Der Name Efrim Menuck wird sicherlich nicht bei jedem sofort zu echten Aha-Erlebnissen führen, die Erwähnung seiner inzwischen wieder aktiven Band GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR (GY!BE), wo er bis 2003 Gitarre spielte, hingegen schon eher. Seit 1999 liegt das Augenmerk von Menuck aber vor allem auf dem ebenfalls im Postrock der gehobenen Sorte anzusiedelnden Projekt A SILVER MT. ZION (SMZ), dessen personelle Fluktuation sich auch in der ständigen Veränderung des Bandnamens niederschlug, das auch als THEE SILVER MT. ZION MEMORIAL ORCHESTRA oder THE SILVER MT. ZION MEMORIAL ORCHESTRA & TRA-LA-LA BAND bekannt ist. Das Bindeglied war und ist dabei immer die facettenreiche Musikszene Montreals gewesen und das damit verbundene, seit 1997 existierende Label Constellation – wo auch GY!BE ihre Platten veröffentlichten –, ebenso wie das Studio Hotel2Tango, das wichtiger Teil der musikalischen Infrastruktur der zweitgrößten Stadt Kanadas ist. Im Mai diesen Jahres erschien auf Constellation Menucks erstes Solo-Album „Plays ‚High Gospel‘“, nicht etwa ein reiner Rip-Off seiner Hauptbands, sondern Ausdruck des avantgardistischen Rock-Understatements eines vielseitigen Musikers, der noch nie ein Hehl aus seiner ungebrochenen Begeisterung für Anarchismus und Punkrock-Ethos und -Ästhetik gemacht hat.
Efrim, du bist ja nicht nur Mitglied von GY!BE und SMZ, sondern ebenfalls Mitbetreiber des Studios Hotel2Tango, wo zum Beispiel Grant Hart oder Vic Chesnutt ihre letzten Platten aufnahmen. Also stimmt der Eindruck nicht, dass die Musikszene in Montreal um das Label Constellation eine recht isolierte Angelegenheit ist?
Das stimmt durchaus, nur ist das Aufnahmestudio eine eigenständige Sache – das Gebäude beziehungsweise Grundstück gehört allerdings Constellation und dem Studio zusammen. Es ist nur ein normales Studio und jeder kann dort aufnehmen. Es kommen Leute aus der ganzen Welt, um hier aufzunehmen, das ist ganz normal.
Und was macht das Hotel2Tango für Musiker außerhalb Kanadas so reizvoll?
Ich denke, weil es einfach ein sehr gutes Studio ist. Auch das erste ARCADE FIRE Album wurde hier aufgenommen. Und nachdem die Platte erschienen war, wollten plötzlich viele Leute bei uns aufnehmen. Manche Leute kommen auch hierher, weil es in Montreal gute Musiker gibt, mit denen sie zusammen spielen wollen.
Ist eure Herangehensweise denn irgendwie anders als bei anderen Studios?
Wir machen eigentlich nichts anderes, als jedes andere gute Studio auch. Es gibt eigentlich in jeder Stadt ein gutes Studio mit analoger Technik, und in Montreal gehört unseres eben dazu, nur gibt es eben nicht so viele davon.
Also seid ihr vor allem auf analoge Aufnahmetechniken spezialisiert.
Ja, aber wir arbeiten natürlich auch mit Pro Tools. Wir ermuntern die Leute zwar, auf Band aufzunehmen, weil wir uns damit am besten auskennen und es uns am besten gefällt, aber wenn jemand mit Pro Tools aufnehmen will, machen wir das eben auch. Aber wir benutzen Pro Tools eigentlich nur als Bandmaschine, denn wir wollen keine schicken Nachbearbeitungen damit machen. Viele Leute nehmen deshalb gerne mit Pro Tools auf, weil sie ihre Musik dann quasi zu Hause komplett alleine abmischen können.
Den Sound deiner Band SMZ hat auf jeden Fall immer ausgemacht, dass alles sehr live und unverfälscht klang. Sind die Platten denn tatsächlich zum größten Teil live eingespielt worden?
