ELEVENTH DREAM DAY

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„I don’t believe in the change“

Man kann es gar nicht oft genug sagen: Die seit Mitte der 80er aktiven ELEVENTH DREAM DAY sind eine der unterbewertesten US-Rockbands der letzten 25 Jahre. Nach einer EP spielten sie 1988 in wenigen Stunden ihr großartiges Debüt „Prairie School Freakout“ ein, eine Platte, die für mich, was ihren Grad an musikalischer Unmittelbarkeit und Authentizität angeht, einen ähnlichen Stellenwert besitzt wie „The Days Of Wine & Roses“ von THE DREAM SYNDICATE oder „Fire Of Love“ von GUN CLUB. Kurz darauf wurde die Band überraschenderweise von Atlantic gesignt, aber die Zeit war scheinbar noch nicht reif für den unangepassten Sound der Band, bei Punk und CRAZY HORSE eine wilde Ehe schlossen, und nach drei Platten war der Traum vom Rockstartum wieder vorbei. Dafür nahmen EDD in der Kernbesetzung Rick Rizzo, Gitarre/Gesang, Janet Beveridge Bean, Schlagzeug/Gesang, und Douglas McCombs, Bass, auch danach noch immer wieder sehr schöne Platten auf, die hierzulande in den 90ern von City Slang lizenziert wurden, machten allerdings immer mehr den Eindruck, als ob die Band überwiegend ein nettes Hobby wäre, zumal Rizzo wieder das College besuchte, Bean sich mehr auf FREAKWATER konzentrierte und McCombs mit TORTOISE in Postrock-Hochzeiten die für viele Leute wohl wesentlich interessantere Band am Start hatte. Nach „Stalled Parade“ von 2000 war dann bis 2006 totale Sendepause, da sich auch die Wege des Ehepaars Rizzo/Bean trennten, aber das Warten auf „Zeroes And Ones“, wie auch die beiden Vorgänger bei Chicagos Vorzeigelabel Thrill Jockey erschienen, hat sich dennoch gelohnt. Für manche Leute mag es sich hier nur um belanglosen College-Nerd-Rock handeln, für mich ist es jetzt schon eine der besten US-Rockplatten dieses Jahres und vielleicht sogar eine der besten der Band überhaupt, vollgestopft mit tollen Melodien, Rizzos eigenwilligem Gitarrespiel und als Sahnehäubchen Mark Greenbergs (ex-THE COCTAILS) sich elegant einfügenden Keyboardsounds. Zur Frühaufsteher-Zeit ergab sich dann auch ein Gespräch mit Rizzo: zum Zeitpunkt meines Anrufes war es in Chicago gerade mal sechs Uhr morgens.


Hallo, Rick, eine recht ungewöhnliche Zeit für ein Interview ...

Ja, haha. Ich bin Lehrer und da beginnt mein Tag eh sehr früh.

War es für dich damals eine große Umstellung, vom Musikerdasein zu einem regulären Job zu wechseln?

Sicher, wir sind ja anfangs immer viel getourt, fünf bis sechs Monate im Jahr, und haben regelmäßig Platten aufgenommen. Aber als mein Sohn dann 1991 geboren wurde, wurde mir klar, dass ich auch irgendwie meine Familie unterstützen musste. Und es gestaltete sich recht schwierig, einen Ein- bzw. Zweijährigen mit auf Tour zu nehmen, was wir dann tun mussten – Janet, unsere Schlagzeugerin, und ich waren ja verheiratet. Und für Matt war es in dem Alter nicht leicht, mit uns auf Tour zu sein, auch wenn wir versuchten, es so angenehm wie möglich für ihn zu gestalten. Gleichzeitig musste ich mich darum kümmern, dass wir eine Krankenversicherung hatten, und alleine durch die Musik war das nicht möglich. Also versuchte ich, einen normalen Job zu bekommen, um eine stabile Basis zu schaffen. Ich mache das jetzt schon seit acht Jahren und eigentlich ist es ideal, da ich so immer noch Musik machen kann. In den Staaten habe ich als Lehrer eine zweieinhalbmonatige Sommerpause, es ist der perfekte Job für einen Teilzeitmusiker, haha.

