CLAUS GRABKE

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Freigeist und Macher

Ist er ein Mann, der von seinem Namen lebt? Es gibt wohl nicht viele Freunde der Rockmusik, erst recht nicht im Zusammenhang mit unserem Heft, denen zu diesem Namen nicht irgendetwas einfallen würde: Claus Grabke. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ein Fan ist von ihm oder ihn nicht leiden kann oder sein Schaffen einem egal ist: über Claus Grabke haben viele eine Meinung. Das dürfte sich wohl so schnell nicht ändern, nicht jetzt, da er gerade sein zweites Album unter dem eigenen (Band-)Namen CLAUS GRABKE veröffentlicht. "Deadly Bossanova" heißt es und - das war selbst von einem Tausendsassa wie ihm nicht zu erwarten - es ist nicht sein neues Baby geworden, sondern ein Monster. Wer mehr darüber erfahren möchte, schlägt in der Review-Rubrik der vorliegenden Ausgabe nach, im Mittelpunkt des Folgenden steht nämlich die Annäherung an die vielschichtige Person, die es erschaffen hat.

Ein Grund dafür, dass mehr über Claus Grabke geredet wird als mit ihm, mag darin liegen, dass er mit seinen 45 Jahren schon so viel gemacht und bewegt hat, dass es bereits jetzt locker für zwei bis drei "normale" Menschenleben reichen würde. Einige Stationen: Er war der erste international erfolgreiche Skateboardfahrer Deutschlands, hat etliche Meistertitel geholt und diese Sportart mit seinem Stil geprägt und weiterentwickelt. Er hat ein Modelabel gegründet und für das Musikfernsehen gearbeitet, er war bei der Geburt eines Skateboardmagazins dabei, er ist Produzent mit eigenem Studio. War da noch was? Richtig, er ist natürlich auch, oder besser gesagt: hauptsächlich Musiker mit Leib und Seele, gesegnet mit außerordentlichem Talent und einem glücklichen Händchen.

Hat seine Woche acht Tage?

Noch zu seiner aktiven Zeit als Skater ließ er die Crossover-Generation der neunziger Jahre zum derben Sound seiner Gruppen EIGHT DAYZ und THUMB - Hit: "Sell myself" - hüpfen, mit der Popmusik von ALTERNATIVE ALLSTARS probierte er später etwas grundsätzlich anderes und schaffte es wieder auf die großen Bühnen; noch viel später gründete er eine "nicht feste" Band mit dem einfachen Namen CLAUS GRABKE, und die war wiederum mit keiner seiner vorherigen Gruppen vergleichbar.

Ihr Debüt "Dead Hippies - Sad Robot" (Nois-O-Lution, 2007) war kein einfaches Album, es musste direkt ein Doppelalbum sein, ein Bastard aus dreckigem Rock und anschmiegsamen Balladen sowie verträumter Filmmusik. Das war großes Kino. Und nicht einmal ein Jahr später ist bereits das nächste Album, "Deadly Bossanova" (Nois-O-Lution, VÖ 9. Mai), fertig. Für mich einer von vielen Gründen, endlich mal nicht nur über, sondern mit dem Menschen zu sprechen, der sich hinter dem, sagen wir es ruhig, großen Namen Claus Grabke und einem eindrucksvollen Lebenswerk versteckt. Doch halt - verstecken ist hier nicht der richtige Ausdruck, er ist sogar falsch. Von Claus soll niemand sagen können, dass er auch nur irgendetwas aus der eigenen Vergangenheit dazu gebraucht, sich dahinter zu verstecken. Er lebt im Hier und Jetzt: "Ich bin ja immer wieder gezwungen, Bilanz zu ziehen, aber ich mache das nicht gerne."

