Eric Davidson kennt man als Sänger der NEW BOMB TURKS, als smarten Interviewpartner, als musikgeschichtlich gebildeten Menschen, der seit einigen Jahren als Musikjournalist arbeitet, zuletzt als Redakteur beim New Yorker Fachblatt CMJ. Und Eric hat ein Buch geschrieben, „We Never Learn – The Gunk Punk Undergut, 1988-2001“ (Backbeat Books), quasi über die NEW BOMB TURKS, aber nicht direkt. Er beschäftigt sich mit dem Zeitraum von 1988 bis 2001 und dem, was er hier „Gunk Punk“ nennt, so unterschiedliche Bands wie COUNTRY TEASERS, DEVIL DOGS, JON SPENCER BLUES EXPLOSION, LAZY COWGIRLS, NINE POUND HAMMER oder OBLIVIANS umfasst – und was andere als „Garage Punk“ bezeichneten. Mithin also jene Szene, zu der die NEW BOMB TURKS (die ihre Aktivitäten nur reduziert, aber nicht eingestellt haben) gezählt werden. Ich ließ mir von Eric erklären, was „Gunk Punk“ ist und ob es in den USA wirklich so schlecht um die Musikmagazine steht, wie man hört.
Eric, Musiker und Journalisten scheinen häufig zwei unterschiedlichen Spezies anzugehören. Wie oft habe ich schon Antworten gehört wie: „Ja, eine gute Frage, aber ... hmm, ich weiß nicht. Ich will einfach nur Musik machen, verstehst du. Über so etwas denke ich gar nicht nach.“ Wie gehst du als Sänger und gleichzeitig auch Journalist mit diesem Konflikt um?
Als ich an meinem Buch gearbeitet habe, erschien es mir, als würden die meisten Bands mir Vertrauen entgegenbringen, weil ich selbst lange mit einer Band getourt bin. Deswegen waren sie vielleicht etwas offener und hatten nicht das Gefühl, gewisse Dinge zu sehr erklären zu müssen. Sie nahmen wohl an, dass ich die Lücken würde füllen können. Aber es ist auch so, dass viele Musiker nicht unbedingt umgänglich sind, sobald sie ihre Instrumente weglegen. Die Leute haben immer gedacht, ich würde auch Backstage kreischend durch die Gegend rennen, wenn sie gesehen haben, wie ich auf der Bühne abgehe. Manchmal mache ich das auch, aber meistens setze ich mich lieber hin und unterhalte mich über Film Noir. Auf jeden Fall sind Künstler nicht immer die Besten darin, über ihre eigene Kunst zu reden. Das merkst du, wenn du alles verwässerst, was du eigentlich versuchst zu erklären, oder wenn es einfach zu protzig klingt. Oder die Musiker wissen einfach nicht, wie das, was sie mit ein paar Freunden auf die Beine gestellt haben, überhaupt zustande gekommen ist, da es sich halt irgendwie ergeben hat. Bands, besonders Rock-Bands, die ihre Musik auseinandernehmen und analysieren, bis sie alles genau erklären können, sind meistens scheiße. Alleine im Tourbus reden Bands ohne Ende über Musik. Vielleicht ist es fehlendes Vertrauen, das viele beim Umgang mit Journalisten empfinden. Ich hatte da nie Schwierigkeiten. Ich habe immer sehr gern Interviews gegeben und das ist eines der Dinge, die ich am meisten vermisse, seit ich nicht mehr in einer Band spiele – solange ich dabei nicht die Intention hinter der Musik diskutieren muss.
Wie würdest du „The Gunk Punk Undergut, 1988-2001“, den Untertitel zu deinem Buch „We Never Learn“, erklären?
Ich hatte mir das einfach als witzigen Untertitel ausgedacht, als ich ungefähr ein Jahr an dem Buch gearbeitet hatte, denn Sachbücher brauchen Untertitel. Ich hatte nicht vor, diese ganzen Bands zusammen in ein neues Genre zu pressen. Ich wollte nur damit ausdrücken, dass es schon eine dreckige Form von Underground-Punk war, die da brodelte. Als das Buch dann gerade gedruckt wurde, schlug mir mein Verleger vor, den Titel noch etwas aufzupeppen, damit die Leute, die nicht zu den üblichen Verdächtigen gehören und das Buch sowieso sofort kaufen, auch davon angesprochen werden.
