Die 1977 in Los Angeles gegründeten THE FLESH EATERS gehören mit ihrem „Roots rock voodoo blues“ inzwischen leider zur Gattung in Vergessenheit geratener Bands, auch wenn sie definitiv eine der wichtigen Impulsgeber der damaligen LA-Punk-Szene waren. Bereits auf dem Debüt „No Questions Asked“ von 1980 gaben sich zahlreiche Szene-Größen die Klinke in die Hand, wie John Doe und D.J. Bonebrake von X, oder Joe Nanini und Stan Ridgway von WALL OF VOODOO. Alleiniger Kopf der bis heute sporadisch auftretenden THE FLESH EATERS blieb aber immer Chris D., Punk-Poet, Lehrer, Schauspieler, Regisseur („I Pass For Human“), Yakuza-Film-Kenner und als Produzent an Platten wie „Fire Of Love“ von THE GUN CLUB beteiligt. Wir beleuchteten mit Chris Desjardins einige Stationen seiner bisherigen Karriere.
Chris, die korrekte Aussprache deines Namens Desjardins dürfte viele Leute vor Probleme stellen. Hast du dich Chris D. genannt, weil Menschen in der Regel deinen Namen falsch aussprechen?
Das ist der Hauptgrund dafür, ja. 1977 habe ich für etwa sechs Monate Englisch an einer Privatschule unterrichtet und keines des Kinder konnte meinen Namen aussprechen. Also sagte ich ihnen, dass sie mich Mr. D. nennen sollten. Das war etwa zu der Zeit, als ich angefangen habe, Musik zu machen, und da dachte ich, dass Chris D. auch ein guter Künstlername wäre.
Bist du in einer an Musik interessierten Familie aufgewachsen? Wart ihr wohlhabend?
Ich würde sagen, wir gehörten der mittleren Mittelschicht an. Mein Vater war Professor, ein Wissenschaftler. Es gab viele Bücher bei uns zu Hause. Ich nehme an, dass wir sicher eine belesene Familie waren. Meine Mutter war so etwas wie eine frustrierte Künstlerin. Sie hätte Kunst gemacht, wäre sie Single geblieben. Mein Vater war Phytopathologe, was bedeutet, dass er Viren und Erkrankungen bei Nutzpflanzen untersucht.
Inwiefern hatten sie Einfluss auf deine künstlerische Entwicklung?
Nicht in Bezug auf Wissenschaft oder Kunst. Meine Mutter hat sich nicht mehr künstlerisch betätigt, als wir Kinder da waren. Nein, die Art und Weise, wie meine Eltern mich beeinflusst haben, war durch ihre strenge religiöse Erziehung. Wir waren katholisch. Ich war Messdiener und all so was.
Man kann den Einfluss religiöser Kunst auf jeden Fall in den Konzertplakaten deiner Bands erkennen, aber wie hat es sich das darüber hinaus noch ausgewirkt?
Vor allem war alles Sexuelle stark mit Schuldgefühlen verbunden, wie noch ein paar andere Dinge, die sich angeblich für einen guten Christen nicht gehörten. Es war beispielsweise gelegentlich sehr schwierig, die Filme im Kino zu sehen, die ich gerne sehen wollte. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mir nicht die „Matt Helm“-Filme wie „Leise flüstern die Pistolen“ mit Dean Martin erlaubte, weil sie fand, er sei zu promiskuitiv, um ein Vorbild zu sein, mit seinem vermeintlich lockeren Umgang mit Alkohol. Und weil er Frauen zu Objekten degradierte. Dem muss ich aus heutiger Sicht zustimmen, obwohl ich Dean Martin liebe. Es war eben dieses repressive Gefühl. Comics waren zwar irgendwie verpönt, aber im Grunde erlaubt. In manchen Dingen waren meine Eltern dann wieder ziemlich gelassen. Sobald ich meinen Führerschein hatte, durfte ich alleine fahren und an den Wochenenden ausgehen – solange ich zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder zu Hause war. Es war nicht extrem streng, aber streng genug, dass es einen Einfluss hatte. Besonders das Kino war immer ein Streitpunkt, bis ich 15 oder 16 war. Ich ging auf eine katholische Schule für Jungs, und der Englischlehrer, ein Priester, war sehr liberal und erzählte meiner Mutter, dass ich reif genug sei, mir auch nicht jugendfreie Filme anzusehen. Ganz alleine, wenn ich denn reinkam, natürlich. Du musst bedenken, dass einige Mainstreamfilme wie „Rosemary’s Baby“ nicht jugendfrei waren und Streifen wie „Easy Rider“ einen Grenzfall darstellten.
