BRECHT

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Imperativ-Metal

Den Zugang zu Punk, Hardcore oder Metal bekommt man oft über Genre-Klassiker und tastet sich dann zunehmend an die musikalischen Ränder heran. Neben Thrash- und Death-Metal- finden daher immer wieder auch mal Grindcore- und Powerviolence-Bands den Weg auf meinen Plattenteller. Insbesondere dann, wenn bei aller technischen Finesse die simple Intensität des Hardcore-Punk nicht verlorengeht. Umso größer war meine Freude zu hören, dass BRECHT nicht nur diese Kriterien erfüllen, sondern, beheimatet in NRW, quasi meine Nachbarn sind.

Grindcore ist ja typischerweise kein Genre, mit dem du als Jugendliche:r musikalisch zuerst Kontakt hast. Wie seid ihr dazu gekommen, über den Umweg vom Hardcore-Punk oder vom Death Metal?

Alice: Die Musik meiner Jugend war Deathcore wie ALL SHALL PERISH und SUICIDE SILENCE. Die ersten Alben waren auch noch gut krachig und mit „Family Guy“-Zitaten gespickt. Über die Suche nach einer Band öffnete ich mich dann den Genres Grindcore und Powerviolence und fand dort schnell mein musikalisches Zuhause. Ich versuchte über Bücher und Dokus aufzuholen, was ich vorher verpasst hatte. Dazu kamen Tape-Trading, Fanzines und Konzerte.
Kai: Ich bin durch meine Brüder früh mit Metal in Berührung gekommen. IRON MAIDEN, ACCEPT, METALLICA ... NIRVANA haben auch dazu beigetragen. Im Alter von 14, 15 habe ich das erste Mal Death und Black Metal in die Finger bekommen. Der Sampler „Death Is Just The Beginning“ bot einen ganzen Haufen an verschiedenen Richtungen. Bands wie HYPOCRISY, BENEDICTION, CANNIBAL CORPSE und IMMORTAL haben mich direkt gebumst. Die ersten Konzerte taten ihr übriges. 1997 habe ich dann NASUM gehört und das hat mich direkt fasziniert. Kurze Songs, kräftige Blastbeats und feinstes Gekeife. Eine Energie, die mich immer noch zum Grinsen bringt.
Ray: Angefangen hat es bei mir mit NIRVANA. Über METALLICA und PANTERA kamen irgendwann auch deutsche Hardcore-Bands wie ACME auf den Schirm. Auch Punkrock hat für mich eine große Rolle gespielt. Meine größte Inspiration sind BREACH aus Schweden.

Grindcore und Powerviolence sind in meiner Wahrnehmung noch stärker männlich dominiert als andere Szenen. Mit Porngrind und Bands wie CLITEATER gibt es auch ein Subgenre, in dem es fast nur um pornografische Inhalte geht. Wie nehmt ihr die Beteiligung von Frauen in der Szene wahr?
Alice: Im Grindcore und Powerviolence fällt es Frauen mittlerweile definitiv leichter, Anschluss zu finden. Bands wie FUCK THE FACTS haben das vorgemacht. Und ich hatte auch immer Bands hinter mir, die alles andere nicht geduldet hätten. Pornogrind fand ich anfänglich suspekt. Bis ich das Ehepaar hinter CLITGORE kennen gelernt habe. Da war schnell klar, die Menschen dahinter zählen mehr als die Texte. Wer über Pimmelwitze lacht, ist kein schlechter Mensch. Aber wem ernsthaft beim Thema Vergewaltigung einer abgeht, der oder die sollte mal eine Tochter bekommen. Spätestens als Vater oder Mutter denkt man dann doch anders.
Kai: Dass sich Frauen im Porngrind nicht wohl fühlen, ist mir absolut verständlich. Spricht mich auch eher weniger an. Grundsätzlich finde ich, dass mehr Frauen auf Konzerten sind als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Und da auch mehr Frauen am Mikro stehen, nimmt das Ganze eine schöne Wendung.
Martin: Ich kann mich nur an eine Handvoll Shows erinnern, an denen auch Porngrind-Bands beteiligt waren. An diesen Abenden war größtenteils dasselbe Stammpublikum anwesend wie auch sonst. Männlein wie Weiblein.
Ray: Porngrind ist für mich nicht sonderlich ansprechend. Früher waren weniger Frauen unterwegs in der Szene – ich mag das Wort Szene nicht ... Toll, dass es heute anders ist! Für meinen Teil habe ich da allerdings nie einen Unterschied gemacht. Mensch ist Mensch.

Mit den deutschen Texten spielt ihr in einer speziellen Nische eines Nischengenres. Limitiert euch das nicht auf eine deutschsprachige Fanbase? Oder ist die Sprache beim Growlen sowieso eher zweitrangig?
Alice: Wenn jemand beim ersten Hören die Texte komplett versteht, habe ich etwas falsch gemacht. Das sind keine Pop-Songs, die du fröhlich vor dich hin trällerst. Es darf ruhig auch anstrengend für die Denkmurmel sein. Mit jedem Hören erkennt man mehr Inhalt und Konzept. Das ist geil so. Dieser Umstand limitiert stärker als die Sprache generell.