In welchem Jahr oder in welchen Jahren würdest du den Höhepunkt von Garagepunk ansetzen? Das müsste wohl irgendwann Mitte der Neunziger gewesen sein, als sogar Epitaph anfing, Bands wie die NEW BOMB TURKS zu signen.
Es gab keinen eindeutigen Höhepunkt, den man genau festlegen könnte. Musikalisch gesehen war es vielleicht das Theater um die SUPERSUCKERS, die vom Major Interscope wieder fallen gelassen wurden, bevor sie auch nur eine Platte dort veröffentlicht hatten. Das war um 1996 herum und zeigt, welche Schwierigkeiten diese „dreckige“ rauhe Musik hatte, ins Radio zu kommen. Als 1998 die besten Platten auf Crypt und In The Red rauskamen, einige Bands bei Majorlabels unterschrieben und die Medien anfingen, immer mehr elektronische Musik zu hypen, sah das alles nach einem Tiefpunkt für den ganzen Alternative-Rock-Kram aus. So was passiert eben mal. Man sollte noch erwähnen, dass der Beginn des Rechtsstreits zwischen den WHITE STRIPES und Long Gone John, dem Chef von Sympathy For The Record Industry, Ende 2001 ein sehr trauriges Ende für die Trash-Rock-Kultur bedeutete, die in den Neunzigern noch richtig brodelte.
Würdest das Ganze überhaupt als echte homogene „Szene“ bezeichnen?
Wenn Leute von „Szene“ sprechen, denke ich an CBGB’s 1976, London 1977, Seattle 1989, Chapel Hill 1995, Columbus 1993, Manchester 1991, L.A. 1978 und so weiter. Mein Buch beleuchtet viele Bands über einen sehr langen Zeitraum. Aber ich denke, es gibt eine Sorte Bands, die keinen vermarktbaren Modestil haben und auch nicht alle aus einer bestimmten Stadt stammen, und bei denen man dennoch zusammenfassend von einer „Szene“ sprechen kann.
Wie wichtig und einflussreich war dieser Sound rückblickend? Gibt es da noch mehr Überbleibsel im US- oder internationalen Mainstream als die WHITE STRIPES oder die HIVES?
Das ist schwer zu sagen, weil es ja nicht die eine Band gibt, über die man diese Musik perfekt definieren kann, wie bei NIRVANA und Grunge, den RAMONES und US-Punk, den SEX PISTOLS und UK-Punk, den STOOGES in Detroit, Donna Summer und Disco, LED ZEPPELIN und Stadion-Rock, Elvis und Rockabilly und so weiter. Die meisten dieser Bands haben nie mit Scheiße das dicke Geld verdient, womit ja bedauerlicherweise in unserer Gesellschaft „Einfluss“ gemessen wird. Soviel ich weiß, könnten Lady Gaga oder Jay-Z durchaus Platten von den DWARVES oder den BLACK LIPS besitzen, aber glaubst du, die würden das der Vanity Fair oder dem People Magazine erzählen? Nein, denn dann bräuchten sie eine halbe Seite wertvollen Extraplatz im Artikel, um erklären zu können, wer die DWARVES sind. Übrigens besitzen selbst die BEASTIE BOYS Platten von den NEW BOMB TURKS. Aber nachdem Bands wie KING KAHN & BBQ, BLACK LIPS. WAAVES, HARLEM, DEERHUNTER, TIMES NEW VIKING, Jay Reatard und andere, die aus der Garage-Punk-Szene stammen, in den letzten Jahren mit Hilfe von populären Blogs ein wenig mehr Aufmerksamkeit erlangt haben, entwickelte sich mehr Verständnis für laute und im Punk verwurzelte Sounds. Es ist im Internet-Zeitalter aber ganz anders und viel schwieriger geworden, noch „Einflüsse“ zu ermitteln. Eine alte und eigentlich vergessene Band kann durch Blogs neue Aufmerksamkeit erhalten und als Einfluss wirken. Als Polygram 1985, 20 Jahre nachdem THE VELVET UNDERGROUND gegründet wurde, das erste Mal deren Platten neu auflegte und die Musik wieder ohne weiteres erhältlich war, war das eine Offenbarung. Inzwischen postet irgendein Blog einfach ein mp3 von MOONDOG oder THE EAT und schon haben Millionen von Fans etwas von ihnen gehört. Aber hat auch nur einer von denen die Songs so gehört und in sich aufgenommen, dass er sie als Einfluss nennen könnte? Hat eine Band auf dich den gleichen Einfluss, wenn du jahrelang in allen Plattenläden nach ihrer Musik gesucht hast, oder wenn du sie googlest und innerhalb kurzer Zeit alles über sie weißt? Wie soll man sich da noch zurechtfinden? Es gibt nicht so viele erkennbare Zusammenhänge, wenn THE EAT in einer iTunes-Liste neben Sam Cooke, RJD2, Dolly Parton oder Lil Wayne erscheinen.