Hat sich deine Leidenschaft für gewalthaltiges und geschmacklich grenzwertiges Kino also schon in jungen Jahren entwickelt? Erinnerst du dich an Filme, die du gesehen hast und die dir regelrecht die Augen geöffnet haben, die dich richtig begeistert haben?
Den wahrscheinlich größten Einflüsse hatten die Filme des britischen Hammer Filmstudios, die ich entdeckte, als ich noch in der Highschool war. Ich erinnere mich daran, dass ich mir ein tolles Double-Feature von „Blut für Dracula“ und „Nächte des Grauens“ angeschaut habe. Es handelte sich dabei in gewisser Weise um Exploitation-Filme der hochwertigeren Art. Ich wollte immer jeden Hammer-Film sehen, der rauskam, sobald ich alt genug war. Das waren die ersten beiden, die ich im Kino gesehen habe, und ich habe immer darauf geachtet, ob sie im Fernsehen ausgestrahlt werden, was häufig der Fall war.
Manchmal kann bei deinen Texten wirklich nicht sagen, ob etwas von dir stammt oder ob du es aus einem Film hast. Eine Formulierung wie „twisted arm of illegal youth“ etwa könnte ich mir auch gut auf einem Filmplakat für einen Film noir wie „Gefährliche Leidenschaft“ vorstellen.
Manches kommt daher, ja. Auf der Highschool war ich sehr interessiert an radikalen Studenteninitiativen wie der SDS, Students for a Democratic Society. Ich habe in Riverside gelebt und da gab es so gut wie keine Infrastruktur oder Leute mit ähnlichen Interessen. Ich war also ein Einzelgänger, was das angeht. Aber als ich dann auf dem College war und das erste Mal LSD genommen habe, waren alle politische Ambitionen wie weggeblasen! Diese ewige Beschwörung einer rebellischen Jugend, das hat nichts mit der Realität zu tun – bei mir schon gar nicht. Es gab nichts, weswegen ich Stress mit der Polizei bekommen hätte oder mit einem Gummiknüppel verprügelt worden wäre. Ich habe immer nur das verwendet, was ich wirklich erlebt hatte. Es gab höchstens mal ein bisschen Aufruhr bei ein paar Punk-Konzerten, die die Cops dann vielleicht etwas unsanft beendet haben. Ich hatte richtig Glück, dass ich nie auf einem Konzert war, das abgebrochen wurde. Oder wenn die Cops mal auftauchten, habe ich mich sofort verdrückt, ich wollte nicht dort bleiben, um der Polizei Widerstand zu leisten. Eine vollkommen sinnlose Geste, das bringt gar nichts.
Was war denn der Soundtrack deiner Kindheit? War Rockmusik bei euch zu Hause erlaubt?
Sie war verpönt, aber wurde toleriert. Ich hatte einen Plattenspieler in meinem Zimmer und wir hatten eine große Stereoanlage, und wenn meine Eltern nicht zu Hause waren, habe ich auf der Stereoanlage im Wohnzimmer jede Menge Zeug angehört. Wir hatten ein Tonbandgerät, das auch zu der großen Stereoanlage gehörte, und ich weiß noch, dass ich alle ROLLING STONES-Alben auf Tape hatte. Ich hatte das erste STEPPENWOLF-Album, als es erschien, die ersten drei Alben von CREAM und „In-A-Gadda-Da-Vida“ von IRON BUTTERFLY.
Gab es wichtige Konzerte, als du jung warst?
