Im Februar 2015 wurde in San Francisco das von NOFX-Sänger Fat Mike geschriebene Musical „Home Street Home“ uraufgeführt, in dem es um obdachlose Punks geht. Ein interessantes Projekt, zu dem zeitgleich auf Fat Wreck auch ein Album erschien, das – wenig erstaunlich – schwer nach NOFX klingt. Wir baten Karina Deniké, die einst Sängerin der DANCE HALL CRASHERS war, mit dem befreundeten Fat Mike ein Interview zu diesem Projekt zu führen. Und so traf sie sich mit diesem in seinem Haus in San Francisco, um über die Arbeit an „Home Street Home“ zu sprechen. Da Karina in den letzten fünf Jahren, in denen Mike an dem Musical schrieb, oft mit ihm im Studio daran arbeitete, wurden einige Fragen aus der Insiderperspektive gestellt.
Mike, soweit ich mich erinnere, ist der Tony-Award Gewinner Jeff Marx bei „Home Street Home“ als Produzent und Co-Autor eingestiegen, nachdem du ihm das Demo von Billy Bouchards Version von „Three against me“ vorgespielt hast – es ist wahrscheinlich auch meine Lieblings-Performance auf dem Album zum Musical. Das ist ein wirklich guter Song und Billy ist meiner Meinung nach der Hammer. Hast du einen Lieblingssong auf dem Album?
Da kann ich dir nur zustimmen, der Song war auch immer mein Favorit und Billy ist wirklich unglaublich gut. „Three against me“ ist der Song, den wir Leuten zuschicken, wenn wir wollen, dass sie sich für das Musical interessieren, weil sich jeder damit identifizieren kann. Besonders natürlich jede homosexuelle Person. Wenn du in dieser Gesellschaft als Homosexueller aufwächst, hast du das Gefühl, als würdest du von allen fertig gemacht und das ist auch innerhalb deiner Familie akzeptiert. Aber jeder kennt das, also ist es ein ziemlich universeller Song. Ich liebe ihn auch, weil er so traurig ist, und ich mag die Akkordfolge in der Bridge. Es ist wirklich ein toller Song.
Du hast insgesamt um die fünfzig großartige Songs für das Musical geschrieben und aufgenommen, jedoch haben es einige entweder wegen Änderungen im Skript oder aufgrund der zeitlichen Beschränkung – du kannst ja keine vierstündige Live-Show machen – nicht in die engere Auswahl geschafft. Bei so vielen großartigen unveröffentlichten Songs, hast du da Pläne für dieses Material?
Es war wirklich schwer für mich. Während wir geschrieben haben, es waren so um die 25 Lieder, hat sich die ganze Zeit das Skript geändert und viele von den Songs haben keinen Sinn mehr ergeben, also mussten wir sie verwerfen. Profi-Songschreiber nennen das „killing your babies“, weil es so schwer ist, einen Song aufzugeben, an dem du zwei Monate gearbeitet hast, aber du musst einfach loslassen. Eines Tages ist mir dann aufgefallen, dass es so viele ausgemusterte Songs gibt, dass ich ein ganzes Album daraus machen kann, was es bei Musicals sonst nicht gibt. Stell dir vor, es gäbe eine „Rocky Horror“-Platte mit allen verworfenen Songs – sie wäre genauso gut, insbesondere wenn die Lieder nicht wegen ihrer Qualität aussortiert wurden, sondern nur weil sich der Plot geändert hat. Also wird es irgendwann, wenn mir danach ist, eine Veröffentlichung mit etwa zwanzig Liedern geben – vielleicht in ein paar Jahren. Und genau deswegen fühle ich mich jetzt nicht schlecht! „Hey, weg mit dem Song – kein Problem!“ Dadurch können ihn sogar noch mehr Menschen hören, sonst sind es nur tausend Leute pro Abend bei der Aufführung – und aus Japan wird wahrscheinlich niemand jemals die Live-Shows sehen, aber diese Songs werden sie hören.
Warum bin ich die beste Sängerin, mit der du je gearbeitet hast? Eine ernst gemeinte Frage und pass auf, was du jetzt sagst.
