DIRECTIVE JCS 1067

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Paderborn to be wild

Die Band DIRECTIVE JCS 1067 gründete sich 1985 in Paderborn im Dunstkreis des autonomen Kultur- und Kommunikationszentrums, kurz KuKoZ, wo einige Bandmitglieder sich engagierten und auch Punk-Konzerte veranstalteten. Die Band spielte diesen für die Mittachtziger typischen Hardcore/Punk, leicht vertrackt, melodisch mit politischen deutschen Texten. 1987 nahmen sie ihr einziges Tape auf, um sich 1989 wieder aufzulösen. Wir sprechen mit Jörg, Rhythmusgitarre und Gesang – heute noch bei VULTURE CULTURE aktiv –, und Holger, Drums, über Punkrock in Paderborn während der Achtziger Jahre. DIRECTIVE JCS 1067 waren außerdem Olli, Gesang, Kuni, Leadgitarre, und Manni, Bass.

Wie seid ihr damals auf Punk aufmerksam geworden, und wann hat euch das Virus selbst erfasst?

Jörg: Das war 1977 in der Schule, als mein Klassenkollege Uwe meinte, dass die SEX PISTOLS viel härter als KISS seien. Ich habe ihm das nicht geglaubt, bis ich bei ihm zu Hause die „Never Mind The Bollocks“-LP hörte ... danach war ich geflasht.
Holger: Musikalisch kam das so um 1982 über den größeren Bruder meines besten Freundes. Es begann alles mit „In The Flat Field“ von BAUHAUS. Ich habe dadurch erfahren, dass es auch andere Musik gibt neben dem, was Mal Sondock in seiner Radiosendung im WDR gespielt hat. Und über BAUHAUS hat sich dann der Punk recht schnell eingeschlichen.

Was bedeutete Punk damals für euch – und wie ist das heute?
Jörg: Punk war damals total neu und es hatte eine wahnsinnige und eloquente Ausstrahlung auf mich. Es haute mich total weg, unter anderem weil man alles selber machen sollte. Die SEX PISTOLS und all die anderen Punkbands teilten einem das mit ... Fuck the system! Be yourself! Wie geil für einen zwölfjährigen Schuljungen, der bereits harte Gitarrensounds liebte! Heute ist Punk für mich weitestgehend eine geile Erinnerung an diese Zeit. Eine Punk-Szene existiert in meinen Augen so schon sehr lange nicht mehr. Die damalige Generation hält es zwar noch ein bisschen in dieser Form am Leben, aber für mich sind die Zeiten mit guten und innovativen, wilden, selbstbewussten Punkbands, die DIY leben, ziemlich vorbei. Was nicht bedeuten soll, dass Punk gar nicht mehr existiert. Es drückt sich aber heute in einer anderen Form aus.
Holger: Ich weiß gar nicht, ob ich mir so wirklich Gedanken gemacht habe, was das nun bedeutet. Es hat sicherlich was mit Dagegensein zu tun. Heute höre ich nur noch recht selten Punk, aber wenn dann gerne. Ich bereue nichts und weiß noch immer gute Musik zu schätzen. Bei einigen Bands weiß ich aber auch nicht mehr genau, was ich daran fand ...

