Gary McDaniel, geboren am 1. Februar 1954, war Gründungsmitglied von BLACK FLAG – und nannte sich da schon Chuck Dukowski. Zusammen mit Greg Ginn war er lange integraler Bestandteil der Band, sein Bass-Spiel prägte den Sound, doch vor der Veröffentlichung des zweiten Albums „My War“ 1984 verließ er die Band. Glaubt man Stevie Chick, dem Autor der BLACK FLAG-Biographie „Spray Paint The Walls“, geschah der Abgang nicht freiwillig, sondern entsprach vielmehr dem Wunsch von Mastermind Ginn. Dukowski blieb der Band allerdings erhalten, agierte fortan als ihr Manager, und überdies war er neben Ginn Teilhaber von SST Records und blieb dies auch bis 1990. Auch danach arbeitete er noch bis Ende der Neunziger als „Head of Sales“ für SST, um sich dann aus dem Geschäft zurückzuziehen. Auch nach dem Ende seiner musikalischen Beteiligung an BLACK FLAG machte Dukowski Musik, hatte schon 1982 WÜRM ins Leben gerufen, später dann SWA, die zwischen 1985 und 1991 sechs Alben veröffentlichten, und war auch bei OCTOBER FACTION, die 1985/86 zwei Alben aufnahmen. Seit einigen Jahren hat Dukowski mit THE CHUCK DUKOWSKI SEXTET (kurz: CD6) eine neue Band, in der er Bass spielt und seine Frau Lora Norton singt. Die beiden Alben („Eat My Life“, 2006, „Reverse The Polarity“, 2007) erschienen auf Nice & Friendly Records, Chucks Label. Mit Chuck ein Interview einzufädeln war nicht leicht, er machte sehr deutlich, dass er keine Lust habe, irgendwelche alten Geschichten zu erzählen, sondern dass für ihn das Hier und Jetzt zähle. Also versuchte ich Fragen zu stellen, die sich auf Gegenwart und Vergangenheit beziehen – und der Rest steht anderswo, etwa in „Spray Paint The Walls“.
Chuck, was sind deine aktuellen musikalischen Aktivitäten? Soweit ich weiß existiert das Chuck Dukowski Sextet noch, an dem auch deine Frau beteiligt ist.
Ja, das CD6 setzt sich sich aus Familienmitgliedern zusammen: Lora Norton, Milo Gonzalez und Tony Peluso. Manchmal wirken auch noch andere Leute und Freunde mit, oder eben meine Kinder Mira, Lola und Isaac oder der Violinist Nikita Sorokin. 2008 hatten wir übrigens einen Auftritt in Belgien. Derzeit nehmen wir neue Stücke auf, aber vor allem spielen wir viel live. Außerdem produziere ich derzeit eine Band aus Venice, CA namens THE SHRINE. Als ich die hörte, haben die mich weggeblasen. Und Milo hat auch eine eigene Band namens Insects vs Robots.
BLACK FLAG waren immer eine Band mit klaren Aussagen. Was wollen CD6 vermitteln?
Die reine Existenz von CD6 beweist, dass all die Vorurteile über das Verhältnis zwischen den Generationen und in Familien Lügen sind, mit denen versucht werden soll, die Verbindung zwischen der Energie der Jugend und der aus Erfahrung resultierenden Weisheit der Älteren zu untergraben. Wir schreiben über alles, was uns wichtig ist, und ja, wir haben etwas zu sagen. Die Menschheit steht an einem Scheideweg. Es ist jetzt wichtig, dass wir uns auf unsere Gemeinsamkeiten besinnen, die Entfremdung und Furcht voreinander überwinden. Wir sind doch keine Feinde! Ich bin überzeugt, dass wir unsere Welt vor dem ökologischen Kollaps und den damit einhergehenden sozialen Unruhen retten können. Die Geschichte der Osterinseln kann uns da eine Lehre sein. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen wirklich bereit sind, zusammen die gierigen Schweine von der Zerstörung der Welt abzuhalten. Was wollen diese Monster denn machen, nachdem sie die Welt zerstört haben? Glauben die denn, dass sie nicht Teil dieses vergifteten und von Kriegen geplagten Planeten sind? Ich bin der Meinung, dass wir aber nur dann wirkliche Freiheit erfahren werden, wenn wir gewalttätige Konflikte vermeiden. Wenn wir Frieden haben, können wir überwinden, was uns trennt, und vor allem haben dann die Schweine keine Chance mehr, die ihre Macht auf Angst und Hass aufbauen. Oder um es mit den Worten einer großen Arbeiterführerin zu sagen: „Wir sind viele, und sie nur wenige!“
Als ich einst entdeckte, dass du nach dem aggressiven, heavy Hardcore von BLACK FLAG mit WÜRM und SWA Mitte der Achtziger eher klassischen Hardrock spieltest, war ich etwas verwirrt. Wie ging und wie geht beides zusammen?
