Ob Country, Folk, Blues, Hardcore oder Freejazz - SHOCKABILLY-Gründer Eugene Chadbourne ist nicht nur ein Veteran des experimentellen amerikanischen Musik-Undergrounds, sondern ein musikalischer Weltenbummler, der nie mit sich zufrieden ist und immer wieder nach neuen Impressionen und Klangabenteuern sucht. Gerne erinnere ich mich an einen Soloauftritt in Hamburg: Dabei wurden Gitarre und Banjo nicht nur mit allen (un-)möglichen Gegenständen wie zum Beispiel Flaschen, Luftballons oder einer Zahnbürste bearbeitet, die dann nach einiger Zeit wie ein uninteressant gewordenes Spielzeug achtlos auf den Boden fielen, sondern es wurden auch sonderbare Orte gewählt. Eugene Chadbourne krabbelt auch schon mal unter die Bühne oder spielt auf einem Sessel sitzend im Backstageraum. Dazu kommt noch seine sehr betonte Körpersprache, denn die Töne werden mit Grimassen kommentiert. Ein Mann, von dem eine leidenschaftliche Faszination ausgeht.
Wann hast du mit Musik begonnen und was hat dich inspiriert?
Ich habe begonnen Gitarre zu spielen, nachdem ich die BEATLES im Fernsehen gesehen habe. Genau genommen waren es aber die Reaktionen der Mädchen am nächsten Tag in der Schule, denn sie waren von den BEATLES begeistert! Ich dachte mir, das ist für jemanden wie mich eine ganz neue Möglichkeit interessant zu sein, denn bis dato wurden von den Mädchen nur die Jungs beachtet, die sich gegenseitig prügelten oder gut in Sport waren.
Dein musikalisches Spektrum reicht von Punk über 60s Trash, Garage, Folk, Country, Blues bis Jazz ... Warum hast du eine so große Bandbreite? Gibt es hierfür unterschiedliche Motive?
Ich mag halt all diese Musik und gerade die Kombination aus ganz verschiedenen Musikstilen ist für meinen eigenen Stil sehr bedeutsam, dazu kommen dann ja auch noch die verschiedenen Charaktere der beteiligten Musiker. Gerade das Zusammenbringen von Musikern aus verschiedenen Genres ist mir sehr wichtig.
Du bist früher mit einer elektrischen Harke aufgetreten. Benutzt du diese noch und hast du weitere Instrumente kreiert?
Modifiziert beziehungsweise kreiert habe ich zum Beispiel eine elektrische Saugglocke, einen Vögelkäfig, das Bullauge, einen Einkaufswagen, einen Toaster, einen Golfschläger, eine Fahrradluftpumpe, einen Bleistiftanspitzer ... und noch mehr!
Wie bekommst du die ganzen verschiedenen weltweiten Bands/Projekte/Gigs unter einen Hut?
Durch Besessenheit und indem ich mir keine Ruhepausen gönne.
Eine Vorstellung deiner bisherigen Aktivitäten würde den Rahmen sprengen. Deshalb, bitte erzähle mir etwas über deine gegenwärtigen Projekte. Und, diese Frage sei erlaubt, gibt es irgendwelche neuen SHOCKABILLY-Aktivitäten?
Es gibt eine neue Band. Bei G.O.I.N., also "Get Out Of Iraq Now", handelt es sich um ein Projekt mit Brian Ritchie und Victor de Lorenzo von den VIOLENT FEMMES sowie Brian Jackson am Piano. Wir sind politisch aktiv und machen dabei Free Jazz, eine schöne Kombination. Es folgt eine Tour und es gibt ein neues Livealbum: "Get Goin'". Die JACK AND JIM SHOW mit mir und Jimmy Carl Black plus, zumindest zeitweise, Pat Thomas an den Keyboards, der ist auch noch immer sehr aktiv. Die neue CD heißt "Hearing Is Believing". SHOCKABILLY haben sich 1986 aufgelöst, diesen Sommer werde ich wohl ein Livealbum herausbringen: "Shockapril Fools-Abilly".