Ja, es ist eigentlich fast alles live eingespielt worden. Bei manchen Songs haben wir vielleicht nur Bass und Schlagzeug eingespielt und den Rest separat aufgenommen, aber auf der letzten Platte „Kollaps Tradixionales“ haben wir alle zusammen in einem Raum gespielt, weil wir vor allem eine Live-Band sind und das am besten können. Wir proben oft zusammen und kennen die Dynamik der Songs auswendig, wenn wir damit ins Studio gehen.
Ähnlich wie bei GY!BE stand auch zu Beginn bei SMZ Instrumentalmusik im Vordergrund, inzwischen singst du auch. Wie kam es zu diesem Wandel?
Bei GY!BE war eigentlich von Anfang klar, dass wir nicht wollten, dass irgendein Mitglied der Band mehr Aufmerksamkeit bekommt als die anderen. Das war ein wichtiger Teil dessen, was wir taten und ja inzwischen auch wieder tun. Dadurch war natürlich die Möglichkeit ausgeschlossen, dass jemand der Sänger ist. Irgendwann war es aber ermüdend geworden, nur Instrumentalmusik zu machen. Wenn du Instrumentalmusik machst, ist es recht schwierig, dafür einen Kontext oder Rahmen zu schaffen, also eine Bedeutung oder einen kontrollierten Sinn. Und kurz bevor sich GY!BE trennten, war ich ziemlich frustriert darüber, wie viel Arbeit das erforderte und wie viele simple Ideen wir deswegen nicht vermitteln konnten, denn mit Worten kann man diese Ideen viel einfacher und direkter transportieren. Und ab einem bestimmten Punkt wollte ich dann auch singen.
Dafür hast du dich dann in den Liner Notes des 2002 veröffentlichten GY!BE-Albums „Yanqui U.X.O“ als vehementer Kritiker Israels geoutet. War das jemals ein Konflikt für dich, Jude zu sein und gleichzeitig die politischen Entgleisungen des Staates Israels zu beobachten?
Nein, für mich ist das erst mal kein Konflikt, denn ich bin ja kein Israeli. Ein Konflikt für mich ist sicherlich eher, dass ich Bürger einer reichen westlichen Nation bin, die Israel unterstützt. Aber als Jude sehe ich da genauso wenig einen Konflikt, als wenn ich Katholik wäre. Allerdings verspüre ich eine gewisse Verantwortung, dazu meine Meinung zu sagen, denn viele Leute nehmen immer an, dass man als Jude automatisch Israel unterstützt, aber das ist eben nicht der Fall. Es gibt schließlich genug Juden, die nicht an Israel als Staat glauben.
Auf jeden Fall gibt es auf deinem Solo-Album durchaus Verweise auf deinen jüdischen Glauben. So hast du Vic Chesnutt, der Ende 2009 Selbstmord beging, den Song „Kaddish for Chesnutt“ gewidmet, und ein Kaddisch ist ein jüdisches Gebet, wenn ich das richtig sehe, oder?
Aber das hat für mich nicht wirklich etwas mit dem jüdischen Glauben zu tun. Ich bin zwar Jude, aber ich glaube nicht an Gott. Wenn ein Freund von mir stirbt, macht es für mich als Jude einfach Sinn, ein Kaddisch zu schreiben, aber tiefer geht das Ganze nicht bei mir, und der Hörer kann das akzeptieren oder auch nicht.
Du hast ja in den beiden letzten Jahren vor Chesnutts überraschendem Selbstmord eng mit ihm zusammen gearbeitet, standest mit ihm zusammen auf der Bühne und hast mit ihm die auf Constellation erschienenen Platten „North Star Deserter“ und „At The Cut“ aufgenommen. Was für ein Mensch war er und was hat ihn deiner Meinung nach als Musiker so besonders gemacht?
