienungen". Also eine Security, die den lieben langen Malochetag nichts anderes tat, als für Ruhe zu sorgen in diesem recht komischen Gewusel aus Menschen, die es nicht vermocht hatten, sich und ihre Ansichten politisch zu legitimieren wie einst Hitler, Stalin, George Busch oder Saddam Hussein.

Je näher bei mir also jener Tag einer (Grenz-)Erfahrung rückte, desto mehr wuchs die Anspannung. In der Nacht zuvor hatte ich drei Alpträume! Potz, und...: Blitz!

Information-Highway:

Nun, da ich mir nie ein richtiges Bild von der Forensischen Abteilung in Düren machen konnte bzw. ein sehr falsches mit mir herumschleppte, will ich es kurz machen und aus dem Infoblatt zitieren:

Bei den Patienten der forensischen Psychiatrie handelt es sich um Personen, die infolge ihrer Krankheit Straftaten begangen haben, weitere begehen könnten und daher sicherungsbedürftig sind. (...) Eine räumliche Trennung der verschiedenen Lebensbereiche entspricht einer Selbstverständlichkeit des außerklinischen Alltags. Für die allgemeine Bevölkerung bringt der Tagesablauf mehrere Ortswechsel mit sich: Von der Wohnung zur Arbeit, zum Einkauf, zur Freizeitstätte. So sollen auch für die Patienten (...) die alltäglichen Aktivitäten auf verschiedene Räume verteilt werden, die von ihrer funktionellen Gliederung her die Außenwelt wiederspiegeln (sic!) - Wohnen, Arbeiten, freie Kommunikation und Interaktion mit z.T. therapeutischer Beteiligung. Die Aufteilung der Bereiche wird durch jeweils verschiedene Bauformen noch betont. Die Wohneinheiten sind kleine Bauten, während die anderen Bereiche in z.T. größeren Baukomplexen zusammengefaßt sind. Von der räumlichen Gestaltung und Anordnung her ähnelt (das) also einem normalen Straßenzug in einer Ansiedlung mit gemischter Bebauung von Wohngebäuden und Gewerbe- bzw. Dienstleistungsbetrieben. (Alles) ist dadurch weniger der Gefahr ausgesetzt, zu einer abgeschlossenen "Welt für sich" zu werden, wie dies bei den traditionellen Anstalten leider häufig der Fall war, sondern bietet als quasi verkleinerter Ausschnitt aus einer gewöhnlichen Umwelt für den Patienten die Möglichkeit, auf allgemein übliche und vertraute Lebensumstände nicht mehr als institutionell notwendig verzichten zu müssen. Um die therapeutischen Vorteile dieser Bauordnung nicht zu beeinträchtigen, muß die Sicherung (...) auf eine Weise geschehen, die im alltäglichen Lebensablauf möglichst wenig spürbar wird und dadurch das Behandlungsmilieu nicht negativ beeinflußt. Unter diesem Gesichtspunkt wurde das Hauptgewicht auf die äußere Sicherheitsanlage gelegt, um so im Inneren mehr Spielraum für Freizügigkeiten zu haben. (...)

Dieser innere Freiraum wird an der Peripherie (...) durch eine Mauer begrenzt, die allerdings gleichzeitig den Blick nach draußen an vielen Stellen freigibt.

Um sich ein Bild zu machen: Diese Forensik in Düren erscheint auf den ersten Blick wie ein Feriendorf mit Bungalows, Geschäftsräumen u.ä., allerdings mit einer Art Stadtmauer drumherum. Anders bei einer Stadtmauer aber soll diese die Außenwelt vor den Patienten der Innenwelt schützen!

Der Tag der Wahrheit:

Nach eingehenden Untersuchung mit Metalldetektoren, Stethoskop und Röntgenbrille (seufz... früher, seufzseufz) sowie der treuhändischen Übergabe unserer Ausweise durften wir dann, nachdem der erste Schub Musiker und Schlepphansels längst die ihnen zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß erledigt hatten, die Forensik betreten. Dort nahmen uns der Veranstalter und einige Helfer, also Patienten, denen man für den Abend eine Aufgabe übertragen hatte (Kasse und Bar machen) sehr freundlich in Empfang. Wir stiegen direkt und völlig überwältigt auf das uns dargebotene Schild der alten Gallier und ließen uns etwas durch die Örtlichkeit tragen! Idefix hüpfte neben uns her und Obelix trug ohne mit der Wimper zu zucken die schweren Gesangsboxen an Ort und Stelle...

