Den Schauspieler Charly Hübner kennt man vor allem durch seine Rolle als Alexander Bukow in der ARD-Krimiserie „Polizeiruf 110“. Da spielt er den knurrigen Rostocker Kriminalhauptkommissar mit gescheiterter Ehe und einem Bein in der Halbwelt. Zu sehen war er aber auch in unzähligen Kino- und Fernsehproduktionen wie „Alarm für Cobra 11“, „Bibi & Tina“, „Der Tatortreiniger“ oder „Ladykracher“. Vor drei Jahren hat er bei dem Dokumentarfilm „Wildes Herz“ Regie geführt – seine erste Arbeit als Filmemacher und ein rührendes Porträt über Monchi, den Sänger von FEINE SAHNE FISCHFILET. Hübner ist selbst in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen, deshalb weiß der 48-Jährige nicht erst seit den Dreharbeiten, was es heißt, von Skinheads gejagt zu werden, wie er im Ox-Interview erzählt.
Aktuell arbeiten Sie an einem Projekt namens „Mercy Seat – Winterreise“. Worum geht es dabei?
Ich hatte das Angebot, einen Beitrag für ein Musikfestival zu leisten und wollte schon immer mal mit dem ENSEMBLE RESONANZ arbeiten, das ist ein großartiges Streichorchester aus Hamburg. Mit denen Songs von Nick Cave zu erarbeiten, hat mich sehr gereizt. Das Ensemble fand die Idee gut, wollte aber auch einen klassischen Aspekt einbringen und hat die „Winterreise“ von Franz Schubert vorgeschlagen. Dann haben wir einen Arrangeur ins Boot geholt und mit ihm gemeinsam eine Erzählung über einen Verbrecher vertont, wie er die letzten Sekunden vor dem tödlichen Stromschlag erlebt. Wie er sich fragt, warum er eigentlich in dieser Situation gelandet ist. Aufgeführt haben wir das unter anderem im Hamburger Kampnagel, in der Elbphilharmonie in Hamburg, in der Festhalle Viersen oder in der Kölner Philharmonie. Das Projekt spielt mit Klassik, Punk und Schauspiel, ist also schwer irgendwo einzuordnen.
Haben Sie einen besonderen Bezug zu Nick Cave?
Die Musik von Nick Cave begleitet mich schon seit dreißig Jahren. Seit dem Album „Tender Prey“ habe ich mir alle seine Platten gekauft. Cave ist ja der bekannteste Interpret der australischen Punk-Bewegung und hat ähnlich wie AC/DC diese spezielle australische Energie. Mit den BAD SEEDS hat er sich dann im Laufe der Jahre immer mehr zum Songwriter entwickelt. Seine Musik ist in meinen Augen absolut einzigartig, sie trägt eine ganz eigene Handschrift. Ich finde ihn einfach herrlich. Er bewegt sich in Räume hinein, die viele gar nicht aufmachen, und da habe ich eine Verbindung zum ENSEMBLE RESONANZ gesehen, die als Streicher solche Töne sehr gut hörbar machen können.
Vor drei Jahren haben Sie mit dem Dokumentarfilm „Wildes Herz“ für Aufsehen gesorgt, in dem Monchi, der Sänger der Punkband FEINE SAHNE FISCHFILET, porträtiert wird. Wie ist die Idee für diesen Film entstanden?
Produzent Lars Jessen, mit dem ich schon lange befreundet bin, sagte zu mir: Du kannst das! Ich hatte vorher schon einen kleinen Dokumentarfilm über Mecklenburg gedreht. Und weil es eben ein Film fürs Kino werden sollte, brauchte ich einen Protagonisten, der dafür geeignet ist. Monchi ist ein Charakter, der unheimlich viele Themen in sich verbindet. Dann haben wir drei Jahre lang Material für den Film gedreht und so ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Person Monchi entstanden.
Haben Sie einen persönlichen Bezug zu Mecklenburg-Vorpommern?
