„Schluss mit dem Quatsch – jetzt wird Geld verdient.“ Dieser Titel eines Bernd Begemann-Songs bringt etwas auf den Punkt, das viele Menschen, die als Jugendliche im Punk sozialisiert wurden, nur zu gut kennen. Irgendwann wird man erwachsen, die Ideale, die man hatte, lassen sich mit dem Lebensentwurf und den Zwangsläufigkeiten nicht mehr vereinen, man steckt seine Energie in einen Nine to five-Job oder etwas ähnlich Bescheuertes. Manch einer hat aber hat das Glück oder die Gabe, die Ideen, die man hatte, auch beruflich weiter zu verfolgen. Ein Beispiel ist Florian Opitz: Anfang der Neunziger Hardcore-Aktivist, heute einer der renommiertesten politischen Dokumentarfilmer Deutschlands. Kennen gelernt habe ich ihn 1995 auf einer gemeinsamen Tour von HAMMERHEAD und EGO TRIP.
Wie ging das los mit Punk und dir?
Zum ersten Mal so richtig in Berührung gekommen bin ich mit Punk in der JuBe in Baden-Baden, einem typischen, aber dann auch wieder gar nicht so typischen kleinstädtischen Jugendzentrum. Dort habe ich mein erstes Hardcore-Konzert gesehen: HUMAN ERROR und CAT O’ NINE TAILS. Bei uns in der Kleinstadt konnte man natürlich keine Punk-Platten kaufen, dafür musste man dann schon in die nächste Großstadt fahren. In meinem Fall war das Karlsruhe. Das war noch richtige Arbeit damals mit 14 oder 15, als kleiner Gymnasiast Punk zu werden. Überhaupt eine Idee davon zu bekommen, was es damit so auf sich hat. Auf dem Weg dahin gab es natürlich auch lauter Irrungen und Wirrungen, ich fand anfangs zum Beispiel auch Psychobilly eine Weile cool, bis ich gemerkt habe, dass so ziemlich alle Psychos in unserer Gegend Nazis waren und mit Glatzen rumhingen. Das passte nicht so recht zum „Gegen Nazis“-Aufnäher auf meiner Jacke. Irgendwann habe ich dann angefangen, ZAP und Trust zu lesen, auf Konzerte in besetzte Häuser und andere Jugendzentren zu fahren und die Mailorderkataloge von X-Mist, Frontline, We Bite etc. durchzuschauen und einen eigenen Geschmack zu entwickeln. Ich wollte dann die Bands, die mich interessieren, in meine Stadt holen und habe selbst mit Freunden Konzerte organisiert und dadurch immer mehr Leute kennen gelernt. So bin ich immer mehr in die Hardcore-Szene der frühen Neunziger, die für einen Kleinstadtkid wie mich unendlich aufregend war, reingerutscht. Mit ein bisschen Eigeninitiative und Do-It-Yourself ist man da auch schnell drin gewesen. Ich hatte dann auch schnell Kontakt zu Konzertveranstaltern in umliegenden Städten wie Offenburg oder Karlsruhe. Wir sind dann, sobald einer den Führerschein und ein Auto hatte, immer im Südwesten rumgefahren, haben uns Konzerte angeschaut. Unvergessen: BORN AGAINST in Karlsruhe, NATION OF ULYSSES in Waiblingen an meinem 18. Geburtstag, NEUROSIS in der Karlsruher Steffi. Parallel dazu habe ich immer weiter selber Konzerte organisiert.
Welche Bands habt ihr damals veranstaltet?
