FORCE ATTACK/IMRE SONNEVEND

Der Macher des Force Attack-Festivals und Dröönland-Boss

Seit Mitte der 90er hat sich das jeden Sommer in der Nähe von Rostock veranstaltete Force Attack-Festival zu einer enorm punkrockigen Alternative zum sonstigen durchkommerzialisierten Festival-Einerlei entwickelt, und parallel ist auch Dröönland Records zu einem Label mit geringem, aber dafür auch überzeugendem Output geworden. Da war es schon längst fällig, mal mit Imre Sonnevend, Boss des einen wie des anderen, ein Interview zu machen. Selbiges per eMail, denn der Mann ist so nett wie er viel reden kann, und ich glaube, drei Stunden Gespräch hätte ich nicht abtippen können ... Los geht’s!

Stell dich doch bitte mal vor: Wer bist, was machst du? Alter, Familie, Hobbies, Beruf, Lieblingsbands, Lieblingsgetränk?


„Nun denn: Mein Name ist Imre Sonnevend, ich bin mittlerweile tatsächlich schon 39 Jahre alt. Kinder, wie die Zeit vergeht, ich fühle mich doch noch gar nicht so alt ... Mein Vater ist Ungar, meine Mutter Deutsche. Ich habe zwei Kinder, beides gut geratene Mädchen, die auch schon neun und fünfzehn Jahre alt sind. Von deren Mutter allerdings lebe ich seit Ende letzten Jahres getrennt. Mein Hobby, die Musik, habe ich mir selber zum Beruf gemacht, nach dem Motto ‚Learning By Doing‘! Eigentlich bin ich studierter Bauingenieur, habe sogar mal kurz nach der Wende ein Jahr als Bauleiter gearbeitet. Zum Glück hatte meine Firma dann zu viele Ingenieure und ich habe die Gelegenheit genutzt, mich auf eigene Faust anders zu orientieren. Die Lieblingsbands wechseln immer mal, zur Zeit höre ich öfter BOXHAMSTERS – die neueren Scheiben übrigens lieber als die alten ... –, RUBBERSLIME, ‚Rock’n’Roll Genossen‘, nicht nur von Berufs wegen, SOCIAL DISTORTION, ‚White Light ...‘, am besten zehnmal hintereinander, aber auch Alternativ-Geschichten wie TREANING, ‚Better Than This‘ – klasse dänische Gitarrenband – oder GUSTAV – österreichischer Minimalpop: ‚Rettet die Wale!‘ –, dann mal wieder ungarischen ‚Speedfolk‘ à la TRANSSYLVANIANS, ‚Igen‘, also am besten immer bunt gemischt, nach Tagesform. Manchmal ist das, was vordergründig nicht als Punk daherkommt, viel punkiger als der herkömmliche Punkrock. Es lohnt sich immer, die Ohren offen zu haben, das Leben ist bunt, nicht grau. Ach ja, Lieblingsgetränk ist immer noch Bier, mal Pils, dann Dunkles, gerne auch Hefeweizen. Hin und wieder auch mal ein, zwei schöne Havanna-Cola, auf Fidel!“

Wie kamst du zum Punk? Und wie war das in der nordostdeutschen Provinz mit Punkrock zu DDR-Zeiten?