Für die, die ich damals sehen wollte, war ich noch zu jung. Ich wollte unbedingt zu Janis Joplin und MC5, als sie im Swing Auditorium in San Bernardino gespielt haben. Da ging ich noch zur Schule, aber ich durfte erst zu Konzerten, als ich auf dem College war, das war 1970. Dennoch habe ich damals viel Live-Musik gesehen. Als ich dann auf dem College war, habe ich die „Ziggy Stardust“-Konzerte von David Bowie gesehen, war bei MOTT THE HOOPLE, NEW YORK DOLLS oder IGGY AND THE STOOGES, die in den frühen Siebzigern in Hollywood gespielt haben.
Erinnerst du dich noch daran, wie es mit Punk losging?
Es war für mich der wirklich unverfälschte Ausdruck dessen, was ich für Rock’n’Roll hielt. Es war ein Gefühl wie „So sollte Rockmusik eigentlich klingen“. Zu dieser Zeit war ich irgendwie desillusioniert, was sonstige Rockmusik anging.
Was waren die ersten Bands, die du als Punkrock wahrgenommen hast?
Was die Anfänge von Punk angeht, war es tatsächlich die Welle mit den ganzen britischen Sachen. Ich zog los und besorgte mir als Import das erste SEX PISTOLS-Album, THE DAMNED, die erste Platte von THE CLASH, die der australischen Band THE SAINTS. Und das waren die Scheiben, die ich wirklich oft gehört habe, außerdem eine Menge von den NEW YORK DOLLS und den STOOGES. Bis „Low“ hörte ich auch immer noch viel von Bowie. Mit „Low“ hat er mich irgendwie als Fan verloren, aber davor mochte ich alles, besonders „Diamond Dogs“ und „Aladdin Sane“.
War davon etwas einflussreich für deine Gesangsstimme? Keiner singt wie du – du hast eine recht ungewöhnliche Stimme.
Es gab Sänger, die mich beeinflusst haben, aber wahrscheinlich kam es erst später richtig durch. Jim Morrison von den DOORS, Captain Beefheart, deren Einfluss kannst du wahrscheinlich raushören. Oder Rod Stewart, als er auf den ersten Jeff Beck-Soloalben gesungen hat. Er hat so eine knurrende, rauhe Reibeisenstimme ... Und da waren auch schwarze Blues-Sänger wie Howlin’ Wolf oder John Lee Hooker. Aber mein Gesang auf den frühen Alben ist so undiszipliniert und roh, mir fällt es wirklich schwer, das heute noch anzuhören. Bei der ersten Single, den Songs auf der „Tooth And Nail“-Compilation und dem ersten Album „No Questions Asked“ ist der Gesang so chaotisch. Manches ist gerade noch okay. Viele Menschen lieben die Songs aus dieser FLESH EATERS-Phase und das ist großartig. Ich bin froh, dass sie das tun. Ich mag die Songs, aber ich mag nicht, wie ich das gesanglich umgesetzt habe. Erst später, beim zweiten Album „A Minute To Pray, A Second To Die“, begann der Gesang besser zu werden, so dass ich gut damit leben kann. Das rechne ich John Doe von X sehr hoch an, denn er hatte mir geraten, zu versuchen bewusster zu singen und ebenso das Screamen und Growlen akzentuierter einzusetzen. Allein durch das Anhören von Musik habe ich viel gelernt über Dynamik im Sinne von Höhen und Tiefen und wie man Songs mit der Stimme strukturiert. Obwohl ich kein gelernter Musiker war, habe ich auch die Musik für Songs geschrieben, und dabei habe ich verstanden, wie man Songs aufbaut, so dass auch ein Crescendo beziehungsweise Höhepunkt funktioniert.
Ich habe mich immer darüber gewundert, dass von allen euren Platten ausgerechnet „A Minute To Pray...“ immer die meiste Aufmerksamkeit bekommt. Ich meine, es sind einige wirklich gute Songs darauf, aber es ist dennoch ein merkwürdiges Album.
