FALL OUT BOY

Foto© by Nathan Dobbelaere

The new déjà vu

Vor fast genau zehn Jahren wollten FALL OUT BOY mit ihrem Comeback-Album „Save Rock And Roll“ die Musik retten, nach „Mania“ war den meisten Fans aber klar, dass das nichts mehr wird. Es wäre beinahe das Ende der Band gewesen. Doch mit einem „weniger als okayen“ letzten Album, würde sich Patrick Stump nie zufrieden geben, wie er uns verrät.

Als wir uns vor zehn Jahren bei der „Save Rock And Roll“-Pressetour in Berlin getroffen haben, meintest du, dass das neue Album wie „Star Wars: Episode VII“ wird – ein Mix aus Altbekanntem und vielen neuen, spannenden Elementen. An welchem Punkt in der „Star Wars“-Timeline steht ihr jetzt?

Also das mit den „Star Wars“-Filmen ging ja nicht so gut aus, haha! Puh, das ist eine schwierige Frage, aber ich glaube, wir sind jetzt in der „The Mandalorian“-Ära. Neue und alte Fans werden mit unserer Entwicklung schon irgendwie zufrieden sein.

Und macht ihr jetzt wieder Emo oder nicht?
Als Band wirst du immer wieder von allen möglichen Leuten in die verschiedensten Schubladen gesteckt. Sie haben eine Erwartung an dich, wie du als Band zu klingen hast respektive wie eine Emo- oder eine Stadionrock-Band zu sein hat. Man hat uns schon so vielen verschiedenen Genres zugeordnet. Das habe ich noch nie gemocht, weil ich mich auch nicht auf eine Richtung festschreiben lassen will. Angefangen mit „Save Rock And Roll“ haben wir einfach mal Dinge ausprobiert, die in der Rockmusik eigentlich tabuisiert werden. Sampling oder seltsame Effekte zum Beispiel. Plötzlich waren wir eine Pop-Band und niemand will eigentlich Popmusik von uns hören. Es war riskant. Wir haben diese Limits so weit ausgereizt, wie es nur ging. Die Pandemie hat passenderweise jetzt einen Schlussstrich unter diese Zeit gesetzt. Es gab für uns einfach nichts mehr zu entdecken und hinzuzufügen. Wir haben uns also gefragt, was der nächste Schritt für uns sein kann. Wir sind als Band wieder zusammengekommen und haben versucht, die Instrumente für sich sprechen zu lassen. Und dabei ist herausgekommen, dass das neue Album einfach weniger von allem braucht. Neal Avron hat uns dabei sehr geholfen. Er ist ein sehr guter, aber ganz anderer Produzent als Butch Walker. Butch Walker ist auch großartig, aber beide haben eine ganz andere Arbeitsweise.

Als die Single „Love from the other side“ erschien, haben Fans euch dafür gefeiert, dass man endlich wieder Gitarren hört. Was hältst du davon, wenn man bedenkt, dass ihr eigentlich immer eine gitarrenlastige Band wart?
Um ehrlich zu sein, ist das immer ein wenig frustrierend. Auf all unseren Alben waren immer jede Menge Gitarren zu hören. Doch jeder hat eben eine andere Idee davon, wie eine Gitarre zu klingen hat. Bei FALL OUT BOY denken viele Fans wahrscheinlich an laute Gitarren aus einem Marshall Amp, sehr weit vorne im Mix und geschrammelte Powerchords. Doch wir hatten Gitarren auf allen neuen Alben. Es trieft teilweise nur so vor Gitarren. Und es ärgert mich eigentlich, wenn man mich fragt: Wo sind denn die Gitarren hin? Sie sind überall. Der Part, den du gerade hörst, ist voll davon. Auf dem neuen Album haben wir nun aber ein bisschen mit dem Klang der Gitarren rumgespielt und man wird sie ganz anders wahrnehmen und auch der Mix ist komplett anders. Der Mix hat hier noch mal einen ganz anderen Stellenwert und ist viel wichtiger als die Aufnahme an sich.

Okay, kurze Auflösung: Ich konnte das neue Album jetzt schon seit ein paar Wochen hören – und ich liebe es –, aber man kann mit Sicherheit sagen, dass „So Much (For) Stardust“, vielleicht anders als erwartet, doch kein Emo- oder Pop-Punk-Album geworden ist.
Ja, das kann man so sagen. Das ist einfach nicht das, was wir machen und auch eigentlich nie so richtig gemacht haben. Pete hat einmal was Passendes gesagt und es klingt vielleicht harsch, aber er meinte: Wir sind nicht Burger King. Wir sind kein Fastfood-Restaurant, in das man reingeht und bestellt, was man will. Man sollte nicht immer versuchen, Musik in irgendeine Schublade zu quetschen. Man sollte sich als Musiker:in frei ausleben dürfen. All diese tollen Emo-Bands gehen auf ihren Alben ja auch Risiken ein, sie alle machen ihr eigenes Ding. Das machen wir auch. Nur vielleicht anders.