Also, Karina, wir haben wirklich viel zusammengearbeitet, und du bist die beste Sängerin, mit der ich jemals zusammengearbeitet habe, weil dein Benehmen im Studio so gut ist und du im Grunde fast immer verkatert aufgetaucht bist, haha! Aber ein Kater scheint dir nichts auszumachen. Du bist immer professionell und trinkst heißen Tee. Nein, im Ernst, du gehörst definitiv zu den Top Five, mit denen ich im Studio gearbeitet habe. Spike von den GIMME GIMMES, du, Billy Bouchard, Chuck von den MAD CADDIES, und mit Lauren Patton kann man auch großartig arbeiten.
Einer der Gründe, warum das Musical so gut ist, ist der, dass du ein unfehlbares Gespühr dafür hast, was lustig ist. Die Songs und einige Szenen sind superlustig und schräg, obwohl sie auch ernste Themen ansprechen. War es schwierig, dein Timing auf die Schauspieler zu übertragen, da du in der Vergangenheit hauptsächlich als Musiker gearbeitet hast? Und war es ein Unterschied, Gags für jemand anderen als dich selbst zu schreiben?
Die Sache ist die: Bei NOFX ist dieses Komödiantische alles improvisiert. Wenn du also etwas schreibst und es immer und immer wieder gesungen oder gesprochen wird, ist das Timing sehr wichtig. Es ist komisch, wenn du zwei komische Menschen hast, aber das kannst du niemandem beibringen. Uns ist auch aufgefallen, dass viele Witze nicht funktionieren, weil die Schauspieler sie falsch bringen. Wenn du jemanden hast, der es draufhat, ist es lustig. Es war also sehr schwer. Als wir den Song „Safe words“ gemacht haben, war Billy lustig. Er hat es einfach drauf. Alle anderen waren nur ein bisschen komisch – und dann denkst du noch mal über das Geschriebene nach. Aber wenn du witzige Darsteller hast, ist es witzig. Du brauchst wirklich Leute, die ein gutes Verständnis für die Komik haben, um zu wissen, ob eine Pointe lustig ist oder nicht.
„Home Street Home“ ist ein richtiges Punkrock-Musical, obwohl auf dem Soundtrack auch Genres und Instrumente zu finden sind, die mit Punkrock normalerweise nicht in Verbindung gebracht werden. Du verwendest zum Beispiel eine Bassklarinette, ein Sousaphon und ein Cello und hast einige meiner Bandkollegen als Chor „The Three Fates“ besetzt – und das sind nicht wirklich Punkrocker. Wie war es, mit solchen Instrumenten und klassisch ausgebildeten Musikern zum Teil aus dem Jazz-Bereich zu arbeiten und ihnen deine Ideen verständlich zu machen?
Manchmal war es eine Freude und manchmal konnte ich nicht fassen, was für Kopfschmerzen es mir bereitet hat. Ein Musiker, den wir engagiert haben, konnte nichts spielen, es sei denn, es stand auf einem Notenblatt. Das ist seltsam, denn ich habe keine Ahnung, wie man Notensätze schreibt, und die meisten Leute, mit denen ich arbeite, so wie jeder bei NOFX, können sie auch nicht lesen. Aber es ist trotzdem ein Vergnügen, mit diesen Leute zusammenzuarbeiten. Okay, El Hefe ist ein guter Musiker, aber das war es schon in Sachen NOFX. Weißt du, ich singe nicht besonders gut, Eric spielt nicht wirklich gut Gitarre, unser Drummer spielt solide, er ist eben, wie er ist. Aber ich habe versucht, für dieses Album die besten Leute zu finden. Boz, der Schlagzeuger, ist großartig. Es macht einfach richtig Spaß, mit Profis zu arbeiten, weil du ihnen einfach nur zeigst, wie der Song geht, und dann hast du Zeit – du musst dir keine Gedanken über die richtige Umsetzung machen, sie können es einfach. Du hast Zeit, etwas auszuprobieren, und kannst schauen, ob etwas dabei herumkommt. Karina, dir sind zum Beispiel gute Sachen eingefallen, und die fand ich besser als das, was ich geschrieben habe. Und das passiert in vielleicht 20% der Zeit. Und das liebe ich. Ich liebe es, wenn ich mit Menschen arbeiten kann, die Ideen haben. Du weißt, dass ich mir bei NOFX immer Sorgen mache, wenn ich das, was ich geschrieben habe, singen muss. Und ich brauche immer fünf bis zehn Takes für jede Zeile. Da bleibt kein Spielraum für neue Ideen.
