DECLINE!

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Punkrock vom Ende der Welt

Eine Band, die aus der Bretagne stammt, hat es schon rein geografisch erheblich schwerer, Gehör zu finden. Dabei wären THE DECLINE! – Kevin (voc), Goose (git), Xav (git), Ced (bass), Antoine (drums), 2009 gegründet – durchaus eine Band, die den Sprung ins Rampenlicht schaffen könnte, denn ihr ganz eigener, zuweilen düsterer Soundclash zwischen Punk, Rock, Folk und Country packt einfach, wie es schon bei der ersten EP „An Old Indian Cemetery“ von 2010 der Fall war. Großartig ist vor allem der mitreißende und gleichzeitig depressive Gesang. Anlass des Interviews mit Kevin: Das neue Album „12A, Calvary Road“.

Kevin, „12A, Calvary Road“ scheint nicht unbedingt der gemütlichste Platz dieser Welt zu sein, woran liegt’s? Und welche Intention verfolgt ihr mit dem „höllischen“ Artwork?

Wir leben in einem Teil von Frankreich, der stark katholisch geprägt ist, daher zieren diese dämlichen Kalvarienberge ganze Landstriche, diese Kruzifixhügel sind an jeder Straßenecke zu finden. Die Bretagne ist sogar berühmt für ihre Kalvarienberge. Während ich die Texte für das neue Album schrieb, wohnte ich übrigens in der Rue du Calvaire 12A. Das ist eher ein langweiliger als ein höllischer Ort. Aber Routine und Langeweile können zur puren Hölle werden, nicht wahr? Einige Texte besitzen schon eine recht pessimistische Sichtweise auf das, was hier, also in Rennes und Umgebung, so abgeht. Daher das Artwork. Es zeigt schlicht, wie es sich – aus meiner Sicht – anfühlt, an einem öden Ort, in einer zunehmend verrückteren Welt zu leben. Oder vielleicht bin ja ich es, der immer mehr abdreht ...

Die Bretonen sind aber auch als rebellisches Völkchen bekannt. Wie ergeht es euch als Punkband in Bezug auf die tief katholische Lebensrealität am „Ende der Welt“, werdet ihr akzeptiert, verstoßen oder schlicht ignoriert?

Alles irgendwie: Von einigen voll akzeptiert und anerkannt, von wenigen geliebt, von den meisten werden wir aber einfach ignoriert. Aber verstoßen werden wir nicht. Es gibt schon eine recht große Rock- und Punk-Szene in unserer Gegend, daher ist es für uns nicht mal halb so gefährlich, als wenn wir Sinti und Roma, Moslems, Einwanderer, Arbeitslose oder sonst wie „sonderbar“ wären. Das wäre dann schon eher ein Gefühl, wie man es von Asterix und Obelix kennt. In einer Punkband zu spielen, ist an sich harmlos und ungefährlich. Es gibt aber schon Momente, in denen ich mich Asterix nah fühle, und zwar wenn ich meinen Zaubertrank trinke, um stärker zu werden, haha.

Ah, Zaubertrank, ich wusste es! Was ist dein persönlicher Liebling vom aktuellen Album und welche Songs liegen dir inhaltlich am meisten am Herzen?

Rein musikalisch ist „Everything goes wrong“ mein Favorit. Es hat einen schönen dramatischen Sound und zeigt viele Facetten von uns. Von der Aussage her ... schwer zu beantworten. Jeder Song greift ja verschiedene Themen auf. Es gibt aber zwei Kategorien von Texten: gesellschaftspolitische auf der einen und „existentielle“ auf der anderen Seite. Etwa überspitzt ausgedrückt geht es bei den politischen Songs eigentlich immer um diese Themen: Antifaschismus und Aufbegehren gegen jede Art von Unterdrückung. Bei den eher persönlichen Songs ist die Botschaft: Lebe dein Leben, so wie du es willst, und lass dich nicht von anderen in deinem Glauben an das Gute abbringen, auch wenn es noch so schwerfällt. Das ist dann auch wieder politisch. Strikt trennen und in ein Schema pressen kann man die Texte nicht.

Trotz teilweise recht düsterer Texte ist das neue Album „12A, Calvary Road“ letztlich doch mitreißend und motivierend. Lasst ihr euch beim Komponieren treiben oder gibt es einen Masterplan, wie die Songs zu klingen haben?

Wahrscheinlich hat es etwas mit meinen irischen Wurzeln zu tun: Ich liebe es einfach, zu traurigen Songs zu feiern! Gleichzeitig depressiv und down zu sein und trotzdem Party zu machen, ist mein Ding. „I hate this world but I live my life“, bringt es wohl am besten auf den Punkt. Unsere Songs haben meist eine pessimistische Sichtweise auf die Dinge in unserer Welt, aber letztlich geht es immer darum, sein Leben zu leben, klarzukommen, sich den Spaß nicht nehmen zu lassen.