Hast du Angst, dass einige Fans jetzt vielleicht enttäuscht sind?
Natürlich bin ich ein wenig besorgt, was unsere Fans von dem Album halten werden. Die „Emo“-Story baut sich immer weiter auf und alle sprechen vom großen Emo-Revival – ich wusste bis vor kurzem nicht mal, dass so was überhaupt existiert. Wir haben ein Album geschrieben, um ein Album zu schreiben. Vor allem die Songs und die Musik haben uns sehr motiviert. Alles hat sich endlich mal wieder spannend angefühlt. Natürlich klingen einige Stücke ein wenig nach Emo, aber es ist bei weitem nicht der Großteil. Ich bin mir sicher, dass unsere Fans schnell merken werden, wie viel Spaß wir an diesem Album hatten, wenn sie die neuen Songs zum ersten Mal hören. Ich hoffe, dass die Emo-Erzählung das Album nicht überschattet, denn ich mag es wirklich sehr und bin ziemlich stolz darauf.

Du hast seit „Mania“ wieder vermehrt Scores für Filme und TV-Serien komponiert. Hat das dein Songwriting beeinflusst? Vor allem was die Streicher und Bläser angeht?
Das Ding ist, dass ich diese Ideen schon immer hatte, aber nie wusste, wie ich sie richtig ausdrücken soll. Mittlerweile fühle ich mich viel wohler dabei, mit einem Orchester zu arbeiten, und ich weiß, wie ich meine Gedanken in Worte fassen kann. Das ist wie mit Fremdsprachen. Ich lerne schon mein halbes Leben lang Spanisch, traue mich aber immer noch nicht, vor Leuten zu sprechen. Und genau so ist das mit den Streichern oder den Bläsern, den Chören oder sogar mit den Synthesizern. Doch mittlerweile fühle ich mich viel sicherer. Wir haben alle viel mehr Selbstvertrauen und das hört man auf dem neuen Album auch. Ich komponiere seit acht Jahren Soundtracks und habe seitdem mehr Songs geschrieben als in den 14 Jahren FALL OUT BOY davor. Es hat mir wirklich geholfen.

Ich habe mir kürzlich den Film „Reality Bites“ angeschaut und finde, dass „So Much (For) Stardust“ im Ganzen ähnliche Themen behandelt: Teenage Angst, Wut und vor allem den Zeitgeist der frühen Neunziger. Passt das?
Es ist verrückt. Ich lese nun seit zwanzig Jahren Petes Texte und ja, es hat sich wirklich vieles verändert. Doch das Einzige, was sich nie verändert hat, ist Petes Wut. Er ist einfach so wütend. Es ist ein Teil von ihm. Als wäre er immer noch ein 15-jähriger Teenager. Es fühlt sich an, als würde er mit dem Alter immer ängstlicher, wütender und trotzdem irgendwie scharfsinniger werden. Es ist ein bisschen so, wie wenn die Flugbegleitung dich total schlecht behandelt, du aber nicht weglaufen oder die Person anschreien kannst. Und dann zeigst du deine Wut, indem du die Person einfach nur anlächelst. Pete ist wütender, aber zugleich auch verhaltener. Und das fühlt und hört man auf dem Album.

Und was hat es mit der pinkfarbenen Muschel und dem Ethan Hawke-Snippet aus „Reality Bites“ auf sich?
Dafür hat Pete gekämpft. Über dieses Ethan Hawke-Zitat aus „Reality Bites“ denkt er seit fast dreißig Jahren nach. Es hat sich einfach in seinem Kopf festgesetzt. Ich spekuliere aber nicht so gerne über seine Texte. Das Gute nach all den Jahren ist nämlich, dass ich die Texte nicht schreibe und mir nicht so viele Gedanken machen muss, was er damit sagen möchte. Ich würde einiges vielleicht anders ausdrücken, aber ich möchte ihm da nicht reinreden und auch gar nicht wissen, warum er das so fühlt, denkt und sagt. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich acht war. Veränderungen haben mich seitdem nicht mehr geschockt. Ich bin da realistischer und pragmatischer. Pete hingegen ist anders. Ihn überraschen Dinge immer noch. Und deswegen klammert er sich an dieser pinkfarbenen Muschel und diesem Zitat so sehr fest.