Gab es von eurer Seite aus von Anfang an die Idee, Musik zu machen? Waren DIRECTIVE JCS 1067 eure erste Band? Und wann ging es los?
Jörg: Ich wollte schon zu meinen KISS- und STATUS QUO-Zeiten in einer Band sein. Aber als Punk in mein Klassenzimmer kam, gab es absolut keine Zurückhaltung mehr. Eine Gitarre musste her und ich suchte mir alle Musiker, die ich finden konnte. Bis zu meiner ersten Band ging noch mal ein Jahr ins Land. Es war eine kleine Schülerband ohne Namen, in der ich 1978/79 spielte, aber wir hatten nie einen Auftritt. Ich war der Sänger und wir spielten unter anderem „Hey Joe“ von Jimi Hendrix nach. Meine erste „richtige“ Band hieß ABSPRUNG und war tatsächlich die erste „offizielle“ Punkband Paderborns. Wir hatten sogar irgendwann im Frühjahr 1980 einen Gig. Später wurde dann JOD-S-11 daraus, die später regelmäßig Konzerte spielten. Da war ich aber bereits nicht mehr dabei. Im Sommer 1980 war ich für einen Sprachurlaub in England und damit auch in London. Ich stand vor dem Kino, in dem der SEX PISTOLS-Film „The Great Rock’n’Roll Swindle“ lief. Als ich zurückkam, suchte ich mir neue Punkfreunde in der Stadt und so entstand irgendwann schließlich DIRECTIVE JCS 1067! Das muss 1985 gewesen sein.
Holger: In einer Band spielen fand ich schon immer sehr reizvoll. Ich habe nach einem Gig im KuKoZ jemandem – wem eigentlich? – das Schlagzeug abgekauft. 1985 haben sich dann DIRECTIVE JCS 1067 gegründet, und wenn ich mich recht erinnere, hatten wir im Januar 1986 den ersten Auftritt, natürlich im KuKoZ.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen? Und was bedeutet er?
Jörg: Die Idee hatte Kuni, unser Leadgitarrist. Es ist die exakte Bezeichnung eines Dekrets der amerikanischen Besatzungsmacht in Deutschland nach Kriegsende 1945, unter anderem mit dem Inhalt, eine „Verbrüderung mit deutschen Beamten und der Bevölkerung streng zu unterbinden“. Wir fanden das als Name punkig genug, um ihn zu benutzen. Außergewöhnlich und total bekloppt in seiner Bedeutung, weil es eine „Verbrüderung“ verfeindeter Kriegsstaaten und deren Bevölkerung einem Gesetz nach nicht geben durfte. Das hat aber auch nicht wirklich hingehauen, wie man heute weiß. Ich fand den Namen damals okay, weil der Inhalt des Dekrets so schön widersprüchlich war und weil er zur damaligen Zeit recht ungewöhnlich war.

Welche Einflüsse hattet ihr?
Jörg: Bei mir war es ganz klar der 77er-Punk sowie die zu dieser Zeit vorherrschende zweite Brit-Punk-Welle und Reggae. Andere standen viel auf den gerade aufkommenden US-Hardcore-Punk sowie schräges Punk/New Wave-Zeug wie zum Beispiel DEVO, SWANS, MELVINS. Nicht unwichtig war aber auch die derzeit sehr aktive deutsche Punkrock/New Wave-Szene mit SLIME, DAILY TERROR, DIN-A-TESTBILD, DAF. Die Devise war, je schräger desto besser.

Wo habt ihr geprobt – und wie oft?
Jörg: Ich glaube, wir haben teilweise ein- bis zweimal in der Woche geprobt. Unser Proberaum war in einem alten Schuppen auf dem Grundstück der Oma unseres Sängers Olli. Sehr cool und stimmig das Ganze. Sie lud uns ab und an mal zu einem Schnaps ein. Echt cool!

Wie sah die Punk-Szene in Paderborn aus? Es gab mit dem KuKoZ bis 1986 ein Autonomes Zentrum. Wart ihr dort selbst aktiv, hattet ihr die Möglichkeit, selbst Konzerte zu organisieren?
Jörg: Aber ganz klar! Das KuKoZ war unser Wohnzimmer und Gigs wurden auch organisiert, sowie Demos, Partys, Theater und vieles mehr. Dort haben viele gute Bands gespielt, unter anderem auch DIE TOTEN HOSEN in Originalbesetzung vor circa vierzig Leuten für 99 Pfennig. Da waren die noch eine reine Punkband und hatten gerade „Eisgekühlter Bommerlunder“ rausgebracht ... Ich habe nach dem Gig noch kurz mit Campino und Breiti ein Bier getrunken. Die Punk-Szene in good old Paderborn to be wild war unter anderem sehr geprägt durch die englischen Punks, die wir durch die britischen Streitkräfte hier hatten. Meistens waren das die Kids von den Soldiers. Deshalb bin ich auch sehr geprägt vom englischen Punkrock. Die Szene hier war aber schon recht bunt und abenteuerlich, wie fast überall eben. Alles lief parallel und nebeneinander, Brit-Punk, Deutschpunk, US-Punk und auch ein bisschen New Wave, Gothic und Reggae.
Holger: Die Punk-Szene in Paderborn war überschaubar. Wir waren im KuKoZ aktiv und haben dort auch Konzerte organisiert. Eines der ersten oder sogar das erste, das wir selbst organisiert haben, war mit DISORDER im August 1984. Die haben sehr wenig Gage bekommen und im KuKoZ hinten in den Gruppenräumen geschlafen. Dann haben sie das Weinlager entdeckt und aufgebrochen und hierüber die Gage aufgebessert. Es war dann etwas knifflig, die Veranstaltungsgruppe von weiteren Punk-Konzerten zu überzeugen. Es hat aber geklappt.

