Die britische Post-Punk-Musikerin Billy Nomates schien im Sommer 2020 mit ihrem eigenständigen Sound plötzlich aus dem Nichts zu kommen. Dabei ist Tor Maries, wie sie eigentlich heißt, schon lange musikalisch aktiv, wir sprachen über die EP „Emergency Telephone“ und erfahren, dass sie bereits intensiv am nächsten Album arbeitet.
Du hast schon in einigen Bands gespielt, erzähl mal.
Im Alter von zwanzig habe ich schon in einigen Bands gespielt, gar nicht so erfolglos. Selbst wenn wir nur bei kleinen Labels waren und ich nebenher immer arbeiten musste. Ich schreibe auch schon immer Musik, vor einigen Jahren kam ich dann auf die Idee, es mal mit Billy Nomates zu versuchen und Songs zu komponieren, die ausschließlich von und aus mir stammen, ohne selbst irgendwelche Erwartungen daran zu haben, haha. Und da wären wir ...
Hast du damals schon gesungen und Instrumente gespielt?
Beides, ich habe Instrumente wie Gitarre oder Mandoline gespielt, aber überwiegend gesungen. Aber das war wirklich sehr anders als das, was ich jetzt mache. Das war eher ich, die die Vision von jemand anderem erfüllt hat, und es hatte wenig mit meinem eigenen kreativen Ausdruck zu tun.
Was ist der größte Vorteil, eine One-Woman-Band zu sein?
Es ist schon eine große Herausforderung an manchen Tagen. Aktuell bin ich im Studio und schreibe neue Sachen. Wenn ich jetzt einen dieser schlechten Tage habe, an denen man mal durchhängt, dann muss ich mich selbst wieder hochziehen. Bei einer Gruppe ist immer jemand dabei, der mehr Energie hat als die anderen und alle motiviert. Ich muss jetzt also jeden Tag selbst die positive Energie herstellen. Das lerne ich aber immer besser. An schlechten Tagen sage ich mir selbst, dass es morgen schon wieder besser werden wird. Auch die Ideen sind nicht so leicht nach vorne zu bringen. Was die Produktion angeht, arbeite ich oft mit Geoff Barrow von Invada Records und PORTISHEAD, das hilft sehr. Aber fehlende Einflüsse können auf der anderen Seite auch sehr befreiend sein, weil ich die Dinge aus meinem Kopf auf Tape bringen kann. Ich versuche, alles Gute von mir anzunehmen und alles Schlechte eben auch, haha.
Gibt es noch andere, die die Musik beeinflussen oder mit denen du deine Ideen besprichst?
Also so richtig beeinflussen tut das niemand, aber ich zeige es meinem Manager oder eben Geoff. Meinungen und Ratschläge hole ich mir schon ein, aber so langsam bekomme ich selbst eine gute Vorstellung davon, in welche Richtung es gehen soll.
Mit dem EP-Titel „Emergency Telephone“ hast du mich daran erinnert, dass wir gar nicht mehr so viele davon haben in Deutschland, hast du eines bei dir in der Nähe?
Es werden immer weniger, die Telefongesellschaften schaffen sie nach und nach ab. Ich komme ursprünglich von der Isle of Wight, da hat sich das Konzept der Stadt noch nicht so ganz durchgesetzt und da gibt es einige Telefonzellen. Ich mag die Schrulligkeit, die sie ausstrahlen. Für mich ist das eine schöne Reminiszenz an die damalige Zeit und wie Kommunikation früher funktioniert hat. Als ich so ungefähr 14 war, hatten alle eine Telefonkarte und wenn man draußen unterwegs war, dann musste man Bescheid geben, dass man sich verspätet und wo man ist. So was braucht man heute nicht mehr ... Mit „Emergency Telephone“ wollte ich zum Ausdruck bringen, dass jeder irgendwann mal in eine für ihn als Notfall zu definierende Situation kommt, emotional oder mental. Es ging jetzt nicht konkret um das Telefon, das war eher eine Metapher für das, was ich zum Ausdruck bringen wollte.
Auf der EP ist ein Song namens „Heels“, der sich an das Zitat „Mariah doesn’t do stairs“ anlehnt. Du singst „I do not do heels“, war das beabsichtigt?
Nein, haha. Ich kannte das gar nicht, mittlerweile weiß ich davon und es ist bei uns ein Running Gag, haha.
Dabei wurden hochhackige Schuhe einst für Männer erfunden, insbesondere Herrscher, damit sie größer und respektabler als ihre Untertanen erscheinen ...
Was?! Das wusste ich nicht, das ist ja interessant. Wow!
Solche Sätze wie „I do not do heels“ wirken natürlich feministisch. Ist es für dich in Ordnung, wenn man deine Musik als feministisch bezeichnet?
Das beabsichtige ich zumindest nicht. Da ich eine Frau bin, sage ich solche Dinge und kann auch verstehen, dass man das damit assoziiert. Ich schreibe nur Musik und Worte und würde mich nicht als feministische Musikerin bezeichnen, auch wenn ich dem auf jeden Fall nicht abgeneigt bin. Aber Musik und Texte sind nicht geschlechtsabhängig.
Was hat dich dazu ermutigt, so selbstbewusste Songs wie „No“ zu schreiben?
