ERIC DROOKER

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Bilder sagen mehr als Worte

Allen Ginsbergs Gedichte in Bilder fassen? Eric Drooker hat es gewagt und lässt Bilder sprechen. Auch seine Comics kommen nahezu ohne Worte aus. Eine feine Sache für den Übersetzer der erst kürzlich bei Reprodukt erschienenen deutschen Version von „Flood!“, denn bis auf den Titel war fast nichts zu übersetzen. Eric Drooker sollte man also besser nicht zutexten. Ein Schlagwortinterview.

Worte


In der Kultur, in der ich aufgewachsen bin, wird viel gesprochen – viel zu viel, wie ich finde. Man wird mit Worten regelrecht zugeschüttet. In der gesamten westlichen Kultur wird Worten eigentlich eine viel zu große Bedeutung beigemessen. Schließlich sind sie doch genau genommen nur Symbole. Zum Beispiel das Wort „Wasser“: Das Wort kannst du nicht trinken, du brauchst schon die Sache an sich, echtes Wasser also. „Wasser“ ist nur ein Wort, „Geld“ ist nur ein Wort. Worte sind sehr indirekt, ich glaube den Worten anderer oft auch nicht mehr. Worten kann ich nicht bedingungslos trauen, du kannst ja eigentlich sagen, was du willst, es muss keine Übereinstimmung mit der Realität vorliegen. Manchmal gibt es die, manchmal auch nicht. Trotzdem finde ich Worte faszinierend, es geht mir mehr um die Bedeutung, die ihnen beigemessen wird. Es ist eine Menge Arbeit, zu verstehen, was sie bedeuten, ich verbringe so viel Zeit damit, Worte zu deuten, dass es mir fast wie Zeitverschwendung erscheint. Manchmal wünsche ich mir einfach, dass es keine Worte gäbe.

Straßen

Straßen sind mir als Großstadtmensch natürlich sehr vertraut. Ich mag sie, weil sie verbinden. Wenn du dir ein Auto oder ein Fahrrad schnappen würdest, könntest du über diese Straße vor uns zum Beispiel nach China fahren oder wo immer du hin willst. Jede Straße ist mit irgendeiner anderen Straße verbunden und man kommt eigentlich über eine einzige Straße überall hin, das fasziniert mich an Straßen. Außerdem sind sie auch Treffpunkte, auf denen verschiedene Nationalitäten und Kulturen aufeinanderstoßen. Eine Art Marktplatz sozusagen.

Aktivität

Es gibt sehr, sehr viele Möglichkeiten, aktiv zu werden. Sogar innerhalb der kurzen Zeitspanne eines einzigen Tages. Manche Aktivitäten sind physischer Natur, daran denkt man in der Regel zuerst, aber das müssen sie eigentlich nicht sein, es gibt ja durchaus auch geistige Aktivitäten. Wir sollten unsere wie auch immer gearteten Aktivitäten auf jeden Fall so weit wie möglich genießen. Ich genieße die überwiegende Mehrzahl meiner Aktivitäten. Diese ungewöhnliche Tour, die ich hier zum Beispiel gerade mache oder meinen Lehrauftrag in Saarbrücken, das genieße ich schon sehr. Ich bin zehn Jahre nicht mehr in Europa gewesen, kaum zu glauben, oder? Dann hat mich die Hochschule der bildenden Künste in Saarbrücken zu einem Lehrauftrag im Juni eingeladen und ich dachte, wenn ich schon mal in Deutschland bin, frage ich Ingo [Ebeling, The Company With The Golden Arm], ob wir nicht eine Book-Tour machen können. Und seit Mitte Mai touren wir jetzt durch Deutschland und Frankreich. Auch während meines Lehrauftrags im Juni gab es an den Wochenenden ein paar Extra-Diashows hier und da. Seit sechs Wochen bin ich nun unterwegs, morgen ist in Aachen meine letzte Show. Das ist schon eine Menge Arbeit. Die ganze Rumfahrerei und das Drumherum, das ist auf Dauer ein wenig stressig. Insbesondere, weil ich Autofahrten nicht sonderlich mag. Aber Ingo war ein toller Begleiter und hat das alles rausgerissen.

