Als typischer Norddeutscher kommt DISCO//OSLO-Drummer Christoph eher ruhig und überlegt als hektisch und aufgeregt daher. Seinen Stil aber deshalb als unauffällig zu bezeichnen, würde ihm auf keinen Fall gerecht werden, denn wer sich das Album „Tyke“ genauer anhört, wird viele Feinheiten in seinem Stil entdecken. Live ist er der ruhende Pol der Band, aber auch ein Motor, der zuverlässig bei jeder Drehzahl rund läuft und stets den Überblick behält. Im Privatleben ist Christoph Holzkünstler, dessen Werke man sich auf Ausstellungen einmal ansehen sollte. Es war also dringend an der Zeit, sich mit Christoph zu unterhalten, auch wenn dieses Interview zwischen Oldenburg und Wernigerode bedingt durch Corona per Mail stattfand.
Christoph, kommst du aus einer musikalischen Familie und haben deine Eltern dich genötigt ein Instrument zu lernen?
Soweit ich mich erinnern kann, ist es bei uns zu Hause wenig musikalisch zugegangen. Hin und wieder das obligatorische Weihnachtslied und vielleicht ein schiefes Ständchen zum Geburtstag, aber abgesehen davon war nichts weiter. Meine Mutter hatte ein kleines Kinderakkordeon, das sie in jungen Jahren gespielt hat, und seit das mit Corona losgegangen ist, beiße ich mir die Zähne an der Kommode aus. Es ist wirklich gar nicht so einfach, mit amtlichen Wurstfingern gezielt irgendwelche Tasten zu erwischen. Obwohl unsere Eltern mit Musik nicht allzu viel am Hut hatten, wurden meinem kleinen Bruder und mir keine Steine in den Weg gelegt. Eher im Gegenteil, denn wir wurden regelmäßig bei einer Schule für musikalische Früherziehung abgeladen. Das Einzige, was ich aus der Zeit noch an Erinnerungen habe, ist der – hinter der hin und wieder offenen Tür stattfindende – Schlagzeugunterricht, bei dem wir jedes Mal vorbeikamen. Als kleiner Pimpf war mir schnell klar, wenn ich meinen Eltern den Gefallen tun würde, ein Instrument zu lernen, dann muss es so ein quietschend rotes Schlagzeug sein, wie es durch den Türspalt zu sehen war. Als der Ältere habe ich meinen Kopf durchsetzen können und meinem kleinen Bruder wurde besagtes Akkordeon in die Finger gedrückt. So saßen wir dann wohl ein oder zwei Jahre später bei unseren ersten Konzerten in Altenheimen. Die Akkordeon-Crew bestand aus sechs bis sieben Rotzlöffeln und meiner taktlosen Wenigkeit an der „kleinen Trommel“ und hat „Time to say goodbye“ und den „Pink panther“ verhunzt. Mein Bruder konnte immer super die Leerlauftaste an seinem Instrument drücken und posermäßig einen vom Leder reißen, ohne einen einzigen hörbaren Ton gespielt zu haben. Die alten Damen haben es geliebt, und wenn die Hütte bei unserer Oma zum Kaffeekränzchen voll war, hat er sich auch immer super ein paar Scheine verdient. Mit dem Schlagzeug ging das leider nicht so gut.
Mit welcher Musik bist du aufgewachsen und welche Bands hast du als Erstes bewusst wahrgenommen?
Marius Müller-Westernhagen lief viel bei uns zu Hause. Auch die ROLLING STONES waren immer dabei. Ich glaube, dass in den ersten Schuljahren DIE ÄRZTE irgendwo am Horizont aufgetaucht sind.
Wann war dir klar, dass das Schlagzeug das richtige Instrument für dich ist?
Mir ist bis heute nicht ganz klar, ob Schlagzeugspielen die richtige Idee war oder ob doch ein richtiger Musiker aus mir hätte werden können. Ich war auch immer ein bisschen neidisch auf die anderen, die vorne stehen dürfen und denen nach dem Konzert auf die Schulter geklopft wird. Als Schlagzeuger stehst du nach dem Gig schon mal draußen und wirst gefragt, ob du das Konzert auch mitgekriegt hättest, und erfährst, dass die Band gar nicht mal so scheiße war.