War es leicht für dich, diesen Job zu kriegen?

Leicht würde ich es nicht nennen, es gibt ein strenges Programm, um dafür zugelassen zu werden. Ich musste zurück zum College und dort jede Menge Kurse belegen. Ich unterrichte jetzt Kunst, Englisch und Geschichte.

Dein Sohn ist ja bereits ein Teenager, was hält er von deiner Musikerkarriere?

Ja, er ist jetzt 14. Wir planen eine kleine Tour, er wird mitkommen und ist deswegen recht aufgeregt und findet es wohl auch recht cool, aber wenn du ihn fragen würdest, würde er das nie zugeben.

Also sind EED nicht gerade das, was 14-Jährige im Moment anspricht?

Ich glaube nicht. Unsere Fans sind wohl überwiegend diejenigen, die uns seit Ende der 80er, Anfang der 90er kennen. Aber es gibt natürlich auch viele College-Kids und neue Fans. 14-Jährige hören sich momentan eher HipHop an, zumindest in Chicago. Aber in meiner Klasse – ich unterrichte 12- bis 13-Jährige – sind sie durchaus daran interessiert, was ich mache. Sie forschen im Internet nach mir, denken aber wohl, dass die Musik etwas seltsam ist. Sie sagen zwar, sie mögen es, aber ich bin mir da nicht so sicher.

Eigentlich komisch, dass du nicht Musik unterrichtest.

Ich bin ja kein ausgebildeter Musiker, ich habe mich da mehr so reingefühlt. Ich habe niemals Stunden oder so was genommen. Ich habe zwar ein paar Kids mal zum Spaß etwas Gitarre beigebracht, aber ich kann keine Noten lesen, ich habe so was nie gelernt.

Du hast in einem älteren Interview ja sogar mal gesagt, glaube ich, dass du in Sachen Musik eher ein Analphabet wärst.

Ja, und ich bemühe mich auch, dass es so bleibt. Es gibt sicher einen Platz für Leute, die eine richtige musikalische Ausbildung genossen haben, aber für mich war das in Bezug auf Rockmusik immer langweilig. Ich genieße dabei den Reiz, bestimmte Sachen nicht zu wissen.

Denkst du, dass Musiker wie du technische Defizite durch eine stärkere emotionale Herangehensweise kompensieren?

Also bei mir hat das funktioniert. Ich glaube, wenn man das richtig gelernt hat, ist es schwieriger, dabei die emotionale Seite zu finden. Aber das ist wohl bei jedem ganz unterschiedlich. Ich habe nie gelernt, wie man richtig Akkorde spielt, ich habe mir das mit einem Neil Young-Songbook zur Platte „Zuma“ selbst beigebracht. Mir geht es da mehr um den Sound, den man hört, und was man in dieser Hinsicht aus einer Gitarre herausholen kann, egal, ob das jetzt unbedingt auf dem richtigen Weg geschieht.

Nerven dich eigentlich diese ewigen Neil Young-Vergleiche, hören kann man das ja bei dir doch immer noch irgendwie?

Das passiert eigentlich nicht mehr so oft. Es war halt ein sehr früher Einfluss für mich, als ich begann, Gitarrespielen zu lernen. Aber mal abgesehen davon, dass ich ein Fan von ihm bin, glaube ich, dass mein Stil viele andere Elemente enthält. Man kann da sicher vertraute Sachen hören, aber das stört mich nicht, da ich ja nicht versuche, irgendwas zu kopieren.

Bei „New rules“ von der neuen Platte mit seinem epischen Gitarrensolo fällt es mir allerdings schwer, nicht an „Cortez the killer“ zu denken ...