Das erste Konzert überhaupt war mit TINY GIANTS aus Kiel und EGO TRIP, bei denen ich dann später auch eine Zeit lang mitgespielt habe. HAMMERHEAD, ACME, BIKINI KILL, TEAM DRESCH, UNWOUND, ICONOCLAST, MEREL, BOXHAMSTERS, LUZIFERS MOB, GOLGATHA, WOUNDED KNEE, QUEERFISH, RAIN LIKE THE SOUND OF TRAINS, und, und, und. Eine Mischung aus deutschen und internationalen Bands, die wir gut fanden. Das hat den Locals in Baden-Baden nicht immer unbedingt geschmeckt. Die wollten eher so SICK OF IT ALL, BIOHAZARD oder nach New York Hardcore klingende deutsche Bands sehen. Das war in den Jahren 1990 bis ’95. Irgendwann zu dieser Zeit habe ich angefangen, fürs Plot-Fanzine zu schreiben. In der Zeit wurde ich auch von meinen Freunden EGO TRIP gefragt, ob ich bei denen nicht Bass spielen wollte, weil Thorsten da ausgestiegen ist. Ich konnte zu der Zeit gar nicht Bass spielen – und die Band würde sagen, dass ich es bis heute nicht kann –, aber Ma und Otto von EGO TRIP haben gesagt: „Scheißegal, das bringen wir dir in ein paar Tagen bei.“ Und das haben sie dann auch gemacht. Zumindest so weit, dass ich sie zwei Wochen auf Tour begleiten konnte – auch wenn sie heute immer behaupten, sie hätten meinen Verstärker immer leiser gestellt. Ich war dann mehr für die Show zuständig ... Aber das war das Geile damals. So etwas war möglich. Punkrock eben. Die beiden Touren, die ich mit EGO TRIP gespielt habe, waren ein unvergessenes Erlebnis, für das ich den Jungs ewig dankbar sein werde.
Ein Label hast du damals auch gemacht.
So 1993 ging das mit Spring Records los, das ich mit Chris Bruder aus Offenburg zusammen gestartet habe. Unsere erste 7“ war eine GOLGATHA-Single. Es folgten in losen Abständen Veröffentlichungen von ZORN, LUZIFERS MOB, den unvergesslichen ZELOT, von RAIN LIKE THE SOUND OF TRAINS aus Washington DC aus dem Dischord-Umfeld und zuletzt eine LP von THE SORTS, ebenfalls aus DC. Ich finde es aus heutiger Sicht ziemlich erstaunlich, dass wir damals vollkommen ohne Werbung, nur durch Mundpropaganda teilweise 3.000 Exemplare von den Platten verkauft haben. Aber die Zeiten damals waren so. Die Hardcore-Szene oder eigentlich die verschiedenen Subszenen waren eine unheimlich pulsierende Angelegenheit damals. D.I.Y. war für uns alle enorm wichtig. Irgendwie hatte man den Eindruck, dass jeder irgendwas gemacht hat, ein Fanzine, ein Label, eine Band, Konzerte. Oder eben alles zusammen. Das war eine Zeit lang unser Leben. Ich glaube, ich habe danach wohl nie wieder so für etwas gebrannt.
Und wie ging es dann weiter?
Das Label lief so nebenher und ich habe irgendwann angefangen zu studieren, bin nach Heidelberg und anschließend nach Köln gezogen. Mitte, Ende der Neunziger ist mir der Sound dann irgendwie zu langweilig geworden. Und irgendwann fingen die Dinge an, sich zu sehr zu wiederholen, es wurde vieles vorhersehbar und hat sich langsam abgenutzt. Wie viele andere zu dieser Zeit, wollte ich aber weiter neue, aufregende Musik kennen lernen und habe mich dann auch mehr für andere Sounds interessiert. Viele sind ja damals auf Techno oder andere elektronische Musik umgeschwenkt und haben da wieder eine sehr vitale Szene mitgeprägt. Mich hat eher dieses Post-Rock-Zeug aus Chicago interessiert, also TORTOISE und so was, oder auch HipHop und Jazz. Ich wollte auch mit dem Label neue Sachen entdecken und habe gemerkt, dass wir mit den letzten Platten, die wir gemacht haben, irgendwie zwischen den Stühlen saßen. Die Leute wollten von uns noch mehr Hardcore-Sachen wie GOLGATHA haben, oder Emo-Zeug, mich hat aber eher andere Musik interessiert. Aber da hatte ich nicht die richtigen Kontakte. Das wäre dann auch eher professionelles Musikbusiness gewesen. Alles davor hatte sich immer spontan aus meinen Kontakten in der Hardcore-Szene ergeben. Spring in einem neuen Umfeld zu etablieren, das hätte ich irgendwie mit der Brechstange erzwingen müssen. Und das hat für mich dann keinen Sinn mehr gemacht. Aber ich bin nie wieder in eine Szene so eingetaucht wie in die Hardcore-Szene. Man kann schon sagen, dass mich diese Jahre bis heute wesentlich geprägt haben, auch wegen des politischen Anspruchs, der damit verbunden war.