Die Räumlichkeit stellte sich als Mehrzweck-/Sporthalle heraus, was etwas von einem Konzert auf einem Schülerfest vermittelte. Diese Erfahrung im stolzen Alter von 30 Lenzen erstmals zu machen, nun ja... Seufz, damals, als wir die Röntgenbrillen gleich im Dutzend beim Brüggemann-Versand bestellten, um endlich die Lehrerin - aber, lassen wir das jetzt...meist trug das Biest eh einen Bleimantel und ich endete bei der Bravo-Aufklärungsseite...

Wegen der anhaltenden Freundlichkeit und Begeisterung der semi- sowie professionellen Helfer wurde aus einer gewissen Nervosität bei mir ganz fix die übliche Aufregung, wie vor den letzten Gigs eben auch. Nun ja, ich pißte mir halt nur dreimal statt dem üblichen einmal in den Knickerbocker. Könnte daran gelegen haben, daß die Halle hell geflutet war. Und "angestellte" Helfer waren sicherlich auch die zutraulichere Variante von psychisch kranken Straftäter. Vielleicht lag es aber auch nur an meiner seit Jahren wachsenden Inkontinenz, wer weiß... zumindest die Hämorrhoiden prolapsten nicht! Auch ´ne Leistung...

Intermezzo:

Jetzt aber mal den Ernst des Lebens beiseite geschoben und eine Anekdote am Rande: Etwa vier Konzerte (o.ä.) werden in der Forensischen Klinik zu Düren jährlich veranstaltet. Als einmal eine Band mit sehr düsteren, schwermütigen Melodien auftrat, und die Stimmung dementsprechend bedrückt blieb, also das Personal mit dem Einsammeln der Schlaftabletten, Stricke und ähnlichem Juxmaterial wahrlich seine liebe Müh hatte, trat nach ein paar Liedern eine Lichtgestalt in die geheiligte Konzerthalle. Sie trug einen silberweißen Skianzug, und der mit Kunstrasen ausgelegte Holzboden der Mehrzweckhalle beflügelte Seine Heiligkeit, ungeachtet der Musikdarbietung, den mitgebrachten Kickerball aus der Tasche zu pulen und eine Partie mit sich selbst zu beginnen. Genau zwischen dem starrenden Publikum und der sich mühenden Band eröffnete der Mann sein Echtmenschkickerspiel. Mit und mit löste sich die Anspannung und sowohl große Teile des Publikums als auch Teile der Band stiegen in die Partie ein. Ein Rosenmontagszug bei einem Depri-Rockkonzert - sensationell! Leider (oder, besser: gut für den Mann) wurde der Kerl zwischenzeitlich entlassen. Zwar hätte ich gerne eine Runde mit gekickt, aber als Drummer ist man ja bekanntlich ganz besonders schwer an sein Instrument gefesselt. Also, Schwamm drüber!

"laut + lustig + schnell" (Flyerankündigung!):

Nachdem wir dann nach einer kleinen Stärkung wieder die Halle betraten, war es schon gut gefüllt. Zirka 50 Patienten der Forensik sowie welche von der Landesklinik mit Freigang waren per Schuhwerk angereist. Dazu etwa 30 Außenstehende, Freunde, Betreuer und Angestellte. Die Patienten waren zumeist jüngerer Schöpfungsgeschichte, die meisten von ihnen eher optisch (!) einem angegrauten Halbstarkenvölkchen oder den Hardrock-Lauschern zuzuordnen. Die Doublebass-Stunden bei Doktor Sean Reinert, Dave Lombardo und Greulix Schrank würden sich sicherlich hier endlich einmal auszahlen...

Einige ältere Patienten, die wohl das erste Punkkonzert überhaupt durchzustehen hatten, waren ebenso auszumachen. Alles in allem blieb es abzuwarten, wie die Publikumsreaktionen ausfallen würden. Auditorium´mäßige Passivität drohte wohl! Die übliche Vorsichtsmaßnahme für solche Fälle, nämlich die ersten fünf Lieder am Stück durchzubollern und sich erst gar nicht von einer möglicherweise ausbleibenden Reaktion verstören zu lassen, machte dann ich wieder einmal zunichte, da ich meine Vorgabe verpennte. Während der Herr Dr. Bäng sodann forschend in meine Richtung blickte, ungehalten mit Coladosen auf mich warf, blieb es mir vorbehalten, mich am Applaus, der jäh aufbrandete, wie an einer Droge zu berauschen, bis auch mein Kleingeld purzelte...

