YouTube am Rechner und auf der Glotze, alle Clips und zig Konzerte von jeder Band von heute und von vor zig Jahren umsonst – wer braucht da noch Musik-DVDs?
Dafür
Ich hinke ja den Entwicklungen gerne etwas hinterher, aber natürlich verschließe ich mich der Internetplattform YouTube keineswegs. Nicht nur was Musik betrifft. Auch Dokus über die DDR, Pornografie oder die heitere Trink- und Kochshow„Alfredissimo“ sind da häufig ein Thema. Obwohl ich mich in dieser Pro- und Contra Diskussion auf recht einsamem Posten befinde, muss ich dennoch eine, wenn auch kleine, Lanze für Musik-DVDs brechen. Kaufen tue ich sie zwar nicht mehr aktiv, aber es gibt eben weiterhin, zum Glück, noch Perlen, die das Netz nicht kostenfrei bereithält. So sind beispielsweise THE BUSTERS „Das Konzert für die Ewigkeit“, BOPPIN’ B „Live, laut & in Farbe“, THE PALADINS „Live“, SIR PSYKO AND HIS MONSTERS „Welcome To Our Hell!“, DIE ÄRZTE „Overkiller“ (vor allem mit den witzigen Spielereien), DIE GOLDENEN ZITRONEN „Material“ (Doppel-DVD), Total Oi! Festival 2009 (nur die Doku und der BONECRUSHER-Auftritt), der coole Walldorf Weekender 2008 oder die DIE TOTEN HOSEN-Doku „Nichts als die Wahrheit“ eben nicht oder nicht kostenfrei (siehe besagte DTH-Doku) auf YouTube zu finden.
Verhehlen möchte ich aber nicht, dass ich schon ordentlich graben musste, weil ich nämlich feststellte, dass bereits verdammt viele meiner DVDs (RAMONES bei Radio Bremen oder SHEER TERROR live im CBGB) im Netz sind. Dennoch, man befindet sich im Internet, am PC (der bekanntlich schlechtesten Musikanlage der Welt), hat immer wieder Lust, mal ins E-Mail Fach oder auf Facebook zu schauen, und kann zudem oft nur abgehackt einzelne Clips einer Show besehen („Und dann klingelt noch das Telefon ...“). Dass Schauen macht vor dem heimischen TV-Gerät nun einmal mehr Spaß. Man kann die Band besser auf sich wirken lassen. Es ist –-seien wir alle froh über die Alternative – eine Sowohl-als-auch-Sache. Ein echter Streit muss dabei nun wirklich nicht aufziehen.
Dagegen
Konzertmitschnitte auf DVD – oder noch schlimmer VHS – zu besitzen, ist so was von Neunziger. Fast schon gleichzusetzen mit der Briefmarkensammlung von Opa. Abgesehen vom ökonomischen Gedanken – Plastikberge und wer soll das alles abstauben? – stellt sich auch die Frage nach dem Sinn. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich auf Konzerten legendäre Szenen abspielten und sich die Musiker, immer im Wissen, dass die Kamera läuft, besonders spektakulär ins Zeug legten, um historisch wertvolle Momente auf Film bannen zu können. Warum? Die Kamera läuft jetzt immer und überall. Weil mittlerweile in jedem durchschnittlichen Handy eine annehmbare Kamera integriert ist. So wird gefilmt, was die Speicherkarte hergibt. Und zwar direkt aus Sicht des Besuchers, aus allen erdenklichen Positionen.
Als die BEASTIE BOYS 2004 zu „Awesome: I Fuckin’ Shot That!“ alle Fans mit Camcorder ausstatteten, war das noch innovativ. Mittlerweile kann sich das Label die Kosten für eine professionelle Produktion sparen. Wer findet noch die Muße, sich Konzert XY aus dem Schrank zu kramen, sich dann konzentriert 90 Minuten vorm TV zu parken, um diesen einen Gänsehautmoment erneut zu erleben? Wer glaubt, dass die Nachfahren die Erstpressung der DVD „It’s Alive“ von den RAMONES auf dem Dachboden finden und dann deren Diskografie wie bei einer geheimnisvollen Schnitzeljagd erkunden? Niemand, denn all das ist einen Klick entfernt auf YouTube kostenlos zu haben. Dank der Ignoranz hinsichtlich Urheber- und Nutzungsrechten, finden sich im Netz auch Rip-Offs von Kaufprodukten. Wir wollen alles für lau, hier und sofort! Deshalb stehen meine Handvoll Konzert-DVDs auch aktuell bei eBay zum Verkauf, ihr findet mich dort unter dem eBay-Namen hallo_zukunft. Aufwachen Nostalgiker, vererbt Playlisten und Passwörter.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #136 Februar/März 2018 und Markus Franz & Nadine Schmidt