Warum denn nicht, es gibt doch viel zu berichten aus der Vergangenheit? Die Antwort darauf fällt persönlich aus und beinhaltet so manche Sinnfrage über zwischenmenschliche Beziehungen: "Ich bin kein gestriger Mensch. Ich treffe immer wieder Leute aus meiner Vergangenheit, und viele von ihnen treffe ich auch gerne. Bei einem Lebenslauf wie meinem hat man nicht automatisch gleichaltrige Freunde. Vielmehr sind es viele sporadische Bekanntschaften, die sich auf dem Weg ergeben. Ich bin niemand, der sich wöchentlich mit seinen besten Freunden trifft und sagt, Donnerstag sehen wir uns in dem und dem Club, Freitag essen wir bei Monika, dafür lädt Peter dann am Montag ein ... So bin ich nicht. Ich habe zwar feste Bekanntschaften und Freunde, aber wenn ich Leute von früher wieder treffe, dreht es sich in den Gesprächen immer nur um die Zeiten, die man zusammen hatte. Das finde ich blöd, zum einen werde ich da leicht melancholisch, zum anderen denke ich, dass man sich im Leben ‚häutet‘ wie eine Schlange, man streift das Vergangene ab. Ich bin nicht mehr der kleine Junge, der gern draußen gespielt hat, ich bin nicht mehr der Sänger von THUMB, ich bin das alles nicht mehr. So eine ‚Haut‘ lege ich relativ schnell ab. Deshalb resümiere ich persönlich nicht besonders gerne."

Folglich ist er also auch kein Skateboarder mehr? "Doch. Das bleibt man auch sein Leben lang. Sobald ich irgendwo vorbeikomme, wo eine Bank ist, die man skaten könnte, dann juckt es in den Füßen. Das Board habe ich immer mit dabei." Okay, das ist also eine Ausnahme. Mit Bands verhalte es sich aber nun einmal so, dass sie irgendwann abgeschlossen, "fertig" seien, wie man alle Dinge, an denen man als Musiker oder Produzent arbeitet, irgendwann abgeschlossen sind. "Ich weiß, das Loslassen tut oft weh. Mein Vater ist Maler, und deshalb weiß ich, wie schwierig der Moment ist, in dem man sagen muss: ‚Jetzt ist es fertig.‘ Ein Album, eine Tour, eine Band - das alles ist irgendwann fertig. Ich kenne genug Musiker, die lokal relativ erfolgreich waren, die noch ewig von ihren Bands reden, obwohl sie seit fünf Jahren keinen Gig mehr gespielt haben. Ich sehe das anders. Ich wache nicht auf und denke, das und das warst du schon einmal. Ich habe eine sehr klare Vorstellung von Zeit, nicht umsonst war das Motiv ‚Zeit‘ ein sehr großes Thema auf meinen Skateboards [die mit den Uhren; Anm. d. Verf.]. Zeit marschiert vorwärts und bestimmte Dinge liegen einfach hinter mir", erklärt Claus.

Dabei redet er so ausführlich wie ruhig und stets mit klarem Blick, dass man ihm (dem nicht einmal die Philosophie fremd zu sein scheint) in diesem Augenblick vieles zutrauen würde, sogar dass er die ultimative Lösung für die Probleme unserer in Hektik und Zeitdruck gefangenen Gesellschaft mal eben zwischen zwei Latte Macchiato aufs Band sprechen könnte, wenn er denn wollte.

Doch vergessen wir dabei nicht: Claus spricht für sich und für niemanden anderes, er hat viele Erfahrungen gemacht und hat dafür nicht ein einziges Mal Drogen oder Alkohol gebraucht. Respekt dafür. Sein Leben ist eben durch zahlreiche andere Dinge ausgefüllt. Und wenn er, wie im Beispiel oben, die Sichtweise anderer auf die Vergangenheit nicht teilen mag, dann liegt das vielleicht zu einem guten Teil daran, dass er einfach mehr auf die Beine stellt als die anderen, so dass das Loslassen von einer einzelnen Sache, und sei sie noch so "super", einfach weniger stark ins Gewicht fällt als bei denjenigen, deren Biografie weniger super Sachen oder Bands aufzuweisen hat, diese dafür aber einen umso höheren individuellen, nostalgischen Wert besitzen.

