Beim erstmaligen Hören mancher Bands wird man, völlig unversehens, in eine ganz eigene, kleine Welt gesogen. Man weiß dann gar nicht so genau, ob dieser Mikrokosmos tatsächlich genial von betreffender Band konstruiert wurde, ob er (wie die richtige Welt) das Produkt eines unwahrscheinlichen, glücklichen Zufalls ist, oder ob man auf die Band nur die eigenen Tagträume projiziert. Die Welt, in die mich die bezaubernden DUSTY RHODES AND THE RIVER BAND mit ihrem Album "First You Live" versetzt haben, sah jedenfalls sehr nach einem knapp prä-apokalyptischen Kalifornien aus, durch das ein fröhliches, mit allerhand Instrumenten bewaffnetes Wandervölkchen streift, um dem grassierenden Schrecken ein Grinsen und ein paar fröhliche Lieder entgegenzuschleudern. Klingt sehr nach Hippietum? Der Einwand sei dem erlaubt, dem noch im Hinterkopf präsent ist, dass auch Charles Manson einst ein Hippie war. An den musste ich unwillkürlich denken, als Sänger und Gitarrist Kyle Divine begann, mir die unappetitlichen, wahren Hintergründe mancher der Songs zu enthüllen.
Kyle, wo bist du gerade?
Ich bin momentan zu Hause. Wir sind eben erst zurückgekommen aus London und machen jetzt eine dreiwöchige Pause.
Dann seid ihr also schon dabei, Europa zu erobern?
Das war jetzt das erste Mal, dass wir in Europa gespielt haben. Es war eine kurze, aber feine Sache - vier Shows in London, dann eine in Nottingham und noch eine andere in der gleichen Gegend. Insgesamt waren wir also nur etwa eine Woche drüben.
War das nur dieser kurze Abstecher oder der Abschluss einer längeren Tour?
Wir waren jetzt insgesamt seit etwa einem halben Jahr mehr oder weniger ununterbrochen auf Tour. Zwischendurch hatten wir natürlich immer wieder ein paar freie Tage, aber alles in allem waren wir schon sehr beschäftigt.
Wann können wir euch denn mal auf dem europäischen Festland erleben?
Im Moment kann ich noch keine festen Zusagen machen. Wenn alles gut klappt, dann versuchen wir, bereits in diesem Sommer zu kommen. Momentan wird noch die Englandtour ausgewertet, aber es lief wirklich sehr, sehr gut und wir sind ziemlich zuversichtlich. Wir hoffen auf gute Angebote oder auf die Möglichkeit, mit einer bekannteren Band zusammen zu touren.
Kann man ungefähr beschreiben, was da für Leute während der letzten Monate vor der Bühne standen?
Schwierig - tatsächlich ist unser Publikum wenig homogen. Wenn wir zum Beispiel in Los Angeles als Headliner spielen, dann kommen viele jüngere Leute. Die meisten davon dürften wohl in der Indierock- oder Classic Rock-Ecke zu Hause sein. Als wir mit FLOGGING MOLLY auf Tour waren, sah das Publikum aus verständlichen Gründen ganz anders aus - eben viele Leute mit einem Punk-Background oder Interesse an irischer Musik. Genauso haben wir auf der Tour mit BLIND MELON für jede Menge Alt-Hippies gespielt.
Wie versucht ihr denn, unbedarften Leuten klar zu machen, was sie bei euch erwartet?
Normalerweise sage ich: Wir sind alle Musikfans und meinen damit tatsächlich so gut wie jede Art von Musik. Und selbstverständlich findet sich von der Musik, die man wirklich mag, auch immer etwas in dem, was man selbst tut. Das umfasst alles von Ragtime aus den 20ern, über Dixie-Jazz aus den 40ern, natürlich Blues, R&B und Gospel, Rock'n'Roll aus den 50er und 60ern, Britpop, Classic Rock, Progressive Rock, Folk-Rock und noch eine ganze Menge mehr.