Also, ich habe da nicht an Neil Young gedacht. Wenn ich solche Songs spiele, mache ich mich sowieso von allem frei und vergesse, wo ich bin. Für mich geht es in dem Song auch nicht so sehr um das Solo, sondern mehr um den Groove der Band insgesamt. Ich mag, wie der Bass und das Schlagzeug da klingen, und eigentlich wollte ich den Song auch kürzer machen und ihn ausblenden. Aber im Studio entschieden wir, ihn doch erst so lang zu lassen, um ihn dann später auszublenden. Und als wir uns dann das Band anhörten, sagte Doug, unser Bassist, dass wir da auf keinen Fall was rausschneiden sollten. Ich wollte den Gitarrensound aber zumindest etwas verzerren und so probierten wir Sachen aus, damit der Song am Ende etwas auseinander fällt, aber ich hatte nie geplant, dass er sieben Minuten lang sein sollte. Aber so hat er einen sehr hypnotisierenden Groove.

Ich fand, dass EED auf den früheren Platten immer einen sehr unmittelbaren Live-Sound besaßen, was ja auch die Qualität von „Prairie School Freakout“ ausmacht. Wie sieht das heute aus?

Wir haben die Songs von „Prairie School Freakout“ vorher wirklich sehr oft gespielt, zumal wir damals sowieso häufiger gespielt haben. Aber das Album klingt wahrscheinlich nicht so, weil es insgesamt weniger strukturiert war. Aber für mich ist der beste Take eines Songs immer noch der erste. Das erste Mal, wenn eine Band einen Song spielt, ist es immer noch am aufregendsten. Für mich ist es meistens unvorhersehbarer, etwas aufzunehmen, ohne damit vorher auf Tour gewesen zu sein. Das zeigt sich auch in der Musik, wenn man es nicht schon hundertmal gespielt hat. Je frischer, desto besser. Inzwischen spielen wir ja nur noch ein- oder zweimal im Jahr. Wir proben nicht viel zusammen. Bei dieser Platte haben wir ein paar Wochen vorher ein wenig geprobt, aber ich glaube nicht, dass es das Endergebnis besonders beeinflusst hat. Bei den beiden Alben zuvor, „Stalled Parade“ und „Eighth“, haben wir auch höchstens ein- oder zweimal geprobt. Ich habe meine Songs der Band vorgestellt und wir haben sie einige Mal gespielt, bevor wir uns Studio gingen, das heißt, das Album entstand direkt im Studio.

Bei der neuen Platte fällt auf jeden Fall der ständig präsente Keyboard-Sound auf, das gab es früher in dieser Form nicht.

Bei den frühen EDD habe ich ja immer noch mit einem zweiten Gitarristen gespielt, aber seit unser damaliger Gitarrist Baird Figi Anfang der 90er die Band verlassen hat, haben wir immer wieder andere Leute hinzugeholt, abhängig davon, was wir machen wollten, etwa Wink O’Bannon. Und wenn wir live gespielt haben, hatten wir Leute wie Ira Kaplan von YO LA TENGO, Tara Key oder Tim Rutili von CALIFONE dabei, die mit uns gespielt haben. Und Mark Greenberg haben wir wegen seiner Fähigkeiten am Keyboard genommen. Es ist auch die erste Platte, wo wir so viel Keyboard haben, und so einen Orgelsound haben wir sowieso noch nie benutzt. Wir wussten vorher auch nicht, wie viel wir davon für die Platte benutzen würden, aber dann hat Mark auf jedem Song Keyboard gespielt. Und das geht auch auf der Bühne, wo er ja mit uns live spielt, da haben wir einen sehr geschlossenen Sound. Aber es ist jetzt ein anderer Band-Sound, denn als wir live gespielt haben, bevor wir Mark an den Keyboards dabei hatten, war ich der einzige Gitarrist – das bin ich natürlich immer noch. Es ist eine komplett andere Erfahrung, wenn man der einzige Gitarrist ist, man spielt da ganz anders. Und es gab viel mehr Raum ohne eine zweite Gitarre, insofern war es interessant, diesen Platz mit etwas anderem zu füllen.