Es gibt ja auch Leute aus dieser Generation, die das dann professionell gemacht haben. Nicht unbedingt als großes Business, aber so, dass man so etwas einfach für wichtiger hält als ein Studium oder eine „richtige“ Ausbildung. War das für dich auch eine Option?
Das war schon eine Option. Lange sogar. Selbstbestimmt ein Label betreiben, am besten in einem selbst besetzten Haus und dazu noch T-Shirts drucken und einen Verlag gründen. Aber die Begeisterung für die spezielle Musik, die damals viele Bands gemacht haben, für die doch sehr ähnlichen Auftritte ließ nach. Mich hat nach Neuem gedürstet. Es war zum Beispiel eine totale Offenbarung, als ich in Karlsruhe zum ersten Mal TORTOISE gesehen habe Die haben einen so ganz leisen Sound gespielt, aber mit unheimlicher Kraft. Oder eben auch ROCKET FROM THE CRYPT. Ich hatte in der Zeit einfach ein Verlangen nach neuen Sounds. Der „alte Sound“ hatte sich für mich abgenutzt.
Aber das sprach doch nicht dagegen, mit dem Label weiterzumachen.
Ich konnte mich aber nie wieder so auf eine Szene einlassen. Es ist einfach immer noch das prägende Ding für mich, obwohl ich heute natürlich nicht ständig alte Hardcore-Platten höre. Es war jedoch für meine Entwicklung extrem wichtig. Das hört sich jetzt vielleicht total konservativ an, aber die Werte, die ich von damals mitgenommen habe, vertrete ich bis heute voll: D.I.Y., ein selbstbestimmtes unabhängiges Leben führen, das mit einem gewissen politischen Anspruch verbunden ist. Dinge, die damals scheiße waren, immer noch scheiße zu finden, nicht seine Seele verkaufen, wie auch immer du das nennen willst. Daran glaube ich immer noch, und ich versuche mich vielleicht auf eine anders übersetzte Weise daran zu halten. Irgendwann habe ich mir vielleicht gedacht, dass ich das auf einem anderen Weg besser umsetzen kann als mit Musik. Für mich war Hardcore nicht nur Musik, es war immer auch etwas anderes. Vielleicht war mir das „Andere“ dann auch irgendwann wichtiger, als die Musik. Das „Andere“ trage ich immer noch in mir und die Musik nur noch mittelbar.
Du machst heute Dokumentarfilme. Was sind das für Filme?
Ich mache in erster Linie politische Dokumentarfilme. Ich habe in Köln Geschichte studiert und dann in den ersten Jahren Filme gemacht, die sich in unterschiedlicher Weise mit Verbrechen während der Nazizeit befasst haben. Irgendwann war ich beim WDR der Mann für die „harten“ Nazithemen. Aber dann hatte ich darauf auch nicht mehr so viel Lust und habe mich anderen politischen Themen zugewandt. Ich habe zum Beispiel Beiträge für „Monitor“ gemacht und mit dem Aufkommen der globalisierungskritischen Bewegung, als deren Teil ich mich auch fühlte, war diese Thema in meinen Filmen. Das alles hat mich jetzt sehr viel mehr interessiert. Und tut es bis heute. Ich habe natürlich immer weiter verfolgt, was in der Musik passiert, aber mich immer mehr dem Politischen zugewendet.
Das ist schon eine Kontinuität zu erkennen, das sind ja alles Themen, die auch schon im Punk der Neunziger vorgekommen sind.