Die französische Punkrock-Szene scheint derzeit eine Renaissance zu durchleben. Wem sollten wir dabei unbedingt auf dem Schirm haben?

Ja, Punkrock ist wieder interessant geworden und es gibt eine Menge cooler Bands. Hier sind einige meiner Favoriten: DEATH OR GLORY, auch aus Rennes, klingen nach CLASH und sind politisch engagiert. BURNING LADY aus Nantes könntet ihr vielleicht schon kennen. Schneller Punkrock mit einer großartigen Sängerin. Mit JUSTIN(E), auch aus Nantes, verbinden uns viele gemeinsame Konzerte und sie sind nur zu empfehlen. LITOVSK aus der Bretagne sind recht neu, aber motiviert und sehr vom Post-Punk beeinflusst. Coole Hardcore-Bands sind ONE THOUSAND DIRECTION und THE ARGUMENT. Für Freunde härterer Musik sollte ich URBAN ATTACK erwähnen. Diese faulen Säcke haben allerdings keine Website.

Schön, dass sich was tut im Westen, aber trotzdem ahne ich, dass es außerhalb Frankreichs richtig schwer wird, Gehör zu bekommen, geschweige denn ernsthaft Fuß zu fassen. Wie sehen da deine Erfahrungen aus?

Wir sind bis jetzt eigentlich zufrieden. Einige Leute interessieren sich auch außerhalb von Frankreich für uns. Wir haben bis jetzt Gigs in Belgien, Schweiz, England, Irland und natürlich bei euch gespielt. Logisch, dass die meisten der Shows, jenseits unserer Heimat und mitunter mitten auf dem Land gelegen, nicht halb so gut besucht sind, als wenn wir zu Hause spielen. Aber egal, wo wir spielen: Uns macht es immer Spaß, erst recht, wenn die Leute richtig abgehen. Außerdem ist es allemal besser, als zu Hause rumzusitzen.

Was macht ihr sonst so?

Wir arbeiten eigentlich alle neben der Band, als Elektriker, Bibliothekar, Bühnentechniker und so weiter. Die einen gehen gern aus, die anderen nutzen ihre Freizeit eher zum Reisen, einige sind in einer festen Beziehung, andere nicht, haha. Hey, wir sind genau die schnöden Durchschnittstypen, vor denen ich immer Angst hatte. Und um ehrlich zu sein: Rennes ist nicht langweilig! Routine und Alltag schon, die bringen mich um und regelmäßiges Arbeiten gehört dazu. Aber auch Touren kann zur Routine werden. Die Kunst besteht immer darin, auch alltäglichen Dingen mit Motivation und Esprit zu begegnen. Und jeden Tag Musikmachen kann dich meiner Meinung nach richtig auszehren und kreativ lähmen. Ich finde, einen Fuß im „echten Leben“ zu haben schadet nie, um heiß zu bleiben. Es geht um die richtige Dosierung. Das echte Leben muss cool sein! Ich habe so viele Träume fernab meiner musikalischen Aktivitäten und ich versuche wirklich alles, um sie irgendwann wahr werden zu lassen. Es ist gut zu wissen, wenn das mit der Musik mal aufhört, dass meine Welt dann nicht zusammenbricht. Es macht das Musikmachen am Ende des Tages sogar viel besser!

In Frankreich seid ihr mittlerweile etabliert, im Gegenteil zum Rest des Kontinents. Hilft euch das Internet, um zu überleben oder überhaupt ein paar Platten zu verkaufen?

Wir träumen nicht von großem Reichtum und Ruhm, also sind wir auch nicht ernsthaft enttäuscht darüber, wenn uns tausend Kilometer entfernt von unserer Heimat nur wenige Leute kennen und zu unseren Konzerten kommen. Aber es überrascht mich umso mehr, wenn unsere Songs auch in einigen Ecken Deutschlands bekannt sind. Echt cool! Und vielleicht kommen zu den nächsten Shows doch noch ein paar mehr Leute. Das Internet hilft enorm, klar. Ich entdecke coole Bands und wir würden ohne das Netz garantiert anders klingen. Jetzt habe ich meine eigene Band, kenne Musikfreaks aus der ganzen Welt und habe so einen ganz eigenen Blick auf meine Band – ein tolles Gefühl! Natürlich nutzen wir das Netz auch, um Alben, Shirts etc. zu verkaufen ...

Ja, ohne Internet würde es heutzutage nicht mehr gehen. Ein Live-Konzert ist dadurch aber nicht zu ersetzen. Wann also plant ihr, wieder über den Rhein zu kommen?

Gigs in Deutschland sind aktuell leider keine geplant, denn wie ich schon sagte, arbeiten wir alle und da ist es nicht einfach, Zeit zu finden, um Konzerte so weit weg von zu Hause zu spielen. Aber wir denken darüber nach und eventuell kommen wir Anfang 2015 rüber. Ich habe echt schöne Erinnerung an die vergangenen Gigs, also wir sehen uns, Leute!