Vergesst alles, was ihr über Subversion und Punk zu wissen glaubt, und zieht euch die DUMMY TOYS und ihre Mischung aus Oldschool-Punk und Hardcore rein. Qingqing 青青 (dr), Xiaohan 小韩 (voc), Xiaoniao 小鸟 (gt) und Huanzi 欢子 (bs) aus der ostchinesischen Hafenstadt Qingdao kommen im Sommer zum ersten Mal auf Europatour und bringen ihre neue LP „War Is Nightmare“ mit. Die vier kritisieren in ihren Texten auch die chinesische Regierung – und gehen damit ein großes Risiko ein. Dass unerwünschte Bands in China gerne mal von der Bildfläche verschwinden, schüchtert sie kein bisschen ein. Damit sie nicht erwischt werden, haben sie ein paar Tricks auf Lager. Im Sommer sind sie auf Tour in Deutschland.
Wie seid ihr zum Punk gekommen?
Xiaoniao: Durch die Musik, durch amerikanische Punkbands wie CHEAP SEX und MONSTER SQUAD und chinesische Bands wie DEMERIT. Meine erste Platte war von den SEX PISTOLS. Erst nach und nach habe ich verstanden, was Punk ist.
Qingqing: Ich habe mit 16 angefangen, Rockmusik zu hören und in einer Band zu spielen. Ich bin erst durch Freunde zum Punk gekommen.
Xiaohan: Ich komme eher aus der Indie-Musik und hatte schon mal eine Band, in der ich gesungen habe. Ich bin auch erst durch die anderen zum Punk gekommen. Meine alte Band hat zwar keinen Punk gespielt, da ging es aber auch um Individualität und darum, das System zu kritisieren. Ich bin immer noch dabei zu lernen, was es bedeutet, Punk zu sein, sowohl was die Musik angeht als auch die Kultur.
Huanzi: Bei mir ging es als Teenager mit Alternative Rock los, etwas später habe ich angefangen, die RAMONES und die SEX PISTOLS zu hören. Damals waren Xiaoniao und ich schon in einer Band, wir waren ja zusammen in der Schule und gleich alt. Mit Punk ging es erst richtig los, als wir chinesische Bands entdeckt haben, das war in den Neunzigern. Mich hat das damals wie ein Schlag getroffen. Plötzlich waren die Texte nicht mehr auf Englisch, sondern auf Chinesisch. Da dachte ich: Das ist genau das, was ich will! Inzwischen höre ich zwar auch andere Genres, aber mein Herz gehört dem Punk.
Bei euch merkt man schnell, dass ihr systemkritische Texte schreibt. Ist das überhaupt sicher für euch?
Xiaoniao: Nein. Wenn man in China auftritt, vor allem auf großen Bühnen, werden die Liedtexte überprüft, man wird also gegebenenfalls zensiert. Ist in den Lyrics etwas Unliebsames dabei, müssen wir den Text theoretisch abändern, so dass der ganze Sinn verfremdet wird. Aus „fuck“ wird zum Beispiel „funk“. Unser Publikum versteht uns aber trotzdem. Sie können den echten Text auch online nachlesen.
Xiaohan: Vor der Show müssen wir ein Dokument ausfüllen und den Text aufschreiben, damit er dann geprüft und gegebenenfalls geändert werden kann. Oft lassen wir den Text einfach so. Ein großer Teil wird ja gescreamt, das versteht dann sowieso keiner, außer den Insidern.
Worüber singt ihr denn, was so bedenklich ist?
Xiaohan: Viel darüber, dass die Arbeiterschicht schlecht behandelt wird. Wir haben auch Anti-Kriegs-Texte, singen über Gewalt gegen Frauen und darüber, wie in China mit der Pandemie umgegangen wurde.
Eine befreundete Sinologin hat mir mal erklärt, dass es in China lange keine Subkulturen gab und die sich jetzt erst herausbilden. Was meint ihr dazu?
Xiaoniao: Ich muss deiner Freundin widersprechen. Es hat in China immer Subkulturen gegeben. Die erste Punk-Welle und die ersten Punkbands gab es in den Neunzigern. In den Zweitausender Jahren kamen dann regelmäßig ausländische Bands auf Tour. Ich finde, hier ist Punk als Subkultur herausfordernder, weil es für die Leute viel schwieriger ist und sie sich mehr verstecken müssen.
Qingqing: Es ist unter anderem deshalb schwierig, weil es kaum Raum dafür gibt. Es gab mal eine Band, die nicht mehr auftreten durfte, weil die Texte zu politisch waren.
Das passiert also mit regierungskritischen Bands?
Xiaoniao: Ja, manchmal. Shows können gecancelt werden, schlimmstenfalls auch die ganze Tour. Manchmal dürfen Bands offiziell überhaupt nicht mehr auftreten.
Ich muss jetzt mal auf eure Outfits eingehen. Was bedeutet es euch, euch so auffällig zu kleiden?
Qingqing: Das ist unser Style, etwas Oldschool, was auch zu unserer Musik passt. In China werden wir oft darauf angesprochen. Den meisten gefällt es nicht, weil es anders ist, zu individuell. Das ist aber genau das, was ich sein will.