„Mit Punk kam ich schon irgendwann Anfang der 80er in Berührung. Es gab da in Rostock eine Punkband namens VIRUS X, bei der Band spielten zwei Freunde von mir, die machten hin und wieder in Garagen Konzerte, um Tapes aufzunehmen. In dem Zusammenhang habe ich auch den Alge von Amöbenklang kennen gelernt, der hat dann diese Tapes unter der Hand verbreitet. Über dem Ganzen lag der Reiz des Verbotenen! In der DDR gab es ja noch nicht so die Schubladen mit Rockern, Hippies, Bluesern, Gruftis, Punks und so – diese Gruppen gab es alle, aber irgendwie verlief die Trennlinie eindeutig zwischen ‚Für den Staat‘ und ‚Gegen den Staat‘, was allerdings etwas anderes war, als für oder gegen den Sozialismus als humanistische Idee. Die Leute konnten schon gut unterscheiden zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Subkulturen waren das Bestreben junger Menschen, sich aus dem grauen Allerlei bewusst abzuheben. Worte hatten größere Bedeutung als heute, Taten sowieso! Mitte bis Ende der Achtziger wuchs die Undergroundszene enorm an, mit Bands wie FIRMA, ICH FUNKTION, FREYGANG, HARD POP, EXPANDER DES FORTSCHRITTS, DIE ANDEREN, SKEPTIKER, FEELING B, HERBST IN PEKING und etlichen anderen. Diese Konzerte vereinten ein enormes Potenzial an Widerspruchsgeist und Revolte. Vieles lief in Berlin ab, da habe ich von 1987 bis 1990 gewohnt und auch studiert, die Wende begann für mich schon 1988 bei Unterstützungsveranstaltungen für eingelochte Ost-Regimekritiker wie Stefan Krawczyk oder Vera Wollenberger: Da kamen jeden Abend 2.000 bis 3.000 Menschen in diverse Berliner Kirchen, es spielten Punkbands oder freie Theatergruppen vor dem Altar, da ging was!“

Wie kam es dazu, dass du dich mit einem Label – oder was alles ist Dröönland? – selbständig gemacht hast?

„Nach meiner kurzen ‚Karriere‘ als Bauingenieur hatte ich ja Zeit, zog in eine ‚Schwarzwohnung‘ und zahlte weder Miete noch Strom oder Gas, die Behörden hatten kurz nach der Wende immer noch keinen Überblick über den Wohnbestand in den Altbauten, es war also noch die Situation wie zu DDR-Zeiten, als es in größeren Städten durchaus üblich war, leer stehende Wohnungen aufzubrechen und selber zu beziehen. Neues Namensschild, ein paar Möbel vom Sperrmüll – fertig! Ohne dieses Wert erhaltende Engagement der Schwarzwohner wären viele dieser Altbauten in sich zusammengefallen, die Miete erübrigte sich nach selbst erhobenen Gesetzen durch eigene Sanierungsarbeiten, denn wer wohnt schon gerne in einem Haus, in dem das Dach undicht ist oder der Wind durch Fenster und Türen pfeift? In dieser Zeit machte das erste selbst verwaltete Café ‚Tante Trude‘ am Doberaner Platz in Rostock auf, Vorläufer des JAZ, des Jugend-Alternativ-Zentrums, sowie der Punkerhäuser am Bagehl. Das war neu und machte Spaß! Im JAZ übernahm ich dann ohne Vorkenntnisse, aber mit viel Idealismus und dem Willen, etwas Gutes zu machen, was man zu DDR-Zeiten so nicht machen konnte, das Booking für die gesamten Kulturangebote. Vom alternativen Kinderfest bis zu amerikanischen Hardcorebands reichte das Programm. Ich besorgte mir Adressen und Kontakte, fuhr sogar mal nach Berlin, um dort in anderen Clubs kistenweise Demotapes durchzuwühlen und anzuhören! 1992 veröffentlichte die bis dahin nur in Rostock bekannte Band DRITTE WAHL ihre erste LP ‚Fasching in Bonn‘ – auf Amöbenklang –, die Record-Release-Party war im JAZ, der Laden war knüppelvoll, Gunnar flog besoffen seinem Bruder Krel ins Schlagzeug, also Riesenparty! Die Band war nach so viel Erfolg der Meinung, nun einen Booker zu brauchen, um nicht auf ewig in Rostock kleben zu bleiben. Es war nahe liegend, mich zu fragen, da ich nun mal gerade da war und was mit Konzerten zu tun hatte ... Gesagt, getan, diesmal Adressen für ’nen Fuffi von Kieselcore Tours aus Rendsburg besorgt: gut angelegtes Geld, muss ich sagen! 1.000 Adressen und Telefonnummern von Punk- und HC-Läden in ganz Deutschland und angrenzenden Staaten. Wir haben echt jeden Scheiß mitgemacht, gegen Spritkohle durch ganz Deutschland, ca. hundert Konzerte im Jahr wurden schnell normal. Über JAZ-Kontakte kam ich dann auch dazu, 1994 und 1995 das Booking für die zwei legendären HäschenCamp-Festivals in Bentwisch bei Rostock zu übernehmen, immerhin hatte ich dort neben DRITTE WAHL schon BUT ALIVE und DIE KASSIERER mit ihren ersten Scheiben, und auch so legendäre Ska-Bands wie MICHELE BARESI, BLECHREIZ oder die BUTLERS spielten dort, dazu noch etliche andere Rockbands. Es zeichnete sich schon ein szeneübergreifendes Spektrum ab. 1996 gab es dann ein Punkfestival auf dem Rockergelände in Purkshof, mit DRITTE WAHL, EMILS, MÜLLSTATION, HEITER BIS WOLKIG, ALJOSCHA & SANTA CLAN, der FEELING B-Nachfolger, MOTHERS PRIDE, UPRISING usw. – eine lustige Mischung, die sich nun schon bundesweit durch gute Werbung rumgesprochen hatte. Im kommenden Jahr plante ich eine bundesweite, achtzehntägige Tour mit vier Bands durch Deutschland, Tschechien, Österreich und die Schweiz. Mit dabei DRITTE WAHL, die FUCKIN FACES, BUMS und SCHEINTOT. Ebenso wollte ich ein Festival mal ‚richtig groß‘ aufziehen. Das war nun hobbymäßig nicht mehr möglich, ich beendete meine sechsjährige Karriere als Arbeitsloser und meldete ein Gewerbe an – da steht tatsächlich Künstleragentur auf dem Schein! Als Namen erdachte ich mir ‚dröönland production‘, weil es so schön dröhnt bei dem, was ich mache: die Musik dröhnt, aber auch das, was so am Abend durch die Birne geht! Das Doppel-Ö sah einfach schööner aus, die doppelte Dröönung!“