Er war ein sehr charmanter, aber auch schwieriger Mensch. Ich habe ihn geliebt, er war ein Freund und ich werde ihn den Rest meines Lebens vermissen. Er war ein echter Gentleman. Natürlich war er manchmal niedergeschlagen, aber er empfand es als unhöflich, jemand anderen mit seinem Selbstmitleid zu belasten. Aber ich glaube, keiner von uns kannte das wahre Ausmaß seiner Depressionen, bevor er sich umbrachte. Auf jeden Fall hatte er ein spezielles Verständnis von Sprache, Melodie und Akkorden, das erstaunlich war. Seine Musik hatte etwas widerspenstiges und schwieriges an sich, was in dieser Form wirklich eine Seltenheit ist. Und selbst die Sachen von ihm, die ich nicht mag, sind immer noch besser als die meisten anderen existierenden Platten. Er kam hier damals in Montreal an und hatte ein paar Songs dabei, aber keine konkreten Ideen, welche Arrangements ihn dafür interessierten. Es gibt sicherlich viele Leute, die in so einer Situation sind, aber durch ihr Ego und ihre Sturheit nur ihren eigenen Visionen bezüglich der Songs folgen. Und Vic war nicht so, er war wirklich daran interessiert, dass wir alle gemeinsam das Beste aus diesen Songs machten. Und das hört man den Platten auch an. Er war wirklich einzigartig, und das ist sicherlich so, weil er so eine verrückte Lebensgeschichte hatte, was aus ihm jemand gemacht hat, der sehr andersartig war.
Was deinen Lebensunterhalt angeht, war es sicherlich hilfreich, dass Musik von GY!BE und SMZ erstaunlich oft für Filme verwendet wurde, etwa auch für die Serie „Lost“. Wie stehst du zu dieser Zweitverwertung deines geistigen Eigentums?
Es hilft sicherlich, meine Rechnungen bezahlen zu können. Viele Bands, die lange Instrumentalpassagen haben, bekommen Anfragen solcher Art. Wir haben aber auch viele Sachen abgelehnt, die wir als geschmacklos oder beleidigend empfanden. Wir geben nur unsere Zusage, wenn wir völlig damit einverstanden sind. Es gab zum Beispiel einige große Hollywood-Filme, die wir abgelehnt haben. Und ich sage dir, es ist wirklich hart, eine Menge Geld abzulehnen, vor allem, wenn man nicht viel Geld hat. Aber manchmal muss man das eben tun.
Dein sehr kritisches Verhältnis zu Major-Labels ist schon lange bekannt, hat sich daran etwas geändert?
Nein, vor allem jetzt nicht. Ich erzähle das eigentlich schon seit Jahren und es hat sich bewahrheitet, denn es macht für niemand Sinn, auf einem Major-Label zu sein. Ich kann in den letzten 20 Jahren keinen Grund dafür entdecken, warum man bei einem Major unterschreiben sollte. Und inzwischen wird es als Tatsache akzeptiert, dass es mit den Major-Labels bergab geht, weil sie aufgebläht und kriminell sind, und die Musiker und die Leute, die ihre Musik kaufen, schlecht behandeln. Natürlich ist es kein Verbrechen, bei einem Major zu unterschreiben, aber mir erscheint das in wirtschaftlicher Hinsicht dumm und oft auch habgierig. Und ich will mir auf ehrliche Art meinen Lebensunterhalt verdienen. Wie viel Geld braucht man, um in dieser Welt leben zu können? Braucht man Millionen von Dollar? Nicht wirklich. Ich hatte zwar nie Millionen von Dollar, aber kann mir nicht vorstellen, dass ich mich damit sicherer fühlen würde. An sich haben wir doch alle sehr bescheidene Bedürfnisse. Natürlich wünschte ich, ich hätte etwas mehr Geld auf dem Bankkonto, anstatt immer nur so gerade über die Runden zu kommen. Aber andererseits kann ich mich nicht beklagen, denn ich verdiene mein Geld mit Arbeit, die mir Spaß macht. Und man muss schon sehr überheblich sein, um seine Musik als so wichtig zu erachten, dass man dafür ein Label mit einem 2-Millionen-Dollar-Promotion-Budget benötigt, damit jeder auf der Welt sie hören kann. Das verwirrt mich und ich verstehe die Motivation dafür nicht, weder von GREEN DAY noch von ARCADE FIRE.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #97 August/September 2011 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #96 Juni/Juli 2011 und Thomas Kerpen