Ach ja, die VIOLENT FEMMES ... In einem alten Interview habe ich mal gelesen, dass du die Platte "Corpses Of Foreign War" nur deshalb mit ihnen zusammen aufgenommen hast, weil du Geld brauchtest?
Ähm ... nun ja, das ist wahr. Aber es ist noch immer eine großartige Platte. Manchmal toure ich mit ihnen, ich spiele dann extra Banjo, Gitarre und die elektrische Harke! Auf der letzten Tour war es aber die Electric Ladybug Lamp!
Was ist bitteschön eine "Electric Ladbybug Lamp"?
Oh, dieses Insekt habt ihr wohl auch in Deutschland, einen Marienkäfer. Wir nennen ihn Ladybug, sie sind Orange mit schwarzen Punkten und fliegen. Es handelt sich um eine Designerlampe, die aber nicht richtig funktioniert, also habe ich sie zu einem Musikinstrument umgebaut. Ich habe dieses Instrument auf der Tour mit den VIOLENT FEMMES benutzt, und sie haben es als elektrische Spinne bezeichnet, denn nachdem ich die Lampe umgebaut hatte, sah sie wirklich eher wie eine Spinne aus. Bei einem Konzert in der Nähe von Mailand wurde es bei einem Solo leider zerlegt, R.I.P.
Und dann ist da ja auch noch das AKI TAKASE FATS WALLER PROJECT, mit der japanischen Pianistin Aki Takase, Paul Lovens am Schlagzeug, Rudi Mahall und Nils Wogram mit Bassklarinette und Posaune, sowie Eugene Chadbourne, Banjo, Gesang und Gitarre ... Wie entstand da die Zusammenarbeit?
Sie brauchten jemanden, der sowohl Banjo als auch Gitarre spielt sowie auch singt, und der Schlagzeuger Paul Lovens, er arbeitet mit Aki Takase zusammen, schlug mich vor. Ich muss dazu sagen, dass Paul und ich vor etwa zehn Jahren als Duo zusammen unterwegs waren. Mittlerweile sind wir, nach einer vierjährigen Pause, wieder aktiv, im Sommer gab es einige Konzerte. Die Möglichkeit, die übergeschnappten Gefühle von Fats Waller nachzubilden, stellt für mich einen sehr unterhaltsamen Rahmen dar.
Du hast bisher viele verschiedene Medien wie Tapes, LPs, CDs und so weiter veröffentlicht, hast du überhaupt eine ungefähre Ahnung, wie viele Tonträger es sind?
Oh, jeweils Hunderte von jedem ...
Hast du da noch einen Überblick, wie viele LPs, CDs und MCs du verkaufst? Welches sind die Top Five?
Über meine Website sind es mindestens 1.000 pro Jahr und seit Beginn etwa eine halbe Million oder so etwas in der Art. Die Original-LP CAMPER VAN CHADBOURNE verkaufte sich mindestens 15.000-mal. Die Top-5 von meinem eigenen Label sind in diesem Jahr: 1. "Corpses Of Foreign War" mit den VIOLENT FEMMES, dann 2. "Rebuild New Orleans In Iraq", 3. das Doppelalbum "LSDC&W", 4. "Tie: Duck Chad! And The Kitchen Concert", 5. "There'll Be No Tears Tonight".
Verkaufst du dies alles noch immer bei Konzerten direkt aus dem Gitarrenkoffer?
Ja natürlich, aber ich verkaufe auch einiges über das Internet.
Hat sich durch das Internet etwas an deiner Arbeitsweise geändert?
Als ich damit begann, eigene Platten aufzunehmen, war natürlich ein Postamt sehr wichtig, denn ich bin sofort zur Stelle, wenn es darum geht, Platten ins Ausland zu schicken. Das Einzige, was sich geändert hat, ist die Art der Kontaktaufnahme. Früher war es für Leute, die einen Artikel von mir in einer Illustrierten oder ein Review gelesen haben, ein etwas umständlicher Weg, um mit mir in Kontakt zu treten. Über das Internet können sie mir jetzt direkt eine E-Mail schreiben.