Hast du später Unterricht gehabt oder bist du Autodidakt?
Oh ja, ich musste zu so einem Kinderquäler – ich werde keine Namen nennen –, aber der Typ hat im Theaterorchester gespielt, war voll der Notennazi und Technikfreak. Da hieß es, Rücken gerade, Hände noch fünf Grad drehen bitte und dann Triolen, Triolen und immer wieder Triolen. Eineinhalb Jahre musste ich an der kleinen Trommel hocken und hinter uns stand die geile Schießbude, wegen der ich ja eigentlich da war. Jede Stunde fing an mit „Können wir heute an das ganze Schlagzeug, bitte, bitte?“ und die Antwort war immer: „Nein, wir müssen erst noch Triolen verinnerlichen.“ Die scheiß Triolen kann ich bis heute nicht leiden.
Wann hast du dein erstes eigenes Schlagzeug bekommen und hattest du die Möglichkeit, bei euch zu Hause zu proben?
Erst einmal war dann die Luft raus und ich habe den Unterricht gecancelt. Mir war der Appetit vergangen und im Keller bei meinen Eltern stand inzwischen trotzdem das Schlagzeug, das wir einem entfernten Verwandten abgekauft hatten. Der ging in den Ruhestand, die Nummer mit der Schützenvereinskapelle war für ihn gelaufen und das feine Pearl-Drumset stand jetzt tiptop verstimmt bei uns im Keller. Dann kamen zu Schulzeiten ein paar Freunde auf die Idee, eine Band zu gründen, und ich musste mir das Punkrock-Einmaleins selber beibringen, was ja nicht die riesengroße Zauberei ist. Mit dem notwendigen Repertoire „Uffdauffdauffda“ und „Bumm zack bumm bumm zack“ ausgestattet konnte es losgehen und damit kommen wir auch heute noch zurecht. Zwei von diesen Freunden spielen übrigens heute noch bei DISCO//OSLO. Also habe ich eher autodidaktisch das Spielen am ganzen Instrument gelernt, wobei ich später – zu Abi-Zeiten – noch mal ein Jahr bei dem wirklich guten Jazz-Drummer Christian Schönefeld Unterricht nehmen durfte. Aber diese Zeit war eher von exzessiven Gelagen und Gesetzesverstößen geprägt und nicht so sehr von konzentrierten Lernprozessen und musikalischen Fortschritten.
Wann hast du das erste Mal in einer Band gespielt?
Ich konnte im Keller jederzeit wie besessen rumballern und wurde von meiner Mutter sogar dazu ermutigt. Wir hatten dann da unten auch unseren ersten Proberaum mit einer Punkrockband und später einer ein bisschen ska-punkigeren Combo. Die erste Kapelle hieß SMILE AND BEHAVE YOURSELF, die nächste SKAMBULÉ und wir haben jede Woche einen Nachmittag lang gut Krach gemacht. Das waren gute Zeiten, denn wir haben in vielen Jugendzentren in der Region gespielt, gute Abende und Partys verbracht und sind früh ganz gut damit herumgekommen. Außerdem haben wir nette Leute kennen gelernt, die man im Laufe der Jahre immer wieder getroffen hat.
Zu welchen Bands oder Platten hast du getrommelt, wenn du bei euch im Keller geübt hast?
Als es bei uns mit der ersten Band losgehen sollte, waren das eher so ältere, simple Deutschpunk-Geschichten, um überhaupt mal zu verstehen, wie die ganze Sache funktioniert.
Gab es damals irgendwelche Drummer, denen du nachgeeifert hast?
Ich habe da, glaube ich wenigstens, nie einen Personenkult betrieben und irgendwen auf einen Thron gestellt. Drummer, die ich bewundert habe, waren sicherlich John Bonham von LED ZEPPELIN, Stewart Copeland von THE POLICE und Dave Grohl von QUEENS OF THE STONE AGE.
Wann hast du das erste Mal ein Studio von innen gesehen und wie war die Erfahrung für dich?
