Die Musik des belgischen Trios BRUTUS ist so massiv und nachhaltig, dass man kaum glauben mag, dass „Unison Life“ erst ihr drittes Album ist. Für diese Platte hat sich Sängerin, Texterin und Schlagzeugerin Stefanie einiges vorgenommen: Jeder Song soll so klingen, als ob er die Welt bedeutet, und muss würdig genug sein, um ein Album mit einem lauten Knall beenden zu können. Ob und wie Gitarrist Stijn und Bassist Peter da mithalten konnten, haben wir im Interview mit Peter persönlich besprochen.
Das Album startet mit Folk-Metal, dann dreht ihr das Ding zu Shoegaze und Post-Rock. Wolltet ihr dieses Mal bewusst mit den Genres spielen?
Haha, nicht wirklich. Wir haben meistens eine Idee für eine Melodie und dann probieren wir die auf unterschiedliche Art aus. Andere sortieren das später in dieses oder jenes Genre ein. Für uns bedeutet es nur, alle Optionen auszuschöpfen, die wir haben, um einen Song zu machen.
Keine BRUTUS-Formel?
Haha, nein, einfach nur Musik machen.
Wie würdest du euren Sound beschreiben?
Wir halten es immer einfach und sagen meistens, dass wir eine Rockband sind. Stefanie benutzt manchmal den Begriff Emo-Musik. Aber nicht im Sinne der Neunziger Jahre mit den seltsamen Frisuren und den geschminkten Augen. CULT OF LUNA kann ja auch emotionale Musik sein, einfach nur mit anderem Ausdruck. Es geht darum, etwas von innen zu vertonen und damit möglichst die Menschen zu berühren.
Aber immer mit dunklem Tenor?
Ja, auf jeden Fall. Keine heiteren Gefühle.
Habt ihr wieder mit Jesse Gander in Kanada aufgenommen?
Nein, er kam her, zu uns nach Belgien. Das hatte einfach logistische Gründe, wir hätten unser komplettes Equipment dort leihen müssen. Früher konnten wir auch nur mit einer Gitarre und einem Bass aufnehmen. Aber dieses Mal hatten wir aufgrund der Pandemie so viel Zeit, uns auszuprobieren und den optimalen Ausdruck zu finden. Und es wäre einfach zu viel Zeug gewesen, das wir nach Vancouver hätten schleppen müssen. Wir wollten den Sound aber nicht wieder herunterbrechen. Stijn spielt auf „Unison Life“ unterschiedliche Gitarren und ich drei verschiedene Bässe. Und es war auch schön, mal die Umgebung zu wechseln und hier aufzunehmen.
Wie genau bringt Jesse sich ein?
Er kennt uns sehr gut. Wir drei haben ja eine besondere Dynamik, wie immer bei einem Trio. Es gibt nie ein ausgeglichenes Meinungsbild. Wir verlieren uns alle gerne mal in Details, und auch wenn Jesse selbst ein Perfektionist ist, schafft er es doch, uns zum richtigen Zeitpunkt eine Alternative vorzuschlagen, auf die wir niemals selbst gekommen wären. Wir probieren ewig herum und dann kommt er einfach so mit einer neuen Idee. Dazu ist er noch sehr witzig. Das ist wirklich nicht unwesentlich, wenn man drei Wochen so eng aufeinander hockt. Er hat tolle Geschichten auf Lager, doch abgesehen von der menschlichen Seite ist er natürlich auch technisch ein Profi. Aber wenn er ein Arschloch wäre, würden wir nicht mit ihm arbeiten, haha.
Was genau darf man unter „Unison Life“ als Albumtitel verstehen?
Es geht darum, ein Leben in perfekter Harmonie zu führen, möglichst keinen Streit und keine Kämpfe zuzulassen. Das ist natürlich unmöglich, denn das Leben ist schwierig, niemand ist fehlerfrei und es kommt immer zu Reibereien. Stefanie schreibt ja alle Texte und es dreht sich hauptsächlich um sie. Sie ist diejenige von uns, die besonders danach strebt. Aber die sich eben auch manchmal selbst belügt, darum geht es ja in dem Song „Liar“. Man ist nicht vollends ehrlich zu sich selbst, um die Harmonie zu bewahren. Jeder benutzt auch gerne mal eine Notlüge, um andere nicht zu verletzten oder den Schein zu wahren. Wenn es nach Stefanie ginge, gäbe es niemals Streit, alle wären sich einig und würden entspannt Bier trinken.
Für dieses Album hatte Stefanie, so ist zu lesen, sich vorgenommen, jeden Song so zu schreiben, dass er das Ende des Albums stehen könnte. Was genau hat sie verändert, um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen?
