Captain Poon, Drummer Woody Lee und Gitarrist Chris Banjo sind noch von der feucht-fröhlichen Feier des vergangenen Abends gezeichnet, als sie das Büro ihres deutschen Labels People Like You in Dortmund betreten. Am Vortag haben die drei BLOODLIGHTS in Köln ein paar Videos gedreht – und sind anschließend mit der Crew ein wenig über die Stränge geschlagen. Indes: Sobald Kaffee auf dem Tisch steht und die Sprache aufs neue Album „Stand Or Die“ sowie den aktuellen Status quo der norwegischen Band kommt, weicht die Müdigkeit und vor allem Frontmann Poon beginnt zu reden. Über ein Album vor dem Album, das die Welt niemals hören wird, weil dessen Songs allesamt in die Tonne gekloppt wurden. Über die richtige Attitüde. Über Skandinavier als bessere Rocker. Und über – nun ja – GLUECIFER natürlich ...
Captain Poon, „Stand Or Die“ liegt erst jetzt vor, drei Jahre nach „Simple Pleasures“. Warum?
Captain Poon: Es hat Zeit gebraucht, alles in die Wege zu leiten und alles so hinzukriegen, dass es sich gut anhört und anfühlt. Vor knapp drei Jahren hatte ich nämlich bereits ein neues Album fertig aufgenommen und gemischt – und bekam plötzlich ein ganz schlechtes Gefühl dabei. Ich merkte, dass sich die Songs nicht gut genug für BLOODLIGHTS anhören. Das war nichts Halbes und nichts Ganzes. Es war zwischen den Stühlen.
Zwischen welchen Stühlen?
Captain Poon: Leute, die eine reine Rock’n’Roll-Platte erwarten, hätten das Album als zu punkig empfunden. Und den Leuten, die es gerne etwas softer und poppiger haben, wäre die Platte zu hart gewesen.
Was hast du in dem Moment gedacht, in dem du diese Unzufriedenheit gespürt hast?
Captain Poon: Ich dachte: Scheiße! Das war nix! Wir müssen eine neue Platte aufnehmen. All diese Songs können wir in die Tonne kloppen. Wir müssen ganz neu anfangen.
Wie haben deine Bandkollegen das aufgenommen?
Captain Poon: Chris zum Beispiel, der damals gerade neu bei uns war, hat das in Ordnung gefunden, so nach dem Motto: „Was soll’s? Lass es uns angehen“. Aber Howie, unser Gitarrist der ersten Stunde, hat nur gesagt: „Verdammt noch mal! Bist du nicht mehr ganz dicht?“ Wobei ich mich letztlich durchgesetzt habe. Und mit dem Ergebnis sind wir zufrieden und glücklich. Das ist das Wichtigste.
Woody: Das war anfangs schon hart und ich habe geflucht. Aber das Ergebnis ist umso cooler geraten. Das haben wir schon bei den ersten Sessions gehört.
Für mich hört sich das ein bisschen so an, als ob ihr euch extrem von außen, von den Fans und deren Erwartungen beeinflussen lasst – was ebenso schön wie nicht alltäglich ist, oder?
Captain Poon: Ich denke, das ist eine unserer Aufgaben und Pflichten. Gerade weil wir die Band auf eine nicht-kommerziellen Art und Weise führen, müssen wir schon sehr genau überlegen, welche Botschaft wir vermitteln wollen. Außerdem ist es nicht gut, wenn du ein bisschen wie eine Classic-Rock-Band, ein bisschen wie eine Punkband und ein bisschen wie eine Hardrock-Band klingst. Das verwirrt die Fans. Und das verwirrt dich als Musiker. Der Weg muss klar sein. Und das ist er mit „Stand Or Die“.
Wenn ich hier mal kurz einhaken darf: Auch du verdienst mit BLOODLIGHTS Geld. Also, was bedeutet es, die Band unkommerziell zu führen?