Mit unserer Ska-Punk-Kapelle haben wir zu frühen Schulzeiten bei einem lokalen Contest Studiozeit gewonnen und konnten ein paar Songs aufnehmen. Ich hatte wirklich keine Ahnung, wie das ablaufen würde, und war überrascht, dass wir unsere Parts nacheinander einspielen mussten. Noch überraschter war ich, als dann der Klick auf dem Kopfhörer auftauchte. Das war mir neu und wir haben dann die Aufnahmen ohne Klick und freihändig eingespielt, was später auch zu hören war. Ich ziehe meinen Hut nach wie vor vor allen Menschen, die sich mit der technischen Seite von Musik auskennen, die mikrofonieren, verkabeln, mischen und zehn Millionen Knöpfe überblicken können. Aber Studiozeit – wie auch Live-Konzerte – sind mir mit zu viel Wartezeit verbunden. Ich habe zu viel Hummeln im Arsch, um ewig stillsitzen zu können und mich in Details zu verlieren.
Würdest du dich eher als Arbeiter bezeichnen oder stehst du auch auf technische Spielereien?
Um ehrlich zu sein, fehlen mir die Skills für technische Spielereien. Ich würde mich ganz klar als Arbeiter bezeichnen und selbst da komme ich nach sechzig oder mehr Minuten Konzert spielen an meine Grenzen, obwohl ich mich generell als fit bezeichnen würde. Ich kann dann den Tennisarm fühlen und wünsche mir ein Sauerstoffzelt hinter der Bühne. Ich habe noch nie einen Auftritt mit trockenem T-Shirt beendet, denn dazu fehlt mir wirklich die Technik.
Bist du heutzutage gut vorbereitet, wenn ihr eine neue Platte einspielt, oder lässt du dir lieber ein paar Takes mehr Zeit?
Um ehrlich zu sein, habe ich ja erst zwei Platten im Studio eingespielt und bin von daher kein abgebrühter Profi. Die DISCO//OSLO-Platte „Tyke“ und das Album besagter Ska-Kapelle zu Schulzeiten sind bisher meine einzigen Studioerfahrungen. Für die DISCO//OSLO-Platte waren wir gut vorbereitet, möchte ich behaupten. Wir hatten die Songs alle in endgültiger Fassung vorab selbst aufgenommen und in dem Prozess immer wieder verändert. Da haben wir nervige Stolpereien repariert, die erst dann auffallen, wenn man so was ein paar Mal durchhört. Das Grundgerüst aus Drums, Bass und Akkordgitarre stand also und musste nur noch eingespielt werden. Ich war gut präpariert und musste nicht allzu viele Takes verbraten, um mal etwas Brauchbares auf Band zu bringen. Das ging recht flott. Für die Gitarren und den Gesang konnten wir uns dann mehr Zeit lassen und im Studio noch ein bisschen flexibel herumprobieren. Auch textlich ist einiges erst im Studio fertiggeworden, Strophen wurden noch mal umgestrickt und teilweise komplett neu verfasst. Viele von den Texten auf „Tyke“ sind von mir. Auch Bulli ist super fleißig und einiges haben wir auch zusammen geschrieben. Das geht gut im Studio, wenn du sowieso viel herumsitzen und warten musst. Eigentlich könnte man vor Ort direkt die nächste Platte basteln, zumal man sich an den aktuellen Sachen zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich so überhört hat, dass die anfangen, ein bisschen zu nerven.
Was für ein Schlagzeug spielst du heute?
Ein schönes Ludwig Classic Maple gold sparkle Drumset steht aufgebaut auf unserem kleinen Dachboden und ich spiele Bassdrum 18“, Toms 12“ und 14“ mit zwei Paiste-Fusion-Becken, Sabian-Hi-Hat und Ride-Becken und eine Pearl-Messing-Snare. Die akustische Reichweite durch das mäßig gedämmte Dach ist allerdings beachtlich und die Leute im Wohnblock gegenüber müssen schon gut einstecken, wenn man mal ein bisschen lauter spielt. Ich bilde mir immer ein, dass niemand weiß, woher genau der Krach kommt. Um meine körperliche Unversehrtheit zu wahren, werden die Drums nur bei Nacht und Nebel in den Transporter verladen. Hoffentlich liest da drüben niemand das Ox.
