Die Münchner Hardcore-Band THE BLACKOUT ARGUMENT hat ihr zweites Album nicht ohne Grund „Remedies“, also „Heilmittel“, genannt: Alle Lieder tragen neben ihrem regulären Namen auch noch den einer passenden Bach-Blüte. Ein Gespräch mit Gitarrist Christoph Zehetleitner über die heilende Kraft der Musik, der Pflanzen und der Suggestion.
Von Novalis stammt der Satz: „Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem, die Heilung eine musikalische Auflösung.“ Kann Musik tatsächlich ein Heilmittel sein?
Es ist in der Tat so, dass Musik viel mehr sein kann als nur Unterhaltung. Zumindest mir hat sie in meinem Leben sehr viel gegeben: neue Denkanstöße oder das Gefühl, verstanden zu werden. Sie hat mich von Wut, Trauer, Hass, Verzweiflung oder Stagnation befreit.
Welche Art von Musik hilft dir, wenn es dir schlecht geht?
Musik, die dieser Stimmung auf irgendeine Weise gerecht wird. Ich bin kein Fan davon, Gefühle „abzustellen“. Ich denke, dass jede Emotion ihre Berechtigung hat. Man muss die Tatsache akzeptieren, dass es einem auch mal nicht so gut geht, und dieses Gefühl zulassen – zumindest für eine bestimmte Zeit. Meine Musikauswahl reicht dann von INTEGRITY bis PORTISHEAD.
Wie bist du mit der Bach-Blütentherapie in Berührung gekommen?
Bei uns daheim war es ganz normal, Bach-Blüten zu nehmen, und wenn ich ehrlich bin, habe ich ihre Wirkung bis heute nicht großartig hinterfragt. Aus einem ganz einfach Grund: Es hat immer funktioniert. Es macht für mich keinen Unterschied, ob das an dem Glas Wasser liegt, in dem die Blüten aufgelöst wurden, oder an dem Wunschdenken, ein Heilmittel gefunden zu haben. Ich bin nun wirklich kein Homöopathie-Fan und tendiere in neunzig Prozent aller Fälle zur klassischen Schulmedizin. Ein Ansatz, wie ihn die Bach-Blütentherapie verfolg, kann jedoch neue Denkanstöße liefern und dazu beitragen, mit Gefühlsschwankungen, Rückschlägen, Unsicherheiten und Trauer bewusster umzugehen.
Laut Dr. Edward Bach, dem Begründer der Blütentherapie, beruht jede körperliche Krankheit auf einer seelischen Gleichgewichtsstörung, die ihre Ursache in einem Konflikt zwischen der unsterblichen Seele und der sterblichen Persönlichkeit eines Menschen hat. Glaubst du denn, dass du so etwas wie eine Seele hast, die nach dem Tod weiterlebt? Bist du ein religiöser Mensch?
Nein, ich bin nicht religiös. Lange Zeit habe ich für mich zwar in Anspruch genommen, zumindest auf gewisse Weise „spirituell“ zu sein, aber das ist irgendwie vermessen, da ich mir im alltäglichen Leben nicht viele Gedanken über solche Dinge mache und doch eher ein bodenständiger Typ bin. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass wir nicht nur geboren werden, um nach achtzig Jahren wieder zu sterben. Es muss einfach einen tieferen Sinn hinter unserem Dasein geben. Das einleuchtendste Konzept, von dem ich bisher gehört habe, basiert auf der Idee, dass jeder Mensch eine Seele besitzt, die im Laufe seines Lebens „reift“. Mein Gefühl und das, was ich jeden Tag aufs Neue im Umgang mit Menschen erlebe, sagt mir einfach, dass es „jüngere“ und „ältere“ Seelen geben muss. Die Idee, dass die Seelenreifung auch nach dem Tod noch nicht abgeschlossen ist, sondern in einem weiteren Leben voranschreitet, macht in diesem Kontext definitiv Sinn.