Ich denke, „A Minute To Pray...“ ist so unkonventionell wegen der Jazz- und Blues-Einflüsse und weil der ganze Voodoo-Kram auf dem Album so ausgeprägt ist. Die Lyrics sind denen auf „Forever Came Today“ und „Hard Road To Follow“ sehr ähnlich, aber die Musik ist ... ich hasse es, sie Mainstream zu nennen, aber sie ist eher traditionell im Sinne von Hard Rock. „A Minute To Pray...“ sticht vielleicht wegen des Saxophons und der Marimba heraus, die allgegenwärtig sind. Ich habe versucht, afrikanische Musik und Ethno-Blues in unsere Musik einfließen zu lassen und diese miteinander zu verschmelzen, und ich denke, daraus ist ein einzigartiger Rhythmus entstanden, den man so in der Rockmusik nicht oft gehört hat. Das ist sicher einer der Gründe dafür, dass das Album eine bleibende Anziehungskraft hat. Und dass Leute von X dabei waren, John Doe und DJ Bonebrake, außerdem Dave Alvin und Bill Bateman, die bei den BLASTERS gespielt haben, und Steve Berlin, der in den letzten Jahrzehnten bei LOS LOBOS war, hat gewiss auch dazu beigetragen.
Hast du eigentlich auch eine besondere Beziehung zu dem Italowestern „Un minuto per pregare, un instante per morire“ [deutscher Titel: „Mehr tot als lebendig“] von 1968, dessen englischer Titel „A Minute To Pray, A Second To Die“ ist?
Ich mag den Film, aber ich habe das benutzt, bevor ich den Film gesehen habe. Also, ich hatte schon von dem Film gehört, als er rauskam, aber da ging ich noch zur Schule. Ich habe es nie geschafft, ihn im Kino zu sehen. Später kam er dann mal im Fernsehen, jetzt habe ihn auch auf DVD.
Das Coverdesign von „A Minute to Pray...“ ist auf jeden Fall fantastisch. Darauf ist eine „Hand of Glory“ zu sehen, die getrocknete und eingesalzene Hand eines am Galgen erhängten Mannes. Wessen Hand ist auf dem Cover zu sehen?
Das Bild von der Hand stammt eigentlich aus dem Film „The Wicker Man“ von 1973. Es gibt eine Szene, in der Edward Woodward, der einen Polizisten spielt, der auf einer Insel ein vermisstes Mädchen sucht, eines Morgens aufwacht und auf seinem Nachttisch liegt eine „Hand of Glory“. Ich habe das Motiv von einem Standbild aus dem Film und die Farbkomposition geändert. Ich hatte zu dieser Zeit angefangen, mehr über Zauberei und Dämonologie zu lesen, allein, weil es mich fasziniert hat. Ich wollte es nicht praktizieren oder so. Ich wollte auch nicht, dass das Album in eine Satanismus-Ecke gerät. Für mich ist es eine Art Exorzismus. Das Album sollte ein spiritueller, persönlicher Exorzismus von Dämonen sein – Dämonen meines Liebeslebens ...
Ich weiß, dass es in Vancouver eine Galerie gab, in der in den Neunzigern Altäre der synkretistischen Santería-Religion ausgestellt wurden, die Ritualen dienten und auf denen man auch Tiere geopfert hat. War Voodoo in der Szene in L.A. auch ein Thema?
Nein, es gab kein Voodoo, aber Santería war in einigen Bodegas präsent. Du konntest einfach reingehen und eine kleine Flasche eines Zaubertranks bekommen. Daher auch die Idee für die Rückseite des Albumcovers von „Fire Of Love“ von GUN CLUB, mit all diesen kleinen Flaschen. Judith Bell, die die Zeichnungen gemacht hat, und ich sind in einige Bodegas gegangen, die Talismane und Wurzeln verkauften. Das waren die Orte, wo du hingegangen bist, wenn du dich für Santería interessierst, und wir haben ein paar von den Flaschen gekauft, weil wir das Artwork von ihnen so skurril fanden. Judith hat natürlich ihre eigenen Interpretationen der GUN CLUB-Songs auf die Etiketten gemalt. Näher als diesen Flaschen auf dem Cover bin ich diesem Zeug aber nie gekommen.
Dieses Konzept von Exorzismus und Besessenheit und dem Austreiben von Dämonen taucht in einigen deiner Songs auf. Worum geht es beim Songs „Digging my grave“ auf „A Minute to Pray...“?