Wo liegt „Dröönland“?

„Dröönland ist überall, wo es Träume gibt! Und Freunde! Und Liebe!!! Und Punk. Und Bier ...“

Wie kam es zum ersten „Force Attack“-Festival?

„Das erste Force Attack 1997 war ein echtes Wagnis und im Gegensatz zu heute noch mit mehr Metalbands bestückt, wenn auch den guten! Neben Bands wie THE EXPLOITED, TOXOPLASMA, DIE SKEPTIKER und DRITTE WAHL kamen solche Kapellen wie KREATOR, OOMPF!, SUBWAY TO SALLY und DIE SCHWEISSER! Sogar eine Band wie PYOGENESIS stand dort auf der Bühne und erfreuten die Mädchen mit schönen Poprock-Songs, eine kurze Zeit später verkauften Musiker von denen als LIQUIDO hunderttausende Platten ... Das lag aber nicht an dem Force Attack, ganz sicher! Unvergessen der Auftritt von KREATOR vor der aufgehenden Sonne! Die letzten tausend von ca. 4.000 Besuchern moshten in den Morgen, Punks und Metalfreaks in bester Eintracht! Der Zeitplan war durch technische Pannen und überlange Umbaupausen so was von für’n Arsch, aber das ist Lehrgeld, welches man bezahlt. Dumm wird es erst, wenn nichts draus gelernt wird. Es gab noch nach dem Festival einen fetten Rechtsstreit mit den Platzvermietern des Flugplatzes in Barth wegen überzogener Schadensforderungen sowie mit den SCHWEISSERN wegen angeblich verschwundener Mesa Boogies. Letztendlich habe ich mit Hilfe eines Rechtsanwaltes diese ganze Scheiße ordentlich eingeordet, die konnten alle abtreten.“

Was ist dein Konzept, was soll das Force Attack-Festival von den ganzen anderen unterscheiden?

