„Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, schrieb Friedrich Nietzsche in der „Götzen-Dämmerung“ 1889. Bei Nietzsche war es die Liebe zu Richard Wagner, bei Tom Haller, einem bekennenden DESCENDENTS-Fan, ist es vermutlich Punk – und Flight 13. Der auf Vinyl spezialisierte Freiburger Plattenladen, der Mailorderversand und die assoziierten Labels Flight 13 und Ritchie Records werden in diesem Jahr dreißig. Tom ist seit langem eine feste Institution und wichtiger Protagonist in Sachen Vinylkultur. 1988 veröffentlichte er in Eigenregie das Debüt seiner nicht unbekannten Crossover- und Thrash-Metal-Formation SCARECROW – das war der Startschuss.
1988 hatte er nicht nur Stapel von Platten seiner eigenen Bands SCARECROW und LAIKA zu Hause, sondern einige Bands mehr. So entstanden, um Übersicht zu schaffen, die ersten Bestell-Listen, was letztlich die Geburtsstunde von Flight 13 war, das zunächst Weed Productions hieß. Die Idee ist also im Zuge der DIY-Kultur dieser Zeit entstanden. Flight 13 Records und das Sub-Label Ritchie Records, das seinen Betrieb nach etwa siebzig Veröffentlichungen vor einiger Zeit eingestellt hat, veröffentlichte zunächst Lokalgrößen, wie etwa FLEISCHLEGO, im Laufe der Zeit kamen dazu Alben von LOMBEGO SURFERS, OIRO, AERONAUTEN, DIE GOLDENEN ZITRONEN, BAR, BOXHAMSTERS oder HIGLEY, das Soloprojekt von Bill Stevenson von den DESCENDENTS. Mittlerweile steht die Katalognummer von Flight 13 Records bei 149, wenn auch nicht alle Nummern vergeben wurden. Ein weiteres Sub-Label, Rookie Records, wurde von dem langjährigen Mitarbeiter und Musiker (unter anderem WALTER ELF) Jürgen Schattner geführt, der sich vor zwölf Jahren Jahren selbstständig machte und das Label mit dazugehörender Promo-Firma mittlerweile von Hamburg aus lenkt – die Freundschaft ist geblieben und so arbeiten Rookie und Flight 13 auch heute noch eng zusammen.
Zunächst war das erste richtige Ladengeschäft ab 1995 stilgemäß in einem Hinterhof im Kellergeschoss im Freiburger Stadtteil Herdern/Zähringen untergebracht, nachdem es zuvor unter anderem im Schlafzimmer von Thomas Haller und später in der Ecke eines Tonstudios in Emmendingen untergekommen war. Seit 2007 residiert Fight 13 im Stadtteil Stühlinger und über die Jahre hinweg wurde das Vinylprogramm kontinuierlich ausgebaut. Die CD wurde eher zur Randerscheinung. Flight 13 führt unter anderem Punk, Hardcore, Sixties, Garage, Electro, Post Punk, Ska, Post-Rock, Indie, Metal, Ambient, HipHop und durch den Bestellservice im Grunde genommen alles jenseits konventioneller Hörgewohnheiten. Darüber hinaus gibt es ein umfangreiches Angebot an Secondhand-Vinyl und Art-Shirts von Künstlern, mit denen eine Zusammenarbeit besteht, wie etwa Anne Grön, Eric Drooker (der auch Cover für die Punkband ... BUT ALIVE gestaltete) oder Stefan Claudius. Der Flight 13-Katalog – mit einer Auflage von ca. 10.000 Stück und stets profunden und vor allem selbstgeschriebenen Besprechungen der neuesten Veröffentlichungen – erscheint vierteljährlich, der Newsletter wird wöchentlich per Mail an ca. 7.000 Kunden verschickt. Etwa 10.000 Platten stehen in den Regalen im Laden, weitere 20.000 gibt es per Mailorder.
Das Ladengeschäft ist – in Analogie zum Genreroman „High Fidelity“ von Nick Hornby – zugleich eine Kultureinrichtung, wo mitunter Bands auftreten, zuletzt beispielsweise BAR, und ein Biotop für Vinylfans jedweder Provenienz, auch wenn das Kerngeschäft der Versandhandel ist. Das Umsatzverhältnis von Mailorder zum Ladengeschäft liegt bei etwa 80% zu 20%. Eine zentrale Erkenntnis aus „High Fidelity“ ist, dass ein ordentlicher Plattenladen nach kaltem Rauch und Plastikschutzhüllen riecht, eng und schmuddelig ist („Nur Phil Collins-Fans kaufen in aufgeräumten Läden.“). Exakt das ist nicht das, was man im Flight 13 vorfindet: Der Laden ist sehr geräumig, weitestgehend geruchsneutral und lichtdurchflutet und bietet Raum zum exzessiven Expertenaustausch, aber auch eine Sitzecke für die desinteressierte Begleitung, der es bizarr erscheinen mag, dass man stundenlang im Laden verweilen kann, oder in den Worten von Paul McCartney: „Nichts ist glamouröser als ein Plattenladen.“
Erst im Februar 2018 hat mit dem Mr Dead & Mrs Free am Berliner Nollendorfplatz ein legendärer Plattenladen geschlossen, den es seit 1983 gab. Es bleibt also zu hoffen, dass das Flight 13 noch einmal dreißig Jahre durchhält. Und da sich mit Danny Neumann und Tobi Höhn die sympathischsten Vinyl-Dealer zwischen Neapel und Reykjavik hinter der Ladentheke befinden, galt es zum Jubiläum auch mal ihre musikalischen Vorlieben herauszufinden (siehe Kasten), denn beide verstehen sich weniger als Prediger oder Lehrbeauftragte des eigenen Geschmacks, sondern mehr als Mentor und lenkende Berater.