Ich mochte schon immer den härteren Rock der Sechziger und Siebziger – schon mal Captain Beyond gehört? Ich fing mit CREAM an und dann ging es weiter mit BLACK SABBATH, Jimi Hendrix und LED ZEPPELIN. DEEP PURPLE waren nie so ganz mein Ding, aber ich hörte die auch viel. Und Anfang der Siebziger kamen dann STOOGES und MC5, als die kaum jemand kannte in Südkalifornien. Und was nun das Verhältnis von Hardcore und Hardrock betrifft: So ein Unverständnis macht einen als Musiker wirklich sauer. Warum sollen SWA, WÜRM oder THE CD6 nicht auch heavy sein? Mir fällt immer wieder auf, dass Musiker ihren Fans mit einer gewissen Abscheu begegnen, obwohl die sich ja entschieden, dir ihre Wertschätzung zu zeigen. Aber wenn manche Leute von dir erwarten, dass du immer wieder das Gleiche machst, dann kann einen das verbittern – das ist ja, als wenn Kinder einen Film immer und immer wieder in Dauerwiederholung anschauen. Ich bin Musiker, und die Musik, die ich mache, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, etwa den Mitmusikern. Henry Rollins ist ein sehr intensiver Sänger und auch eine dominante Persönlichkeit. Wenn der „My war“ oder „What I see“ singt, dann singt er sie in einer Art und Weise, die man als „hardcore“ bezeichnen kann. Doch wenn Lora „My war“ singt wie auf dem ersten CD6-Album, ist sie nicht weniger intensiv, aber „hardcore“ kann man das nicht nennen. Warum? Nun, wahrscheinlich, weil sie eine Frau ist. Aber was ist denn „hardcore“? Wir haben auch „Venus in furs“ gecovert, und das ist ungefähr das Maximum an Intensität, das man erreichen kann, und so „hardcore“, wie man nur sein kann – aber eben kein Hardcore, denn es fehlt der entsprechende Schlagzeugbeat. Hardcore ist Tanzmusik, es muss den richtigen Drumbeat haben, es ist meist wie schnelle Polka-Musik. Ich habe nichts gegen diesen Beat, aber er schränkt mich ein. Ich will mehr. Ich habe einen ganz speziellen Stil beim Bass-Spielen, gehöre nicht zu denen, die verschiedene Stile pflegen, und so zieht der sich klar erkennbar durch all meine Musik. Ich bin mir immer treu geblieben und habe auch immer ein klares musikalisches Interesse gehabt. Ich spiele einfach nur den „Chuck Dukowski Style“, und Schubladen wie Punk oder Hardcore haben mich nie interessiert. In meiner musikalischen Karriere kamen die Schubladen immer erst, nachdem die Musik längst gespielt wurde. Mein Ziel war es nie, „Hardcore“ oder irgendeinen anderen Stil zu spielen.
Nun ist es aber ja durchaus so, dass du mit deinen Bands nach BLACK FLAG wieder zu der Musik zurückgekehrt bist, die dich vor BLACK FLAG interessierte, und das gilt auch für das CD6-Album „Reverse The Polarity“. Waren Punk und Hardcore also „nur“ eine Phase deines Lebens?
Ich habe schon immer diese orthodoxe Punkrock-Denken abgelehnt. Da gibt jemand einer Bewegung einen Namen und dann gibt es Regeln, was „punk“ ist und was nicht. Und diese Regeln stammen nie von den Leuten, die kreativ hinter einer interessanten Sache stecken, sondern immer von den Anhängern. Wenn ich damals Punkrock war, dann bin ich es auch heute noch, und wenn ich es damals nicht war, bin ich es heute immer noch nicht. Wen kümmert das? Ich liebe Musik und liebe es, Musik zu machen, und ich denke, CD6 ist mit die beste Musik, die ich in meinem Leben gespielt habe. Zu sagen, das sei stilistisch etwas, das auf eine Zeit vor Punkrock zurückgeht, ist falsch. Wir haben zum Glück viele Fans, die verstehen, dass die Schlacht zwischen den verschiedenen Genres vorbei ist. Die Implosion der Musikindustrie hat eine ganz neue Denkweise hervorgebracht. Die Mehrzahl der Besucher unserer Konzerte ist jung und sieht keinen Widerspruch darin, einerseits BLACK FLAG zu lieben und andererseits eine Band mit einem ganz entgegengesetzten Stil wie etwa YES. Es ist möglich, große Kunst zu schaffen, die nicht nur davon inspiriert wird abzulehnen, was davor kam.
Was ist es, was du am Musikmachen auch heute noch so aufregend und spannend findest?
Musik ist für mich extrem wichtig, sowohl sie zu selbst zu spielen, ebenso wie ihr zuzuhören. Ich finde, die Kraft von Musik als künstlerischer Ausdrucksform ist absolut erstaunlich. Ich muss einfach Musik machen, ich kann es nicht bleiben lassen. Ich habe auch Spaß daran, an der Musik anderer Leute als Produzent beteiligt zu sein, oder ihnen bei geschäftlichen Aspekten zu helfen. Ich mag die Gesellschaft anderer Künstler und Musiker, das inspiriert mich und gießt Öl ins Feuer meiner eigenen Kreativität.
Und was für Musik, was für Bands begeistern dich heute?