Ich habe ein Drehbuch geschrieben für einen Film. der niemals veröffentlicht wurde. Ich habe einigen Leuten die Rechte überlassen und beinahe wurde er gedreht, an einem Set in Louisiana. Es war ein Horrorfilm, der in den Sümpfen spielt, über ein Mädchen, das zum Vampir werden will. In der Anfangsszene sieht man, wie ihr Vater die gesamte Familie umbringt und sie ist die Einzige, die überlebt. Ich habe eigentlich nur die Eröffnungsszene aus dem Drehbuch genommen und einen Song daraus gemacht. Hin und wieder bekam ich auch Anregungen durch Kriminalgeschichten aus der Zeitung oder dem Fernsehen an, echte Kriminalfälle. Das war ungefähr zu der Zeit, als ich das Drehbuch geschrieben habe. Ich kann mich nicht genau erinnern, was zuerst da war, aber ich glaube, ich hatte schon das Drehbuch geschrieben, als der Song entstand.
Welche Rolle haben zu diesem Zeitpunkt Drogen in deinem Leben gespielt? Eine gewisse romantische Vorstellung von Selbstzerstörung zieht sich ja durch einige deiner Songs.
Ich habe zu der Zeit viel Alkohol getrunken. Ich hatte immer eine Flasche Stolichnaya-Wodka im Kühlschrank und trank ziemlich viel Jack Daniel’s. Ich fing um 1980/81 herum an, Drogen zu nehmen. Regelmäßig habe ich das erst in der DIVINE HORSEMEN-Zeit genommen, so um 1985 oder ’86. Ich weiß nicht, ob du die Alben kennst, die ich gemacht habe, als ich clean war. Es gibt eines aus dem Jahr 1999, es heißt „Ashes Of Time“ und eins von 2004, „Miss Muerte“. In mancher Hinsicht, denke ich, sind meine Texte auf den beiden Alben besser als früher. Die Grundlage war dieselbe, aber ich war nicht mehr so zügellos wie bei den früheren Sachen, wie bei einigen Songs auf „Hard Road To Follow“, oder auch „Dragstrip Riot“, eine der FLESH EATERS-Platten aus den frühen Neunzigern, die auf SST rauskamen.
Du hast ja fünf Stücke des ersten GUN CLUB-Albums „Fire Of Love“ von 1981 produziert. Wie war dein Verhältnis zu Jeffrey Lee Pierce, wo hast du ihn das erste Mal getroffen?
Ich kannte Jeffrey durch das Slash Magazin, für das ich geschrieben habe. Bei einem Treffen im Büro hat er seine Reviews abgegeben, anfangs hat er viel Reggae-Zeug besprochen. Aber er hätte auch alles von Blues über Reggae bis Punk genommen. Und mit der Zeit wurde unser Verhältnis freundschaftlicher.
Habt ihr irgendwelche musikalischen Vorlieben geteilt?
Wir teilten unsere Liebe für Country- und Blues-Einflüsse. Es gab da Überschneidungen mit vielen Leuten in der frühen Hollywood-Punk-Szene. John, Exene und ich, Dave Alvin und Jeffrey Lee Pierce und Keith Morris hatten so ziemlich den gleichen Musikgeschmack. Obwohl man von Keith eher denken würde, dass er auf Hardcore-stand, hatten wir viele Gemeinsamkeiten, was das betrifft. Es war einfach etwas, das wir alle teilten und das einfach so passierte. Leute haben sich gegenseitig Sachen empfohlen.
Du hast auch was von den GERMS produziert, oder?
Ich habe GERMS-Material für „Tooth And Nail“, also diese Compilation, die Upsetter rausgebracht hat, aufgenommen, aber eigentlich hat Joan Jett das Album produziert.
Warst du mit GERMS-Frontmann Darby Crash ebenfalls befreundet?
Nicht wirklich. Wir kannten uns gut genug, um uns zu grüßen und für ein paar Minuten zu plaudern, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ich viel mit Darby gemeinsam hatte. Die eine Sache, die ich an ihm wirklich bewundere, ist die Tiefe seiner Songtexte, die waren wirklich immer sehr gut formuliert.
Sprechen wir noch mal kurz über deine Zeit beim Slash Magazin. In deinem Buch „A Minute To Pray, A Second To Die“, einer Sammlung von Gedichten, Traumtagebüchern und Songtexten, findet sich davon nichts. Was hast du beim Slash gemacht?