Auch der Lehrauftrag war ein wenig herausfordernd. Obwohl ich über die Jahre hinweg schon einige Lehraufträge hatte, finde ich es noch immer schwierig. Es ist mir wichtig, meine Sache möglichst gut zu machen und ich investiere deswegen eine Menge Energie dort hinein. Das nehme ich schon sehr ernst. Und es frisst wirklich Unmengen an Energie. Deswegen arbeite ich in der Regel auch lieber allein, als zu lehren. Aber ab und zu mal einen Lehrauftrag für ein, zwei Monate anzunehmen, das ist schon in Ordnung. Es gibt dir ja auch etwas zurück. Bereichernd ist, dass du als Dozent dazu gezwungen bist, dich eindeutig auszudrücken und deine Ideen, Philosophien oder Ansichten klar in Worte zu fassen. Das macht einige Dinge auch für dich selbst transparenter, eine gute Sache also. Wenn du ein guter Lehrer sein willst, musst du natürlich auch ein guter Zuhörer sein, anderen Menschen ausreichend Aufmerksamkeit schenken und mit ihnen interagieren. Ich habe wirklich einige ausgezeichnete Studenten in meinem Kurs. Ich hoffe, sie lernen genauso viel von mir, wie ich von ihnen ...

Humor

Humor ist enorm wichtig. Nicht bei all unseren Tätigkeiten, aber doch bei den meisten. Die meisten Aktivitäten sollten oder müssten humorvoller sein. Auch Dozenten sollten humorvoll sein. Es hilft, Studenten lernen einfach besser von dir, wenn sie wissen, dass du einen gewissen Sinn für Humor hast. Die meisten Leute sprechen mir als Person auch durchaus die Eigenschaft „humorvoll“ zu, ich bin ein lustiger Typ. Wenn du dir aber meine Bilder ansiehst, sind diese überwiegend doch sehr ernst. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund gibt es in meinen Bildern recht wenig Humor. Warum? Eigentlich sollte da mehr Humor zu finden sein und ich bin selbst immer wieder überrascht, dass dieser nicht automatisch auftaucht, weil meine Kunst eigentlich eine Reflexion meiner Persönlichkeit sein sollte. Mir war das lange Zeit gar nicht bewusst, bis ein guter Freund mich darauf aufmerksam gemacht hat. Er sagte: „Eric, ich kenn dich jetzt schon so lange, du bist ein sehr witziger Typ und ein guter Künstler. Aber deine Kunst ist ziemlich ernst, vieles ist sehr traurig oder beängstigend.“ Darüber habe ich lange nachgedacht und musste ihm dann zustimmen. Es war mir vorher nicht wirklich bewusst. Umgekehrt habe ich aber auch schon einige Stand-up-Comedians getroffen, die privat todernst waren, haha. Das ist ein Mysterium, für das es keine Erklärung gibt.

Musik

Walter Pater, ein britischer Kunsthistoriker, hat mal gesagt, dass alle Kunst danach strebt, den Zustand der Musik zu erreichen. Alle Kunstformen, Malerei, Bildhauerei, Architektur, wollen der Musik ähnlich sein. Goethe hat auch etwas recht ähnliches gesagt, er sagte, dass Architektur erstarrte Musik sei. Musik ist meiner Meinung nach die Kunstform, die uns am tiefsten berührt. Jede Kunst ist emotional, aber Musik ist da, denke ich, am stärksten. Vielleicht ist sie auch die älteste Kunstform. Vielleicht auch nicht. Ich selbst spiele während meiner Diashow jedenfalls ein bisschen Banjo, um es zu einem vollen kulturellen Erlebnis zu machen. Musik hat auch einen großen Einfluss auf meine Kunst. In meinen Bildern gibt es oft Musiker und Instrumentalisten, das ist seit Jahren ein immer wiederkehrendes Motiv. Viele meiner Freunde sind Musiker und ich höre immer, wirklich immer, Musik, während ich arbeite. Irgendeine Musik, alles möglich, jegliche Art von Musik.

Punk

Ah, von dieser ganzen Punk-Geschichte habe ich langsam echt die Schnauze voll. Als es in den Siebzigern angefangen hat, dachte ich, das wäre schnell wieder vorbei, so wie bei den Hippies. Es würde vielleicht fünf bis zehn Jahre dauern und dann wäre Schluss. Aber dreißig Jahre später ist Punk tatsächlich noch immer da. Ich habe viel mit Richard Hell, Patti Smith und einigen anderen Punk-Pionieren zu tun gehabt, Jello Biafra ist noch immer ein guter Freund, aber vieles an Punk mochte ich einfach nicht und mag es auch noch immer nicht. Ich konnte diese Zurschaustellung, diese nach außen getragene Grundhaltung einfach nicht leiden, diese Uniformierung mit Iros, Sicherheitsnadeln und Lederjacken, das fand ich ein wenig dämlich. Die Punks haben mich dann irgendwie adoptiert. Sie mögen meine Bilder und haben sie auch oft für CD-Cover benutzt. Normalerweise haben sie mich nicht gefragt. Es stand für viele wohl einfach außer Frage, dass man meine Sachen einfach nehmen durfte, das ist Teil dieser Fuck-You-Einstellung, die ich vorhin auch meinte. Ich finde es zwar nicht so schlimm, aber doch etwas anmaßend.