„Ich möchte ein Festival machen, bei dem ich mich auch selbst als Besucher wohlfühlen würde. Also geile Bands, gute Eintritts- und Bierpreise! Nun gut, für frische Luft und die schönen Ostseestrände kann ich nichts ... Die gute Mischung aus allen Bereichen des Punk macht es: Deutschpunk neben altem englischen oder Amipunk, Ska neben Folkpunk, dazu eine Bierkanne Oi! und Streetpunk. Ich gehe auch meist gezielt auf die Bands zu, die ich haben will, um die gute Qualität des Bandangebotes und deren Vielfalt zu gewährleisten. Es finden sich immer wieder einzelne Personen, die wegen dieser oder jener Band rummeckern, denen empfehle ich dann, in der Zeit ein leckeres Pils trinken zu gehen und ganz entspannt auf die nächsten Bands zu warten, die wiederum zu gefallen wissen. Oft gelobt wird meine Security, die man zum Teil auch ‚an die andere Seite des Tresens‘ stellen kann, oft kommen sie direkt aus der Szene: die sind freundlich, aber auch bestimmt! Es soll ja alles locker ablaufen, aber ohne sie geht es bei solch einer großen Anzahl an Besuchern nicht, manchmal muss man die Leute auch vor sich selber beschützen. Wer von dieser Security noch rausgepickt wird, hat es sich wohl irgendwie auch selbst zuzuschreiben ... Unterschiede zu den ‚großen‘ Festivals gibt es neben der geringen Preise viele: niemals wirst du beim Force Attack ein ‚Pay To Play‘ erleben, d.h. alle Bands, die auftreten, bekommen angemessene Kohle, auch die allerersten im Nachmittagsprogramm! Das Festival ist herzlicher und auch verrückter und durchgeknallter als andere. Es spielen Bands, die nie im Dudelradio gespielt oder in Kommerzblättern oder im MTVIVA-TV gehypet werden und dennoch ihre Fans haben! Es gibt Mitarbeiter, die dreimal besser bezahlte Produktionsjobs in der Zeit sausen lassen, um beim Force Attack mitzumachen, einfach, weil der Spirit stimmt! Es macht Spaß, auch wenn es manchmal anstrengend ist! Ich habe auf Tour auch Punker getroffen, die meinten, dass sie nie zum Force Attack fahren, weil es aufgrund der Größe nicht D.I.Y. sei. Da frage ich mich natürlich, was ich denn das ganze Jahr über mache? Professionelles D.I.Y. eben, mit Herz und Verstand!“

Wie kann es sein, dass so ein „Gesindel“-Festival jedes Jahr wieder stattfinden kann? Sonst lassen die Behörden doch keine Chance aus, so etwas zu sabotieren und zu verhindern?

„Ich bekomme mein Gelände aus privater Hand und nicht von der Gemeinde, das ist schon mal wichtig. Es gibt natürlich im Vorfeld einen Katalog an Vorschriften von den verschiedensten Ämtern. Im Großen und Ganzen lässt sich jede Vorschrift mit der unversehrten Gesundheit und der Sicherheit der Festivalbesucher begründen. Das geht von der Anwesenheit einer professionellen Security und einer Ersten Hilfe und Feuerwehr, den Bauabnahmen der Zelte und Bühnen über das Anlegen von Rettungsgassen bis zu hygienischen Vorschriften, was die Verpflegungsstände angeht. Soweit man diese Vorschriften einhält und einen professionellen Eindruck hinterlässt, hat man auch keine Probleme.“

Wie ist dein Verhältnis zu den Behörden?

„Gut! Mit der Amtsleiterin verstehe ich mich bestens, sie blockt irgendwelche Meckerheinis aus der Umgebung folgendermaßen ab: ‚Ihr meckert, dass hier nichts los ist, wenn mal was los ist, meckert ihr auch!‘. Mit der Spaßtruppe in Grün geht das eigentlich auch, im Zweifelsfall bekommen sie von mir auch mal zu hören, wer ihnen mit seinen Steuern eigentlich den Job bezahlt.“

Wie wichtig ist das Festival für die Region? Sowohl für die Szene, wie die (Gegen-)Kultur wie die Wirtschaft? Ich denke, die eine oder andere Tankstelle und Getränkemarkt machen da ihren Halbjahresumsatz ...

