Der neue heiße Scheiß kommt aus dem Westen Londons. Und aufgemerkt: es ist kein Post-Punk im Stil von Bands wie IDLES, FONTAINES DC oder SHAME. CHUBBY AND THE GANG schnuppern am Auspuff von MOTÖRHEAD und kitzeln SEX PISTOLS unterm Kinn. Das Quintett um Rampensau Charlie Manning-Walker kreuzt High-Energy-Punk mit dreckigem Rock’n’Roll. Sogar vor einer Ballade schreckt die Band nicht zurück. Auf der Insel hat der Hype um sie längst begonnen. Bei uns stehen CHUBBY AND THE GANG noch in den Startlöchern und trotzdem sieht Charlie seine Band anders als seine erfolgsverwöhnten Labelmates, wie er uns erzählt.
Alle Bandmitglieder kommen aus der Hardcore-Szene und haben vorher bei ARMS RACE, VIOLENT REACTION oder VILE SPIRIT gespielt. Wie kam der Sound von CHUBBY AND THE GANG zustande?
CHUBBY AND THE GANG klingen natürlich total anders, irgendwie gibt es aber auch ziemlich viele Ähnlichkeiten. Das Tempo der Musik zum Beispiel ist nicht weit weg vom Hardcore. Der Gesang ist natürlich viel melodischer, die Gitarren klingen anders und wir verwenden noch ein paar andere Instrumente. Ich habe einfach schon so lange in Hardcore-Bands gespielt, deshalb wollte ich unbedingt mal was anderes machen. Etwas, das mehr catchy ist, deshalb ist diese Musik die logische Folge davon.
Ich höre Orgeln, Mundharmonika und Handclaps, Einflüsse von Rock, Doo-wop oder Blues in eurer Musik. Woher kommen die?
Wenn du dir die RAMONES anhörst, dann entdeckst du vielleicht Einflüsse aus dem Sound von Phil Spector. Wir orientieren uns eher an Bands wie eben MOTÖRHEAD oder NEGATIVE APPROACH. Modernere Bands eben. Ich liebe aber auch viele Popbands der Fifties und Sixties. Jackie DeShannon gehört zu meinen Favoriten. Mit Chubby haben wir keine Angst davor, musikalisch zu wachsen.
Wie bist du zum Hardcore gekommen? Du bist ja schon 15 Jahre lang in diversen Bands in London unterwegs.
Meine Eltern waren schon Punks und Teil der SEX PISTOLS-Crowd in den Siebzigern. Ich hatte also Punk schon immer um mich herum. Ich habe mit sechs Jahren sehr oft RAMONES gehört. Ich habe Hardcore entdeckt, nachdem mir ein Typ einen Flyer in die Hand gedrückt hat und ich mir dann prompt ein Konzert angeschaut habe. Das war ein Abend mit Bands wie JUSTICE oder COLD WORLD und einigen Acts von Rucktion Records wie PROWLER. Vor Hardcore hatte ich mich schon lange mit Punk beschäftigt. Das war aber die Art von Punk, die man mag, wenn man noch sehr jung ist. Mainstream-Punk eben. Je älter ich wurde, desto tiefer bin ich in den Underground eingetaucht. Und dann habe ich irgendwann diese ganzen Leute aus den Bands persönlich kennen gelernt. Die Hardcore- und Punk-Szene ist ja keine riesige Gruppe von Menschen. Wenn man zu Konzerten geht, trifft man immer die gleichen Leute.
Ihr habt alle ganz normale Jobs, denen ihr tagsüber nachgeht. Was macht ihr, um eure Miete zu bezahlen?
Ich arbeite als Elektriker. Meistens bin ich in Film- oder Fernsehstudios in London beschäftigt. Unser Drummer Joe arbeitet als Bauarbeiter. Die meisten in der Band sind aber gerade arbeitslos. Sie haben ihre Jobs durch die Corona-Pandemie verloren.
Wie beeinflusst dein Beruf die Texte von CHUBBY AND THE GANG? Auf dem ersten Album „Speed Kills“ hattest du ja schon einen Song über die Rechte der Arbeiter und dein Herz für die Gewerkschaft.
Viele Leute sagen zu uns, wir hätten sehr politische Texte. Ich sehe das nicht so. Ich spreche einfach über meinen Alltag, meine Arbeit, manche Jobs, die echt hart und gleichzeitig schlecht bezahlt sind. Das ist für mich kein politisches Statement, sondern ich spreche von meinem Leben. Alle sind so fasziniert davon, dass ich noch einen Job habe. Und ich denke mir immer nur: Mann, alle haben doch einen Job. Warum ist das so interessant?
Um welche Themen geht es auf dem neuen Album „The Mutt’s Nuts“?