Wer steckt hinter dieser großartigen Homepage mit den ganzen verstecken Animationen?
Die gesamte Homepage stammt von einem Franzosen. Ich kann dazu gar nicht viel sagen, denn ich sah ihn nur ein einziges Mal und da war er vollkommen betrunken. Sein Name steht auf der Website. Leider lädt der Rechner, den ich gerade benutze, die Animationen nicht hoch, es liegt sicherlich am Internetzugang, denn ich befinde mich gerade in einem Pariser Hotelzimmer.
Einige deiner CDs beziehungsweise die Pappschuber dafür bestehen aus Verpackungsresten und sind mit Tesafilm zusammengeklebt. Für das Inlay oder besser die Songtitel auf dem Cover benutzt du Altpapier - also bereits bedrucktes Papier, auf welchem die Songtitel ausgedruckt oder sogar handschriftlich hinzugefügt werden. Das ist alles sehr D.I.Y.!
Ich bin sehr zwanghaft, wenn es darum geht, Dinge selbst zu machen. Und natürlich ist es auch eine gute Möglichkeit, die Papierabfälle weiter zu verwenden.
Neben der Musik bist du auch als Dozent an Universitäten und Schulen aktiv und veranstaltest Musik-Workshops. Ist es auch hier das Geld oder möchtest du den Schülern etwas Bestimmtes vermitteln?
Nein, in diesem Fall ist die Bezahlung nicht so gut. Es ist die Fülle der Möglichkeiten, die sich bieten, junge Menschen zu beeinflussen. Es funktioniert spielend und man erzielt dabei so positive Ergebnisse.
Auf einigen deiner CDs taucht der Name Molly Chadbourne auf. Handelt es sich dabei um deine Tochter?
Ja, insgesamt habe ich drei Töchter. Molly ist 21 Jahre alt und singt mit mir zusammen, seit sie sechs ist.
Seit sie sechs Jahre alt ist? In einem alten Interview habe ich einmal gelesen, dass du früher deiner Tochter auf der Gitarre und dem Banjo vorgespielt hast, um aufgrund ihrer Reaktion herauszufinden, welche Parts geeignet sind, um weiter verwendet zu werden. War es Molly?
An dieses Interview erinnere ich nicht mehr. Aber es ist wahr, ich höre auf die Reaktionen meiner drei Töchter, nur nehme ich die Reaktionen nicht immer ernst.
Womit beschäftigst du dich, wenn du keine Musik machst?
Also zunächst wäre da die Gartenarbeit zu nennen, dann Kochen, Archäologie, Malen, Lesen und Filme.
Hm, Kochen, bist du eigentlich ein Vegetarier?
Nein! Ich esse auch etwas Fleisch ... wie zum Beispiel Ente.
Hast du dennoch ein vegetarisches Rezept für das Ox am liebsten natürlich mit einem Musiktitel, den du beim Kochen gerne hörst?
Ungewöhnlicherweise höre ich nur beim Aufräumen der Küche Musik und beim Kochen benutze ich normalerweise keine Anleitung. Aber kennst du Scotch Broth? Dies war etwas, was ich während einer Tour durch Schottland kennen gelernt habe. Der Tourmanager setzte das Gerücht in die Welt, ich sei ein Vegetarier, und daraufhin bemühten sich die örtlichen Veranstalter, mir jedes in Schottland existierende vegetarische Gericht vorzusetzen. Scotch Broth besteht zu gleichen Teilen aus Möhren, Kartoffeln und Porree. Es wird alles in kleine Stücke geschnitten, dann kommt alles zusammen in einen Topf, Wasser hinzufügen, dass damit alles bedeckt ist, und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Das Ganze wird dann so lange gekocht, bis sich der Porree in der Suppe aufgelöst hat. Ich sage dir: Vegetarier lieben das und wollen immer das Rezept haben - aber es gibt kein Rezept.
Eugene, ich danke dir recht herzlich für deine Geduld und deine Antworten.
To you I say eine grosse danke schoen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #70 Februar/März 2007 und Kay Wedel
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #29 IV 1997 und Joachim Hiller