Estrus Records aus Bellingham im US-Bundesstaat Washington ist mit Sicherheit eines der derzeit besten Labels der Welt. Ein Superlativ, ich weiss, aber bei wievielen Labels hat man sonst das Gefühl, dass so gut wie jede Veröffentlichung ihre Berechtigung hat, musikalisch und deshalb, weil man dem Menschen, der hinter den Veröffentlichungen steckt, soviel an geschmacklicher Kompetenz zutraut, dass eine Scheibe, die er rausbringt, schon deshalb ihre Berechtigung hat? Eben, und auch wenn mein Urteil vielleicht etwas euphorisch ausgefallen ist, so ist doch unbestreitbar, dass nur wenige andere Labelmacher auf eine ähnlich imposante Reihe von erstklassigen Releases verweisen können wie Dave Crider. Der Mann, der Anfang Mai noch schwer mit den Vorbereitungen für das dreitägige Monsterfestival "Garage Shock" beschäftigt war, beantwortete mir die grundsätzlichsten Fragen zu seinem Label.
Wann hast du das Label gestartet?
Ich hab mit dem Label 1987 angefangen, um die ROOFDOGS-Cassette rauszubringen. Bis ´89 kam dann nix, bis wir die "Burning Bush" 7" meiner Band, der MONO MEN auf die Menschheit losliessen. Ursprünglich war das Label nur dazu da, um den Kram von meinen Bands zu releasen, aber es wurde ziemlich offensichtlich, dass es noch ein paar ähnlich denkende Bands gab, auf die ich abfuhr, die Hilfe brauchen konnten um ihren Müll rauszubringen, und damals war niemand da, der wirklich daran interssiert gewesen wäre, ihnen zu helfen.
Wie kamst du zum Punkrock, bzw. dem Musikstil, wie auch immer du ihn nennen willst, den du präferierst? Welche Bands waren damals wichtig für dich?
Ich denke, dass würde auf deine Definition von Punkrock ankommen. Die Bands die mich damals inspirierten als ich mit Estrus begann, waren unter anderem THE SAINTS, LIME SPIDERS, THE NOMADS, SCIENTISTS, SHADOWY MEN ON A SHADOWY PLANET und THE RAMONES.
Wie gingst du beim Aufbau von Estrus vor? Hattest du schon Erfahrungen gesammelt, wie man ´ne Platte rausbringt, und wie hast du das Geld zusammen bekommen?
Es ist wirklich nicht so schwer ´ne Platte rauszubringen, der harte Teil der Arbeit ist, gute Promotion zu machen, die Vertriebe dazu zu bringen, deine Sachen zu nehmen und natürlich die Plattenläden dazu zu bewegen, sich die Platten in den Laden zu stellen. Als ich mit dem Label anfing, arbeiteten wir mit 250 Läden, übers ganze Land verteilt, zusammen. Solange bis das Geld zurückzufliessen beginnt, und das ist der schwerste Teil, musst du bereit sein dir den Arsch abzuarbeiten und eine echte Leidenschaft aufbringen für das, was du tust.
Welche anderen Labels, Personen oder Ideen inspirierten dich das Label zu starten?
Ich glaube meine grösste Inspiration war Conrad Uno, der sowohl Popllama Records und die Egg Studios in Seattle betreibt. Er half mir öfters, als ich mit dem ganzen Kram anfing und ist immer noch ein guter Freund. Conrad bringt immer noch Musik raus, die er liebt, egal ob sie ein "kommerzielles Potential" besitzt oder nicht, und er hat zahllosen Bands durch seine Arbeit im Studio geholfen, auf anderen Labels unterzukommen.
Wer sind die Leute hinter dem Label?
Ausser mir selbst noch meine Frau Bekki, die den Mailorder macht und Carl, der sich um die Promotion kümmert.
Du machst ja auch selbst Musik...
Ja, ich hab früher bei den ROOFDOGS und den MONO MEN gespielt, und zur Zeit bin ich bei den WATTS. Wir waren jetzt gerade im Studio und unsere erste Scheibe sollte im Juli draussen sein.