Inwieweit haben die musikalischen Veränderungen in der Musikszene Chicagos im Zuge von „Postrock“ Einfluss auf den Sound von EDD gehabt? Zumal Doug ja auch bei TORTOISE spielt.

Ich glaube eigentlich nicht, dass wir uns stark verändert haben, aber man wird als Musiker erfahrener und wir sind ja inzwischen alle 15 Jahre älter. Ich weiß nicht, ob Bands wie TORTOISE wirklich so viel Einfluss auf uns hatten. Unser Bassist hat dadurch bei EDD nicht seinen Stil geändert, er ist immer noch derselbe Bassist. Und Janet spielt eigentlich so gut wie gar nicht mehr Schlagzeug, es sei denn, wir machen etwas zusammen, bei ihr hat sich also nie wirklich etwas verändert. Aber wenn man älter ist, wird man sicher ein besserer Zuhörer, man wird den Sachen gegenüber sensibler, die um einen herum passieren. Als ich jünger war, habe ich nicht wirklich auf meine Mitmusiker geachtet. Das war das Interessante an „Prairie School Freakout“: Es war, als ob vier Leute ein Solo spielen würden, haha. Keiner hat auf den anderen geachtet, und inzwischen hören wir mehr auf das, was der andere spielt.

Auf der neuen Platte singst du bei dem Song „Insincere inspiration“ „I don’t believe in the change“. Ist das auch so eine Art Statement zu EDD als Band?

Haha! Als ich den Song schrieb, las ich gerade das Buch „Gravity’s Rainbow“ von Thomas Pynchon. Es geht da um die nukleare Bedrohung. Ich denke, dass ich, als ich den Song in dieser Zeit geschrieben habe, unterbewusst dabei verarbeitet habe, dass es in meinem Leben einige Turbulenzen gab, als ich und Janet uns getrennt haben, was ich nicht erwartet hatte. Ich habe dann wieder geheiratet und erwarte jetzt Zwillinge. Und trotz dieser Veränderungen gibt es immer noch eine große Stabilität in meinem Leben, es hat nicht alles komplett über den Haufen geworfen. Ich habe es geschafft, diese Stabilität aufrecht zu erhalten. Und viele Songs auf „Zeroes And Ones“ drehen sich darum, wie man sich in solchen Turbulenzen verlieren kann. Es sei denn, man hat etwas, woran man sich festhalten kann. Einigen Leuten, die ich kenne, hat so was den Rest gegeben, sie haben vergessen, wer sie mal waren, fingen mit dem Trinken an und all so was. Ich denke, man muss den Instinkt besitzen zu wissen, wann man zu kämpfen hat, oder man verliert sich völlig in so was. Und ich habe mich dafür entschieden, diese Stabilität zu erhalten und die Realität nicht aus den Augen zu verlieren, das habe ich mit dem Song gemeint.

Die Credits bei allen Songs für Musik und Texte gehen an EDD als gesamte Band, aber war letztendlich wirklich jeder gleichberechtigt an allem beteiligt?

Janet hat von den 12 Songs „The lure“ geschrieben und Doug die Musik für „Return of long shadow“, ansonsten habe ich Texte und Musik geschrieben. Aber letztendlich ist jeder wichtig für die Entstehung der fertigen Songs, deshalb hat niemand einzelne Songcredits bekommen, weil es die Leistung der gesamten Band war, jeder hat denselben Anteil daran gehabt. In dieser Band schreibe ich aber den größten Teil der Songs. Doug hat TORTOISE und Janet FREAKWATER, und EDD ist halt vor allem meine Band.

Wie wirkt es sich denn auf die Bandchemie aus, wenn man mit seiner Ex-Frau in derselben Band spielt? Ich stelle mir das nicht ganz unproblematisch vor ...

