Jeff Kummer, Schlagzeuger bei THE EARLY NOVEMBER, meldet sich von der US-Tour, die die Band aus New Jersey anlässlich ihres neuen Albums spielt und allen Angaben nach sehr genießt. Und auch wenn nicht jeder neue Song ein Quell der Freude ist, so umweht das selbstbetitelte Werk doch eine gewisse Aufbruchsstimmung, was doch perfekt zur Jahreszeit passt.
Als die Single „The Empress“ veröffentlicht wurde, gab es einen Post von euch, in dem ihr die Leute darum gebeten habt, diesen Song zu einem Sommerhit zu machen. Haben THE EARLY NOVEMBER ein Sommeralbum geschrieben?
Es war sicherlich nicht unsere Absicht oder kam uns während des Entstehungsprozesses in den Sinn, aber ich kann verstehen, warum es als solches bezeichnet werden könnte. Das Album spielt man am besten in voller Lautstärke. Was gibt es Besseres, als das an einem schönen Sommertag im Auto mit heruntergelassenen Scheiben zu tun?
Hat es auch textlich das Potenzial zu einem Sommeralbum?
Es geht in vielerlei Hinsicht um den Zustand, in dem wir uns beim Schreiben befanden, sowohl geistig als auch in unseren Leben und in unserer Karriere. Es ging darum, den Spirit und den Denkprozess dahinter zu sezieren – ehrlich zu uns selbst zu sein und gegenüber der Realität, in der wir leben, und nicht nur das, was vor unseren Augen passiert, zu schildern.
Welches Gefühl wolltet ihr dabei einfangen?
Ich denke, wir wollen immer, dass der Hörer etwas Positives mitnimmt. Einige Songs entstanden jedoch aus Frustration. Das Album ist nicht da, wo wir jetzt sind, aber es war ein Funke, der vieles verändert hat.
Rockmusik wird allgemein als Ausdruck von Jugendlichkeit wahrgenommen. Hält euch die Band jung?
Für uns ist es tatsächlich das Gegenteil. Wir sind sehr offen damit, wer wir sind, wie wir uns fühlen und warum das so ist. Diese Themen werden auf dem gesamten Album erforscht. Ich denke, wir sind jetzt bessere Kommunikatoren als je zuvor, allerdings sind unsere Prinzipien immer unverändert geblieben. Die Entscheidungen, die wir treffen, sind vielleicht nicht immer genau das, was wir wollen, aber sie basieren auf Integrität und etwas, woran wir glauben. Wir waren immer stark von Gefühlen anstatt von Logik beeinflusst, das Alter und die Erfahrung haben uns jedoch verändert wie jeden anderen auch.
Warum habt ihr euch dazu entschieden, ein selbstbetiteltes Album zu veröffentlichen?
Dieses Album zeigt jede Seite von uns: Wer wir sind, wer wir waren und wer wir sein wollen. Für mich war es eine sehr heilsame Erfahrung und hat unseren Fokus auf das Wesentliche gerichtet. Wir sind sehr dankbar, da zu sein, wo wir jetzt sind, aber gleichzeitig kann diese Branche einen auffressen, wenn man es zulässt. All das während der Entstehung eines Albums zu durcharbeiten und auf der anderen Seite herauszukommen, da fühlte sich einfach richtig an, den eigenen Namen als Titel zu nehmen.
Hand aufs Herz, wart ihr jemals glücklich mit dem Etikett Emo?
Dem gegenüber bin ich indifferent. Es ist kein Begriff, für den ich Zuneigung empfand, als wir angefangen haben. Für uns ist das Emo-Label ein zweischneidiges Schwert. Es hat uns eher Möglichkeiten genommen, als wir jünger waren. Jetzt floriert der Begriff „Emo“, aber seine Bedeutung ist verwirrender denn je. Der nostalgische Boom hat mehrere Kollegen wiederbelebt, was großartig ist. Allerdings, aus welchem Grund auch immer, gehören wir nicht dazu. Shows, Festivals, was auch immer – uns hat man nicht kontaktiert. Wie gesagt, es ist ein seltsames, zweischneidiges Schwert. Wir selbst haben uns immer als Rockband bezeichnet. Es ist nichts, worüber wir nachdenken, weil es letztlich nicht an uns ist, es zu entscheiden oder uns zu kennzeichnen.
Ihr seid seit einigen Jahren dabei. Was hat sich daran zum Besseren verändert, in THE EARLY NOVEMBER zu sein? Was ist schwieriger geworden, wenn man tourt und Alben veröffentlicht?
Ich denke, wir haben so viele Höhen und Tiefen durchgemacht, dass wir jetzt sehr realistisch auf uns selbst blicken. Wir sind Träumer und haben immer noch die höchsten Hoffnungen und Absichten, aber gleichzeitig sind wir auch sehr bodenständig und präsent. Diese mentale Last ist sehr schwer auszutarieren, aber wir sind im Laufe der Zeit viel besser darin geworden. Das alljährliche Touren ist sehr schwierig geworden. Wir überdenken derzeit, wie wir das, was wir so sehr lieben, in Gang halten können.
Wie ist euer Verhältnis zu den sozialen Medien?
Für mich ist es überwältigend. Ich verwalte die Accounts der Band, antworte auf Nachrichten und kümmere mich um die Inhalte auf allen Plattformen. Ich genieße es wirklich, den Content zu erstellen und mit den Menschen in Verbindung zu sein, aber ich hasse alles andere. Es ist mental belastend und ich beneide die jüngeren, aufstrebenden Künstler nicht, die so viel ihrer Zeit dafür aufwenden müssen. Ich habe das Gefühl, dass die echte Kunst letztendlich leiden kann, wenn man sich in diesen anderen Teil zu sehr hineinziehen lässt. Ich habe es auch selbst schon gespürt. Es ist ungesund.
Wenn man „The Early November“ hört, registriert man unweigerlich, dass die Produktion sehr groß angelegt ist und dass das Album nicht von einer Band stammt, die mit den Jahren allzu bequem geworden ist.
Wir hatten das Gefühl, dass wir auf diesem Album etwas beweisen mussten – uns selbst und allen anderen. Deshalb ist jeder Song auch so akribisch durchdacht. Das Thema jedes Tracks zu fokussieren, war uns sehr wichtig, textlich und musikalisch.
Was sind eure Top-5-Tracks für diesen Sommer?
Ich werde einfach die letzten paar Songs aufschreiben, die ich gehört habe: „360“ von Charli XCX, „Looking for somebody (To love)“ von THE 1975, „Last train home“ von John Mayer, „Ways“ von THIRD EYE BLIND, „Modern girl“ von BLEACHERS.
Was sind eure Pläne für den Sommer? Wie geht es danach weiter?
Wir genießen gerade die US-Tour, mit der wir das neue Album promoten. Danach freue mich auf einen schönen kleinen Strandurlaub mit der Familie, wenn ich nach Hause komme. Des Weiteren sind ein paar Festivals geplant, eine UK-Tour, die noch nicht angekündigt wurde, und dann werden wir es einfach so nehmen, wie es kommt.
© by Fuze - Ausgabe #107 August/September 2024 und Christian Biehl
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und Thomas Eberhardt
© by Fuze - Ausgabe #107 August/September 2024 und Christian Biehl