Bach beschrieb 38 disharmonische Seelenzustände, diese ordnete er wiederum sieben Gemütszuständen zu: Niedergeschlagenheit, Angst, Interesselosigkeit, Einsamkeit, übertriebene Sorge um andere, Überempfindlichkeit und Unsicherheit. Welchen dieser Zustände kennst du besonders gut?
Die übertriebene Sorge um andere hat mich bisher am längsten begleitet und kann auch am stärksten hervortreten. Alle anderen Gemütszustände kenne ich natürlich auch, aber die sind bei mir eher situationsabhängig und haben weniger mit meinem grundsätzlichen Wesen zu tun.
Für jeden negativen Seelenzustand gibt es laut Bach eine „Essenz“, die als positiver Gegenpol eine „Harmonisierung“ bewirkt. Um diese zu gewinnen, werden Blüten oder Pflanzenteile für kurze Zeit in Quellwasser eingelegt und dem Sonnenlicht ausgesetzt, damit sie ihre „Schwingungen“ an das Wasser abgeben. Diese Urtinkturen werden anschließend mit Alkohol versetzt und im Verhältnis 1:240 mit Wasser verdünnt. Bei der Herstellung müssen bestimmte Regeln eingehalten werden, so dürfen die Pflanzen zum Beispiel nur bei zunehmendem Mond an einem wolkenlosen Tag vor neun Uhr früh gesammelt und nicht mit den bloßen Händen angefasst werden. Wie schwer fällt es jemandem, der mit dem kritischen Denken der Hardcore-Szene groß geworden ist, an so etwas zu glauben?
Weißt du, was witzig ist? Ich habe in letzter Zeit wirklich viele Fragen zum Thema Bach-Blüten beantwortet, aber die Frage, die ich am ehesten erwartet hätte, nämlich die, die du mir gerade gestellt hast, war nie dabei. Du hast Recht, wenn man die Bach-Blütentherapie hinterfragt, dann macht das Ganze nicht viel Sinn. Und du hast auch Recht damit, dass ich durch meine Sozialisation in der Hardcore-Subkultur das Hinterfragen von Dingen als Teil meiner kritischen Wahrnehmung stark verinnerlicht habe. Und es stimmt auch, dass diese beiden Seiten nicht so recht zusammenpassen. Der Grund, warum ich manche Dinge wie Bach-Blüten einfach annehmen kann, ohne sie groß zu hinterfragen, ist jedoch ziemlich nahe liegend: Sie richten keinen Schaden an. Im schlimmsten Fall bewirken sie gar nichts, und im besten Fall sind sie eine Bereicherung. Es geht hier nicht um die globale Erwärmung, den Krieg im Nahen Osten, die Wirtschaftskrise oder Tierversuche. Es geht um kleine braune Fläschchen und Gemütszustände.
Abgesehen vom Alkohol, tragen die verschiedenen Blütenessenzen ja auch keinerlei Wirkstoffe in sich und sind deshalb auch nicht voneinander unterscheidbar. Alle klinischen Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Bach-Blütenmittel nichts anderes als reine Placebos sind. Stiftung Warentest urteilt: „Die Bach-Blütentherapie ist zur Behandlung von Krankheiten nicht geeignet.“
Na ja, wir sprechen hier ja nicht von Krankheiten. Wenn jemand einen entzündeten Blinddarm hat, dann kann er so viele Bach-Blüten in sich reinschütten, wie er will, davon wird es nicht besser. Es geht um Gefühle wie Angst, Wut, Trauer, Antriebslosigkeit, Enttäuschung, innere Unruhe, Unzufriedenheit und so weiter. Dinge, mit denen wir alle jeden Tag zu kämpfen haben. Schon alleine die Auswahl einer passenden Bach-Blüte ist eine bewusste Auseinandersetzung mit dem aktuellen Gemütszustand, und das ist meistens schon der erste Schritt, etwas daran zu ändern. Ob es letztendlich nur ein Placebo-Effekt, ein kühles Glas Wasser oder das Vertrauen in etwas ist, das außerhalb der erlernten Logik funktioniert, spielt für mich keine Rolle.
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