Haha! Ich muss es meiner Frau Mary hoch anrechnen, die darauf bestanden hat, dass ich mit der Band weitermache, weil sie auch weiß, wie wichtig das für mich ist. Und ihr macht es nichts aus, dass ich mit meiner Ex-Frau in einer Band spiele und mit ihr auf Tour gehe. Ich weiß nicht, ob ich es zu einer bestimmten Zeit gekonnt hätte. Aber seit wir keine rund um die Uhr aktive Band mehr sind und nur etwas machen, wenn wir Lust darauf haben, war es mir möglich, diese emotional schwierige Phase durchzustehen. Es besteht immer noch dieselbe Chemie zwischen uns wie früher, mit dem Unterschied, dass Janet nicht mehr so oft mit ihren Drumsticks nach mir wirft, im Gegensatz zu der Zeit, als wir noch verheiratet waren, haha. Es geht jetzt etwas zivilisierter zu. Es fällt uns nicht schwer, das zu tun und jeder fühlt sich wohl dabei.

War die Trennung auch der Grund für den großen zeitlichen Abstand zwischen den letzten beiden Platten?

Ich glaube, es hatte gar nicht so viel damit zu tun. Es gab ja noch TORTOISE und FREAKWATER und Janet hat eine Soloplatte aufgenommen. Es war einfach schwer, Zeit für EDD zu finden. Ich habe in dieser Zeit immer viele Songs geschrieben und sie in meinem Keller aufgenommen, da habe ich ein paar Aufnahmegeräte stehen. Ich hatte einen Haufen Songs fertig und habe die anderen dann irgendwann gefragt, ob sie eine Platte machen wollten und jeder hatte die Zeit dazu. Die Scheidung hatte nichts damit zu tun, weil wir ja auch immer noch live gespielt haben, wir hatten nur keine Zeit, ein neues Album aufzunehmen. Und es war ja auch nicht so, dass es sechs Jahre gedauert hat, diese Platte zu machen, haha. Aber mir ist auch gar nicht aufgefallen, dass es so lange her war, seit „Stalled Parade“ rausgekommen ist, es hat sich gar nicht so lang angefühlt. Die Zeit verfliegt eben, wenn man sein Leben lebt.

Du warst ja seitdem durchaus auch musikalisch aktiv und hast eine Soloplatte gemacht ...

Ja, zusammen mit Tara Key, aber das ist auch schon wieder eine Weile her. Wir planen aber, noch eine aufzunehmen. Und dann habe ich noch auf dem SMOG-Album „Rain On Lens“ von 2001 mitgespielt und auf einer Edith Frost-Platte, das waren so die letzten Sachen.

Eure Platten nach der Zeit bei Atlantic sind ja fast alle bei Thrill Jockey erschienen. Ist es eigentlich seltsam für euch, auf dem Label eurer früheren A&R-Managerin Bettina Richards zu sein? Was hatte sie eigentlich damals dazu bewogen, euch bei Atlantic unter Vertrag zu nehmen?

Nein, überhaupt nicht, es ist eine ganz normale Sache. Als Bettina bei Atlantic gearbeitet hat, war das Musikgeschäft noch anders. Und sie war jung und idealistisch. Das war 1991, da gab es nicht viele Bands wie uns auf einem Majorlabel. Als sie uns unter Vertrag genommen hat, waren da vielleicht noch HÜSKER DÜ und die REPLACEMENTS, die einzigen beiden Bands aus der Indiewelt, die bekannter waren. Bettina nahm uns und die LEMONHEADS unter Vertrag. Es gab eine kleine Abteilung bei Atlantic, für die sie als A&R arbeitete, aber Atlantic nahm das nie besonders ernst. NIRVANA haben das nachhaltig verändert, plötzlich wurden alle möglichen Bands dieser Art gesignt. Aber da hatten wir bereits unsere dritte Platte gemacht und waren nichts Neues mehr. Und jeder wollte etwas Neues und Aufregendes hören, niemand interessierte sich mehr für uns. Unser Timing war leider nicht sehr gut. Wir waren so eine Art Versuchskaninchen, haha. Bettina war jedenfalls nicht glücklich damit, wie es bei Atlantic lief und nach „Beet“, unserer ersten Platte für Atlantic, ging sie, um für London Records zu arbeiten, was ihr Sprungbrett aus dem Business war, um dann Thrill Jockey zu gründen. Als wir mit Atlantic fertig waren, haben wir noch eine Platte für Atavistic gemacht, „Ursa Major“, die eigentlich auch schon Bettina hätte machen sollen, aber sie war da noch nicht so weit. Wir sind aber immer gute Freunde gewesen und sie hat großen Anteil daran, dass es die Band immer noch gibt. Sie hat ein wirklich gutes Gespür für Bands und einen guten Geschmack, ihr Label ist sehr facettenreich.