„Das Force Attack ist so eine Art ‚Jahreshaupttreffen‘ der Punkszene Mitteleuropas, wird aber auch von vielfältigen anderen Durstigen und Musikfreunden – und -freundinnen natürlich! – angenommen ... Es hat einen riesigen kommunikativen Aspekt: Viele Menschen lernen einander kennen, die Szene vernetzt sich weiter in vielfältigen Kontakten und im gegenseitigen Austausch. Und für so manchen kleinen Punker, der in seinem Dörfchen allein als Bunter dasteht, wächst die Gewissheit, mit seinem Lebensstil und Aussehen doch nicht so allein auf dieser Welt zu sein. Das Festival ist aber natürlich auch ein echter Wirtschaftsfaktor: Nicht nur, dass die Besucher im Prinzip jedes Mal den Penny – und erst recht den Getränkemarkt sowie sämtliche Imbissbuden in Strandnähe – leer kaufen, sondern viele – Altpunks, hähä ... – suchen sich auch Bungalows oder Pensionen in der Nähe. Nicht zuallerletzt beschäftige ich vorwiegend einheimische Firmen auf dem Gelände, was die gesamte Produktion wie z.B. Zäune, Aggregate, Toiletten, Bühne, Ton und Licht angeht. Auch umliegende Baumärkte machen ihr Geschäft, und ich verkaufe Rostocker Pils und lasse von einem Rostocker Getränkeverleger liefern. Und das von meinen Mitarbeitern durch das Festival verdiente Geld wird ja auch wieder hier ausgegeben, davon profitieren einige Rostocker Clubs und Kneipen enorm ...“

Bei Rostock denkt man auch heute noch sofort an Lichtenhagen und die Nazi-Attacken, ja beim Osten generell – hey, wir sind Wessies! – eher an Nazis überall, statt an Punkrock. Klär uns mal über die Situation auf.

„Na ja, was in Rostock damals 1992 passiert ist, war schlimm! Aber: diese ganze Scheiße in Lichtenhagen war eindeutig von Westnazis ferngesteuert, nicht aber die Gaffer und applaudierenden Menschen, die waren schon von hier, ebenso natürlich auch ein Bodensatz an Rostocker rechtem Abschaum. Durch die Presseberichte wurde erst recht der gesamte Naziscum aus Deutschland nach Rostock gelockt, um ‚befreite Gebiete‘ zu schaffen. Die Polizei war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, die Situation zu kontrollieren! Dabei haben sie uns drei Wochen vorher bei einer Anti-DVU Kundgebung in der Innenstadt noch mit Knüppeln und SEK durch die halbe Stadt gejagt. Die Anzahl an Rechten ist in Rostock auf keinen Fall größer als in anderen deutschen Städten, eher dominiert eine bunte Studentenszene, und bei ‚Bunt statt Braun‘-Demos kommen schnell mal 10.000 Menschen zusammen.“

Wie schafft ihr es, angesichts eines, nun, „problematischen“ Publikums doch die Zügel der Organisation in der Hand zu halten?

„Ich sagte es schon: freundlich, aber bestimmt! Die Besucher wollen zum allergrößten Teil auch keinen Stress haben, sondern feiern. Und sie sehen, dass auch der Parkplatzeinweiser bunte Haare, Piercings und Tattoos hat und sie ernst nimmt, das ist schon mal eine gemeinsame Ebene.“

Glaubst du nach deinen Erlebnissen mit/auf dem Festival noch an die anarchistische Revolution ...?

