CEREBRAL BALLZY

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Mit dem Tod flirtet man nicht

2011 traten die New Yorker CEREBRAL BALLZY auf den Plan, wirkten wie die kleinen Brüder von OFF!, hauchten, nah dran am Original, dem rücksichtslosen Hardcore der frühen Achtziger durch ihr jugendliches Alter neues Leben ein und sorgten allenthalben für Begeisterung. Dennoch, gewisse Vorbehalte blieben, etwa die Wahl des honorigen, aber sonst kaum Hardcore-affinen Labels Cooking Vinyl, dazu Presse-Widerhall auf Magazin-Niveau, eine große Konzertagentur – die musikalischen Roots stimmten, aber da war zu viel Business im Spiel, Misstrauen war angesagt, ob da nicht nur ein kleiner Hype im Gange ist, ob es nicht einfach „Vice-Scheiß“ ist. Ein Jahr später dann eine erneute Tour, und so nutzten wir das Konzert Anfang Juli im Dortmunder FZW, um der Entzauberung der Band beizuwohnen: Sänger Honor Titus (Sohn von Dres vom HipHop-Duo BLACK SHEEP) war scheinbar angetrunken, es gab lange Pausen zwischen den Songs, nur für kurze Momente zündeten die druckvollen Songs (und auch einen Tag später in Köln hinterließen sie keinen besseren Eindruck). Hinterher ein Interview mit Gitarrist Mason und Honor, in dem sehr offen geantwortet wurde. Eine Band zwischen guten Ansätzen, jugendlicher Verpeiltheit und den Mühlsteinen des Musikgeschäfts ...

Was verbindet euch eigentlich mit OFF!?

Mason:
Wir sind schon lange befreundet, letztes Jahr haben sie uns mit auf Tour genommen. Keith ist einfach ein cooler Typ. Und unsere Hardcore-Wurzeln sind die gleichen. Wir sind mit der Musik von CIRCLE JERKS und BLACK FLAG aufgewachsen. Andererseits versuchen wir aber auch, neue Punkrock-Musik zu machen. Wir schätzen, was Keith gemacht hat, wollen selbst aber Musik für eine neue Generation von Punks machen.

Was findet ihr mit um die 20 interessant an 30 Jahre alter Musik, an den Bands alter Männer, die eure Eltern sein könnten?

Mason:
Wir sind alle Anfang 20. Wir hingen früher viel in Skateparks rum, da lief diese Musik, so kamen wir zum Hardcore. Ich hatte natürlich auch mal meine HipHop-Phase, aber wenn man älter wird, fängt man eben an, bessere Musik zu hören.

Wie empfandet ihr euer Konzert heute eben?

Mason:
Wir hatten ein paar technische Schwierigkeiten, es war also nicht die beste Show der Tour. Aber wir hatten trotzdem unseren Spaß.

Ihr kamt letztes Jahr für viele in Europa aus dem Nichts, plötzlich war da diese Hardcore-Band auf diesem großen Label, dann gleich die Tour.

Mason:
Wir kamen nicht aus dem Nichts, wir haben uns in den USA abgerackert, bis mal ein paar Leute von uns Notiz genommen haben!

Honor: Wir sind nur ein paar New York City-Boys, die Musik spielten, die keiner erwartet hat und schon lange keiner mehr gehört hatte. Das zog ziemlich schnell ziemlich viel Aufmerksamkeit auf sich. Anfangs spielten wir die gleichen drei Songs immer wieder, weil die ja nach paar Minuten schon wieder vorbei waren. Dass wir jetzt in Deutschland touren können, ist total super. Wir haben schon mit TRASH TALK und den HORRORS getourt, zwei komplett unterschiedlichen Bands, und jetzt waren wir gerade in London für ein paar Aufnahmesessions, denn wir schreiben derzeit übrigens Songs für unser neues Album. Und da bot es sich an, noch ein paar Headliner-Konzerte zu spielen. Für uns ist das cool, denn die Leute, die zu den Shows kommen, wissen Punkrock und Rock’n’Roll zu schätzen.

Mir scheint, dass ihr bislang aber eher in kommerzielleren Clubs gespielt habt, wie etwa dem FZW hier. Hattet ihr keine Chance, die Szene in kleinen Punkclubs und AZs kennen zu lernen?