Captain Poon: Das ist eine Sache der Haltung. Natürlich will jeder Musiker mit seiner Band vor möglichst vielen Leuten auftreten. Jeder, der etwas anderes behauptet, lügt. Und auch wir wollen ein großes Publikum haben. Aber es gibt eben verschiedene Wege, dieses Ziel zu erreichen. Ein Weg ist, einen Hit nach dem anderen zu schreiben. Das tue ich aber nicht. Mein Weg ist es, Songs aufzunehmen, die sich für mich richtig anfühlen. Die so klingen, wie ich es mag – und nicht so, wie es möglichst viele Leute mögen.
Nach was klingt sie nun deiner Meinung nach, eure neue Platte?
Captain Poon: Ich würde sagen, sie klingt wie eine klassische Punk-Platte. Und das liegt in der Tat auch an Chris, denn er hat dieses punkige Element bei BLOODLIGHTS eingebracht. Sein Einfluss ist nicht zu überhören. Seine Integration in die Band hat tatsächlich etwas verändert.
Hat Lemmy schon angerufen, um der Band die Ohren lang zu ziehen, weil ihr euch für den Titelsong des Albums so unverschämt bei „Overkill“ von MOTÖRHEAD bedient habt?
Captain Poon: Nein, haha, bislang noch nicht. Aber ich könnte es verstehen.
Werden wir die in die Tonne gekloppten Songs vielleicht mal als B-Seiten oder Bonustracks zu hören bekommen?
Captain Poon: Viele sind meiner Meinung nach nicht gut genug, auf B-Seiten oder so veröffentlicht zu werden. Da sind höchstens ein, zwei Stücke, die wir irgendwann vielleicht noch einmal neu arrangieren werden. Der Rest taugt wirklich nichts.
Es muss für dich als Künstler ein unangenehmes Gefühl gewesen zu sein, zu erkennen: Songs, die ich selber geschrieben habe, sind schlecht.
Captain Poon: Zu Hause zu sitzen und zu merken, dass ich es vergeigt habe – das war wahrscheinlich der Tiefpunkt meiner Karriere.
Eine Frage an die übrigen Bandmitglieder: Natürlich ist es Captain Poons Recht, seine eigenen Songs bei Nichtgefallen wegzuwerfen. Aber ist er vielleicht doch so etwas wie ein Diktator innerhalb der Band – einer, der den Weg klar vorgibt und dessen Ideen Priorität haben?
Woody: Nein. Er ist ganz einfach der Frontmann. Und den braucht jede Band. Jemand muss das machen. Aber da ist immer Platz für Kontroversen und den Austausch von kreativen Ideen. Er hat eben nur das letzte Wort.
Captain Poon: Ich lege schon Wert darauf, die Meinung der anderen zu hören und ihre Ideen einzubauen. Das macht die Band einfach besser. Ich kenne so viele Bands, die den größten Dreck über ihren Bandleader erzählen, sobald er den Raum verlässt. Und da habe ich keinen Bock drauf. So einer will ich nicht sein.
BLOODLIGHTS sind deine Band. Du hast sie gegründet. Bei GLUECIFER warst du der Gitarrist. Hat diese neue Stellung, diese andere Konstellation dich als Musiker verändert?
Captain Poon: Nein. Ich hatte bei GLUECIFER im Prinzip die gleiche Position wie bei BLOODLIGHTS. Ich habe die Songs geschrieben. Ich war die Maschine, die die Band am Laufen hielt. Der einzige Unterschied früher war: Ich stand nicht in der Mitte am Mikrofon und habe die Songs gesungen. Ich meine: Wenn einer schlecht über GLUECIFER sprach, habe ich das persönlich genommen. Und heute nehme ich es persönlich, wenn einer schlecht über BLOODLIGHTS redet – was eigentlich echt scheiße ist. Haha, ich sollte mir das nicht so zu Herzen nehmen. Aber was soll ich tun? Es war immer mein Traum, eine Band zu haben. Das ist so, seit ich ein Kind war. Das ist der Lebensstil, den ich mir ausgesucht habe. Also nehme ich es persönlich, wenn einer schlecht darüber redet.
Vor zehn, 15 Jahren waren skandinavische Punkrock- oder Rock’n’Roll-Bands wie GLUECIFER, TURBONEGRO oder die HELLACOPTERS schwer angesagt. Heute sind sie nicht mehr existent oder spielen keine große Rolle mehr. Können BLOODLIGHTS irgendwann diese Lücke schließen?