Tom, was bedeutet für dich Vinyl ganz persönlich und wie hat sich dein Verhältnis dazu in den letzten Jahren verändert, auch vor dem Hintergrund des aktuellen Megatrends?
Ich bin mit Vinyl groß geworden und habe immer schon Vinyl gehört und gekauft. Das war früher lange nicht so leicht wie heute, weil die regionalen Plattenläden nur eine Handvoll Punk-Scheiben hatten. Wenn was Neues reinkam, haben wir das quasi immer gekauft, außer es war der letzte Schrott. Wenn ich heute in unserem Laden stehe und auf über zehn Meter Punk-, Hardcore- und Emo-Platten gucke, dann kann ich das kaum glauben. Früher habe ich viele LPs auf Tape gezogen, weil das für unterwegs einfach praktisch war – Maxell XLII rules – laufen auch heute noch! Natürlich kamen später auch CDs dazu, aber im Verhältnis eher wenig, die meisten bin ich auch schon wieder los. Mein Verhältnis zu Vinyl hat sich insofern verändert, dass ich vom reinen Fan zum Dealer wurde, das heißt ich hatte beziehungsweise habe immer mehr Arbeit und immer weniger Zeit Musik zu hören. Wenn ich mir früher zwanzig LPs im Monat gekauft habe, sind es heute vielleicht ein bis zwei. Lieben tue ich Vinyl immer noch, und zu Hause habe ich natürlich einen Plattenspieler. Alles andere wäre für mich undenkbar. Was wir bei Flight 13 machen, machen wir seit nun mehr dreißig Jahren, Vinyl war für uns immer da und wird es hoffentlich auch bleiben. Vinyl als Trend ist für uns als Händler eher uncool, unter anderem wegen der damit verbundenen Preiserhöhungen.
Wie bewertest du Amazon und inwieweit hat der Vertriebsgigant negative Auswirkungen auf Flight 13? Mittlerweile haben ja auch Drogerieketten respektable Vinylabteilungen.
Die Kunden müssen selbst entscheiden, wo sie ihr Vinyl kaufen. Ich war immer ein Freund vom Fachhandel. Außerdem wird der Vinyl-Hype bald abflauen und die Flächen in den Märkten dann zurückgebaut werden, weil die Erträge nicht mehr stimmen. Wir haben viele Stammkunden, die unsere Arbeit zu schätzen wissen und dies mit ihrer Treue belohnen. Wir sind ein Musik-Dealer und werden das auch immer sein!
Hat sich die Kundschaft im Flight 13 in den letzten Jahren wahrnehmbar verändert?
Nein, nicht wirklich. Viele unsere Kunden werden mit uns älter, was ein schönes Gefühl ist, weil sich unser Geschmack auch verändert und sich dies in unserem Programm widerspiegelt. Natürlich kommen auch junge nach, was gut ist.
Ich war im April im holländischen Utrecht auf der weltweit größten Plattenbörse und musste feststellen, dass in einigen Bereichen Vinyl eine geradezu groteske Preisentwicklung erfahren hat. Wie siehst du das, gerade wenn man sich auch vor Augen führt, dass einige Sammler Vinyl fast als Kapitalanlage entdecken und sich meiner Meinung nach von der Musik entfremden und der Enthusiasmus mit Blick auf einen späteren Wiederverkaufswert rein monetär ist?
Ganz ehrlich, ich kann damit wenig anfangen, und wie vorhin schon erwähnt, sind Preissteigerungen eben auch eine Folge des Vinyl-Hypes. Für mich geht es um die Musik und die damit verbundenen Inhalte. Ich rede hier von Kultur, vielleicht von einer Lebenseinstellung, die nicht selten auch politisch geprägt ist. Ich kann eine Sammelleidenschaft prima nachvollziehen, aber Vinyl als Kapitalanlage widerspricht irgendwie meiner DIY-Kultur.
2016 sind in Deutschland die Vinylumsätze um ca. 40% gestiegen, 2017 dann nur noch moderat um 5%. Liegt das an Engpässen bei den Presswerken – das angeblich größte Presswerk der Welt bei Prag produziert im Dreischichtbetrieb täglich circa 65.000 Stück Vinyl – oder ist es eine Abkühlung des Hypes? Wie ist deine Einschätzung?
Du nennst ja schon Zahlen, die darauf hindeuten, wo die Entwicklung hingeht, nämlich zu einer Normalisierung des Marktes und Abschwächung des Hypes. Ein wirtschaftlich betrachtet völlig normales Phänomen.
Mit Flight 13 Duplication habt ihr auch eine eigene Herstellungsfirma für Vinyl und CDs. Was hat es genau damit auf sich?
Ähnlich wie bei Rookie-Jürgen hat sich mein Freund Björn Bieber während seiner Arbeit bei uns selbstständig gemacht und die Duplication gegründet. Anfangs noch in Freiburg, später aus Platzgründen in Karlsruhe. Björn kann quasi alles, was mit Tonträgern zu tun hat, herstellen oder herstellen lassen. Kleinere Auflagen macht er in seinem Presswerk Badische Schallplatten Manufaktur selbst. Finanziell arbeiten wir jedoch unabhängig und teilen quasi nur den Namen.
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