Mason:
Eigentlich spielen wir überall, und die etwas kleineren Läden wie neulich in Hamburg oder in Berlin sind uns lieber.

Honor: In New York spielen wir bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, ob in irgendeinem Keller oder in der riesigen Disco.

Mason: Und falls du noch weißt, wo heute irgendwo eine Party ist, spielen wir da für ein paar Bier und etwas Gras, haha.

Dimitri von OFF! warnte im Interview vor euch, man müsse aufpassen, ihr würdet alle Drogen, allen Alkohol, alle Pizzas vernichten, alles, was ihr findet – und alle Girls vernaschen ...

Mason:
Wir haben anscheinend einen guten Ruf, haha! Wir haben mit den OFF!-Jungs echt schwer gefeiert. Das ist mit denen, wie mit seinem großen Bruder loszuziehen. Es gab da einige verrückte Abende ... Und heute Abend sind wir auch noch nicht wieder so richtig fit, wir sind gestern in Hamburg gewaltig abgestürzt ...

Honor: Was für ein Wochentag ist heute eigentlich?

Keith Morris hat vor Jahren schon den Drogen abgeschworen, weil sie ihn kaputt machten. Ein Vorbild?

Honor:
Ich bin jetzt 22 und werde jeden Tag erwachsener. Vielleicht nehme ich ja auch die Abkürzung in Sachen drogenfreies Leben und warte nicht erst ab, bis ich alt bin.

Mason: In Sachen Drogen hat jeder sein Verfallsdatum, von daher ... Klar sind Drogen Teil des Rock’n’Rolls, aber da steckt viel mehr dahinter.

Honor: Ich habe auch keine Lust darauf, als dauerbesoffene Drogenband wahrgenommen zu werden, denn so sind wir nicht drauf. Hinter CEREBAL BALLZY steckt mehr, wir haben viele verschiedene Einflüsse. Musikalisch sind wir auch mehr als nur Achtziger-Hardcore, da stecken auch BUZZCOCKS und obskure Garagenbands drin. JFA sind für mich ein großer Einfluss, aber auch GANG GREEN, mit denen wir in New York mal spielen durften. Oder SLAYER. Oder Philip Glass, den ich vor zwei Wochen live gesehen habe. Unser nächstes Album wird viele verschiedene Einflüsse haben.

Mason: Und wir können nur jeden ermutigen, so viel Musik wie möglich zu hören. Hört möglichst viel Musik, die nicht nervt.

Was für Musik nervt euch?

Honor:
Bands wie der heutige Opener.

Das waren MESSER, und die waren echt nicht gut.

Mason:
Wir haben unsere Band gegründet, weil wir die Schnauze voll hatten von blödem Synthie-Pop, wie er eine Weile lang in Massen aus Brooklyn kam, von diesem stylishen, tanzbaren Bullshit. Wir wollten echte Musik für echte Menschen spielen.

Honor: Aber wir sind nicht grundsätzlich anti oder so, es gibt durchaus auch guten Synthie-Pop.

Was reizt euch daran, schnelle, kurze Songs zu spielen?

Honor:
Damit kann man seine Message sehr schnell rüberbringen. Die Stücke sind also absichtlich so kurz. Und wie sollten wir auch ein orchestrales Werk übers Kotzen schreiben?

Mason: Der Vorgang des Kotzens an sich ist ja auch schnell vorbei, haha. Zumindest dann, wenn man richtig kotzt. Kotz und trink weiter, so geht das.

Honor: Andererseits werden die Stücke um so länger, je elaborierter die Gedanken dahinter sind. Also Obacht, es droht ein episches neues Album ... Wir machen es wie GREEN DAY, hahaha.

In New York läuft doch das GREEN DAY-Musical, wart ihr mal drin?

Mason:
Nee, wir sind keine GREEN DAY-Fans. Und würde ich hingehen, würde ich Tomaten auf die Bühne werfen.

Honor: Oder Bierflaschen.

Als ich euch vorher auf der Bühne stehen sah, hatte ich das Gefühl, dass da fünf ganz verschiedene Charaktere stehen. Andere Bands sehen da geradezu uniform aus. Wie habt ihr euch getroffen, was verbindet euch?

