CAMERAN

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Schwere Geburt

Aus Österreich kommt ein Quartett, das von vielen bereits als Frischzellenkur für den Hardcore gepriesen wird. Die Presse ist sich ausnahmsweise mal einig und überhäuft dessen Debüt mit lobenden Worten. Bewundernswert sind vor allem die Wucht und unbändige Energie, die CAMERAN live und auf Platte an den Tag legen, und durch die sie viele andere Bands in den Schatten stellen, aber auch ihre unkonventionelle Art, mit der sie Genregrenzen sprengen. Sie tun Dinge, die eine Hardcore-Band üblicherweise nicht tut, sorgen mit Stilbrüchen für viele Überraschungen und für ein vergleichsweise neues Hörvergnügen. Bei mir jedenfalls, weshalb ihr Debütalbum auch auf dem besten Wege ist, zu einem meiner „Alben des Jahres 2005“ zu avancieren. Doch was heißt überhaupt „Debüt“? Seit 1999 existieren CAMERAN, allein drei von vier Musikern sind miteinander verwandt und machen schon seit vielen Jahren zusammen Musik. Warum es also so lange bis zur Veröffentlichung von „A Caesarean“ (Nois-o-lution) gedauert hat und noch vieles mehr erklärte mir Sänger und Gitarrist Aaron am Rande des letzten Deutschlandkonzerts im Kölner Sonic Ballroom.

Aaron, heute ist euer letzter Deutschlandtermin. Ihr habt eine Tour mit SMOKE BLOW hinter euch. Hat das gepasst?


Es ging eigentlich. Die Shows waren ganz okay, aber das Publikum ist teilweise schon ein anderes gewesen. Das ging mehr so in den Rockbereich. Überhaupt ist es nicht leicht, wenn du wie wir in Deutschland noch relativ unbekannt bist, und die meisten Leute kommen wegen der Hauptband. Aber die Typen von SMOKE BLOW waren echt nett. Von daher war es okay.

Zu eurem Debütalbum hab ich bisher noch keine schlechte Kritik gefunden. Wir fühlt sich das an, mit dem Ersten gleich so einen Treffer zu landen?

Sehr gut. Wir sind froh, dass das Ganze raus ist. Es hat sehr lange gedauert, deshalb auch der Albumtitel. Wir waren natürlich angenehm überrascht, dass die Kritiken durchweg positiv ausgefallen sind.

Der Titel „A Caesarean“ – ein Kaiserschnitt – ist also wörtlich zu nehmen?

Ja, schon. Das Ganze hat sich so angefühlt. Wir hatten etwas im Bauch, die ganzen Lieder, und das musste raus. Es war unsere erste CD, quasi unser erstes Kind, das auf die Welt kommt. Es gab Komplikationen, die Wehen waren relativ schwer und der ganze Geburtsprozess schwierig und verdreht. Das musste einfach alles raus und wir haben uns gesagt, jetzt machen wir es einfach. Deswegen der Titel.

Was waren das für Komplikationen?

Zunächst mal gab es interne Probleme. Die ganze CD wurde zuerst von unserem früheren Sänger eingesungen, in Schweden. Dann haben wir uns getrennt, es hat nicht mehr wirklich funktioniert. Wir haben dann überlegt, wie wir weitermachen wollten, ob ich das Ganze einsinge, oder ob wir einen anderen Sänger suchen. Das war eine schwierige Situation, die ganze Trennung, wir waren etwa drei, vier Monate ziemlich unentschlossen. Dann haben wir gedacht, ich singe das Ganze ein, ich habe früher schon immer Back-up-Vocals gesungen, mitgesungen und Texte konzipiert und so weiter. Nun musste ich aber etwa fünfzig Prozent der Texte umschreiben und alles noch einmal einsingen. Die Lieder waren nur alle schon vorbelastet, ich hatte ja schon viele Vorgaben, von denen ich mich wieder lösen musste, und außerdem war das alles nicht mehr so richtig frisch. Aber im Endeffekt muss ich ehrlich sagen, ich hatte das Gefühl, dass es nicht besser gegangen wäre. Wir wollten es eigentlich besser machen, aber es ging nicht, deshalb haben wir es einfach gemacht. Sonst hätte die Band aufgehört zu existieren, sonst wäre sie auseinander gebrochen.