Wie bist du darauf gekommen, ein Buch über die Szene zu schreiben, der du und deine Band selbst angehört hast?
Ich habe eigentlich nie daran gedacht, ein ganzes Buch zu schreiben. Aber ich habe einen Kumpel bei Backbeat Books, der mir vorschlug, dass ich ihm doch mal ein paar Anregungen für ein Buch schicken sollte. So fing es an. Hinzu kam die Tatsache, dass, als die Presse um 2000 herum über die WHITE STRIPES, STROKES, HIVES und so weiter berichtete und die Platten sich gut verkauften, in den Magazinen nie die Neunziger-Garage-Szene erwähnt wurde, aus der diese Bands stammen. Dann habe ich bemerkt, dass sich andere Bands wieder zusammentun, etwa OBLIVIANS, GORIES, MUMMIES, sogar ältere Bands wie DMZ und die ZEROS. Und die Kids haben BLACK LIPS und KING KHAN & BBQ entdeckt und wussten dabei nicht, dass die auch daher stammen. Als ich dann erst mal angefangen hatte, war es außerdem sehr lustig, Leute zu treffen und ihre Geschichten aus ihnen rauszukitzeln.
Wie behältst den für einen Journalisten notwendigen Abstand, wenn du doch selbst so im Thema drinsteckst?
Ich weiß es nicht. Ich schreibe nur über Bands, die ich gut finde oder die es meiner Ansicht nach verdienen, erwähnt zu werden, weil sie wichtige Platten gemacht haben. Ich will auch gar keine journalistische Distanz zu diesen Geschichten haben. Ich habe ja nicht wegen Watergate oder so was ermittelt.
Crypt Records macht sich rar, STFRI musste schließen, Empty gibt’s nicht mehr, Estrus hat kein neues Release in diesem Jahr ... Ist das die allgemeine Krise des Musikgeschäfts oder ist die Zeit dieser Labels und dieser Musik einfach vorbei und die Kids wollen was anderes hören?
Sun Records gibt’s auch nicht mehr, und ja, Labels sind auf Geld angewiesen, daran ist nichts zu ändern. Aber die Leute bezahlen nicht mehr für Musik. Labelmacher werden älter und haben keine Lust mehr, viermal die Woche bis drei Uhr morgens loszuziehen, in der Hoffnung, vielleicht zwei Bands im Jahr zu finden, die sie rausbringen können. Aber Norton ist immer noch im Geschäft. Crypt macht noch seinen Mailorder und es gibt haufenweise aktive Punk-Labels wie HoZac, Daggermann, Big Neck, CDR, Florida’s Dying, Die Slaughterhouse und viele andere ... Die „Kids“ sind nicht alle gleich, sondern zum Glück eine heterogene Masse, die man einfach versuchen muss zu erreichen.
Was hast du vor, nachdem das Buch nun erschienen ist? Gehst du auf Lesetour?
Ich habe gerade eine dreiwöchige Lesetour mit Filmvorführungen hinter mir. Ich werde vielleicht nächstes Frühjahr eine Tour durch den Süden der USA und Europa machen. Die NEW BOMB TURKS spielen ein paar Shows – ein Festival in Spanien bisher – und in erster Linie brauche ich einen verdammten Job!