Mason:
Wir haben uns am Union Square beim Skaten getroffen, wir kommen aus verschiedenen Ecken der Stadt. Wir haben alle ganz andere Freunde außerhalb der Band, verschiedene Einflüsse. Das macht all die verschiedenen Charaktere aus. Wer will schon eine Band sehen, die aus fünf gleichen Typen besteht?

Honor: Uns verbindet die Band, das ist unsere Beziehung.

Und die Band ist alles, was ihr derzeit so macht?

Mason:
Ja, die Band ist unser Leben, wir denken die ganze Zeit nur an Musik.

Honor: Songs für das neue Album schreiben, reisen, Konzerte spielen – letztes Jahr hatten wir über 300 Auftritte.

Mason: Da bleibt keine Zeit, sich mal ein paar Tage frei zu nehmen. Die Band bestimmt unser Leben, jeden Tag.

Das kann ganz schön anstrengend sein.

Mason:
Es ist auch anstrengend.

Und wie sieht eure Überlebensstrategie diesbezüglich aus?

Honor:
Wir werden darin immer besser. Auch mal Wasser zu trinken hilft.

Mason: Als wir noch echte Kids waren, haben wir immer krass Party gemacht, das war echt übler Alkoholmissbrauch. Im Vergleich dazu ist unser Alkoholkonsum heute recht moderat.

Honor: Nicht sterben, das ist die Überlebensstrategie.

Mason: Genau, wir haben gelernt, am Leben zu bleiben.

Honor: Wir haben schon ein paar Leute sagen gehört, sie seien überrascht, dass noch keiner von uns gestorben ist, und ich glaube, wir haben verstanden, was sie uns damit sagen wollen. Mit dem Tod flirtet man nicht.

Mason: We don’t wanna die.

Es gibt Musiker, die trinken auf Tour und bei Konzerten überhaupt nichts, um fit zu sein und zu bleiben.

Mason:
Das ist nichts für uns, wir wollen Spaß haben, und solange wir die Songs noch richtig hinbekommen ...

Ist es das Privileg der Jugend, so „unvernünftig“ zu sein?

Mason:
Vielleicht, und wahrscheinlich kommen wir einfach noch besser mit dem Kater am nächsten Tag klar.

Honor: Außerdem weiß ich ja nicht, wie es sich anfühlt, alt zu sein. Ich war ja noch nicht 45, haha.

Wie schmeckt euch das deutsche Bier?

Mason:
Bisher war das alles gut. Ich mag gutes Bier, wobei ich letzte Nacht echt Schwierigkeiten hatte, das alles drinzubehalten. Wir sind „Powerdrinker“, und das geht besser mit Coors Light, das kann man sich schnell in großen Mengen reinknallen. Deutsches Bier fühlt sich demgegenüber an, als ob man einen Laib Brot im Magen hätte. Das ist eine vollwertige Mahlzeit, was auch wieder gut ist, so ist man satt und besoffen zugleich.

Apropos: Das Essen backstage war als vegan gekennzeichnet. Bewusst?

Honor: Jason ist Veganer, ich bin Vegetarier, esse nur manchmal etwas Fisch.

Mason: Eigentlich essen wir alles, was wir vorgesetzt bekommen.

Honor: Obst, Brot, Bier.

Mason: So sieht die CEREBRAL BALLZY-Diät aus.

Honor: Genau, zwei Äpfel und ein Sixpack.

Wie sehen eure Eltern eure Karriere?

Honor:
Vor ein paar Wochen war auf den Kunstseiten der New York Times ein Foto von mir, wie ich einem Typen Bier ins Gesicht kippe. „Schau mal Mama, ich bin in der Zeitung!“ Sie fand das nicht so gut ...

[/b]Mason:[/b] Unsere Eltern sind überrascht, dass wir es so weit gebracht haben. Wir haben coole Eltern, sie unterstützen uns.

Honor: Und wir sind gut, sie können stolz auf uns sein.

Danke für das Interview.

Mason: Wir haben zu danken. Äh, weißt du, wo wir was zu kiffen bekommen können ...?

Joachim Hiller, Christina Wenig