Das Leben ist einfach ohne Graustufen, wenn alles entweder schwarz oder weiß, gut oder schlecht, links oder rechts ist. Aber Kunst, Künstler, Bands akzeptieren, deren Werk an sich überzeugt, die aber als Person durch Verhalten oder Aussagen inakzeptabel werden? Eine schwierige Entscheidung für oder gegen (falsche) Toleranz.
Dafür
Es traf mich unvorbereitet: ich hatte in meinem Blog Uwe Tellkamps DDR-Familienroman „Der Turm“ als Meisterwerk abgefeiert, als mir plötzlich sein Auftritt auf der Leipziger Buchmesse 2018 dazwischenkam und ich mich wegen seiner argumentativen Nähe zur AfD plötzlich unter Rechtfertigungszwang sah. Das ist aber nicht das einzige Problem: im Rahmen der „Me Too“-Debatte tauchten auch Musiker auf, die sexueller Übergriffe bezichtigt wurden. Wie geht man nun mit dem bereits daheim im Regal stehenden Oeuvre übel beleumundeter Künstler um? Der Ruf von „unserer“ Seite nach einem generellen Boykott ist so verständlich wie uneinheitlich. Egal wie unnachgiebig sich manche in einem Fall geben, desto eher drücken sie sich im anderen um Konsequenzen, denn einigen Hardcorebands kann eine unbedachte als „patriotisch“ eingestufte Äußerung schnell das Genick brechen, während Bands wie (die von mir ebenfalls geschätzten) ANTISEEN in dem Fall anscheinend Narrenfreiheit genießen, weil offenbar ein stiller Konsens herrscht, ihre Aussagen nicht allzu ernstzunehmen.
Ich selbst habe bei Büchern wenig Probleme, zwischen Autor und Werk zu trennen, weil oft ein Erzähler zwischengeschaltet ist. Bei Musik wird der transportierte Inhalt unmittelbarer. Wenn ich einen überführten Vergewaltiger wie Cee-Lo Green in einem Song eine Frau anschmachten höre, möchte ich kotzen. Anders bei weltanschaulichem Dissens: ich kann schlicht und einfach nicht jeden Künstler aussortieren, der nicht meine Meinung teilt. Deswegen plädiere ich dafür, kontroverse Inhalte aufzuzeigen, aber statt verbindlicher Boykottaufrufe lieber auf die Urteilskraft des/der Einzelnen zu setzen. Wir behaupten immer, unabhängig denkende Individuen zu sein. Darum sollten auch wir die inhaltliche Auseinandersetzung, die Diskussion und Einzelfallprüfung einer gehorsam befolgten Stallorder vorziehen.
Stefan Gaffory
Dagegen
Klar wird ein genialer Song an sich nicht schlechter, nur weil sich der Sänger und Gitarrist sich häuslicher Gewalt schuldig gemacht hat, in Social Media-Posts gegen Schwule und Lesben hetzt oder als Großwildjäger mit toten Löwen posierte. Aber man muss sich schon die Frage stellen, ob so jemand nicht schon immer ein Arsch war und entsprechend auch all die geschätzten Platten und Lieder von einem solchen stammen. Ich fange in so einem Fall nicht an auszusortieren (und bezweifle auch, dass das irgendwer tut, der so was nach entsprechenden Fällen bei Facebook wortgewaltig ankündigt), aber ich merke mir so was. So, wie ich als vegan lebender Mensch versuche, möglichst keine Produkte vom lebenden oder toten Tier zu konsumieren, ohne das jedoch in jeder Lebenssituation zu 100 Prozent durchziehen zu können, vermeide ich künftig eben die Bands, Touren und Produktionen dieser Person. Und ist eine Begegnung, etwa in Form einer Rezension, unausweichlich, wird auf die zu beanstandenden Fakten (!) hingewiesen.
So was sollte keine Hexenjagd werden, niemand sollte sich als „päpstlicher als der Papst“ gerieren, doch „klare Kante“ halte ich in eindeutigen Fällen für unvermeidlich – genau wie die Bereitschaft, seine Meinung zu ändern. Eindeutige „Jugendsünden“, später revidierte strunzdumme Ausagen, überzeugend eingestandenes Fehlverhalten und nachvollziehbare Handlungsänderungen verdienen es, honoriert zu werden. Nicht aber doch irgendwie akzeptierendes Rumgeeier zu eindeutigem Arschlochverhalten oder nur leicht relativierte Hetzerei. Jeder kann, jeder muss sich entscheiden, zu einer eigenen Meinung gehört Mut, und deshalb ist für mich „Aber die Musik ist doch geil ...“ als Reaktion keine Option, weil feige.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #139 August/September 2018 und Joachim Hiller