Ich bin dort groß geworden. Diese Konflikte, die Monchi mit seiner Generation durchmacht, habe ich vor dreißig Jahren selbst erlebt. Ich komme aus Neustrelitz und diese Auseinandersetzungen mit nationalistischer und rassistischer Gesinnung waren schon akut, als ich noch zur Schule ging. Es wurde nur vor dem Fall der Mauer immer totgeschwiegen. Monchi stellt mit seiner Band FEINE SAHNE FISCHFILET die Frage: Bleiben oder Gehen? Und wir haben diese Frage damals alle mit „Gehen“ beantwortet. Ich und meine Freunde sind alle gegangen, weil wir mit dieser massiven Gewalt, die uns da entgegenschlug, nicht zurechtgekommen sind und auch nicht zurechtkommen wollten. Die Mauer war gerade gefallen, die Welt öffnete sich für uns. Wir waren sowieso auf dem Sprung, wieso sollten wir uns mit solchen Leuten auseinandersetzen, die nichts anderes im Kopf haben, als ihre Meinung anderen in den Schädel zu prügeln? Das macht ja keinen Sinn. Und jetzt, mehr als 25 Jahre später, habe ich gemerkt, dass das Thema geblieben ist. Wir sind damals gegangen und haben nichts zur Lösung des Problems beigetragen. Deshalb dachte ich, es wäre eine gute Idee, sich diesem Thema noch einmal zu stellen. Die junge Generation heute geht damit ganz anders um als wir. Viel offener, gerade diese ganzen Aktivisten um Monchi herum.
Welche Erfahrungen haben Sie ganz persönlich mit rechter Gewalt gesammelt?
Ich war damals ein blutjunger Heavy-Metal-Fan und kam aus einem kleinen Dörfchen in die Kreisstadt. Damals hatte ich halblange Haare und Jeans-Klamotten. Ich bin zum ersten Mal in einen Club gegangen und wurde schon verprügelt, bevor ich überhaupt ein Bier bestellen konnte. Wir wohnten alle in einem Internat von der Erweiterten Oberschule Clara Zetkin in Neustrelitz. Heute würde man das Gymnasium nennen. Jeden Tag musste ich etwa eineinhalb Kilometer Fußweg zurücklegen und da wurde ich regelmäßig überfallen und gejagt. Die Krönung war dann, dass es abends an meinem Fenster klopfte. Ich wohnte im ersten Obergeschoss in einem Plattenbau. Außen war ein Blitzableiter angebracht und daran war ein Skinhead hochgeklettert. Ich machte dann das Fenster auf und er teilte mir mit, ich sollte runterkommen, weil er mich verdreschen will. Das war Alltag für uns. Es gab Schulfeste, bei denen vier Jahrgänge feierten, tranken und tanzten. Die wurden dann von 200 Skinheads unterbrochen, die den ganzen Saal zerlegt haben. Da waren wir mittendrin und in dieser Zeit habe ich mich auch politisiert. Diese ganze antifaschistische Bildung der DDR hat bei mir gut funktioniert. Wir waren ja oft in ehemaligen Konzentrationslagern wie Buchenwald, Sachsenhausen oder Ravensbrück zu Besuch. Da wurde mir klar, dass ich mich in die linke Szene begeben musste, um einen Gegenpol zu errichten. Bis zu dieser Zeit hatte ich mich mit dem Thema noch nie befasst, ab da immer.
Warum sind Sie zur Zielscheibe für die Rechten geworden? Sie waren doch Heavy-Metal-Fan?
Ich hatte schlicht und einfach lange Haare. Ich trug weder Bomberjacke noch Glatze noch Docs. Das war deren Dresscode. Für die waren wir die doofen Hippies, die Linken, die Blumenkinder. Denen ging es nur darum, uns klarzumachen, dass es ihr Revier ist. Das war der Auslöser und irgendwann habe ich dann gemerkt, dass es nicht nur diese Hooligan-Kultur der Gewalt gibt, sondern auch eine Ideologie. Eine Einstellung, in der Menschen selektiert werden. Das ist unmenschlich und indiskutabel, deshalb habe ich mich positionieren müssen. Das spricht sich in einer Kreisstadt wie Neustrelitz natürlich schnell herum. Außerdem waren wir die Abiturienten, die studieren wollten. Also nicht die einfachen Arbeiter, sondern die arroganten Schnösel. Ich fing in dieser Zeit auch an, Theater zu spielen, dann war ich erst recht so ein doofer Künstler-Dödel. In den zwei oder drei Jahren, in denen ich dort lebte, verschärfte sich meine Situation immer weiter. Als ich nach dem Abitur im Theater war, wurde ich überfallen, als ich das Haus verlassen wollte. Mein Auto wurde zertrümmert und irgendwann habe ich gesagt: Ich haue jetzt ab und gehe nach Berlin oder Rostock.