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum – gab es den bei euch, in eurer Szene?
Jörg: Auch das gab es. Leider. Paderborn hatte zu jener Zeit eine nicht gerade kleine Drogenszene. Da sind so einige damalige Zeitgenossen auf der Strecke geblieben. Heroin und andere synthetische Sachen waren damals relativ leicht zu bekommen. Das war alles nicht schön, weil es die Leute auch sehr zum Nachteil veränderte und die Szene teilweise destruktiv machte. Wir als Band hatten damit allerdings nichts zu tun und hielten uns weitestgehend an kühles Dosenbier aus dem Aldi.
Holger: Ja, klar ...

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind euch in besonderer Erinnerung geblieben?
Jörg: Mein allererstes Auslandskonzert spielte ich mit DIRECTIVE JCS 1067 in Holland. Das war eine sehr schöne Erfahrung. Die Anreise, das Konzert als solches, die Unterbringung. Die Szene war sehr international und total lebendig. Fast in jeder Stadt gab es eine kleine, aber feine Punk-Szene, alles wurde selbst organisiert. „Do It Yourself“ in Reinkultur. Das hat mich damals alles sehr geprägt. Wir lernten viele Autonome Jugendzentren und deren Akteure kennen und lieben. Alles war irgendwie eine große Punk-Familie.
Holger: Die Mutter aller Konzerte: GORE und Henry Rollins im AJZ Bielefeld im September 1987.

Habt ihr oft in anderen Städten gespielt? Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert?
Jörg: DIRECTIVE JCS 1067 kamen schon etwas herum und spielten auch viel außerhalb Paderborns. Man lernte Leute auch auf Konzerten anderer Bands kennen und schrieb sich dann Briefe. Unglaublich heutzutage. Natürlich hatte man auch Telefonkontakt. Aber der geschriebene Brief war schon sehr verbreitet. Coole Sache.
Holger: Die Zahl unserer Konzerte ist recht überschaubar. 1986 spielten wir im Eschhaus in Duisburg, in Heerenveen, Niederlande und im AJZ Bielefeld, 1987 in Braunschweig und 1988 in Göttingen und natürlich ein paar mal in Paderborn.

Findet ihr, dass eure Texte immer noch aktuell sind?
Jörg: Na ja, wir sangen damals auf Deutsch und behandelten viele Dinge aus einer sehr persönlich-politischen Sichtweise heraus. Wir haben alles hinterfragt und wenn ich die damaligen Themen mit heute vergleiche, dann sehe ich sehr viele Parallelen. Eigentlich ist es jetzt alles noch viel schlimmer. Wir hatten ein Stück mit dem Titel „Tage der Trauer“. Es handelte von Demonstranten, die ums Leben gekommen waren, entweder durch eine Polizeikugel oder andere Umstände. Vergleiche das mal mit heute. Da ist es fast normal, dass Menschen bei Demos auf der ganzen Welt schwer verletzt werden oder ums Leben kommen. Egal auf welcher Seite sie stehen. Sehr frustrierend.
Holger: Vieles würden wir heute sicher anders formulieren. Ich denke aber, dass es nichts zu bereuen gibt – es fühlt sich zumindest noch immer richtig an.

Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die ihr so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdet?
Jörg: Ich würde heute überhaupt nicht mehr so an das Songwriting gehen wie damals. Das hat aber hauptsächlich mit meiner Entwicklung als Musiker zu tun. Damals haben wir einfach alles so rausgehauen, wie wir es eben empfunden hatten. Und die Fähigkeiten auf unseren Instrumenten sowie die Verstärker-Ausstattung waren natürlich limitiert. Trotzdem waren DIRECTIVE JCS 1067 nie eine langweilige Uffta-Uffta-Band. Wir haben das Beste aus dem gemacht, was wir zur Verfügung hatten. Was die Texte betrifft, würde ich sie wohl auch nicht mehr in dieser Art verfassen. Dennoch, die Themen, wie gesagt, stellen für mich immer noch einen Bezug zu heute dar.

Ihr habt nur ein Tape veröffentlicht. Wie habt ihr die Aufnahmen dazu in Erinnerung?
Jörg: Das war damals schon eine coole Sache, weil es meine ersten offiziellen Recordings mit einer Band waren. Aufnahmen sind immer eine coole Sache, denn sie konservieren deinen künstlerischen Ausdruck zu der Zeit, in der sie entstehen. Bei Punk ist das ja schon sehr ausschlaggebend. Wir haben das Tape natürlich in DIY-Manier in unserem Proberaum aufgenommen. Wir hatten einen Techniker, der das Equipment mitbrachte und alles dirigierte, da wir davon kaum eine Ahnung hatten. Es herrschte eine sehr ausgelassene Stimmung unter uns. Und nachher waren wir auch ein bisschen stolz auf unser kleines Werk.
Holger: Es hat Spaß gemacht und vier Spuren – wow, das war was!

Die Chaostage 1984 in Hannover waren für viele ein einschneidendes Erlebnis. Wart ihr auch da?
Jörg: Ach ja, die Chaostage. Nein, ich war nicht dort. Ich wollte zu den ersten hin, aber irgendetwas kam damals dazwischen, und dann, da bin ich ehrlich, habe ich einfach das Interesse daran verloren. Trotz allem denke ich, dass es am Anfang eine coole Sache war. In London gab es ja bereits „Stop The City!“, was auch für viel Aufsehen in der hiesigen Punk-Szene sorgte. Solange die Aktionen mit einem großen Spaßfaktor verbunden waren, fand ich das gut. Aber leider, wie so oft, kommen dann auch Aktionen dazu, die nur noch Sachbeschädigung zum Zweck hatten. Es sei denn, die Staatsmacht hat provoziert und das tat und tut sie ja auch gerne. Trotzdem, das war alles nicht mehr mein Ding.
Holger: Ich war tatsächlich dort, aber ob das 1984 war, weiß ich nicht mehr. Klar war es ein Erlebnis. Aber ob es einschneidend war ... ich weiß nicht.

Im Rückblick, wie war es für euch, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben? Was ist der Unterschied zu heute?
Jörg: Damals war es einfach, wie es war. Die Szene existierte wirklich aus den Bäuchen und den Herzen der Leute heraus, die einfach ihr Ding machten, und es war alles ein riesengroßes buntes Abenteuer. Die Achtziger waren die Zeiten, in denen ich „Punk“ wirklich mit vielen anderen zusammen gelebt habe. Nach der ersten Welle aus UK und den USA ging der Punk-Samen in der ganzen Welt ja erst richtig auf. Wohingegen heutzutage ja fast alles gehypet wird. Das liegt natürlich auch zu einem großen Teil an der Digitalisierung, die der Jugend heute ganz viel Kreativität abnimmt, aber dadurch auch viel Neues hervorbringen kann. Ich will damit sagen, dass Punk in den Achtzigern einfach ganz andere Voraussetzungen hatte, um sich so entwickeln, wie es eben war. Punk stellt sich 2021 ganz anders dar. Meines Erachtens ist es wichtig, den Punk-Geist dahingehend lebendig zu halten, etwas Eigenes und Neues zu versuchen. Ob der Rock’n’Roll dabei noch so eine Rolle spielen muss, wie er es damals tat, weiß ich nicht. Ich für meinen Teil stehe aber immer noch auf verzerrte Gitarrensounds ...
Holger: Gut war es. Proben, Freunde treffen, sich reiben, hin und wieder mal ein Auftritt. Wie gesagt, ich habe es nicht bereut. Ich glaube, man kann heute einfacher, mit geringerem Aufwand Musik machen, aber ob das ein Vorteil ist?