Das meine ich auch. Es ist ganz oft so, wenn ich Leute von früher treffe, dass man sieht, wie sich für viele von uns das eine aus dem anderen ergeben hat, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Aber die Zeit damals ist prägend gewesen. Für mich war es dann auch logischer, diese Filme zu machen, als mich im Musikbusiness umzutun. Da muss man ja auch bestimmte Mechanismen und Moden mitmachen, um den Laden am Laufen zu halten. Da hatte ich keinen Bock drauf. Dabei wollte ich als Schüler nie Filmemacher werden, ich wollte mal Meeresbiologie studieren. Es hat sich vieles aber einfach so ergeben, aber ich habe dabei immer versucht – auch wenn dieser konservative Begriff „Werte“ vielleicht nicht 100% passt –, die alten Ideen, die mir wichtig waren nicht über Bord zu werfen.
Wie wirkt sich das heute aus?
Im letzten Jahr bekam ich zum Beispiel ein extrem hochdotiertes und für mich völlig überraschendes Angebot von Google, vier kurze Dokumentarfilme für die zu machen. Google, der Weltkonzern, dem selbst die konservative FAZ eine faschistoides Weltmacht- und Weltkontrollstreben zuschreibt, fragt mich, einen linken politischen Filmemacher, ob ich verdeckte Propaganda für sie machen würde. Sie wollten sich einfach mit ihrer Kohle eine gewisse Art von Credibility kaufen. Und es war sehr, sehr viel Geld, das die mir geboten haben. Ich hätte davon sicher zwei Jahre mit meiner Familie um die Welt reisen können. Ich habe ein paar Tage darüber nachgedacht, auch wegen der Verantwortung meiner Familie gegenüber. Die von Google beauftragte Agentur hat das extrem charmant gemacht und mir viel Honig ums Maul geschmiert. Und beinahe hätte ich auch meine Unschuld verloren. Und ausgerechnet in dieser Zeit kamen mir dann wieder diese ganzen Diskussionen aus der Hardcore-Zeit in den Sinn: Wie wir den ganzen Bands, die zu Majorlabels gegangen sind, über die wir uns damals so aufgeregt haben, „Sellout!“ hinterhergeschrien haben. Damals war ich natürlich nie in der Situation, dass ich so ein Angebot bekommen hätte – aber jetzt eben schon. Ich bin letztlich aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es einfach total asozial wäre, für Google zu arbeiten. Was die von mir wollten, wäre ja so ein „Whitewashing“ gewesen: Dass sie einen politischen Dokumentarfilmer anheuern können, dass er dafür wirbt, was Google doch tolle Produkte macht für tolle Leute. Ich habe abgesagt, und das nicht zuletzt motiviert durch die Überzeugungen, die ich aus der Hardcore-Zeit habe, aus dem politischen Verständnis, dass man sich auf solche Konzerne nicht einlässt. Es scheint ja in den letzten Jahren normal geworden zu sein, für alle möglichen Schweinefirmen Filme zu machen, oder unter dem Banner von irgendwelchen Schweinefirmen irgendetwas zu machen.
In deiner Hardcore-Zeit als Jugendlicher musstest du natürlich wenige Kompromisse eingehen. Heute bist du Familienvater und arbeitest für Fernsehsender.
Ich versuche, so wenige Kompromisse einzugehen, wie möglich. Aber manchmal muss ich natürlich doch welche machen. Ich habe das Glück gehabt, dass ich bisher nur Filme gemacht habe, deren Themen mich wirklich interessiert haben und bei denen ich auch das sagen konnte, was ich wollte. Im Fernsehen ist es ja so, dass man gewissen Formatvorgaben gehorchen muss. Das kann man ab und zu mal etwas aushebeln. Aber wenn du Fernsehen machst, dann ist die Kreativität etwas eingeschränkt, weil du die Zeit und das Geld nicht hast, etwa eine Musik komponieren zu lassen zum Beispiel. Bei einem Kinofilm ist das total anders, so eine Produktion geht über Jahre und jeder Frame ist geplant, ohne Kompromisse. Also muss ich zwar gewisse Kompromisse machen, aber bis jetzt war alles in einem Rahmen, den ich vertreten kann.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #120 Juni/Juli 2015 und Headbert