Dieter Lamour ist 45 Jahre alt und betreibt in Aachen seit zwei Jahren das "Hauptquartier", das man getrost als Rock'n'Roll-Spelunke bezeichnen kann. Das Interview kam zustande, da mir mehrfach sein Name aufgefallen war, und ich mich immer fragte, wer wohl dahinter steckt, und vor allem, ob dieser Name echt ist. Beim Auflegen in genau diesem Laden wurde ich dann von meinem DJ-Kollegen Papst Pest aufgeklärt, und bald saßen wir gemütlich bei ein paar Tassen Kaffee, der sich später als Espresso erweisen und meinen Kreislauf zum Erliegen bringen sollte, in seiner Wohnung und quatschten etwas.
Wirst du eigentlich oft auf deinen Namen angesprochen? Man könnte ja denken, dass es ein Künstlername ist.
Ja, klar. Ich hab irgendwann mal recherchiert, und ich glaube vor vier Generationen hat jemand aus meiner Familie in Marseille gelebt und ist dann nach Deutschland gezogen. Meine Urgroßeltern und alle folgenden Generationen haben in Aachen gelebt.
Vor zwei Jahren hast du das Hauptquartier übernommen, welches es nun bald seit 25 Jahren gibt. Seit wann warst du denn selber dort Gast?
Quasi von Anfang an. Als Maria das damals aufgemacht hat, war das meines Erachtens die erste Kneipe hier, wo Punkrock Platz hatte. Als ich sechzehn, siebzehn war, gab es noch keinen Punk und auf einmal schwappte das rüber. Ich dachte, das ist endlich die Heilung von diesem ganzen Muff, denn ich habe ja selber so einen Scheiß wie DEEP PURPLE und andere Bombastrocker gehört. Irgendwann war das halt unheimlich langweilig, und der Minimalismus von Punk zeigte, dass man nicht lastwagenweise Equipment braucht, sondern dass es auch anders geht. Im Oktober 1982 hat Maria den Laden aufgemacht und das hat dann durchgängig gut funktioniert, sich Rock'n'Roll auf die Fahne zu schreiben. Die Mischung der Leute hat mich immer fasziniert. Die Promenadenstraße war damals eine halbe Puff-Straße. Dort gab es dann jede Menge halblegale Bordelle und jeder zweite Laden war eine Zuhälterkneipe. Dort dann etwas ganz anderes reinzusetzen, war ein Wagnis, hat aber gut funktioniert, da war immer eine völlig irre Mischung von Leuten. Da standen die Punks neben Nutten, Künstlern, Schwulen und Zuhältern und alle haben sich meistens vertragen. Es hat zwar die eine oder andere wüste Klopperei gegeben, aber das hat sich immer wieder eingerenkt. Von 1983 an war ich neben dem Studium Taxifahrer. Das hab ich als Pseudostudent über 20 Jahre betrieben und es hat sich so ergeben, dass ich als Stammgast des HQ dort der Hausfahrer geworden bin. Ich hab mich mit Maria angefreundet und sie immer durch die Gegend gekarrt. Im Sommer 2000 hab ich einige Monate lang gar keinen Nerv mehr auf Taxifahren gehabt und von den Ersparnissen gelebt. Als ich fast pleite war, hat Maria mich gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, bei ihr zu kellnern. Ich hab dann damit angefangen und bin da immer mehr reingewachsen und so kam es, dass Maria vor zwei Jahren gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, den Laden zu übernehmen. Das war weniger eine wirtschaftliche oder kaufmännische Entscheidung, denn verdienen kann man damit nichts, sondern viel mehr aus dem Bauch raus. Das Hauptquartier war und ist mein Wohnzimmer, und das soll sich bloß nicht ändern und so bleiben wie es ist.
Was kann man sich den genau unter dem Hauptquartier vorstellen? Wer arbeitet da und was erwartet einen dort?