Am meisten begeistern kann ich mich für die Bands, die hier in Venice live spielen. Wirklich erstaunlich sind Insects vs Robots, The Shrine, Jeffertitti’s Nile und Voodoo Merchant. Und ich finde SACCHARINE TRUST immer noch aufregend, die sind wahrscheinlich die beste Band aus den alten Punkrock-Tagen, die bis heute überlebt hat.
Ich habe immer etwas gemischte Gefühle, wenn so was wie „Punk-Nostalgie“ aufkommt, wenn Shirts längst aufgelöster Bands getragen werden von Menschen, die noch nicht geboren wurden, als diese Band aktiv war. Musik sollte doch irgendwie was mit lebenden, jetzt aktiven Bands zu tun haben, die halten die Szene am Leben, oder nicht? Andererseits müsst ihr aber mit BLACK FLAG irgend etwas absolut richtig gemacht haben, wenn es auch 25 Jahre später Menschen noch so inspiriert.
Ich bin immer wieder beeindruckt, über was für einen weiten musikalischen Horizont viele Musiker verfügen, mit denen ich spreche. Mit denen kann ich mich über Bands aus der Vergangenheit genauso unterhalten wie über gegenwärtige, und auch über ganz obskure. Was gut ist, wird immer gut bleiben, und bringt auch mehr Gutes hervor. Warum sollte ich nicht Fan von Billie Holiday oder Beethoven sein, auch wenn die viel älter sind als ich? Ich habe das Gefühl, dass Menschen recht kleinlich sein können, wenn es um „ihre“ Jugendbewegung geht. Die teilen sie nicht gerne mit anderen. Und genau das ist ein ideologisches Thema, mit dem wir uns bei CD6 beschäftige: Wir sind eine generationenübergreifende Band. Ich finde, das Alter darf nichts sein, was Menschen trennt, und die Musikkultur anderer Länder zeigt uns das ganz deutlich. Deshalb inspiriert mich die Jarocho-Musik aus Mexiko, denn diese Bands umspannen drei Generationen!
BLACK FLAG waren eine wütende Band. Was macht dich heute wütend?
Es gibt so viele Probleme in diesem Land und der ganzen Welt. Krieg ist ein großes Problem. Die USA müssen ihre Gewalt gegen ihre eigenen Bürger und den Rest der Welt beenden. Ein anderes großes Problem ist die wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen. Bald wird es keine Mittelklasse mehr geben – ich kann dazu nur das Buch „Ill Fares the Land“ von Tony Judt empfehlen. Und die Liste geht weiter: Die Umwelt, die Schulen ...
Du bist Jahrgang 1954 und warst damals, als BLACK FLAG anfingen, schon Anfang/Mitte zwanzig – und damit doch ein paar Jahre älter als die Kids, die ihre Bands als Teenager zu Highschoolzeiten begannen. Inwiefern hat das einen Einfluss gehabt?
Ja, wir waren Anfang 20, aber die meisten anderen Musiker, die Konzertveranstalter, die Musikjournalisten, die waren alle älter als wir oder in unserem Alter. Damals logen viele Punks in Bezug auf ihr Alter. Ich finde es cool, wenn Kids Musik oder Kunst machen, aber es ist meist sehr schwierig für sie, eine eigene Szene zu schaffen. Einen Veranstaltungsort zu schaffen, eine Tour zu buchen, oder nur einen Proberaum anzumieten, das erfordert eine finanzielle Unabhängigkeit und Infrastruktur, über die wohl kaum ein Sechzehnjähriger verfügt. Wenn die Kids so was aber mal hinbekommen, ist das ein sehr gutes Publikum, denn es sind ja immer die wirklich jungen, denen Musik am meisten bedeutet.
Nachdem ich Stevie Chicks Buch „Spray Paint The Walls“ gelesen hatte, war ich sowohl beeindruckt wie schockiert. Beeindruckt, weil BLACK FLAG eine unglaublich intensive Erfahrung gewesen sein muss, und schockiert, weil man eine Gespür dafür bekommt, dass es für alle Beteiligten auch eine körperlich wie emotional sehr anstrengende Erfahrung gewesen sein muss. Was vermisst du an dieser Erfahrung, was gar nicht?
Ich bin der Meinung, dass es wichtig ist, sich in alles, was man tut, mit Haut und Haaren hineinzustürzen. Da ist kein Platz für Zurückhaltung, Reserviertheit oder nur so zu tun, als ob. Du musst dich einer Sache mit ganzem Herzen und deinem ganzen Verstand widmen. Ich habe die Touren genossen, die Konzerte, die Fans, die Diskurse, die wir hatten, die anderen Bands, und sogar die Leute, mit denen wir Geschäfte machten. Das „Leiden“ war Freude für mich. Und nein, ich habe das Buch nicht gelesen– ich lese solche Bücher grundsätzlich nicht.
Bleibt zum Schluss noch die Frage, ob du heute noch etwas anderes machst als in deiner Band zu spielen.
Nein, meine Musik gibt mir auf direktem oder indirektem Wege alles, was ich brauche.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #90 Juni/Juli 2010 und Joachim Hiller