Die süddeutsche Pop-Punk-Band vermittelt auf ihrem neuem Album Aufbruchsstimmung. Grenzen? Gibt es nicht. Während Deutschland den neuen Pop-Punk-Hype verpennt, macht sich die Band um Sänger Flo auf, Pop-Punk neu zu denken.
Für eine Pop-Punk-Platte – im weitesten Sinne – fängt „Hinterhof Poesie“ ziemlich überraschend an, da musste ich erst mal schauen, ob die richtige Platte läuft. Ist der Track absichtlich am Anfang platziert?
Definitiv absichtlich. Die Auswahl der Tracks und die Festlegung der Reihenfolge sind für mich im Entstehungsprozess eines Albums eine der schwierigsten und gleichzeitig schönsten Sachen – das i-Tüpfelchen quasi. Hier fügt sich alles zusammen. Man hat die Möglichkeit, eine Geschichte zu erzählen, Spannung aufzubauen oder eben mit dem Einstiegstrack zu überraschen. Der Opener „Im Dreck“ ist ganz bestimmt einer der internen Lieblinge auf der Platte.
Ihr habt das meiste im eigenen Studio aufgenommen. Wie wichtig war dieser Ort für die Songs und das Album?
Ja, das war erst ein ganz schöner Abfuck. Wir mussten dreimal pandemiebedingt unsere Studiotermine verschieben. Das war ganz schön zermürbend. Ich meine, man sitzt da auf neuem Material, dass man am liebsten sofort veröffentlichen möchte und man kann das Zeug nicht aufnehmen. Irgendwann fragt man sich dann schon: Bringen wir die Songs überhaupt noch irgendwann raus? Inklusive der Vorbereitungszeit vergehen ja ab der Aufnahme bis zum Release locker noch mal ein bis anderthalb Jahre. Irgendwann hatte ich dann die Schnauze voll und fing an, einen zugestellten Kellerraum auszuräumen und so herzurichten, dass er sich für Aufnahmen eignet. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass wir – bis auf das Schlagzeug – später das komplette Album dort aufnehmen würden. Das war für mich schlussendlich die beste und wichtigste Entscheidung, weil ich endlich die Zeit hatte, quasi unbegrenzt Sachen auszuprobieren. Ich konnte mit Sounds und Vocals experimentieren und Gitarreneffekte basteln, die ich während einer teuren Studiozeit nie hätte umsetzen können.
In den letzten Jahren ist das ganze Pop-Punk-Genre von vielen Künstlern aufgebrochen worden, die nicht immer für diesen Stil bekannt waren. Wie hast du das empfunden? War das ein Befreiungsschlag oder eine Verwässerung des Genres? Und welchen Einfluss hatte das auf euch?
Für mich war es absolut ein Befreiungsschlag. Ich meine, im Grunde ist die Diskussion doch auch lächerlich. Man kann doch nicht sagen, nur weil du einmal das eine Genre bedient hast, darfst du auf gar keinen Fall was anders machen oder die Genres vermischen. Das gab es doch schon immer und nur dadurch ist wiederum was Neues entstanden. Dass die Genregrenzen nicht nur bei den Musikern, sondern auch bei dem Publikum und den Fans verschwimmen, hatten wir zum Beispiel selbst in den letzten beiden Jahren erfahren – im allerpositivstem Sinne! Wenn man sich anguckt, dass wir als Support von GHØSTKID gespielt hatten und überall herzlichst empfangen und abgefeiert wurden, finde ich das eine absolut schöne Entwicklung. Die Musikrichtungen könnten ja fast nicht unterschiedlicher sein und doch ist das Publikum zum Glück nicht so eingefahren wie früher.
Dieses Comeback des Genres ist ja etwas, das in erster Linie in den USA und UK stattfindet. Liegt Deutschland noch ein wenig im Winterschlaf, was das angeht? Oder siehst du auch Bands, Künstler, die hier aktiv sind?
Ja, stimmt. Man kann gut beobachten, wie das in Deutschland noch vor sich hindöst, während in UK und USA ein neuer Artist nach dem anderen auftaucht. Direkt könnte ich keinen benennen, der hierzulande aktuell das Comeback des Genres bedient. Ich glaube eher, dass es gegebenenfalls einen Einfluss auf die Musik nimmt. Wie in unserem Fall. Mich haben viele Künstler:innen aus der neuen Pop-Punk-Welle inspiriert. Das hat mich die eigene Musik, die ich seit Jahren höre oder selbst mache, noch mal aus einer ganz anderen Perspektive sehen lassen. Dabei geht es nicht nur um das Composing, sondern vor allem um die Haltung, einfach wie wild herumzuprobieren. Als sich das Comeback langsam ankündigte und ich das erste Feature von Yungblud, Machine Gun Kelly und Travis Barker hörte, war ich total geflasht. Es gibt da einfach keine Grenze, außer diejenige im eigenen Kopf. Das hat mich total begeistert und wollte ich unbedingt in unsere Musik einfließen lassen.
Glaubst du, dass sich viele Bands und auch Fans selbst im Weg stehen, wenn es um Innovationen in solchen Genres geht? Ich denke da an viele, die bei Social Media abkotzen, wenn es Posts zu Songs wie „Emo girl“ von Machine Gun Kelly und Willow gibt, gerade in der deutschen Szene ...
Ich finde schon, dass sich da viele im Weg stehen. Ich möchte aber auch niemanden verurteilen. Ehrlich gesagt stand ich mir früher bei solchen Sachen selbst auch im Weg. Irgendwann hatte ich gemerkt, dass ich durch mein engstirniges Denken sehr vieles verpasse. Alles musste „true“ sein und im besten Fall irgendeiner „Ursuppe“ entspringen, damit es eine Berechtigung hatte. Alles, was neu und anders ist, war erstmal scheiße. Das ist ganz schön dumm und ich bin sehr froh, dass ich so ein naives Denken hinsichtlich Musik und Szene ablegen konnte.
Denkst du, „Hinterhof Poesie“ ist für euch als Band ein besonderes Album, eines, das euren Sound prägen wird? Es ist vielleicht etwas früh für diese Frage, aber was glaubst du?
Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, dass wir bei „Hinterhof Poesie“ den Mut gefunden haben, zu uns selbst zu stehen. Alleine deswegen kann man sagen, dass „Hinterhof Poesie“ ein sehr wichtiges Album für die Band geworden ist. „Hinterhof Poesie“ hebt den CASINO BLACKOUT-Sound vor allem deswegen auf ein neues Level, weil wir nicht bei einem Grundrezept bleiben. Ich habe die Songs ja inzwischen öfter gehört als jeder andere und trotzdem freue ich mich beim Durchhören der Platte immer wieder über die Vielseitigkeit, die den neuen CASINO BLACKOUT-Stil ausmacht.
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