„Hehe! Von ‚Revolutionen‘ sind wir hier im Osten vorerst geheilt ... Meinst du etwa, beim Force Attack wird nur gesoffen, rumgesudelt und wild durch die Gegend gepogt oder getorkelt?! Und wenn schon, gemeinsame Freude und Erlebnisse verbinden die Menschen. Ich bin der Meinung, dass jeder einzelne seine Revolution bei sich selber anfangen soll. Das heißt seinen Umgang mit anderen Menschen zu überdenken, ebenso zu überlegen, wie viele Zugeständnisse er in seinem ‚kleinen‘ konkreten gesellschaftlichem Umfeld bereit ist zu machen, bzw. wie er sich einbringen oder abgrenzen will. Alles andere ist ja oftmals nur Gerede, um einer gewissen Gruppendynamik zu entsprechen, um beim Plenum dazuzugehören. Soziale Einstellung muss aber meiner Meinung nach mit Individualismus zusammen passen, das ist kein Widerspruch. Vielfalt statt Einfalt ist das Stichwort. Und nur mit vielen kleinen Schritten und einiger Ausdauer werden wir, vielleicht auch nur in unmittelbarer persönlicher Umgebung, etwas verändern können.“

Wie viel schläfst du in den Wochen vorher?

„Ooch, die meisten Nächte recht wenig. Allerdings kann man nachts auch besser arbeiten, ist dann nicht so abgelenkt durch Anrufe und täglichen Kleinkram. Ich ziehe das ganze Pensum aber schon recht routiniert durch, vieles wiederholt sich ja jährlich, ständig denke ich aber auch über Verbesserungen der Abläufe nach. Eine positive Unruhe ist das, ich freue mich jedes Jahr wieder auf diese ‚wilde Wunderwelt‘, laufe auch viel auf dem Gelände herum, rede mit Leuten, treffe Bekannte. Nachts komme ich auch höchstens auf drei bis vier Stunden Schlaf, es lässt mir keine Ruhe, was dann ohne mich so läuft! Obwohl ich in allen Bereichen auch gute Leute am Start habe. Wenn es vorbei ist, ist man erstmal k.o., dann gehen die Abrechnungen los, Rechnungen bezahlen ohne Ende, Platzreinigung ...“

Wer außer dir ist noch wichtig bei „Force Attack“ ?

„Alle meine Mitarbeiter, sie sind letztendlich diejenigen, die das, was ich vorgebe, nicht nur ausführen, sondern mit Leben erfüllen. Für die meisten ist das mehr als ein Job, es gibt einen guten Zusammenhalt in der Crew. Lustig ist es, wenn ich ohne Absprache bei gewissen Club-Konzerten immer wieder verschiedene meiner Mitarbeiter mit Force-Attack-Crew-Shirts antreffe, das zeigt schon einen gewissen Grad an Identifikation, darauf bin ich sehr stolz.“

Was erwartet uns 2005 beim „Force Attack“ ?

„Wie immer die gute Mischung aus verschiedenen Spielarten des Punk. Da stehen Deutschpunkgrößen wie RUBBERSLIME, DRITTE WAHL, DIE MIMMI’S, TOXOPLASMA, NORMAHL, DÖDELHAIE, DIE KAFKAS oder DIE SCHWARZEN SCHAFE neben alten englischen Kultbands wie UK SUBS, VIBRATORS oder PETER AND THE TESTTUBE BABIES. Super Ska-Bands wie THE SLACKERS, Mark Foggo, SKAOS, LOADED, THE SKATOONS oder DISTEMPER machen genau so Dampf wie die skandinavische Fraktion des Punk’n’Roll THE BONES, PEEPSHOWS, PSYCHOPUNCH und THE MOVEMENT. Oi!- und Streetpunker wie TROOPERS, DISTURBANCE, LOS FASTIDIOS oder TOWERBLOCKS treffen auf Folkpunk wie LADY GODIVA, Hardcore wie ANTICOPS oder Psychobilly wie THEE FLANDERS. Das bildet ungemein und ist zudem sehr abwechslungsreich. An drei Abenden treten insgesamt 42 Bands auf zwei großen Bühnen zur Freude der äußerst farbenfrohen Besucher auf. Ansonsten wartet ein gepflegter und gut sortierter Biertresen ab Donnerstagabend und dann nonstop bis Montag früh auf seine gutgelaunten Gäste, mit einem Bierpreis von nur einem Euro je Nulldreier-Becher Frischgezapftem. Wenn das Wetter schön ist, kann man tagsüber in kurzer Zeit an superschöne Ostseestrände fahren und in die Wellen springen.“

Unter welchen Gesichtspunkten buchst du die Bands?