Würdest du gerne mal andere Instrumente ausprobieren?
Ich habe mir gerade ein altes Klavier zugelegt und stimmen lassen. Ich fange gerade an mich daran abzuarbeiten. Noten kann ich keine lesen und das interessiert mich bis jetzt auch nicht, aber um ein gewisses harmonisches Grundverständnis und Gefühl zu kultivieren, ist das genau das richtige Instrument. Motorisch ist es ja schon recht anspruchsvoll, vier Gliedmaßen am Schlagzeug zu koordinieren, aber zehn Finger beim Klavier mit all den Tasten, die alle gleich aussehen, das ist der Endgegner.
Inwieweit bist du in das Songwriting von DISCO//OSLO involviert?
Tatsächlich recht viel, was die Texte anbelangt und der eine oder andere rudimentäre Vorschlag für Akkordfolgen und eine Melodie als Grundgerüst ist auch schon mal dabei. Allerdings komme ich, was den musikalischen Part anbelangt, schnell an meine Grenzen und tue mich schwer, konkret zu formulieren, was mir diffus im Kopf herum wabert und da total geil klingt. Ich habe gerade Lust, mir ein paar Basics beizubringen, um das in Zukunft besser zu machen. Mal schauen, was auf der nächsten Platte davon hängenbleibt.Wir sind bei DISCO//OSLO alle keine Profis an unseren Instrumenten, aber irgendwie machen wir das, was wir da machen, super gerne, und wir kennen uns seit Kindertagen. Ich glaube, das ist das, was bei einem guten Konzert rüberkommt und zwischen zwei falsch gegriffenen Akkorden und einem Refrain, der immer schneller wird, hängenbleibt. Die Quintessenz und Motivation ist schließlich, Spaß dabei zu haben und mit guten Freunden eine gute Zeit zu erleben. Große Kunst ist das nie gewesen. Und nur so funktioniert es.
Kannst du dir vorstellen, außer Punkrock mal ganz andere Musik zu spielen?
Ich habe eine ganze Weile parallel zu DISCO//OSLO in einem völlig anderen Projekt gespielt. Das war HipHop mit Live-Band, DJ und Bläsern. Eine riesig große Kombo, die viel Spaß gemacht hat, super witzig war und bei der es noch mal viel dankbarer war, um sich beim Texte Basteln selbst zu verwirklichen. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass mir beide Projekte zu viel werden und ich dem Leben gar nicht so ein Riesenstück musikalischen Kuchen in den Rachen schmeißen möchte. Da gibt es noch zu viel anderes, Leckeres, das nach Aufmerksamkeit schreit. Die Kunst und meine Holzfigürchen, die Beziehung und die Familie oder einfach Zeit für Sport. Ich bin dann beim HipHop-Projekt ausgestiegen und habe nur noch DISCO//OSLO gemacht. Als Schlagzeuger macht es einfach mehr Laune, voll reinballern zu können und nach dem Konzert nass geschwitzt bis auf die Unterhose von der Bühne zu krabbeln. Bei den Proben ist es einfach schöner, „Kannst du noch lauter ballern und fester auf die Bassdrum treten?“ gesagt zu bekommen, als ständig zu hören: „Ein bisschen leiser und nicht so viel herumfummeln.“ Was das Musikhören anbelangt, bin ich völlig undogmatisch und es läuft auch schon mal Elektronisches, Jazziges oder gar Klassisches. Scheißegal, alles, was den Fuß zum Wippen und den Kopf zum Nicken bringt. Um ehrlich zu sein, habe ich im Moment eine Phase, in der ich es eher anstrengend finde, auf einem Punkrock-Festival zu spielen und mir sechs Stunden Punkmusik anhören zu müssen, aber solche Phasen kommen und gehen, und ein zu statischer Musikgeschmack ist Stillstand oder der Tod.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #151 August/September 2020 und Christoph Lampert