Habt ihr mal darüber nachgedacht, das Tape noch einmal zu veröffentlichen?
Jörg: Nein! Ich zumindest nicht. Warum auch? Das ist eine Zeitkonserve von früher. Wenn jemand daran Interesse hat, das zu tun, gerne. Für mich ist es eine Ära, die mich sehr geprägt und stabilisiert hat. Aber für den Wunsch, es noch einmal zu veröffentlichen, fehlt mir heute der reale Bezug dazu. Wenn ich mir diese Aufnahmen heute anhöre, dann muss ich immer ein wenig respektvoll schmunzeln ...
Holger: Nö, wieso? Ich habe übrigens noch genug übrig. Von den hundert Stück wurden ja nur knapp siebzig verkauft.

Käme eine Reunion für euch infrage?
Jörg: Nein. Daran habe ich einfach kein Interesse. Außerdem würde mir auch die Zeit für so etwas fehlen, da ich selbstständig arbeite.

Wie sieht es mit den früheren Bandkolleg:innen aus? Machen die noch Musik, habt ihr Kontakt?
Jörg: Ich glaube, dass ich der Einzige bin, der noch immer Musik macht. Aber wir haben auch wieder Kontakt zu einander.
Holger: Jörg spielt ja bei VULTURE CULTURE. Manni, Kuni, Olli und ich machen keine Musik mehr. Olli und ich sind seit damals sehr eng befreundet. Manni und Kuni habe ich tatsächlich bestimmt dreißig Jahre nicht gesehen. Mit Jörg und ein paar anderen von damals habe ich wieder Kontakt, was mich sehr freut.

Jörg, du spielst heute bei VULTURE CULTURE. Siehst du musikalisch oder auch textlich eine Kontinuität?
Jörg: Zumindest ist in mir noch immer eine gewisse Wut, mit einer lauten und verzerrten Gitarre dazu. Für mich waren VULTURE CULTURE immer ein klare Weiterentwicklung in Bezug zu DIRECTIVE JCS 1067und das meine ich so, wie ich es hier sage. Ohne DIRECTIVE JCS 1067 hätte es keine VULTURE CULTURE gegeben! Manni, Kuni und ich gründeten direkt nach dem Ende der Band im März 1989 zusammen mit Elke VULTURE CULTURE. Mit Marc fanden wir dann vier Wochen später den passenden Drummer. Bis dahin hatte ich bei den ersten Proben getrommelt. Textlich gibt es natürlich auch gewisse Parallelen, aber auch das hat sich bei VULTURE CULTURE anders ausgedrückt. Alleine schon, weil wir auf Englisch texten. VULTURE CULTURE gründeten sich 1989, eine Zeit, in der sich die Punk-Szene, wie ich sie kannte, langsam aufgelöst hatte. Deshalb ist VULTURE CULTURE auch sehr von der Achtziger-Punk-Szene beeinflusst.

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch habt ihr die damalige Szene wahrgenommen?
Jörg: Die war schon in den Achtzigern recht männerdominiert, allerdings weniger machistisch. Es gab überall auch Frauen, die in Bands spielten und auf die Gigs kamen. Das war beim US-Hardcore dann wieder anders. Da wurde wild und brutal gepogt, gedivet und gecirclet, was das Zeug hielt. Alles andere als emanzipatorisch. Die Szene entwickelte sich wieder in diese machistische Richtung, allerdings nur zu einem Teil. Alles teilte sich immer mehr und mehr auf und verwob sich mit anderen Szenen, zum Beispiel mit dem Heavy Metal.
Holger: Die Männerlastigkeit in allen Belangen von damals habe ich erst später so richtig wahrgenommen, als ich nicht mehr in der Bewegung war. Und ich glaube, dass viele für dieses Thema damals auch nicht offen waren ...