Ich stand dort nicht wirklich auf der Gehaltsliste oder so. Claude „Kickboy Face“ Bessy und seine Freundin Philomena waren da Redakteure und Steve Samioff war der Herausgeber, seine Freundin Melanie Nissen war zu der Zeit Bildredakteurin. Ich glaube, Ende 1979 hat Bob Biggs das Magazin gekauft , aber den Stil beibehalten. Ich schrieb eine Menge Reviews zu Platten und Live-Konzerten. Interviews habe ich nicht so viele gemacht. Aber Judith Bell und ich haben für eine Ausgabe Paul Schrader interviewt, außerdem Sam Fuller, das war für die allerletzte Ausgabe von Slash. Ich habe dafür eine Menge Pseudonyme benutzt wie Half-Cocked, Mr. OK, Bob Clone ... Unter einigen Reviews stand aber auch mein richtiger Name. Ich habe aber keine Rechte an dem Zeug. Es gibt da einen Typen, den ich kenne, der gegen Ende von Slash Records auch beim Slash gearbeitet hat, mit dem habe ich mal darüber gesprochen, das Material in Form eines Buches herauszubringen, aber es gibt da so viel Zeug, es ist ziemlich abschreckend, und er hat wie ich auch eine Menge um die Ohren.
Der Musikkritiker Byron Coley hat mal angemerkt, dass die ständigen Wechsel im FLESH EATERS-Line-up daher kommen, dass dein Fokus eigentlich auf dem Schreiben liegt und du gar kein ständiges Line-up willst. Ist das wahr?
Es ist teilweise wahr, aber es gibt verschiedene Gründe dafür. Da ist zum einen die finanzielle Sicherheit, in der Lage zu sein, meine Miete zu zahlen, wenn ich mit einem festen Line-up dauernd auf Tour gehe. Dazu kommt, musikalisch gesehen, dass dann auch alle das gleiche Mitspracherecht haben sollten, ich aber, zumindest in einem gewissen Maß, autonom sein will in Sachen Entscheidungsfindung. Ich bin der Bandleader, ich möchte bestimmen, was musikalisch passiert. Ich kam dann mit Leuten zusammen, mit denen ich arbeiten wollte, aber sie wollten lieber Frontmann in ihren eigenen Bands sein, wie Tito, der die PLUGZ hatte, und Stan Ridgway, der ein paar Monate in der Band war und dann bei WALL OF VOODOO gelandet ist. Es gab noch ein paar andere Leute, die auch ihre eigene Vorstellung davon hatten, was sie tun wollten. Das wahrscheinlich beständigste Line-up hatten wir während der DIVINE HORSEMEN-Zeit, aber selbst da haben wir öfter den Gitarristen gewechselt. Dazu kommt, dass ich mir nicht hätte vorstellen können, so häufig wie andere – etwa Freunde von mir wie die BLASTERS oder X – unterwegs zu sein. Die waren einfach immer unterwegs, das hätte ich mental gar nicht ausgehalten. Es hätte mich wahrscheinlich verrückt gemacht.
Habt ihr in irgendeiner Zusammensetzung der Band überhaupt häufiger außerhalb von Los Angeles gespielt?
Mit dem „Forever Came Today“/„Hard Road To Follow“-Line-up haben wir 1982 eine Tour gespielt und Byron Coley war unser Roadmanager. Wir haben in einigen Städten gespielt ... Ich weiß nicht, wie viele. Ich denke, es waren 20 oder 21 Städte, in denen wir gespielt haben.
Alle in den USA?
Ja. DIVINE HORSEMEN standen kurz davor, ein paar Shows in Europa zu spielen, aber dann hat sich die Band aufgelöst, als Julie und ich uns getrennt haben. Daraus wurde also nichts. DIVINE HORSEMEN sind dreimal auf Tour gewesen. Wir haben 1985 eine Tour im Südwesten gespielt und 1987 gab es zwei Touren, eine Anfang des Jahres und die zweite im Herbst. Es gab einfach nicht so viel Interesse an den FLESH EATERS. Ich habe viele italienische Facebook-Freunde, die FLESH EATERS-Fans sind, und es gibt auf jeden Fall welche in England, Frankreich und Deutschland. Es würde sich definitiv lohnen, dorthin zu fahren und Konzerte zu spielen. Es wäre wirklich schön, es zu versuchen und eine Europatour zu spielen, aber es ist wahrscheinlich unmöglich, es sei denn, ich stelle ein Line-up mit Leuten zusammen, die nicht in anderen erfolgreichen Bands spielen.