Haben Sie 1992 auch den rechten Angriff auf vietnamesische Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen miterlebt?
Ich war in dieser Zeit noch in Neustrelitz und wir waren gerade mit dem Theater auf Sommertournee. Wir haben das damals zur Kenntnis genommen, aber wenn ich ganz ehrlich bin, hat es mich überhaupt nicht überrascht. Das Ausmaß hat mich natürlich geschockt, aber dass die Vietnamesen damals so im Fokus standen, war bekannt. Das war in Plattenbau-Vierteln wie in Berlin-Lichtenberg ähnlich. Auch Menschen aus Mosambik oder Kuba wurden gejagt. Oder Chilenen, die vor der Diktatur in ihrem Land in die DDR geflüchtet waren. Diese Menschen waren damals alle in Gefahr. Solche Übergriffe passierten ständig. Der große Skandal in Lichtenhagen war ja der Umgang der Behörden mit dem Vorfall. Aus humanistischer Sicht haben die Leute, die vom Staat dafür bezahlt werden, für alle Menschen gleichermaßen zu sorgen, damals komplett versagt. Das ist bis heute eine offene Wunde, die immer noch blutet. Für die Rechten ist es eine totale Inspiration und für die Linken ein Sinnbild totaler Lähmung. Für die Exekutive ist es eigentlich ein Lehrbuch, das nach meinem Eindruck bis heute nicht deutlich genug gelesen wird. Dabei rede ich nur davon, dass es Menschen gibt, denen das Ableben von anderen Menschen total egal ist. Dass es denen gar nicht wehtut, sondern sogar recht ist. Damit bricht man die Grundverabredung von menschlichem Miteinander. Und Lichtenhagen ist ein ganz krasses Signal dafür.
Was haben Sie damals für Musik gehört? Wie wurden Sie musikalisch sozialisiert? Musik spielt in der Jugend ja immer eine große Rolle.
Wie alle Teenager habe ich lange gesucht. Irgendwann bin ich durch zwei Typen in der Dorfdisco beim Metal gelandet. Das hat mich am meisten inspiriert. Große Bands wie DEPECHE MODE oder U2 fanden auch statt, aber Metal hat mich einfach elektrisiert. Vor allem MOTÖRHEAD, AC/DC und später dann die ersten Speed-Metal-Bands. Ende der Achtziger habe ich dann FEELING B für mich entdeckt, die bekannteste Punkband der DDR, von denen zwei dann RAMMSTEIN mit gegründet haben. Das war natürlich ein Schlüsselerlebnis für mich. Oder andere Bands wie DIE ART, DIE ANDEREN oder AG GEIGE, und dann kamen irgendwann Bands wie BAD RELIGION oder DEAD KENNEDYS bei uns an. Das war meine Heimat. Schnelle, in den Texten kritische Musik. Das blieb bis zu meinem Schauspielstudium in Berlin so. Da tauchte ich dann in die Welt von Klassik und Chansons ein. Aber bis heute ist die E-Gitarre das wesentliche Instrument für mich geblieben.
Waren Sie auch bei geheimen Konzerten und sind in die Punk-Szene der DDR eingetaucht?
Dafür bin ich leider zu jung, das kenne ich nur aus Berichten. Als die Mauer fiel, war ich 16 Jahre alt. Diese legendären Konzerte auf Hiddensee oder in Berlin habe ich leider nicht miterlebt. Da lebte ich noch auf dem Dorf. Später habe ich in Berlin nach den Protagonisten von damals gesucht, aber Berlin wurde dann ziemlich schnell zur Techno-Hauptstadt. Das war ja ein Dammbruch damals. Bis zum Mauerfall habe ich Musik vor allem über selbstüberspielte Kassetten in mieser Qualität gehört und im Laufe meines Studiums habe ich mir dann nach und nach die Platten davon gekauft.
Wie viel von dieser Punk-Attitüde haben Sie in ihre Schauspielerei übernommen? Die Figur Alexander Bukow ist ja ein Polizist, der zu Alleingängen neigt und Regeln großzügig auslegt.