Apropos, die Turks, was läuft da so? Sag jetzt nicht „nichts“.
Ich wohne in Brooklyn, der Rest der Turks in Columbus, Ohio. Wir spielen mehr so aus Spaß ein paar Mal im Jahr zusammen, wenn wir zu einem Festival eingeladen werden oder auf der Geburtstagsparty von jemand. Und so lange wir uns danach fühlen, können wir auch eine fette Show abliefern. Aber es gibt keine Pläne für ein neues Album. Dennoch sind alle noch gute Kumpel.
Und wer schreibt eines Tages das Buch über die NEW BOMB TURKS?
Ich denke, ich habe uns schon oft genug erwähnt. Aber wer weiß? Hoffentlich keine meiner Ex-Freundinnen, haha.
Du hast in den letzten Jahren als Musikjournalist gearbeitet, auch drei Jahre beim CMJ als Redakteur. Was machst du im Moment und wie schätzt du die gegenwärtige Situation und die Zukunft des Musikjournalismus und der Musikmagazine im Allgemeinen ein?
Ganz generell stecken die Musikindustrie und die Medien im Klo fest und wir wissen, in welche Richtung so eine Klospülung für gewöhnlich führt. Das Internet hat niemals und wird wohl auch niemals für Musikjournalismus bezahlen, weil sich immer ein 20-Jähriger findet, der nur zu gern umsonst über die neue SURFER BLOOD-EP schreibt, um die eigene Bewerbungsmappe aufzupeppen. Musikmagazine werden wahrscheinlich in den nächsten zwei Jahren weg vom Fenster sein. Die wenigen, die es gibt, zahlen einfach nicht, wohl wegen des meist beschissenen Geschreibsels, das junge Menschen absondern, die das für einen ehrbaren Beruf halten. Für eine Weile ist das okay. Aber nach 20 Jahren oder mehr hättest du wenigstens gern ein paar CDs umsonst. Nicht mal die werden ja noch rausgegeben! Du kannst dich glücklich schätzen, wenn du einen Download-Code bekommst, der funktioniert. Wenn du unbedingt schreiben willst, fabrizier halt Drehbücher für geschmacklose Reality-Shows!
Du hast deinem Buch auch einen Download-Code beigefügt, allerdings für einen coolen Sampler mit Bands wie .CYNICS, RAUNCH HANDS, GORIES, THEE HEADCOATS, MUMMIES, SUPERCHARGER oder HIVES.
Ich habe einfach so viele Bands wie möglich angesprochen, die ich für wichtig im Buch halte, und habe gefragt, ob sie nicht noch unveröffentlichtes oder rares Material für mich haben. Einige haben das getan, und mit der Zeit und eingeschränktem Budget haben wir doch noch einen tollen Sampler zustande bekommen, wie ich finde. Ich habe die Stücke in die Reihenfolge gebracht, in der die Bands auch im Buch auftauchen. So kann man sich gut durchhören, falls man die Bands bis dato nicht kannte.
Und warum kein Doppelvinyl statt Downloads ...?
Es war die billigste Möglichkeit. Eine Schallplatte oder eine CD hätten die Kosten für das Buch enorm erhöht.
Zum Schluss eine einfache Frage: Welche sind die drei Platten, mit denen jeder vertraut sein muss, um zu verstehen, worum es in deinem Buch geht?
Das kann ich dir echt nicht sagen. Ich habe die 100 besten Platten in alphabetischer Reihenfolge aus eben diesem Grund noch ans Ende gepackt. Der komplette Katalog von THE DEVIL DOGS ist allerdings absolut großartig!
Und was hörst du im Moment so, welche Platten haben dich zuletzt in Sachen Garagepunk begeistert?
Ich mag HOME BLITZ, HARLEM, JAIL WEDDINGS, EDDY CURRENT SUPPRESSION RING, einiges von dem etwas straighteren Kram auf HoZac Records. Aber es nicht so, dass alles, was ich höre, nur Garage-Punk wäre, Dinge sollten sich verändern und sich bewegen. Aber wie die CRAMPS schon sagten: „Stay sick, turn blue!“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #92 Oktober/November 2010 und Joachim Hiller