Tja, es ist eine recht kleine Kneipe mit Live-Musik und Mottopartys. Gestaltet wird sie von Anfang an durch den Aachener Künstler Wilfried Tertin. Man muss das als sich ständig veränderndes, öffentliches Atelier verstehen. Die ganze Einrichtung besteht aus Unikaten, die sich anzusehen schon einen Besuch lohnt. Maria, Charly und ich schmeißen den Laden zu 95%. Maria hat den Laden eröffnet und Charly ist ganz früh dazu gestoßen. Er war im weitesten Sinne immer Kellner und Faktotum, sagen wir mal ein "Charly für alles". Er hat mit der Zeit dann angefangen, dort Konzerte zu veranstalten. Maria hat da nicht so drauf gestanden, also konnte er das nur sporadisch machen. Ich hingegen stehe auf Live-Musik und höre mir gerne Bands an, die ich mir auch noch aussuchen kann. Die Live-Schiene haben wir halt verschärft und kommen im Schnitt schon auf vier oder fünf Konzerte im Monat, wobei im Winter natürlich mehr geht als im Sommer. Aus Rücksicht auf die Nachbarn müssen wir den Laden bei Konzerten gegen Lärm abdichten, und wenn dann mal fünfzig bis sechzig Leute da sind, wird das HQ schnell eine Gratis-Sauna. Was selten ist, aber immer wieder passiert, ist, dass wir populärere Acts reinkriegen, bei denen auf der Tour ein Gig ausgefallen ist, oder ein Off-Day zu füllen. THE SHOCKER werden zum Beispiel bald bei uns spielen. Es ist immer lustig, dass er an solche Bands rankommt, aber wir haben uns mittlerweile auch einen Namen bei den Booking-Agenturen gemacht. Und am Wochenende legen bei uns immer DJs auf. Freitags Josy mit Rock und Trash quer über den Acker. Samstags macht das seit undenkbaren Zeiten schon der Hansel, der ist aber ein straighter Rock'n'Roller und spielt auch in Bands mit, unter anderem den HEADHUNTERS. Er war auch mal Bassist bei AUSBRUCH.
Was waren die Highlights in deiner Kneipengeschichte?
Das ist schwer zu sagen, denn in zwei Jahren haben wir einen Haufen Bands gemacht. Was auf jeden Fall hängen geblieben ist, ist der Auftritt der BOSS MARTIANS, denn die haben meines Wissens ihr erstes Europakonzert der "Set-Up"-Tour bei uns gespielt. Die haben sich nicht vorstellen können, dass das in dem Miniladen irgendwie laufen könnte. Am Ende war der Laden gerammelt voll und die Band musste drei Zugaben spielen, weil die Leute sie nicht von der Bühne gelassen haben. Die waren echt baff, aber ich habe gar nicht gerafft, was das für die bedeutet hat, bis ich im letzten Jahr auf ihrem Konzert in Köln war. Ich kam in den Laden rein und direkt sprang jemand vom Merchandise-Stand auf mich zu und fragte, ob ich noch wüsste, wer er wäre. Sie hätten es so toll bei uns gefunden und sie wollen diesen Herbst auch wiederkommen und bei uns spielen. Ansonsten war das Ted Milton-Konzert mit BLURT ein persönliches Highlight. Auf Ted stehe ich, seit er Musik macht. Ich war bestimmt schon auf fünf bis sechs seiner Konzerte, und dass Papst Pest und ich ihn überzeugen konnten, bei mir zu spielen, war natürlich super.
Wie sieht es denn sonst so mit einer alternativen/linken Szene in Aachen aus?
Ich hänge da nicht mehr so drin wie früher, deswegen will ich auch nichts Falsches sagen. Ich war früher politisch aktiv, beziehungsweise immer noch, nur in einem deutlich geringeren Umfang. Die Zeit, Häuser zu besetzen und großartig auf Demos zu fahren, habe ich einfach nicht mehr. Eine linke Szene gibt es hier immer noch, nur deutlich kleiner als früher und ich denke, dass es im Großen und Ganzen an Desinteresse scheitert. Aachen ist Uni-Stadt, eigentlich sollte es ausreichend interessierte Leute geben, aber viele schauen einfach nur, sich schnell eine Existenz zu sichern. Andere haben Angst, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen und so Chancen zu vermasseln. Zum Glück gibt es hier aber eine ziemlich aktive AntiFa und das ist ein Grund, warum Aachen für mich ein sehr lebenswerter Ort ist. Da muss man nicht befürchten, an irgendwelche Glatzen oder andere rechte Sackgesichter zu geraten.