Danach war das Eis wahrlich gebrochen, die blöde Titanic abgesoffen und Miß Kate Winslet ganz ansehnlich in den eiskalten Fluten ersoffen... Wir selbst hatten in der eineinviertel Stunde enormen Spaß mit den Leuten. Ein paarmal gab es sogar zaghafte Ansätze zum Tanzbeinschwingen des Tanzbeinschwingen willens, und zwar unverkrampft, ohne Pogoklischee der Punknormalität. So gaben wir denn auch alle Volkslieder, die ich seit dem Sommer zu beherrschen geübt hatte, zum besten. Wobei es mich immer wieder verwunderte, daß alle naslang Gruppen von zwei oder drei Leute verschwanden, mit einem Gesichtsausdruck, als hätten sie schon die Schnauze voll von uns. Aber nach zwei Liedern hockten sie dann doch wieder im Publikum. Irgendwann dämmerte auch mir, daß Rauchen in der Halle verboten war und sie deshalb vor der Tür qualmten auf Teufel komm´ raus. Ich könnte schwören, die Nebelwand, später auf der Heimfahrt, nun, ihr wißt schon...?

Beim letzten Song, der wegen strengem Alkoholverbot zwar nur marginal zu der gerade beschriebenen Situation passen könnte - es ist unser aktueller Ratgeber gegen Arteriosklerose (Saufen gegen Raucherbein). Nun, bei dieser Weise durfte ich dann erstmals die Erfahrung machen, mit dem ersten Ton eines Liedchens einen Krampf im hinteren Haxen zu bekommen. Sehr passend zum Volkslied, wie ich finde! Irgendwie gelang es mir, den verdammten Song sachgemäß zu Ende zu trommeln, ohne großartig die Arbeit mit dem Pedal zu vernachlässigen. Herr Hoffmann, seineszeichen der Bassmann, durfte sodann meinen Krampf lösen, während das Publikum das Schauspiel durchaus skeptisch musterte: Was sind Musiker doch für Verrückte! Gymnastikübungen bei der Musikdarbietung, tststs... und Ringe im Gesicht... Langsam begannen die Grenzen zu verwischen, wer hier sozusagen kranker sei! Gut so?

Gruppentherapie:

Nach der Beschallungsmaßnahme hatten wir dann mehr Zeit, mit den Patienten der Konversation zu frönen. Viele von ihnen waren freundlich und handzahm, suchten förmlich den Kontakt und Small Talk mit uns, wobei ich nur in seltenen Fällen den Eindruck hatte, daß sie uns für Rockstars hielten. Andere waren zurückhaltend, fast schüchtern, tauten auch erst langsam auf und hatten sichtlich Probleme, mit uns als Musiker oder, schlimmer noch, Zugereiste umzugehen - einem war es denn auch nicht auszureden, mich immer wieder mit Sie anzureden. (Was übrigens von Seiten des Anstaltspersonal prinzipiell aus Distanzgründen so üblich ist, sich nämlich mit dem Patienten zu Siezen, selbst wenn man denselben Brachialkrakeelersound hört.) Wieder andere Patienten wirkten verlassen, ein wenig verstört, distanziert und suchten wohl auch bis auf den Kauf von Souvenirs oder im Rahmen des Marathon nach Autogrammen (4,2 Meter für 4 Unterschriften!) keinerlei Gespräch oder Kontakt mit uns. Ein paar Wenige wollten wohl nur passiv zuhören, applaudierten nur selten oder sahen sich einfach im Publikum um und ignorierten uns ansonsten völlig - als der letzte Ton gespielt war, erhoben sie sich und gingen einfach aus dem Saal, als hätten sie mutterseelenallein im Kino gehockt, der Film war zu Ende und es benötigte keines Kommentars bezüglich dem Ges(ch)ehenen...

Was bleibt? Die meisten Inneren mit sich allein zurück, wegen des Konzertes hatten sie nicht um 19.30 sondern um 19.50 Uhr Umschluß. Und wir nach dem Beladen unseres Trucks durch ein Schneegestöber und eine Nebelwand Richtung Köln, u.a. dem Herren Nikolaus und der Normalität Außen entgegen. Einen Tag später versuchte ich zaghaft, zu reflektieren, was zu reflektieren gehört. Wat mut, dat mut!