Gute Frage. Ich war erst mal geschockt, als sie das einfach mitten im Albumprozess angekündigt hat. Das hat schon Druck erzeugt und erschien mir erst mal unmöglich. Aber ihre Augen haben mir sofort vermittelt, dass sie das richtig ernst meint. Seit ich sie kenne, ist sie komplett hingebungsvoll im Hinblick auf Musik, also dahingehend hat sich überhaupt nichts geändert. Sie ist wohl eher von 100 auf 120% gegangen. Und vielleicht hat ihr die Pandemie auch gezeigt, wie viel ihr Musik wirklich bedeutet. Also irgendwas ist da bei ihr passiert. Vor drei Jahren hätte sie niemals einem Video wie „Liar“ zugestimmt. Man sieht sie komplett, während sie singt, dass sie eine Lügnerin sei. Also irgendwas hat sich bei ihr geändert, dass sie so was jetzt zulassen kann. Sie gibt noch mehr von sich in die Songs und ich finde, dass man das auch total spürt.
Hat sich bei dir auch etwas verändert?
Wir konnten nie mit der Band unsere Rechnungen bezahlen. Aber dann kam die Pandemie und hat alles gestoppt, das hat schon etwas verändert und mich auch irgendwie geschockt. Wir mussten schon immer jonglieren, wie viel Zeit wir wirklich in die Band investieren. Aber das hat mir dann nochmals gezeigt, dass es nicht einfach wäre, tatsächlich von Musik leben zu müssen. Man betrachtet ja immer perspektivisch die nächsten fünf Jahre und macht sich Gedanken, ob es von diesem Punkt aus klappen könnte, nur noch Musiker zu sein. Na ja, mal schauen, was jetzt in den nächsten zwei Jahren passieren wird.
Denkst du, dass es Auswirkungen auf die Kreativität hätte, Berufsmusiker zu sein?
Ich würde mich nicht unbedingt auf BRUTUS beschränken. Generell mit Musik Geld verdienen zu können, das wäre gut. Mir wurde jetzt aber auch klar, dass es gut war, dass wir durch die Pandemie mehr Zeit hatten, um konzentrierter an dem Album zu arbeiten. „Nest“ entstand schon unter einem gewissen Zeitdruck. Und gerade durch diese intensive Arbeit an und mit Musik wurde mir klar, dass ich das eigentlich am liebsten jeden Tag machen möchte. Kann auch etwas Anderes sein, ein Post-Rock-Album oder so ...
Gerade bei „Unison Life“ kam mir oft der Gedanke, dass da auch ein Orchester gut gepasst hätte.
Echt? Unser Soundmann Thomas hat das auch gesagt. Wir haben aber noch nie darüber nachgedacht bisher. Für manche Songs könnte ich mir das gut vorstellen, aber wieder andere würden auch super klingen, wenn Stefanie sie alleine am Klavier singen würde. Wir wollen am besten beides, haha.
Noch mal zurück zu dem Song „Liar“. Was ist größte Lüge der Gesellschaft, der Kapitalismus vielleicht?
Ja, schon Geld irgendwie. Und wenn man das in einem größeren Rahmen betrachtet, dann ist es wohl der Kapitalismus. Die vermeintlichen Unterschiede, die durch Geld zwischen den Menschen hergestellt werden, das ist die größte Lüge.
Wie sieht es in Belgien aktuell mit den Clubs aus, müssen auch viele schließen, werden Konzerte gut besucht?
Die Situation ist in den einzelnen Regionen unterschiedlich. Der Kulturminister hatte schon vor der Pandemie sehr viele Gelder für Projekte, Clubs und Musikkultur gestrichen. Als Corona kam, hat er zwar Überbrückungshilfen gezahlt, aber trotzdem waren die Clubs lange geschlossen. Das hat dazu geführt, dass viele aus den Crews sich nach anderen Jobs umgeschaut haben. Am Anfang hatten alle Verständnis, aber mit der nächsten und übernächsten Welle ließ das nach. Aber eigentlich sind doch gerade diese Leute damit vertraut, große Gruppen zu kontrollieren und Menschenmassen professionell und verantwortungsbewusst zu organisieren. Und gerade die durften dann als Letztes wieder ihre Arbeit aufnehmen. Diese Fähigkeiten wurden ignoriert und das hat nachhaltig Schaden angerichtet. Viele Bands konnten nicht proben, weil sie nicht zusammen in einem Raum sein durften. Wieder andere haben Alben veröffentlicht und damit auf tote Pferde gesetzt, denn es gab keine Shows zu spielen und niemand hat darüber gesprochen. Ich kenne Bands, die sich deshalb aufgelöst haben. Seitdem die Clubs wieder geöffnet haben, ist aber auch viel Schönes passiert. So ein bisschen wie Versöhnungssex, haha. Man streitet sich, sieht sich eine lange Zeit nicht und dann herrscht dieses ganz besondere Knistern, haha. Das Gefühl direkt nach den ersten Shows, das wäre so die einzige positive Sache, die ich auf Anhieb benennen könnte.
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