Ein paar Dinge mag ich schon an Punk, den D.I.Y.-Gedanken zum Beispiel. Etwas selbst zu machen, nicht darauf zu warten, von einem Label entdeckt zu werden, etwas für sich zu machen, das finde ich toll. Aber ich bin immer ein wenig enttäuscht davon, wie schlecht ihre Musik auf Konzerten klingt. Nicht immer natürlich, manchmal ist sie wirklich gut, aber oft auch nicht. Das ist meine Meinung. Aber es gibt auch Punkbands die ich mag, THE CLASH, CRASS, DEAD KENNEDYS, FALSE PROPHETS zum Beispiel. Aktuell gibt es eine Band aus New York namens STAR FUCKING HIPSTERS, die ich auch sehr gut finde. Das sind wirklich echte Punks, die nehmen Heroin und alles, was sonst noch dazu gehört. Und das wiederum mag ich auch nicht an Punk, diesen ganzen Heroinmist und das Selbstzerstörerische. Mit 23 aus einer Einstellung heraus zu sterben, das ist doch blöd.

Kommerz

Dieses Mal war ich zwar nicht dort, aber bei meinem letzten Europabesuch war ich mehrmals in Frankfurt. Es ist so eine hässliche Stadt. Das wiederum ergibt Sinn, wenn man weiß, dass es das Finanzzentrum Deutschlands ist. Es geht dort nur um Geld. Natürlich wird eine Sache hässlich, wenn es nur ums Geld geht. Es geht ja noch nicht mal ansatzweise um Kultur oder zumindest etwas in der Richtung, sondern wirklich nur ums Geld, die Börse, den Flughafen. Viele moderne Städte sehen wie Frankfurt aus: Hochhäuser und viele andere Phallussymbole, die das männliche Ego repräsentieren und das war’s. Das ist die negative Bedeutungsseite. Viel Geld und Businessleute, die Dinge verkaufen, die eigentlich umsonst sein sollten. Anders betrachtet kann Kommerz aber auch im positiven Sinne für den zwischenmenschlichen Austausch von Ideen stehen. Ich zum Beispiel baue auch einen Merchtisch auf und will meine Bücher und T-Shirts verkaufen. Also habe ich auch meinen persönlichen Kommerz. Das brauchst du als Künstler in einem kapitalistischen System auch, du musst ja auch irgendwie überleben. Aber du solltest ein gutes Produkt haben, das sich die meisten Leute auch leisten.

Moloch

Oh, du weißt also, wo ich herkomme ... Moloch ist eine Figur aus dem Alten Testament, aus dem Buch des Levitikus, er wird dort ein paarmal erwähnt. Ich habe es nie wirklich gelesen, ich bin immer nur bis Genesis gekommen, Noah, Turmbau zu Babel und so. Zuerst habe ich das Wort Moloch aber in Fritz Langs „Metropolis“ gehört. Den Film habe ich mit elf gesehen, mein Vater hat mich damals mit ins Kino genommen. Da gibt es diese berühmte Szene, in der die Untergrundfabrik sich in einen Riesen mit einem großen Mund verwandelt und die Arbeiter wie Soldaten in das aus seinem Rachen schießende Feuer laufen. Es sieht aus wie die Hölle. Es ist zwar ein Stummfilm, aber dann bewegt einer der Schauspieler den Mund und der Zwischentitel zeigt „Moloch!“, danach habe ich das Wort erst mal lange Zeit nicht mehr gehört. Bis ich das Ginsberg-Gedicht „Howl“ gelesen habe. Er benutzt es immer wieder: „Moloch whose eyes are a thousand blind windows! Moloch ...“ und so weiter.

Ich wusste nicht wirklich, was damit gemeint war und recherchierte ein wenig, als ich einige Gedichte mit Ginsberg zusammen als Bildband [„Illuminated Poems“] herausbringen wollte. Später wurde mein bebildertes „Howl“ dann auch in einen Trickfilm umgesetzt, aber das ist eine andere Geschichte. Die Hebräer haben Moloch von einem anderen Volk übernommen, in deren heidnischer Kultur Moloch ursprünglich der Gott des Lichts und des Feuers war, später aber nur noch der Gott des Krieges. In Levitikus lebt Moloch also weiter und wird mit Kindesopfern bei Laune gehalten: Im Alten Testament wurde das erstgeborene Kind in den Rachen des Molochs geworfen. Und wir machen es noch immer so in der modernen Kriegsführung, im Irak und sonst wo. Es sind oft Zivilisten, darunter viele Kinder, die bei Angriffen sterben. Das ist doch auch eine Form von Kindesopfern. Ich finde schon den Klang des Worts „Moloch“ abstoßend, sogar wenn ich nicht wissen würde, was es bedeutet.