Ich beschäftige mich zum Beispiele mit Gegenden in meiner Nachbarschaft, die total heruntergekommen sind, weil die Industrie kaputt ist. Es gibt einige Songs über schlechte Bezahlung und natürlich auch ein paar Lieder über Liebe. Generell geht es darum, was den meisten Menschen im Leben so passiert. Ich will eigentlich gar nicht politisch sein, aber irgendwie geht es immer in diese Richtung. Viele Bands haben Texte über sehr theoretische Dinge, wie Klassenkampf oder soziale Ungerechtigkeit, die sie aus den Medien oder Büchern kennen. Mir geht es eher darum, echte Erfahrungen aus meinem Leben zu dokumentieren. Ich finde es weniger interessant, über etwas zu singen, das ich in einem Buch gelesen habe. Ich bin eher interessiert daran zu erzählen, was ich selbst erlebt habe.
Der erste Song, den ich gehört habe, heißt „Coming up tough“. Erzähl doch mal die Geschichte dieses Stücks.
Da geht es um einen Verwandten von mir, der in jüngeren Jahren ziemliche Scheiße gebaut hat. Dafür ist er in den Bau gewandert und muss jetzt den Rest seines Lebens dafür büßen. Er versucht schon seit Jahren, wieder in der Gesellschaft Fuß zu fassen, kommt aber nie richtig an. Das finde ich ziemlich ungerecht. Nur weil er mit 17 oder 18 einen großen Fehler gemacht hat, spürt er die Folgen im Alter von sechzig Jahren immer noch. Sein Leben ist einfach ruiniert. Das Justizsystem hat sehr ausgeklügelte Methoden, Menschen aus der Gesellschaft herauszureißen, ist aber nicht besonders gut darin, Straftäter wieder einzugliedern.
Ein anderer, der mir aufgefallen ist, heißt „It’s me who will pay“. Der ist ja schon fast philosophisch.
In dem Stück geht es darum, dass man sein Leben nie einem Job opfern sollte. Natürlich muss jeder arbeiten, um sein Leben finanzieren zu können, man muss aber immer die richtige Balance finden. Unterm Strich ist deine Zeit auf diesem Planeten limitiert und wenn du deine ganze Zeit deinem Job schenkst, bleibt dir nichts mehr. Dann hilft dir auch dein ganzes Geld nichts, wenn du keine Zeit hast, es auszugeben. Ich kenne Menschen, die wirklich hart gearbeitet haben, bis sie sechzig waren. Die wollten dann die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens noch genießen, aber es war schon zu spät. Was ich damit sagen will: Schau erst mal nach dir selbst, bevor du an deinen Chef denkst.
Ein sehr aktuelles Thema greift „White rags“ auf.
Eigentlich wollte ich diesen Song über ein anderes Thema schreiben, aber dann wurde George Floyd in den USA ermordet. Deshalb habe ich mich spontan entschieden, einen Text über die brutale Gewalt der Polizei zu schreiben. Wir wollten als Band einfach ein Statement abgeben und unsere Solidarität mit der „Black Lives Matter“-Bewegung zeigen. Ich habe lange überlegt, ob wir einen Song darüber machen sollen, weil wir in der Band alle weiß sind und aus England kommen. Aber am Ende geht es uns darum, unseren Standpunkt klarzustellen und wer damit nicht zurechtkommt, muss unsere Musik ja nicht hören.
Ein Track, der total aus dem Rahmen fällt, ist „Life’s lemon“. Der klingt für mich fast wie ein Song von Pete Doherty.
Das nehme ich mal als Kompliment, denn ich mag Pete Doherty wirklich sehr. Er schreibt brillante Texte. Ich will einfach, dass meine Platten dreidimensional wirken. Wenn alle Stücke gleich klingen und dasselbe Tempo haben, finde ich das langweilig. Meine Platten müssen Aufs und Abs haben und unterschiedliche Gefühle transportieren. Viele Leute werden wahrscheinlich die Aggressivität der anderen Songs sehr schätzen. Aber selbst wenn man ein sehr harter Mensch ist, hat man doch auch Gefühle. Selbst der verrückteste Spinner war schon mal verliebt, jedem wurde schon mal das Herz gebrochen. Das will ich mit dem Song ausdrücken.
Für euer erstes Album „Speed Kills“ habt ihr gerade mal zwei Tage im Studio gebraucht. Für „The Mutt’s Nuts“ waren es zehn. Warum geht das so schnell bei euch?
Egal, was du machst, der einfachste Weg ist immer der beste. Vor allem in der Musik verschwenden viele Menschen Zeit damit, Dinge zu überdenken. Es gibt Bands, die tagelang darüber nachdenken, wie die Snare klingen soll. Es geht aber nicht darum, wie sie klingt, sondern wie man sie spielt. Auf „Speed Kills“ gibt es jede Menge Fehler, die habe ich aber absichtlich nicht ausgebügelt. Ich wollte einfach, dass die Platte ehrlich und rauh klingt. Wenn du auf ein Konzert gehst und eine Band richtig cool findest, garantiere ich dir, dass sie es mindestens zwanzig Mal auf der Bühne verkackt haben. Bevor wir ins Studio gegangen sind, haben wir einen Songs von Otis Redding namens „Try a little tenderness“ gehört. Dieser Song startet mit einem Bläsersatz, in dem die Noten überhaupt nicht stimmen. Der Typ, der dafür verantwortlich war, hat einfach einen Fehler gemacht. Das macht aber den einzigartigen Charakter dieses Songs aus. Das ist, was ich auch auf unserem Album hören wollte. Deshalb gibt es auch bei uns mal den einen oder anderen falschen Ton oder zu lautes Feedback, aber so soll es eben sein.