Captain Poon: Das ist schwer zu sagen. Es ist eben eine Generationenfrage. Viele Leute, die damals voll auf diese Musik abgefahren sind, sind älter geworden und haben da heute keine Lust mehr drauf. Ich habe einen Freund, der in Deutschland Musikjournalist ist, der mir ja schon anlässlich unseres Debütalbums mit BLOODLIGHTS sagte: Captain, pass auf! Das ist Musik, die keiner mehr hören will! Aber solche Hochs und Tiefs gibt es doch immer. Deshalb gebe ich nichts darauf. Das hat mich schon nicht interessiert, als wir mit GLUECIFER damals zum ersten Mal in die USA geflogen sind und uns unser dortiges Label Sub Pop sagte: Hier interessiert sich kaum einer für Rock’n’Roll. Letztlich kamen die Leute doch. Das Wichtigste ist doch: Es wird immer eine Szene geben mit Leuten, die diese Musik leidenschaftlich lieben. Und diese Szene ist gar nicht so klein.
Sind die Skandinavier trotzdem die besseren Rock’n’Roller?
Captain Poon: Auf jeden Fall! Das wird auch so bleiben, haha.
Eine Band aus euren Gefilden, die derzeit für Furore sorgt, sind KVELERTAK. Was haltet ihr von denen?
Woody: Super! Wir haben die erst vergangene Woche noch in Berlin gesehen.
Captain Poon: Interessant, dass du sie ansprichst: KVELERTAK und wir teilen uns nämlich den gleichen Proberaum und sind befreundet. Aber sie sind eben, im Gegensatz zu uns, in kurzer Zeit unglaublich groß geworden. Ein Album – und ab ging es! Die haben doch selber gedacht: „Was zur Hölle ist jetzt los?“ Lass uns mal ehrlich sein: Das ist doch keine harte Arbeit ...
Nicht?
Captain Poon: Ja, okay, natürlich sind die ständig auf Tour. Aber ein Album rauszubringen und schon vor zigtausend Leuten zu spielen? Das ist doch keine harte Arbeit!
Im Gegensatz zu eurer harten Arbeit natürlich, oder?
Captain Poon: Genau, haha. Wir pissen seit Jahren gegen den Wind. Das ist harte Arbeit! Trotzdem: Ich liebe die Jungs und wünsche ihnen wirklich nur das Beste!
Gibt es einen Unterschied zwischen den deutschen und den norwegischen Fans?
Captain Poon: Die Fans in Deutschland sind etwas verrückter. Und das hat damit zu tun, dass es bei euch einfach mehr Menschen und damit eine vielseitigere Underground-Szene gibt als bei uns.
Vor ein paar Wochen habe ich im Reiseteil einer großen Tageszeitung gelesen, die Norweger seien ganz besonders glückliche Menschen und zufrieden mit ihrem Leben. Sollten BLOODLIGHTS da nicht lieber nette, glücklich machende Volksmusik aus der Heimat spielen und weniger aggressiv daherkommen?
Chris: Wir mögen es, uns als die glücklichen Menschen aus dem hohen Norden zu präsentieren. Aber deswegen Folk spielen? Nein! Haha.
Captain Poon: Wir machen eben nichts, das typisch für unsere Herkunft wäre. Wir könnten eigentlich genauso gut aus Detroit kommen.
Hand aufs Herz, Captain: Nervt es dich, wenn die Leute dich auch nach acht Jahren noch auf GLUECIFER ansprechen?
Captain Poon: Nein. Das war und ist ein großer Teil meines Lebens. Also, wenn die Leute da Fragen haben, dann sollen sie ruhig fragen. Aber es ist für mich selbst eben nicht so interessant. Das ist so, als ob du über deine Ex sprichst. Ich denke, es war wahrscheinlich für viele Leute einfach ein Problem, dass BLOODLIGHTS so kurz auf GLUECIFER folgten – daher auch die häufigen Fragen nach dieser Zeit. Aber die Vergangenheit spielt keine Rolle mehr.
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