Gab es schon Versuche, euch zu einzuordnen, mit denen du ganz und gar nicht einverstanden warst?
Am häufigsten kommt vor, dass sehr stark vereinfacht wird - meistens zu "Folk-Rock", "Classic Rock" oder "Bluegrass". Das ärgert mich dann schon etwas, weil ich finde, dass es der Band einfach nicht gerecht wird.
Gab es dann vielleicht ganz am Anfang einen Plan, was DUSTY RHODES AND THE RIVER BAND mal für eine Band werden sollte?
Nein, es hat sich alles völlig unberechenbar entwickelt. Zu Beginn trafen sich nur drei von uns, um ein bisschen Folk zu spielen - so in Richtung Bob Dylan und Woody Guthrie. Irgendwann begannen mehr und mehr Leute zu der Band zu stoßen. Parallel dazu veränderte sich der Stil der Band entsprechend der Einflüsse der neuen Mitglieder. Erst ging es weiter in Richtung "Rock", als dann das Keyboard dazu kam "Classic Rock". Mit der Violine wuchs wieder das Folk-Rock-Element, außerdem begannen wir mit Country der unpeinlichen Sorte zu experimentieren. Eine zusätzliche E-Gitarre brachte noch Progressive Rock mit ins Spiel. Gleichzeitig hatten wir dann auch mehrere Leute in der Band, die singen konnten. Unsere Begeisterung für die BEATLES und die BEACH BOYS veranlasste uns, mit komplexeren Gesangsharmonien zu experimentieren. Ich denke, damit sind wir schon in der Gegenwart angekommen. Es war als eine Art natürlicher Evolution und ich bin mir sicher, dass es auch in Zukunft Veränderungen geben wird, aber das macht doch auch den Reiz aus.
Dann rekrutierten sich also die verschiedenen Bandmitglieder auch aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, oder gab es wenigstens in Hinblick auf die Instrumentierung bewusste Entscheidungen?
Es fing damit an, dass ich Justin, der das Akkordeon spielt, vorgestellt wurde und wir sehr schnell feststellten, dass wir ähnliche Vorstellungen davon haben, wie eine Band zu klingen hat. Für den Job des Schlagzeugers habe ich dann einfach einen meiner Arbeitskollegen gefragt und als Gitarristen einen meiner Nachbarn angeheuert. Unsere Violinistin habe ich dann über einen gemeinsamen Freund kennen gelernt und plötzlich hatten wir im Wesentlichen diese nette, kleine Band hier.
Dann fehlte also nur noch ein Label ...
Vor etwa einem bis anderthalb Jahren wurden ein paar Leute aus dem Side One Dummy-Umfeld von unserem Manager, einem guten Freund, eingeladen, um sich ein Konzert von uns anzusehen. Das war unsere erste Show im berühmten Club Troubadour in Los Angeles. Auf jeden Fall waren die sehr angetan und haben bei unserem nächsten Auftritt mehr Leute von Side One Dummy angeschleppt. Ich denke, insgesamt haben sie uns drei- oder viermal live gemustert, bevor sie uns dann gefragt haben, ob wir bei ihnen unterschreiben würden.
Findest du, dass ihr gut zwischen die anderen Bands des Labels passt, oder fühlt ihr euch ein wenig als Außenseiter?
Nun ja, wir sind definitiv keine Punkband. Trotzdem sind wir bei Side One Dummy sicher besser aufgehoben als auf jedem Major und den allermeisten Indielabels. Insgesamt ist das Label zwar doch irgendwie in der Punk- und Ska-Ecke angesiedelt, aber sie haben eben auch Bands wie FLOGGING MOLLY und GOGOL BORDELLO, die sehr eigenständige Musik machen und sicher auch nicht in irgendeine Schublade gesteckt werden wollen. So gesehen, passen wir absolut perfekt. Außerdem arbeiten dort einfach ganz wundervolle Menschen und die Atmosphäre ist sehr familiär. Die Leute kommen sehr oft zu unseren Shows, und ab und zu fliegen sie uns sogar nach.