Jägerzauntheorie 1:

Mit Argusaugen und Röntgenbrille wurde und wird darauf geachtet, daß keinerlei Fotoaufnahmen aus der Anstalt herauskommen oder veröffentlicht werden, auf denen die Patienten zu erkennen sind. Es gibt einen anstaltsinternen, semiprofessionellen Fotografen und Videofilmer, der mit einigen Patienten zu all solchen Ereignissen ein Fotoalbum zusammenstellt, welches Veranstaltungen dokumentiert. Diese Buch darf nicht nach draußen gelangen und Bildreporter von außen müssen darauf achten, daß sie eben nur Bilder machen oder publizieren, die keinen der Patienten zeigen. Was bei manch einem dem Argument des Täterschutz-vor-Opferschutz Nahrung geben wird, verstehe ich als kurzweiliger Gast anders! Es wirkt nur auf den ersten Blick so, daß der Jägerzaun im Hirn des Kleinbürgers kein neues Futter bekommen soll, damit er aufschreien kann: Ha, so sehen sie aus, die schlimmen Brutalinskis!

Könnte und wollte der Jägerzaunperfektionist sehen und nachdenken, würde er nämlich erkennen müssen, daß das Gros der Insassen ebenso wie das Gros der Bevölkerung ausschaut. Eben völlig normal oder eben völlig durchgeknallt mutiert. (Morgens war ich übrigens noch in Köln-Kalk-Fiction in einem Billigshop Semmeln holen, wo ein eingetragenes Schnäppchenjägervölkchen einzukaufen pflegt. Das näher zu vertiefen überstrapaziert sicher die Vorstellungskraft des Lesers. Aber, Voll Normal, das kapier´ ich nun viel besser...und die Fußbroichs sind noch nicht mal die Spitze des Eisbergs!)

Angesehen davon durften wir uns während der Zeit in der Klinik nur in den uns gestatteten Räumlichkeiten bewegen. Die Privatbereiche der Bewohner blieben für uns passé, weil die Privatsphäre geschützt ist. Wer uns nicht sehen wollte, den durften auch wir nicht sehen. Immerhin leben wir ja in einer Demokratie, und nicht in einer Freakshow, auch wenn der normalbürgerliche Massenkonsum von diverser Plappershows und Quatschbuden weitaus andere Schlüsse zulassen würden!

Inwieweit der Sicherheitsdienst die Privatsphäre respektiert, konnten wir nicht mitbekommen.

Fazit:

Eine Grenzerfahrung, die zumindest für mich schon bald schon keine solche mehr war. Es war für mich eine der beeindruckendsten Aktionen ´98, ein Riesenfun und ein kurzer Kontakt mit freundlichen Menschen, die freilich auch anders können... Wobei alle Ansätze von Normalität natürlich nur darüber hinwegtäuschten, wo und bei wem wir uns da befanden. Gerade die hie und da angebrachten dicken Polsterungen von Geländern, Wänden u.ä., wenn auch in einer Sporthalle sicherlich zum Schutz der Sportler angebracht, erzeugten hie und da für kurze Zeit ein flaues Gefühl in meiner Magengegend. Ebenso, wie wir für einige der Patienten sicherlich Exoten waren, wirkten sie zuweilen auf mich ähnlich, und mehr als einmal hatte ich den Opener von "Wild at Heart" vor Augen - Sailor Ripley, gespielt von Nicolas Cage, macht mal ordentlich Rabatz! Vielleicht sind solche Gedanken paranoide, mag sein, mag sein - aber nach allem, was man so aus Psychiatrie und Forensik über die Medien mitgeteilt bekommt, ist es zumindest nach menschlichem Ermessen verständlich, wenn man hie und da so empfindet. Nicht erst seit diversen ethnischen Konflikten wissen wir alle, wie dünn der Ingewahrsamnahme-Mantel der zivilisierten Welt sein kann und wie leicht es ist, die sterile Oberfläche einer glatten, bürgerlichen Zivilisation anzukratzen. Was auch klarmachen soll, daß es weitaus mehr Patienten für eine Forensische Klinik gibt, als wie die, die in Düren und anderswo einquartiert sind... (Damit will ich nun auch nicht die Behauptung aufstellen, die Straftäter, die hier untergebracht sind, seien zu Unrecht hier! Nein, nein! Auch sei angemerkt, daß ich vor Ort mit den Menschen nicht darüber geredet habe, warum sie hier sind und mir auch diese Frage nicht beim jeweiligen Gesprächspartner per Hinterkopf gestellt habe, denn sonst hätte ein unvorbelasteter Small Talk sicherlich nicht funktioniert, aber ich hatte mir sehr vorgenommen, ihn für diesen einen Nachmittag funktionieren zu lassen!)