Du hast kürzlich in einem Interview gesagt, dass es sich anfühlt, als könnte es das letzte Mal sein, dass jemand die „Rechnung für das Orchester bezahlt“. Wie damals bei „Folie À Deux“. Woher kommt das Gefühl?
Wir machen das Ganze jetzt schon seit 22 Jahren. Ich habe ganz früher in einem Secondhand-Plattenladen gearbeitet. Wir hatten ausschließlich gebrauchte Platten. Also Platten, die die Leute nicht mehr haben wollten und verkauft haben. Nicht ihre Lieblingsalben, sondern die, die normalerweise in einer Box auf dem Speicher landen. Seitdem weiß ich, dass Musik temporär ist. Eine Band, die in den Siebzigern noch 10 Millionen Alben verkauft hat, hat von dem zweiten vielleicht schon gar nichts mehr verkauft und plötzlich ist sie von der Bildfläche verschwunden und niemand erinnert sich mehr an sie. Ich mag unser letztes Album „Mania“ sehr, auch wenn die meisten diese Einschätzung nicht teilen. Ich finde viele Dinge aber wirklich toll daran. Hätte ich gekonnt, hätte ich das Album noch verrückter gestaltet. Denn das Einzige, was funktioniert hat an dem Album, ist, dass es weird und schwer zu fassen war. Ich hätte es durchgehend noch verrückter als „Young and menace“ machen müssen. Gerade weil niemand diesen Song mochte. Rückblickend glaube ich, dass das die eigentliche Herausforderung gewesen wäre. Ich habe mich nach der Veröffentlichung einfach unerfüllt gefühlt.

Seid ihr deswegen nach der Veröffentlichung von „Young and menace“ noch mal für fast ein halbes Jahr verschwunden? Ihr habt alles neu geschrieben, oder?
Das ist leider wahr. Und vielleicht war das keine clevere Entscheidung. Ich habe „Young and menace“ geschrieben und wollte von da aus weitermachen und ein Album schreiben, das genauso klingt. Doch damit war ich alleine in der Band. Ich habe zu der Zeit viel Future-Bass und Grime gehört und wollte Rockmusik so weit pushen, wie es 2018 nur möglich war. Alle standen bei „Young and menace“ noch hinter mir, nach der Veröffentlichung war ich alleine. Es sollte ein experimentierfreudiges Album werden. Ein weirdes Album. Am Ende war es nur halb weird. Das war das Problem. Und ich wollte an diesem Punkt nicht aufhören. Ich habe mich gefragt, was ist, wenn ich morgen sterbe? Es wäre fein für mich, wenn mein letztes Album okay ist, aber das war „Mania“ nicht. Also hatte ich den Drang, noch ein gutes Album nachzulegen. Vor allem nach Corona. Adam Schlesinger von FOUNTAINS OF WAYNE ist an dem Virus gestorben. Er war nicht alt und in keiner schlechten Verfassung. Wir haben uns nie getroffen, aber hatten viele gemeinsame Freunde. Wir waren alle geschockt. Das machte es so real. Das hat was mit mir gemacht. Deswegen hatten wir das Gefühl, dass es das letzte Mal sein könnte, das jemand das Orchester bezahlt. Ich habe deshalb – vor allem in den letzten Song und Titeltrack „So much (for) stardust“ – einfach alles reingesteckt. Jedes kleinste Gramm. Denn wir werden nie wieder die Chance bekommen, es noch mal aufzunehmen.

Es fühlt sich dann doch irgendwie an, als wäre es ein Abschied. Oder ist es nur der Beginn eines neuen Kapitels?
Ich weiß es nicht. Ich würde mir wünschen, dass es ein neues Kapitel ist. Das Album hat mich inspiriert. Ich habe noch nie so viele Songs nach einer Aufnahme geschrieben, wie nach „Stardust“. Pete hat kürzlich gesagt – und da stimme ich ihm zu –, wir haben Familien, wir haben Kinder, wir haben Hypotheken und Verpflichtungen. Klar, wir können auf Tour gehen und die ganze Welt sehen, doch wir sind dann nicht bei unseren Kindern. Erleben nicht, wie sie groß werden. Und das kommt nie wieder zurück. Deswegen muss das alles hier einen Zweck haben, etwas Besonderes sein, um das alles zu rechtfertigen. Ich habe gerade wieder richtig Lust, bin inspiriert und wäre dabei, aber ich bin auch der Typ, der „Young and menace“ geschrieben hat, also weiß ich nicht, ob der Rest der Band da hinter mir steht. Als wir „What a catch, Donnie“ geschrieben haben, wussten wir nicht, ob wir ein Jahr später noch eine Band sein würden. Das war Teil des Songs. Das war uns allen klar. Doch bei „Stardust“ ist das nicht so. Wenn, dann vielleicht nach „Mania“. Also direkt danach. Da haben wir uns schon gefragt, ob wir noch weitermachen sollen. Das hat halt auch keinen Spaß gemacht. Dann sagte mir Pete kürzlich noch, dass er nicht mehr auf Tour gehen möchte. Pete Wentz! So was hat er in den letzten 22 Jahren noch nie gesagt. Das hat mich geschockt, vor allem weil ich normalerweise der Typ bin, der das Studio nicht verlassen will. Doch als wir „Stardust“ dann schrieben, die ersten fertigen Songs hörten und jetzt das komplette Album, hat sich vieles in der Band geändert. Wir haben richtig Bock und gehen bald auf Tour und freuen uns. Und jetzt gerade, in diesem Augenblick, fühlt es sich nicht nach einem Abschied an.