Schauspielerei ist ja erst mal eine gestalterische Aufgabe. Da ist das Punkige, wenn überhaupt, dann nur für ein einzelnes Projekt interessant. Schauspielerei war für mich eher eine Identitätshilfe, weil ich nicht wusste, was ich will und wer ich bin. Als Schauspieler kann man ja in unendlich viele Identitäten schlüpfen. Bukow ist in meinen Augen eher eine Art Straßenköter, sein Vater war Boxtrainer. Als die Frage auftauchte, welche Musik der hört, war uns schnell klar, das muss RAMMSTEIN sein oder NINE INCH NAILS und solche Sachen. Also eher düstere Elektro-Sounds. Seine Attitüde ist natürlich punkig, aber er selbst war nie Punk. Der hatte früher eher eine Bomberjacke an, um seine Drogen auch an die Rechten zu verkaufen. Er bewegte sich immer zwischen allen Ebenen. Damit ist er natürlich auch eine Art Punk, weil er sich mit allen Seiten anlegt, aber er wurde nicht mit der Musik oder der Szene sozialisiert.
Katrin König, die Ermittlerkollegin von Alexander Bukow in „Polizeiruf 110“, hat ja vor zwei Jahren für einen handfesten Skandal gesorgt, als auf ihrem Laptop ein „FCKAFD“-Aufkleber zu sehen war.
Ihre Figur vertritt natürlich viel eher linke Ideale als er. In einer Folge haben die beiden über die Rechten in Mecklenburg-Vorpommern diskutiert und er hat da immer eine sehr pragmatische Position vertreten. „Ist ja kein Wunder, dass die Leute so werden. Wenn sie von allen anderen im Stich gelassen werden, hören die Leute immer auf den, der sich bei ihnen am lautesten in die Tür stellt.“ Er ist also kein Idealist, sondern ein Mensch, der eigentlich immer nur im Krisenmodus funktioniert und sonst schläft. Er weiß nicht, wer er ist, weil er durcheinander ist. Er kann nur instinktiv agieren, linke Ideale sind ihm viel zu kompliziert. Der Sender musste den Aufkleber übrigens retuschieren. Im Nachhinein hatte sich der AfD-Fraktionsvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern massiv beschwert. Für mich war die Angelegenheit ein offener Diskurs. Neben den Angriffen von der rechten Seite, die immer auftauchen, kam damals auch viel Zuspruch aus dem bürgerlichen Lager. Ist doch gut, wenn man so polarisiert.
Haben Sie öfter Konfrontationen mit Rechten?
Ich suche nicht offen den Konflikt. Für mich ist es indiskutabel, mich mit solchen Leuten zu befassen, weil sie anderen Menschen das Recht zu leben aberkennen. Ob wir jetzt über Flüchtlinge reden oder über Andersdenkende. Sie selektieren Menschen in jeglicher Form und damit schließt sich für mich aus, diese Leute ernst zu nehmen. Ich finde auch diesen Begriff Rechtsruck falsch, denn aus meiner Vergangenheit weiß ich, dass diese Leute schon immer da waren. Das ist nie weg gewesen. Es gibt Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen oder Nordhessen, die denken, ihnen gehört die Region ganz allein. Alles, was anders denkt oder zugezogen ist, ist ein Feind.
Haben Sie durch die Arbeit an „Wildes Herz“ einen neuen Zugang zur Punk-Szene bekommen, neue Bands kennen gelernt?
Ja natürlich, ich habe vor allem gelernt, wie sehr die Grenzen der Genres inzwischen verwischt sind. Punk hat sich ja im Laufe der Jahre sehr gewandelt, heute geht es eher um einen alternativen Blick auf das Leben an sich. In den Style von FEINE SAHNE FISCHFILET zum Beispiel mischen sich ja auch Elemente der HipHop- und Skater-Szene hinein. Das war für mich nach 25 Jahren Schauspielerei abseits der Szene neu. Natürlich habe ich auf Festivals wie in Jarmen viele kleinere Bands entdeckt. Da gibt es jede Menge Energie und Feine Sahne sind natürlich längst zum Schlachtschiff geworden. Ich habe zum Beispiel Bands wie ANTILOPEN GANG, ADAM ANGST oder das Label Audiolith für mich entdeckt. Ich habe in dieser Zeit aber auch WANDA gefunden, die damals noch keine Superstars waren. Die haben mir auf Anhieb total gefallen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #153 Dezember/Januar 2020 und Wolfram Hanke