Ich meine, ich hätte gelesen, dass ein Konzert in Vancouver, so um die Zeit des 1991er FLESH EATERS-Albums „Dragstrip Riot“ herum, abgesagt werden musste, weil du nach Japan musstest, um etwas über Yakuza-Filme zu recherchieren?
Die FLESH EATERS-Tour mit dem Vancouver-Konzert, das abgesagt werden musste, war 1999, nach „Ashes Of Time“. Mit Japan hatte das nichts zu tun. Es gab allerdings eine Tour, die für die frühen Neunziger angesetzt war, es war nur an der Westküste, bis hoch nach Seattle. Ich war zu der Zeit auf Methadon und mein Arzt hat mir fälschlicherweise erzählt, dass ich Methadon unterwegs bekommen würde, was nicht wahr war. Mein Arzt hat mich mit falschen Informationen reingelegt und ich musste die Tour absagen. Ich hätte natürlich jede Menge Dope mitnehmen können stattdessen, aber das wollte ich nicht, ich ich war gerade dabei, davon loszukommen. Ich habe mich wirklich schlecht gefühlt, weil wir die Tour absagen mussten. Es waren nicht so viele Termine, vielleicht fünf oder sechs, Aber es hat mich trotzdem runtergezogen.
Du hast ja ziemlich regelmäßig als Kurator und Dozent im Bereich Film gearbeitet, oder?
Ja, ich habe zehn Jahre für die American Cinematheque in Hollywood gearbeitet und die letzten fünf Jahre, in denen ich da war, war ich zuständig für das Programm im Egyptian Theatre, eines ihrer beiden Kinos. Aber dann habe ich angefangen, mehr zu unterrichten, das war oben in San Francisco. Sie haben mich immer eingeflogen und das ging soweit, dass ich dort vier Kurse in der Woche gab ... Bis etwa vor einem Jahr, da war das Budget so gut wie alle – sie konnten sich nicht mehr leisten, mir die Flüge zu zahlen. Und sie haben vor Ort andere Dozenten, die genauso qualifiziert sind, also haben sie mich rausgeworfen. Die Stelle in der American Cinematheque war selbstverständlich auch längst neu besetzt. Programme für Repertoirefilme zu erstellen, das ist eine sehr kleine Nische und da einen Job zu finden ... Und falls du einen findest, musst du dafür ins beschissene Iowa ziehen. Ich hatte ein wirklich sehr frustrierendes letztes Jahr, aber na ja ...
Inzwischen ist aber „Gun and Sword“, deine Yakuza-Film-Enzyklopädie, erschienen, hat das nichts gebracht? Es scheint ein sehr ambitioniertes Projekt zu sein.
Es lag sehr vielen Herausgebern vor, bevor ich es dann doch selbst herausgebracht habe. Ursprünglich sollte der Verlag von Quentin Tarantinos es schon in den späten Neunzigern auf den Markt bringen und dann haben sie doch nur ein Buch verlegt, ihr Blaxploitation-Filmbuch „What It Is... What It Was!“. Das fiel also flach. Dann wollte ich es mit FAB Press in England verlegen, Harvey Fenton war sehr daran interessiert. Etwa ein Jahr lang haben wir das geplant, aber bei ihm standen vorher noch einige große Projekte an und ich musste mindestens ein weiteres Jahr warten. Dann kam 2008 die Rezession, das war ungefähr zu dem Zeitpunkt, als er mit der Arbeit an meinem Buch anfangen wollte. Er musste also alle größeren Projekte für die nächsten Jahre auf Eis legen. Danach habe ich beschlossen, mein Buch einfach selbst rauszubringen, weil ich da auch bereits mit dem Verlegen meiner „Minute to Pray“-Sammlung angefangen habe. Ich hatte auch gerade mit meinen Romanen begonnen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #121 August/September 2015 und Allan MacInnis