Kai: Wollen wir mal ehrlich sein. Wie viel Text verstehen wir? Wenn uns eine Band anspricht, lesen wir die Texte oder eben nicht. Ich glaube, dem Zuhörenden ist es egal, ob es Deutsch, Englisch, Französisch oder sonst eine Sprache ist, wenn er musikalisch ordentlich auf die Fresse bekommt. Wenn man bedenkt, wo BRECHT mittlerweile im Netz zu finden sind, scheint die Sprache nur die zweite Geige zu spielen.
Ray: Mir ist es bei BRECHT wichtig, dass unsere Texte deutsch sind. Es passt hervorragend zur Musik und bedient natürlich auch eine Nische. Allerdings ist es erstaunlich, wie weit sich unsere Musik in anderen Ländern verbreitet hat, was uns sehr freut. Sprache scheint hier keine Barriere zu sein.

Eure erste Veröffentlichung von 2017 trägt den Titel „Wut blüht“, die zweite von 2020 „Blut glüht“. Das sieht nach inhaltlicher Kontinuität aus. Rahmt ihr sozusagen euer Schaffen konzeptuell in irgendeiner Form? Und heißt die nächste Veröffentlichung dann „Mut sprüht“?
Alice: Ein gewisser inhaltlicher Rahmen ist cool. Es fing aber schon damit an, dass das Artwork von „Blut glüht“ ursprünglich den Vorgänger „Wut glüht“ zieren sollte. Da kam dann die Idee, mit dem Titel der EP zu spielen.
Kai: Kein Konzept, es wird gemacht, was alle in der Band anspricht. Die nächste Veröffentlichung könnte auch „Knut spült“ heißen.
Martin: „Blut glüht“ passte einfach. Die Idee war spontan, hätte aber auch gepasst, wenn wir uns vorher Gedanken darüber gemacht hätten, es konzeptionell mit einzuarbeiten. Die Idee mit „Mut sprüht“ finde ich gut. Können wir die für die nächste Aufnahme nehmen?

Bertolt Brecht hat komplett mit bestehenden Schauspieltraditionen gebrochen und wollte mit seinem analytischen Theater den Zuschauer zum distanzierten Nachdenken und Hinterfragen anregen, weniger zum Mitfühlen wie Stanislawski und Strasberg. Inwieweit ist Brecht als Namensgeber sinnstiftend für euch?
Kai: Die Anlehnung an Brecht ist für mich der Wunsch, in den Texten eine gewisse Qualität zu haben. Und nicht nur, wie es doch vermehrt vorkommt, irgendeine flache Geschichte zu erzählen. Und wer spiegelt gesellschaftliche Missstände besser wider als Brecht? Allerdings kann man den Namen auch als Aufforderung sehen, mit Konventionen zu brechen.
Martin: Klar ist die Assoziation zu Bertolt Brecht sofort da. Brecht klang in meinen Ohren erst mal einfach nur gut und irgendwie auch hart. Somit passt er zur Musik. Die Texte gab es teilweise schon vor der Bandgründung. Inhaltlich passt es auch, denn die Lyrics sollen zum Nachdenken und Hinterfragen anregen, was das Mitfühlen für mich nicht ausschließt. Gedanken und Gefühle gehören zusammen. Vielleicht machen wir Imperativ-Metal.
Ray: Mit Traditionen zu brechen, zu hinterfragen und distanziert nachzudenken, sind im Bezug auf Musik hervorragende Eigenschaften, die ich nur unterstützen kann. Auch wenn Bertolt Brecht nie ausschließlicher Namensgeber für uns war, denke ich, es hätte ihm gefallen, was wir machen und was wir ausdrücken.

Und mit welchen Traditionen sollte man heutzutage brechen?
Alice: Brich mit allen Traditionen und schaue dann, was du wirklich vermisst. Spiel Grindcore auf einer Stratocaster in Spongebob-Gelb, studiere BWL und spiel Grindcore, iss keinen Kartoffelsalat mit Würstchen an Heiligabend und sage deinen Bandkollegen, dass du sie liebst!
Martin: Das passt jetzt zum Imperativ-Metal. Man sollte mit allen Traditionen, Ritualen oder was auch immer brech(t)en und immer einen gesunden distanzierten Abstand oder Blickwinkel behalten.
Ray: Gerade beim Grind ist es angenehm, dass alles erlaubt ist und auch angenommen wird. Man kann sich trextlich und musikalisch völlig frei entfalten und sich dabei einen Joghurt ins Gesicht schmieren. Aussagen wie „Das klingt nicht genug nach Black Metal!“ oder „Warum gibt es keinen Refrain zum Mitgrölen?“ nerven einfach nur. Wir genießen die künstlerische Freiheit, egal ob wir jetzt Imperativ-Metal, Prog-Grind oder irgendein Core-Zeug machen. Wen jucken schon die Bezeichnungen? Wichtig ist die Hingabe und Liebe hinter der ganzen Sache.