Was meinst du genau mit „besser machen“?

Na ja, als Außenstehender kann man das vielleicht gar nicht beurteilen, vielleicht hört man es gar nicht, diese Schwierigkeiten und diese Verzweiflung, die dahinter steckten: Frustration, keine Ahnung, wie es weitergeht, Streitigkeiten im Studio ...

Euch gibt es seit 1999, aber was habt ihr denn die ganze Zeit gemacht, außer das Album aufzunehmen?

Bis 2001 haben wir Konzerte gespielt, so gut es ging. Wir waren kurz davor, die erste CD aufzunehmen, haben uns dann aber für fast anderthalb Jahre getrennt. Unser Schlagzeuger und ich sind nach England gegangen und wollten dort mit einem Freund von uns eine Band gründen. Das hat nicht hingehauen, deshalb sind wir zurück nach Österreich und haben dann im Herbst 2002 wieder angefangen, Konzerte zu spielen, haben sofort vier Songs aufgenommen, in Schweden abmischen lassen, ein Jahr später die CD aufgenommen, danach gab es eben die Komplikationen, und die Veröffentlichung hat sich von Labelseite her noch verzögert ... Wir haben jetzt 2005 und die Aufnahmen stammen schon aus dem Jahr 2003.

Ich hatte beim Hören auch den Eindruck, dass die Songs aus unterschiedlichen Phasen der Bandentwicklung stammen. Stellt das Album heuer das dar, was ihr momentan ausdrücken wollt?

Das stimmt, die Ideen für ein paar Songs stammen schon aus dem vergangenen Jahrtausend. Wir spielen die Songs aber noch immer gerne live. Man darf auch nicht vergessen, dass sie für uns alt, aber für die Leute noch neu sind. Wir brauchen eben grundsätzlich etwas länger fürs Songwriting. Das Gute ist, dass wir das Ganze schon 2003 aufgenommen haben. Wir wollen im nächsten Sommer wieder aufnehmen, die nächste CD wird also nur ein Jahr versetzt herauskommen. In unseren Köpfen hat sich seitdem Einiges getan, deshalb wird die neue CD schon anders klingen, obwohl offiziell nur ein Jahr dazwischen liegt. Sie wird ein breiteres Spektrum abdecken.

Stimmt es, dass ihr vor CAMERAN in ähnlicher Besetzung als RACIAL ABUSE, einer Oldschool-Hardcore-Kapelle, unterwegs wart? Wie siehst du die Zeit rückblickend?

Ja, drei von uns waren dabei. Was soll ich sagen, wir waren jung. Wir haben viel gespielt, CDs rausgebracht und die Musik gemacht, die uns damals Spaß gemacht hat. Mit der Zeit sind wir älter geworden und der ganze Bezug zur Musik ändert sich. Das ist ja auch schon ewig her, das ist, als ob du mich zu meiner ersten Freundin befragen würdest. Gewisse Sachen würden wir heute anders regeln, uns die Leute, mit denen wir arbeiten, viel genauer anschauen. Aber wenn du jung bist, dann willst du nur spielen.

Der Song „Pro-Grace“, den man auf eurer Homepage findet, klingt schon sehr alt. Stammt der aus dieser Zeit?

Der stammt aus der Anfangsphase von CAMERAN. Das ist ja ein ganz natürlicher Prozess, der vor sich geht. Es wäre ja schlimm, wenn wir uns heute so anhören würden, wie damals. Ich bin heute 28, ich will heute nicht mehr so klingen wie mit 18.

Wie, glaubst du, kommt es, dass ihr im Ausland immer aktiver wart als im Heimatland?

Vor allem, weil Österreich ein kleines Land ist. Wir spielen ja auch dort viel, aber deshalb war es klar, dass wir die Grenzen würden überschreiten müssen. Unser Blick war schon immer ein nach außen gewandter. Ich reise auch sehr gerne, und wenn man das mit der Musik verbinden kann und es finanziell dabei noch irgendwie aufgeht, dann ist es das Beste, was man machen kann. Wenn du jung bist, dann hast du die besten Erinnerungen. Im Mai geht es rüber nach Amerika, und wir schauen, ob noch woanders was geht, vielleicht in Japan. Da würde ich sonst vielleicht als Touri hinfahren, und so trifft man ganz andere Leute, du erlebst das Land völlig anders.