Euer Internetauftritt lässt durchblicken, dass ihr durchaus politische Menschen seid, gleichzeitig habe ich in den Texten keine allzu deutlichen politischen Aussagen gefunden. Versucht ihr Politik und Musik zu trennen?
Nicht zwangsläufig. Ich kann an dieser Stelle nur für mich sprechen und nicht für die anderen Songwriter der Band, aber ich persönliche denke mir nicht "Jetzt schreibe ich mal einen Song, der Bush aus dem Amt befördern wird" oder "Jetzt mache ich etwas, das Leute zum Weinen bringen wird". Das läuft bei mir alles sehr viel intuitiver und folgt einer bestimmten Stimmung. Von mir ist tatsächlich kein einziger politischer Song auf dem Album. Es gibt da dieses eine Lied, "Leaving Tennessee", das sich die vorherrschende Mentalität in gewissen Gebieten im Süden der USA vorknöpft, aber mehr Politik ist auf dem Album tatsächlich nicht zu finden. Die aktuelle politische Situation beschäftigt uns schon sehr, aber es ist schwierig, politische Songs zu schreiben, ohne platt oder belehrend zu wirken. Wie es richtig geht, hat Bob Dylan gezeigt, aber er wurde so oft schlecht kopiert, dass ich mich an das Thema nicht heranwagen werde, bevor ich mir sicher bin, dass ich etwas wirklich Brauchbares beizutragen habe.
Was sich über eure Texte aber ganz sicher sagen lässt, ist doch, dass die meisten von ihnen eher düster und morbide sind. Gehört das zu einer bestimmten Atmosphäre, die ihr erzeugen wollt, oder spiegelt sich darin einfach eure Weltsicht wider?
Man kann das Thema "Leben und Tod" schon als roten Faden des Albums ansehen. Aber das steht ja nun nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass vieles einfach aus Beobachtungen der Realität entstanden ist. Einige der Songs beruhen sehr direkt auf wahren Begebenheiten, so zum Beispiel "Grampa Mac". Der Song erzählt die Lebensgeschichte meines Ur-Großvaters, der vier Menschen getötet hat. Oder auch "The ballad of Graff", der letzte Song des Albums - er handelt von einem Mann, der einen Monat lang mein Mitbewohner war und irgendwann einfach verschwand. Neun Monate später hörte ich dann wieder von ihm. Die Polizei rief an, um mich über ihn auszufragen. Es stellte sich heraus, dass er einen Mann enthauptet hatte; wenig später war es überall in den Nachrichten. Aber keine Angst, der Großteil der anderen Songs ist fiktional ...
Ihr seid sechs Leute in der Band und damit etwas mehr, als es die typische Rock-Band-Besetzung vorsieht. Erschwert oder erleichtert das solche Vorgänge und das Band-Dasein allgemein?
Also auf Tour ist es definitiv ein Nachteil. Es ist wesentlich teurer, zu sechst unterwegs zu sein als zu viert. Die Veranstalter zieren sich oft, einer größeren Band auch mehr Geld zu bezahlen. Außerdem braucht man ein größeres Fahrzeug mit Platz für zusätzliche Personen und natürlich deren Equipment. Aber es geht auch um ganz banale Dinge, dass du häufigere und längere Pausen machen musst und dergleichen. Aus diesem Blickwinkel bedeuten mehr Menschen also definitiv auch mehr Stress. Andererseits schafft uns der Umstand, dass wir sechs Multi-Instrumentalisten in der Band haben, erst die musikalischen Freiheiten, die wir brauchen, um die Musik machen zu können, die wir eben machen. Ich würde also nicht tauschen wollen, zumal gerade Sechs eine Zahl ist, die sich als ideal erwiesen hat. Obwohl es manchmal schwieriger ist, ist es das doch definitiv wert.
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