Dichtung/Comics

Dichtung und Comics sind beides Kunstformen. In die Comic-Kunst, die ich im Laufe der Jahre geschaffen habe, habe ich versucht, so viel Dichtung wie möglich zu integrieren. Die besten Comics sind meiner Meinung nach poetisch. Comics und Dichtung haben diesen Rhythmus gemein, Comics haben einen bestimmten Rhythmus, in dem sie gelesen werden müssen. Bei Gedichten ist der Rhythmus manchmal sogar genauso wichtig wie der Inhalt, manchmal geht es einfach nur um den Klang. Viele von Ginsbergs Gedichten sind sehr abstrakt, aber sie folgen einem bestimmten Rhythmus. Kurt Schwitters, ein deutscher Künstler, der viel collagiert hat und auch als Dada-Poet sehr bekannt war, hat teilweise so gearbeitet. Seine Gedichte bestanden nicht aus Worten, sondern aus nahezu sinnfreien Silben und Wortfragmenten. Er erschuf eine Geräuschpoesie, die ganz eng mit Musik verbunden ist.

Außerdem

Mir gehen zur Zeit noch einige Gedanken durch den Kopf, die ich bislang noch niemandem erzählt und noch nicht in Worte gefasst habe, und ich dachte auch, dass ich das erst machen würde, wenn ich wieder zurück in den Staaten bin. Eines der Dinge, die ich mag, wenn ich in Europa, Asien, Südamerika oder jedem anderen Land unterwegs bin ist, dass du, wenn du dich in einer anderen Kultur mit einer anderen Sprache aufhältst, in einer Kultur, mit der du nicht vertraut bist, aber trotzdem Dinge siehst, die dir bekannt vorkommen. Oder du findest Übereinstimmungen mit deiner eigenen Sprache. Das eröffnet dir eine neue Perspektive auf deine eigene Kultur und Sprache. Lustig ist, dass dir die andere Kultur beispielsweise in Frankreich, noch mehr aber in Deutschland irgendwie wie eine Parodie deiner eigenen Kultur vorkommt.

Natürlich ist das nur meine Interpretation, das passiert unbewusst, ich projiziere das auf die Situation. Aber so fühlt es sich für mich nun mal an. Wenn ich in die Fußgängerzone gehe und dann eine Apotheke sehe und dort diese blöden Werbeaufkleber im Fenster zu sehen sind, dann ist das genau dieselbe Scheiße, die ich aus der westlichen Kultur der USA, in der ich ja hauptsächlich lebe, auch kenne. Ich betrachte es nur von einem minimal anderen Standpunkt aus. Dass diese andere Sprache das Ganze zurückreflektiert, hilft mir, die Absurdität meiner eigenen Kultur deutlicher zu erkennen. Die Dinge sind ähnlich, der Stil ist nur ein klein wenig anders. Das beeindruckt mich. Wenn ich jetzt hier schlimme und schreckliche Dinge sehen würde, hätte das sicherlich einen zwar beängstigenderen, aber in den Grundzügen doch sehr ähnlichen Effekt.

Deswegen sollte man auch ab und zu reisen. Ich sollte noch viel mehr reisen, ich komme eigentlich gar nicht so viel herum. Zurzeit lebe ich in Kalifornien, ich hatte die Schnauze voll von New York. Geboren und aufgewachsen bin ich in Manhattan und hatte den Hauptteil meines Lebens dort verbracht. Irgendwann hat es mich genervt und ich habe beschlossen, eine Zeit an der Westküste zu verbringen, um mal ein bisschen Abwechslung zu haben. Ich habe niemandem gesagt, dass ich umziehe, ich wusste das selbst eigentlich gar nicht so genau. Ich wollte nur ein bisschen raus und plötzlich waren einfach ein paar Jahre vorbei. Ich lebe jetzt also in Kalifornien, bin aber noch zwei- bis dreimal im Jahr in New York, treffe meine Eltern, alte Freunde, Ex-Freundinnen. Es gibt dort noch immer eine Menge Orte, an denen ich unterkommen kann. Ein paarmal im Jahr werde ich auch von Universitäten in den USA zu Diashows eingeladen und sehe dadurch Orte, die ich sonst wahrscheinlich nie besucht hätte. Clarksville, Tennessee und Ähnliches. Und das ist gut so.