Und jetzt ist sogar Tom Verlaine dein Labelkollege ...

Ich weiß, das ist ziemlich aufregend. Er ist immer noch ziemlich großartig und ein persönlicher Held von mir. Wir haben ihn mal getroffen, als wir „El Moodio“ in New York aufgenommen haben. Wir kamen ins Studio und überall stand Equipment herum, tolle Sachen, altes Zeug von Fender, und ich schaute mir die Namen darauf an und es war alles von Tom Verlaine. Er hatte gerade die TELEVISION-Platte aufgenommen, die Anfang der 90er rauskam. Als wir an einem Tag aufnahmen, kam unser Produzent und meinte, Tom Verlaine wäre da, in der Lounge, und Doug und ich gingen hin und spielten etwas Pool, aber es war uns zu peinlich, ihn anzusprechen. Schließlich kam er rüber und meinte: Hey, es gefällt mir, was ihr Jungs so aufnehmt. Er brach damals das Eis, haha.

Es ist sowieso bemerkenswert, wie viele ehemals einflussreiche Bands und Musiker inzwischen wieder im Independent-Bereich zu finden sind ...

Weil alle über den Tisch gezogen wurden. Ich war niemals so pleite, wie zu der Zeit, als wir bei Atlantic waren. Und jemand aus Toms Generation hat nie wirklich viel Geld damit machen können. Und Bettina bietet einem dagegen einen wirklich fairen Deal an, so wie auch bei Drag City und Touch & Go. Vernünftige Indielabels machen Halbe-Halbe mit ihren Künstlern, man muss sich da wegen des Geldes keine Sorgen machen. Natürlich hat ein Major die Möglichkeiten, einen wirklich groß rauszubringen, man kann ein Star mit kreischenden Fans werden, haha. Aber bei wie vielen Leuten klappt das schon, vor allem, wenn man nicht diesen polierten Radiosound macht, mit perfekten Popsongs, die jeder mag? Man ist da besser auf einem Label wie Thrill Jockey aufgehoben, das wirklich an seinen Bands interessiert ist. Und Bettina gibt ihren Bands wirklich viele Freiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten und überlässt ihnen die Entscheidungen. Was mich in den 90ern bei Atlantic am meisten gestört hat, war, dass wir bei Amoeba Records mit „Prairie School Freakout“ fast einen besseren Vertrieb hatten. Als wir bei Atlantic waren, war es viel schwerer, unsere Platten irgendwo zu finden. Und in Deutschland, wo wir viele Fans hatten, war es fast noch schlimmer, auf einem Majorlabel zu sein. Ich habe es gehasst, es war ein Fluch, auf Atlantic zu sein. Man musste in einen dieser Riesenplattenläden gehen, um unsere Platten zu finden, die kleinen Indieläden bekamen sie erst gar nicht. Mittlerweile gibt es unsere Atlantic-Platten ja durch Collectors’ Choice Music wieder, aber es war lange Zeit schwer, Platten wie „Lived To Tell“ oder „El Moodio“ überhaupt zu bekommen.

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