Nach eurem Debütalbum habt ihr einen Plattenvertrag bei Partisan Records unterschrieben. Die haben dann sogar „Speed Kills“ noch im gleichen Jahr wiederveröffentlicht. Wie kam der Deal zustande?
Wir kannten jemanden, der die Leute vom Label kannte. Das hat dann von Anfang an gut gepasst. Sie waren an uns interessiert und wir wollten mit ihnen arbeiten. Ich hätte da nie unterschrieben, wenn mir die Leute nicht so sympathisch gewesen wären. Es gehört nicht zu den Zielen meines Lebens, in einer bekannten Band zu spielen oder als Musiker erfolgreich zu sein. Ich will einfach nur, dass meine Platten die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. Als ich Tim Putnam und Ian Wheeler persönlich getroffen habe, war ich sofort überzeugt. Das sind so nette Jungs. Es fühlt sich eher an wie Freunde, die meine Platten veröffentlichen, als eine Firma, die für uns arbeitet. Sie glauben an uns und stecken wirklich viel Energie in dieses Projekt. Und dafür bin ich sehr dankbar.
Partisan Records haben ja ein sehr gutes Händchen für angesagte Bands. Hast du einen Bezug zu Labelmates wie IDLES oder FONTAINES DC?
Als FONTAINES DC ihr letztes Video gedreht haben, war ich einer der Elektriker am Set. Da wusste natürlich keiner, wer ich bin. Ich gehe ja nicht hin und sage: Hey Leute, wir sind beim gleichen Label. Aber ich denke, das sind wirklich nette Typen. Ich habe noch keine andere Partisan-Band persönlich getroffen, was natürlich auch an Corona liegt. Neben CHUBBY AND THE GANG muss ich immer viel arbeiten. Ich gehe also meinem Job nach, danach mache ich Musik, gebe Interviews, schlafe und dann geht’s wieder zur Arbeit. Ich habe gar keine Zeit für Events, bei denen man sich kennen lernen könnte. Ich führe nicht das typische Musikerleben oder treffe mich mit den anderen coolen Bands in Pubs.
Vergangenes Jahr hat viele Bands zum Nichtstun verdammt, bei dir scheint genau das Gegenteil der Fall gewesen zu sein.
Ich arbeite sechs Tage die Woche. Die Pandemie hatte kaum Auswirkungen auf meinen täglichen Trott. Darüber bin ich auch sehr froh. Hätte ich monatelang in meiner Wohnung bleiben müssen, wäre ich ziemlich angepisst gewesen. Ich hatte aber auch genug Zeit, um das neue Chubby-Album zu schreiben. Außerdem spiele ich ja noch Gitarre in einer Band namens THE CHISEL, da kommt auch ein neues Album raus. Musik ist wie eine Therapie für mich. In harten Zeiten hilft mir das wirklich sehr, nicht schlecht drauf zu kommen.
„The Mutt’s Nuts“ ist schon das zweite Album, das ihr mit Jonah Falco, dem Drummer von FUCKED UP, aufgenommen habt. Wie seid ihr zusammengekommen?
Er ist schon vor einigen Jahren von Kanada nach London gezogen. Ich spiele mit ihm in der Band BOSS zusammen, wir sind schon länger richtig gut befreundet. Es macht einfach Spaß, mit ihm in Studio zu arbeiten, weil er weiß, wie ich denke. Ich glaube nicht, dass ich mit einem anderen Produzenten so gut zurechtkommen würde. Jonah hat das Talent, das Beste aus Menschen wie mir herauszuholen.
Inzwischen sind einige wichtige Musikmedien wie Rolling Stone, Pitchfork oder Stereogum auf euch aufmerksam geworden. Wie siehst du den Hype um deine Band?
Erfolg und Misserfolg liegen oft sehr nah beieinander. Ich freue mich natürlich sehr über die Aufmerksamkeit, die wir bekommen. Aber es hat keine Auswirkungen auf das, was wir machen. Meine Mutter hat immer gesagt: Mach einfach das, was dir wichtig ist. Völlig egal, ob du damit erfolgreich bist oder nicht.
Kannst du dir vorstellen, dass du deinen Job als Elektriker aufgibst, wenn es mit Chubby immer besser läuft?
Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich wäre wahrscheinlich traurig, wenn ich meinen Job aufgeben müsste. Ich kann ich mir gar nicht vorstellen, nur professioneller Musiker zu sein. Zum Glück kann ich mir die Arbeit gut einteilen. Ich rufe einfach an und frage, ob sie Aufträge für mich haben. Das will ich eigentlich nicht ändern.
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