Bleibt zu wünschen und zu hoffen, das Gros des Publikums hatte ebenso wie wir massig Spaß. Zumindest die Autogrammjagd, CD- und T-Shirt-Verkäufe sprachen hier Bände, denn das erstaunlichste war für mich immer noch, wie sich Menschen, die wirklich wenig Asche haben (freilich, mag man beschwichtigend einlenken, auch wenig Gelegenheit besitzen, diese auszugeben) uns wahrlich das Material schneller abkaufen wollten, wie wir es signieren konnten. Immer noch mein persönlicher Hit dabei ein ca. 45jähriger Patient, der uns still zusah beim Gig, auf der Zuschauertribüne hockte, bei den Zugaben völlig in sich gekehrt seine Frikadelle knabberte und dann nach den Gig ganz gelassen alle drei CDs und ein T-Shirt kaufte... Welch Wahnsinn!

Ach so, das mit den Autogrammen: Ich bin ja, sowohl als designierter Buchautor als auch eben neuerlich als Muckemacher entschiedener Gegner von Signaturorgien. Das ist nicht und war nie der Sinn von Punk! Nun, wird der kritische Leser sagen, Doublebass spielen am Schlagzeug ist auch nicht der Sinn von Punk! Mag sein, mag sein, lenke ich da ein. (Wie ich auch anmerken will, daß diese subjektiven Eindrücke und Meinungen sowie dieser Artikel hier nur für mich stehen können, und durchaus nicht für den Rest der Band!) Trotzdem werden es Raritäten bleiben, wenn ich etwas unterschreibe. Draußen bin ich gerne bereit, all den Wohlstandsschnöseln zu erklären, warum sie von mir keinen Friedrich Wilhelm bekommen, aber drinnen, drinnen ist es was anderes, und ich betone es eindrücklich: mit Mitleid oder sonstwas negativ belegtem, hat das fei´ gar nüscht zu tun!

Jägerzauntheorie 2:

Ich sprach oben den Herren Büch an. Was all diese Schlagzeilenhuberei, die der Herr freilich sehr intensiv förderte, verschweigt, ist die Schattenseite der Medaille für alle anderen in der Forensik untergebrachten Patienten. Alle Mühen, zum Teil über Jahre hinweg, sich kleine Freiräume zu erarbeiten - Freiräume übrigens, die für uns Äußeren gar nicht als solchen Luxus begriffen werden! - oder selber etwas wie Normalität für sich herauszuschinden, wurden mit dem Ausbruch Büchs von einem zu anderen Moment totale Makulatur. Aus möglicherweise von Seiten der Anstaltsleitung oder dem Innenministerium verständlichen Gründen wurde dem Gesamtkollektiv Bewohner der Forensischen Klinik mit direkter Wirkung jeder auch noch so kleine Freiraum, jede auch noch so kleine (und dem Wort manchmal gar nicht gerecht werdende) Vergünstigung gestrichen. Und ein halbes Jahr später, da verharren die meisten Patienten hier immer noch weit unter dem Niveau von "Normalität", welche vor dem Fall Büch herrschte. Für viele, zumeist psychisch kranke Menschen, brach von heute auf morgen wieder ein ganz kleines Minimum an Heilewelt zusammen, denn das, was man sich zum Teil mühevoll erarbeit hatte, wo man doch auch von seiner Leistung selber überzeugt war, war plötzlich alles für die Katz und verschärfte Bedingungen wieder allgegenwärtig.

Gruß & Dank:

Willi, dem unermüdlichen Veranstalter; Didei, ein etwas mutiertes Aas eines Schlagzeug-Stagehand nebst weitere MuTantenBabies; den Helfern vor Ort sowie Earny, der sich als (un)heimlicher Ox-Leser in der Forensik outete und ´ne nette Liveaufnahme zog!