Ist euer Album dort jeweils schon veröffentlicht worden?

In den USA kommt es im April raus, auf Innocent Words. Das ist ein kleines Label, ziemlich unbekannt. Die bringen eine kleine Auflage raus, haben aber den Promoter am Start, der auch die Promo von Deep Elm macht. Die waren sehr begeistert, haben uns einen Vertrag über ein Album gegeben und meinten, sie könnten uns auf Tour schicken. In Japan gibt es nichts Konkretes, aber es geht immer weiter.

Ihr habt schon im Vorprogramm von ziemlich bekannten Bands gespielt. Und das alles ohne Album ...

Das war echt grotesk, wir haben oft gar nichts zum Verkaufen gehabt, oder nur kopierte CDs von unserem Demo, teilweise kursieren jetzt irgendwelche Proberaumaufnahmen. Wir kamen an einen Punkt, an dem es nicht mehr weitergegangen ist. Es ist so schwierig etwas aufzubauen, wenn du nicht einmal jemandem auf einem Konzert deine CD in die Hand drücken kannst, der wieder jemand anderem von dir erzählen kann. Die großen Konzerte kamen teilweise dadurch zustande, dass wir Freunde hatten, die uns halfen, die uns auf die Konzerte packen konnten, weil sie wieder jemanden kannten, und so weiter. In England haben wir deshalb zum Beispiel mit COHEED AND CAMBRIA getourt.

Was hat dich damals nach England gezogen?

Als wir gerade keine Band hatten, haben unser Schlagzeuger und ich uns entschieden, nach England zu gehen. Wir haben mit einem Freund versucht eine Band zu gründen. Er war aber mit einer anderen Band beschäftigt. Wir haben es vielleicht nicht mit genügend Nachdruck versucht, Leute zu finden, deshalb hat es nicht hingehauen. Wir waren dann mit Unterbrechungen etwa ein Jahr in England, weil wir zwischendurch ein Demo aufgenommen haben, und sind nun wieder zurück.

Du hast deine Heimat verlassen, um Musik zu machen. Offenbar nimmt sie einen großen Stellenwert in deinem Leben ein ...

Eigentlich studiere ich nebenher, ich hab meine Diplomprüfungen im Dezember und schreibe nebenbei an meiner Dissertation. Wir sind jetzt sehr viel auf Tour, deshalb bleibt natürlich sehr wenig Zeit für alles andere. Aber ich brauche auch ein Gegengewicht, ich kann nicht den ganzen Tag Däumchen drehen. Wir bauen natürlich darauf, dass wir mit der Band viel spielen können, wir spielen alles, was sich anbietet. Wenn du keine Konzerte hast, dann wird der Tag eben lang, und so versucht jeder, den Tag so sinnvoll wie möglich zu nutzen. Es ist zurzeit natürlich noch unmöglich zu sagen, das sei unser Beruf. Die Musik wirft finanziell noch überhaupt nichts ab. Aber wenn du viel unterwegs bist, kannst du auch keinen 40-Stunden-Job annehmen. Ich halte mich gerade eben so über Wasser, hab aber auch gerade keine Wohnung, sondern schlafe bei einem Freund.

Ich finde die Vergleiche mit REFUSED, JANE’S ADDICTION etc., die in den Besprechungen ständig auftauchen, ziemlich unangebracht.

Es kamen halt immer wieder die gleichen Namen. Die Medien brauchen eben immer etwas, um die Sache für die Leute handhabbar zu machen. Ich glaube nicht, dass wir so klingen, wie eine von den Bands, aber in dem Spektrum, das sie abdecken, finden wir uns schon wieder. Insofern sind diese Verweise halb so schlimm, vor allem, weil ja auch Bands dabei sind, die Großes vollbracht haben. Wir sind ja eben auch eine neue Band, vielleicht ändert sich das bei der zweiten Platte. Wenn also in zwei, drei Jahren Bands so ähnlich klingen wie wir, dann müssen wir eventuell als Vergleich herhalten.