Xiaohan: Unsere Kleidung zeigt unsere Einstellung. Außerdem finden wir so neue Freunde, zum Beispiel wenn Leute uns auf der Straße auf einen Aufnäher oder ein Bandshirt ansprechen.
Hat das auch mit dem chinesischen Frauenbild zu tun, dass viele es nicht mögen?
Xiaoniao: Auf jeden Fall. Eine chinesische Frau muss sanft sein, eine gute Ehefrau und Mutter. Immer mehr Frauen möchten aber ausbrechen und anders sein.
Huanzi: Viele Mädchen wollen nicht mehr heiraten, ihnen ist die Freiheit wichtiger als die Familie. Die chinesische Kultur wird da langsam toleranter.
Qingqing: Sehe ich auch so. In China ist die konfuzianische Lehre bei vielen noch sehr verbreitet. Das beeinflusst viele Leute, deshalb sind Traditionen weiterhin sehr stark. Für mich ist es so: Ich bin Punk und spiele in einer Band, bin aber trotzdem Ehefrau und Mutter. Und es stimmt, dass es gerade unter den jungen Menschen langsam eine Veränderung im Denken gibt, vor allem in Großstädten. In kleinen Städten ist es aber weiterhin schwierig, anders zu sein. Generell würde ich sagen: Man darf schon anders sein, aber nicht zu sehr.
Im Sommer ist bei euch ja einiges los. Auf eurer ersten Europatour spielt ihr unter anderem auf dem Back To Future und dem Rebellion Festival. Worauf freut ihr euch am meisten?
Xiaoniao: Das Back To Future Festival hat uns eingeladen, damit entstand die Idee einer Tour in Europa. Ich freue mich nicht nur auf die Festivals an sich, sondern vor allem darauf, die Bands zu treffen. Wir sprechen vielleicht nicht die gleiche Sprache und können keine tiefgreifenden Gespräche führen, aber wir verstehen uns über die Musik.
Huanzi: Ich hoffe, dass wir ein paar neue Freunde finden und alte wiedertreffen. Diese helfen uns, die Tour und alles drumherum zu organisieren. Manche kennen wir schon seit 15 Jahren oder länger von ihren Touren und privaten Besuchen in China.
Qingqing: Die Musik, die wir spielen, kommt aus dem Westen. Ich will sehen, wie es dort wirklich aussieht und wie es dort zugeht. Außerdem sind bei den beiden Festivals viele Bands, die wir als Teenager gehört haben. Die live zu sehen und kennen zu lernen, wird super. Übrigens, für chinesische Verhältnisse sind wir gerade als Frauen älter als die meisten. Außer Xiaohan, die 1995 geboren ist, sind wir alle schon in unseren Vierzigern. In Europa scheinen die Leute auf der Bühne alle viel älter zu sein. Das gibt uns Power weiterzumachen.
Ihr werdet auch Songs vom kommenden Album „War Is Nightmare“ spielen. Geht es da generell um Krieg oder bezieht sich das auf den Ukraine-Krieg?
Huanzi: Beides. Wir hassen Krieg und der Krieg in der Ukraine ist eben aktuell.
Wie seht ihr die Rolle Chinas im Ukraine-Krieg?
Xiaoniao: Ich stehe der chinesischen Regierung da sehr kritisch gegenüber. Mir gefällt überhaupt nicht, wie China sich verhält. Aber was kann ich schon machen? Was ich denke, ändert am Ende nichts.
Qingqing: Krieg ist das Schlimmste, denn er bedeutet, dass Menschen und Kinder sterben und ihr Zuhause verlieren. Die chinesische Regierung hat sich dazu entschieden, dabei einfach zuzuschauen.
Erzählt mal genauer, worum es auf dem neuen Album noch geht.
Huanzi: Neben den Anti-Kriegs-Songs geht es auch um Umweltschutz, um häusliche Gewalt und Gewalt im Internet.
Xiaoniao: Und viel um die Pandemie. Wer in Quarantäne musste, durfte oft nicht einfach zu Hause bleiben oder ins Krankenhaus. Teilweise wurden neue Gebäude dafür hochgezogen. Hast du ein Corona-Symptom gezeigt, zum Beispiel Fieber, wurdest du mit einem großen Bus zu diesen Zentren gekarrt, teilweise nachts und über 100 Kilometer. Einmal gab es einen nächtlichen Unfall, alle Insassen sind gestorben. In China kann man über diesen Vorfall kaum sprechen. Wenn du öffentlich darüber redest, hast du schnell Ärger am Hals.
Der Text ist ja auf Englisch, ist das sicherer für euch?
Xiaoniao: Natürlich. Es gibt eine Band, SHOCHU LEGION 烧酒军团, die singen nur auf Chinesisch. Das ist super mutig, weil sie auch regierungskritische Texte haben. Deswegen spielen sie immer als letztes, dann ist die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass jemand die Band oder den Club anschwärzt. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum wir gern auf Englisch singen. Englisch ist die Weltsprache und uns sollen möglichst viele Menschen verstehen. So können wir unsere Musik und unsere Botschaft überall verbreiten.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #168 Juni/Juli 2023 und Julia Segantini
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #171 Dezember 2023/Januar 2024 2023 und Julia Segantini