„Nach Qualität, Bekanntheitsgrad, Vielfalt, persönlichem Geschmack, manchmal auch nach persönlichen Kontakten. Viele Bands habe ich schon mal live erlebt, da merkt man schnell, ob eine Musik abgeht oder nicht. Auch verfolge ich durch etliche befreundete Punker oder auch andere Veranstalter, was zur Zeit gut läuft, was die Leute mögen, denn ich kann ja nicht überall sein. Manche Anfragen meinerseits scheitern dann auch mal an überzogenen Gagenforderungen, und nur wegen ein, zwei Bands will ich nicht die Eintrittspreise des Festivals erhöhen, zumal viele Besucher ja wegen dem Spaß und der Party an sich kommen. Bei den meisten Bands ist es aber kein Problem, die freuen sich, solch ein Fest spielen zu können. Bei mir bewerben sich auch jedes Jahr Unmengen an kleineren, höchstens lokal in ihrer Region bekannten Bands. Denen kann ich dann leider auch nicht weiter helfen: Das Force-Attack-Publikum ist über die Jahre verwöhnt worden, für ein kleines Eintrittsgeld vergleichsweise sehr viele bekannte Bands zu sehen zu bekommen. Da diese gesamte Festivalproduktion verdammt teuer ist, wäre es ein zu hohes Risiko, zu viele unbekannte Bands auftreten zu lassen, das ist nun mal leider so.“

Was sind die aktuellen und geplanten Labelaktivitäten? Unter dem
Namen Dröönland veröffentlichst du ja auch Platten.


„Ich habe Anfang April die neue RUBBERSLIME-Scheibe ‚Rock’n’Roll Genossen‘ veröffentlicht, auf CD und auch Vinyl. Als extra Verkaufsanreiz zu einer, wie ich finde, klasse gelungenen Scheibe, die fett rockt und auch ein feines Booklet besitzt, gibt es noch bei der Anfangspressung eine Gratis-DVD von 80 Minuten Länge dazu, das alles zum normalen CD-Preis. Wer da noch Rohlinge brennt, ist ein kleines, beschissenes, asoziales Drecksschwein, welches nichts davon kapiert, welchen Aufwand kleine Label betreiben, um mit Punkrock den Soundtrack eines Lebensgefühls und zu einer Einstellung PUNK zu liefern! Und dieses Lebensgefühl hat in meinen Augen keinesfalls damit zu tun, ständig besoffen vor dem Aldi rum zu liegen, dummes Zeug zu brabbeln und den Menschen auf den Geist zu gehen. Sondern mit bewusster Abgrenzung von den spießbürgerlichen, zum Teil menschenfeindlichen Verhaltensweisen in der Gesellschaft ein kreatives und soziales Potenzial zu entwickeln, welches andere Wege als die herkömmlichen aufzeigen kann. Wer immer nur nehmen will und niemals geben, bekommt im Leben schnell die Rechnung präsentiert. Im Herbst soll es noch eine DVD vom RUBBERSLIME-Auftritt bei der legendären St. Pauli-Celtic Glasgow-Fanparty in Hamburg geben: ein Zeitdokument, wie ich finde, mit drei Kameras gefilmt. Und es kommt auch wieder eine Force-Attack-DVD, die letzte ist richtig gut geworden. Also nicht zu viele Aktivitäten, sondern nur qualitativ wertvolle, denn die CD-Regale sind eh schon überfüllt, wer soll das alles hören? Und ich will mir lieber immer mal wieder Zeit nehmen, in Ruhe am Strand spazieren zu gehen, denn immerhin wohne ich da, wo andere Urlaub machen.“