Inwiefern warst du früher aktiver?
Anfang der Neunziger gab es hier eine ordentliche Welle an Hausbesetzungen, da die Forderung nach einem Autonomen Zentrum gestellt wurde. Wir wollten einen selbstverwalteten Raum haben, wo uns keiner reinredet und haben dann eine ganze Menge Häuser besetzt. Das fing mit dem Haus Mostardstraße/Neupforte an, dann das Haus "Zum Mohren" am Hof, was ein recht prominenter Platz in der Altstadt ist. Das haben wir sogar zweimal besetzt. Das war zum Teil schon recht lustig, mit den Cops Katz und Maus zu spielen. Danach kamen noch diverse andere Besetzungen, bis die Stadt es dann satt hatte, sich mit uns rumzuärgern und uns den Luftschutzbunker am Bahnhof überließ, der heute noch das AZ ist. Da hatten wir dann viel Platz und konnten auch viel machen. Dort gab es politische Veranstaltungen, aber auch Partys und Konzerte. Das hat klitzeklein mit No-Name-Bands angefangen, wurde dann aber immer größer, zum Beispiel TURBONEGRO, EA80, SLIME oder FISCHMOB. Mit der Zeit ist eine "jüngere" Generation nachgewachsen und wollte mehr Einfluss haben. Wir haben dann halt gesagt: "Dann macht mal ...", was leider was schief gegangen ist, denn schon nach kurzer Zeit haben sie sich von der Stadt Auflagen machen lassen, die sie nicht erfüllen konnten, am Ende wurde das AZ geschlossen. Das hat mich schon ziemlich geärgert. Ich hätte an ihrer Stelle den Laden einfach erneut besetzt, um wieder Konfrontationskurs zu fahren. Na ja, sie haben das nicht gemacht und das hatte zur Folge, dass das AZ zwei Jahre lang geschlossen war und heute nur unter Auflagen, wie etwa die 100-Leute-Grenze in der Kneipe, im kleinsten Rahmen zu betreiben ist. Das muss man dann in dem Zusammenhang sehen, dass zum Beispiel bei EA80 über 1.000 Leute da waren. Bevor ich jemandem unrecht tue: Es gibt da immer noch coole Leute mit politischem Anspruch, aber was am Ende dabei rauskommt, ist mir persönlich zu wenig. Unter einem Autonomen Zentrum stelle ich mir was anderes vor, das erscheint mir wie eine Art Etikettenschwindel. Mit dieser Meinung mache ich mich zwar sicher bei manchen Leuten unbeliebt, das nehme ich aber in Kauf.
Aber selbst bist du nicht mehr aktiv?
Mir hat da am Ende einfach die Zeit gefehlt. Die Kneipe hat sich zu einem Fulltimejob ausgewachsen, meine Freundin will mich auch mal sehen, und manchmal will ich einfach keinen Menschen sehen. Und ich gebe auch zu: Ich riskiere es nicht mehr, auf einer Demo eingelocht zu werden, wenn ich abends die Bar schmeißen soll. Ich habe da Verantwortung für meine Leute, das ist manchmal eine blöde Entscheidung. Ich hab früher für zwei linke Aachener Stadtzeitungen geschrieben, aber irgendwann hat es auch keine Bock mehr gemacht, sich einen Haufen Arbeit zu machen und dann das Desinteresse der Leute mitzukriegen. Das Bewusstsein, dass sich ohne eigenes Engagement nichts bewegt, ist in der so genannten "linksalternativen Szene" immer mehr geschrumpft. Ich bin da ziemlich desillusioniert. Ich tue, was ich kann, soweit meine Arme denn reichen, um das Bild mal zu benutzen. Das bedeutet, dass ich im HQ und im privaten Bereich gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus angehe und linke Projekte unterstütze.
Timbo Jones
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und