Zurück in die Realität: Woher kommt denn diese unglaubliche Power, die Energie, so viele unterschiedliche Projekte zu verwirklichen, was ist der Quell des hohen musikalischen Output? "Ich bin berufen dazu, Musiker zu sein. Wenn ich nur zu Hause säße und dem Nichtstun frönen würde, dann würde ich wahnsinnig werden. Wenn ich nicht zu Hause bin, dann bin ich ziemlich sicher im Studio. Arbeite ich dort mit Bands oder an eigenen Aufnahmen, dann geht das auch oft bis in die Puppen. Kann ich nicht im Studio sein, weil ich unterwegs bin, klappe ich den Laptop auf und mache da was. Wenn ich nichts zu tun habe, werde ich sofort unruhig." Das klassische Workaholic-Syndrom? Ist Claus Grabke also doch ein Suchtmensch?

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, doch diese nicht zu fassende Unruhe, das eigene, innere Getriebensein, das sei von Kindesbeinen an eine der wenigen Konstanten in seiner wechselvollen Biografie, sagt Claus und erinnert sich an lang zurückliegende Tage: "Wenn ich mich als Astronaut verkleidet habe, dann habe ich das nicht einfach so gemacht. Das Kostüm musste perfekt sein. Alufolie um Arme und Beine gewickelt, das Goldfischglas als Helm auf dem Kopf und dann im Garten durch die Schwerelosigkeit." Claus war der Junge, der den Parallelschwung vor dem Schneepflug lernte. Und es kommt noch dicker: Der Drang zum Perfektionismus war es auch, der den kleinen Claus sogar das Skateboard erfinden ließ. "Wir hatten damals noch nie so etwas wie Skateboardfahrer gesehen. Wir haben aus einem Kochtopf so was Ähnliches wie ein Board gebastelt, mit einem Rollschuh darunter, haben noch am selben Tag gemerkt, okay, wir nehmen das Brett von der Schaukel, packen Rollschuhe drunter mit Tesa und nageln Teppich oben drauf. Zwei Monate später im Fernsehen haben wir zum ersten Mal Skateboardfahrer gesehen."

Der getriebene Claus ist aber bei weitem nicht nur glücklich über seine Veranlagung zur Rastlosigkeit. Auch wenn er ihr so manche Gabe zu verdanken hat, durch sie schon so vieles erreichen konnte, und dazu auf eine Weise, die andere neidvoll als "im Handumdrehen" bezeichnen könnten: Jedes Ding hat zwei Seiten, und das schlägt sich bei diesem Künstler besonders deutlich im musikalischen Schaffen nieder. Sicher, das aktuelle Album sei bis dato das beste und ehrlichste, weil praktisch keine Kompromisse auszuhandeln waren. Als Claus das sagt, lässt sich sein Ringen mit sich selbst an seinem Gesicht ablesen. Denn diese eine Sache ist da, sie bleibt immer da, auch wenn man sie mal vergisst, der ewige Stein im Schuh. Er formuliert es so: "Wenn du so bist wie ich, dann bist du halt nicht zufrieden. Ich bin total froh über die ganzen Alben, die ich gemacht habe, wenn ich dann Songs habe, die ich über die Jahre hinweg immer noch richtig gut finde. Das ist bei den beiden CLAUS GRABKE-Alben stärker als früher. Aber im Grunde genommen wundert mich das."

Vielleicht ist "Deadly Bossanova" genau deshalb so unglaublich düster und brachial geworden. Ein laut lärmendes Monster eben, das Grenzen auslotet und von der Energie des Künstlers zehrt, ohne ihn auszubrennen. Denn sie scheint unerschöpflich, und derzeit gibt es keinen erkennbaren Grund, warum er mit seiner Tatkraft haushalten sollte. "Deadly Bossanova" zeigt einmal mehr, dass der getriebene und umtriebige Macher längst Wege gefunden hat, von der eigenen Unruhe zu profitieren, sie heute mehr denn je in eine Kunstform zu kanalisieren. Das ist der Stand der Dinge, doch die Zeiten können sich ändern, und spätestens dann wird Claus Grabke ein neues Kapitel aufschlagen.