Warum zeigt ihr das Musical in San Francisco und nicht in New York oder Los Angeles, welche ja eher die klassischen Musical-Städte sind?
Das hatte mehr persönliche Gründe. Soma und ich leben hier und wir haben zwei Kinder. Wenn wir also in New York gewesen wären, hätten wir sie acht Wochen alleine lassen müssen, was inakzeptabel gewesen wäre. Hauptsächlich führen wir das Musical in San Francisco auf, damit wir bei unseren Kindern sein konnten, und weil es außerdem eine tolerante Stadt ist und wir dachten, dass das behandelte Thema hier sehr gut ankommen würde, und das tat es auch!
Deine Art der Betonung beim Singen ist sehr einzigartig, unkonventionell und gehört zu dem, was Fans so an NOFX schätzen. Ich habe genug mit dir zusammengearbeitet, um zu verstehen, worauf es dir ankommt und um deinen Stil zu verstehen. Obwohl dein Ansatz wohl für gelernte Sänger und Musiker sehr ungewohnt ist, wie man im Studio gesehen hat. Und dazu bist du noch sehr bestimmt in dem, was du willst. Welches Feedback hast du während der Aufführungen von eher traditionellen Musical-Schreibern, -Produzenten und -Regisseuren bekommen? Wie haben sie auf deinen doch unkonventionellen Gesangsstil reagiert?
Als wir anfingen, mit Jeff Marx zu arbeiten, der als Komponist für Broadway-Musicals arbeitet, hat er mir von Prosodie erzählt, wo es darum geht, wie du ein Wort betonst. Er meinte, ich sei total chaotisch und niemand wäre in der Lage, mich zu verstehen. Und was man beim Theater wirklich bedenken muss: Das Publikum wird sich das einmal ansehen und da gibt es keine Textblätter, also müssen sie beim ersten Mal verstehen, was gesungen wird. So hatte ich Musik vorher noch nicht betrachtet, weil ich denke, dass das Singen von Texten eine Art Poesie ist und du sie singen kannst, wie du willst. Und wir haben Textblätter. Also habe ich sehr viel an den Texten gerändert, um sie verständlicher zu machen, aber auch nicht alles. Bei NOFX ist es mir total egal, wie die Texte gesungen werden, weil alles melodisch ist. Als Kind habe ich oft THE DICKIES gehört, die waren eine meiner Lieblingsbands, und ich habe kein Wort von dem verstanden, was sie singen. Egal! Es ist die Melodie. Wie bei klassischer Musik. Da gibt es keine Texte, sondern nur Melodie. Warum ist es dann also wichtig, wie ein Wort betont wird? Es ist einfach nur ein Mittel, um die Melodie rüberzubringen. Um also deine Frage zu beantworten: Ich habe darüber nachgedacht, mich ein bisschen angepasst, aber nicht so sehr, wie einige Leute es gerne gehabt hätten.
Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Viele US-Bands finden, dass deutsche Fans sehr direkte Fragen in Interviews oder nach Konzerten stellen, also hier, mit ein wenig Hilfe von Billy Bouchard, eine Extrafrage im German-Fan-Style: Warum ist eure aktuelle Platte nicht so gut wie die letzte? Habt ihr in eurem fortgeschrittenen Alter die Leidenschaft verloren?
Das ist eine gute Frage, das höre ich öfter ... aber nur von Deutschen, haha. Bei der letzten NOFX-Platte „Self Entitled“ wurde mir diese Frage allerdings bisher noch nicht gestellt, aus irgendwelchen Gründen kam sie sehr gut an – seltsam genug, dass ich vergleichsweise wenig Zeit zum Schreiben und Aufnehmen gebraucht habe. Vielleicht mögen die Leute sie deshalb so gerne.
Karina Deniké
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