Ich gehen mal schwer davon aus, dass Estrus ein "Job" ist, der so ziemlich deine ganze Zeit in Anspruch nimmt.
Oh ja! Ich mache das Label als Full-Time-Job, aber trotzdem ist es für mich eher ´ne Sache aus Leidenschaft als ein Job. Ich mache das, weil ich an die Bands glaube, mit denen ich zusammenarbeite.
Hast du eine bestimmte Labelpolitik?
Ja, und die ist ganz simpel: ich bringe nur das raus, was ich mag.
Hat es für dich eine Bedeutung ein "Indielabel" zu sein?
Ja, natürlich ist für mich wichtig, dass Estrus ein Indielabel ist. Estrus wird aus Leidenschaft gemacht und unsere Motive sind nicht finanzieller Natur. Ich bringe Platten raus, die ich von Bands kriege, wo ich sowohl die Musik als auch die Musiker als Personen schätze. Und ich muss sagen, über die Jahre haben die positiven Erfahrungen in der Musikszene die negativen überwogen, insofern, als dass ich eine Menge ähnlich denkender Menschen getroffen habe und über die Jahre´ ne Menge Freunde gewonnen habe.
Vinyl? CD? Was ist dir lieber?
Ich mag Vinyl lieber, wohl auch, weil ich damit aufgewachsen bin. Ich habe aber kein Problem mit CDs, auch nie gehabt, aber ich mag Vinyl einfach lieber. Soweit es das Artwork zulässt, mach ich aber gerne "cool shit" mit Vinyl, da hat man einfach mehr Möglichkeiten.
Apropos: Alle Estrus-Releases haben einen bestimmten Stil - wer steckt dahinter?
Meistens mein guter Freund Art Chantry: er designt die Anzeigen und die meisten Plattencover und ich denke, man kann seine Handschrift immer ganz gut erkennen. Er ist echt sehr, sehr gut und ich bewundere ihn wirklich.
Wer sorgt dafür, dass eure Platten überall in den Läden und Mailorderlisten stehen?
Die letzten sieben Jahre wurden wir durch Mordam Records in San Francisco vertrieben, aber wir haben jetzt den ganzen Krempel unseren Freunden von Touch & Go in Chicago übergeben. Es gibt kein böses Blut zwischen uns und Mordam: sie haben in der Vergangenheit einen grossartigen Job für uns gemacht und Ruth ist einer der ehrlichsten und offensten Menschen der "Indie-Welt", aber der Wechsel zu Touch & Go wird sowohl für die Bands als auch das Label besser sein. Ich kenne einige der Typen dort seit fast 10 Jahren und Coreys Ruf spricht für sich selbst. Ich bin sehr aufgeregt über den Wechsel. Wir werden in Deutschland exklusiv über Cargo Germany vertrieben werden und sie sind davon genauso begeistert wie wir. Ich denke, es wird cool werden für uns und sollte wirklich helfen, den "Estrus Gospel" noch weiter zu verbreiten.
Was würdest du als Label niemals machen?
Ich würde nie eine Platte nur aus finanziellen Gründen machen. Ansonsten gilt: Never say never.
Was war bisher dein grösster Erfolg und was deine grösste Enttäuschung?
Das würde davon abhängen von wo aus du Erfolg und Misserfog festlegst. Ich bin Stolz auf jede Platte, die ich gemacht habe, dass ist eigentlich ein grosser Erfolg für mich.
Vor ein paar Jahren wurde euer gesamtes Büro bei einem Feuer zerstört. Wie kommt man mit sowas klar und vor allem, wie kommt man danach wieder auf die Beine?
Das war natürlich eine Katastrophe, aber ich bin so froh, dass das alles hinter uns liegt, dass ich darüber echt nicht mehr reden will. Wen´s interessiert, der kann sich auf unserer Homepage darüber informieren. Ich hoffe, du verstehst das, aber das ist eine Sache, die ich lieber nicht wieder durchmachen möchte. Aber ich würde gerne noch mal allen Leuten/Bands danken, die uns nach dem Brand geholfen haben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #35 II 1999 und Joachim Hiller