Ich hatte eine ziemlich beschissene Zeit, als ich so Ende zwanzig war, dann kam ein Wendepunkt. Wobei mir gar nicht klar war, was ihn ausgelöst hat, ich wusste nur, dass ich so nicht bis zum Ende weitermachen will. Mir war klar, dass ich eigentlich nichts zu verlieren habe, und ich entschied mich, nicht mehr in Bands von anderen einzusteigen, und sogar dazu, noch nicht mal mehr nach anderen Musiker:innen zu schauen. Ich fing einfach damit an – dabei war ich bis zu diesem Zeitpunkt genau das Gegenteil und habe versucht, es immer allen recht und niemals zu viele Umstände zu machen. Keine Ahnung, wo und wann ich das gelernt habe, es ist wahrscheinlich wirklich ein weiblicher Einschlag, und an irgendeinem Punkt in unserem Leben verinnerlichen wir das, immer freundlich zu sein und immer zu lächeln.
Und davon hattest du schlicht genug?
Ja, auf jeden Fall. Einfach der Gedanke, dass es das jetzt für immer so sein könnte, immer ja sagen zu Zeug, das man eigentlich nicht machen will? Oder besser einfach nein sagen, haha?
Das ist eigentlich gut zu wissen, dass du nicht von Anfang an so selbstbewusst warst.
Alle, die mich kennen, wissen, dass ich als Tor auch nicht so selbstsicher bin, das funktioniert dann eher als Billy Nomates. Und Menschen, die super selbstsicher sind, machen mich immer noch sehr nervös, ehrlich gesagt macht mir das sogar Angst. Das ist ja das Tolle, dass man als Künstlerin in der Performance weitere Räume eröffnen und Dinge ausleben kann. In meinen Zwanzigern war ich echt ein Mäuschen und sehr schüchtern, haha.
Das konntest du in Bands nicht ausleben?
Nein, und ehrlich gesagt, war das auch der Grund dafür, dass ich anderen meine selbst gemachten Sachen anfangs nicht zeigen wollte, weil ich Angst hatte, dass sie es scheiße finden, haha.
Vor ein paar Jahren hast du dich nicht getraut, dir ein Autogramm von SLEAFORD MODS zu holen, und jetzt seid ihr Freunde und habt zwei gemeinsame Songs gemacht. Dinge ändern sich.
Haha, ja auf jeden Fall. Ich bin aus dem Plattenladen rausgegangen. Ich wollte mir eigentlich ein Autogramm holen und habe mich dann nicht getraut. Ich war total panisch, alleine bei dem Gedanken, mit ihnen zu sprechen, und jetzt ist das alles sehr entspannt. Im Kopf kann man sich einiges aufbauen, dabei sind Menschen immer nur Menschen, das habe ich mittlerweile herausgefunden.
Du bist in der Lage, deine Musik größtenteils daheim aufzunehmen. Ist es für dich hilfreich, wenn dein Platz beim kreativen Arbeiten so klein wie möglich ist? Würden Billy Nomates-Songs jetzt nie mit einem großen Orchesterarrangement und in einem Riesenstudio entstehen können?
Auch wenn ich noch nie darüber nachgedacht habe, würde ich dir komplett zustimmen. Während der Aufnahmen hat man im Studio mehr Platz und es ergibt sich jetzt zum ersten Mal, dass ich da auch Dinge schreibe. Dazu könnte ich den kompletten Platz ausnutzen, ich habe mich aber mit meinem ganzen Zeug in den kleinsten Raum gequetscht, haha. Also sehr interessant, dass du das sagst, denn ich habe mir unbewusst den kleinstmöglichen Raum gesucht. Wahrscheinlich ist das auch ein Sicherheitsding, haha.
Machst du die Loops selbst oder bedienst du dich auch an Vorhandenem?
Das ist eine Kombination, ich spiele damit wirklich sehr viel herum und erstelle alles mit einer uralten Software, die absolut nicht auf dem neuesten Stand ist. Aber ich arbeite gerne damit, weil ich mich damit gut auskenne. Ich könnte mich in das neue Zeug einarbeiten, aber die alte Software macht mir genau das, was ich brauche.
Du versuchst, so wenig Zeit wie möglich mit neuem Zeug zu verschwenden?
Genau. Es hat etwas gedauert, und als ich einen Vertrag bekam, dachte ich erst, dass ich jetzt alles verändern müsste. Aber das ist zum Glück nicht der Fall. Veränderungen in dieser Hinsicht würden den Kern meiner Musik zerstören und das wäre gar nicht mehr ich.
Du singst auch immer offen über Depressionen, die du hast. Hilft dir die Musik, damit klarzukommen?
Es hilft. Ich leide immer wieder unter Depressionen und mittlerweile bin ich auch in der Lage, darüber zu sprechen. Es ist eine gute Möglichkeit, sich auszudrücken und Gefühle zu verarbeiten. Ohne Musik wäre ich schon so oft verloren gewesen. Ich kann diese Dinge nehmen und irgendwo einfließen zu lassen und zu verarbeiten. Diese Depressionen sitzen wirklich ganz tief und fest in einem drin und mit Musik kann ich sie lockern. Dann kann ich weitermachen.
Und ist das Hören von Musik auch so hilfreich?
Ja, wobei ich im Moment gar keine Musik hören kann, noch nicht mal Radio. Während ich schreibe, will ich keinerlei musikalischen Einfluss haben und es muss still sein, damit ich verstehe, was ich denke, und es transferieren kann. Was für mich total hart ist, haha. Denn ich will manche Sachen hören. Aber dann zügele ich mich und denke daran, dass ich mich auf mich konzentrieren muss.
In einem Interview hast du dich am meisten über Iggy Pop als berühmten Fan gefreut. Du sagtest, dass er weiß, worum es bei Musik geht. Worum geht es bei Musik?
Es ist das echte Verständnis davon, was da jemand singt. Und zwar in emotionaler Hinsicht. Wenn ich „Lust for life“ oder „Passenger“ von Iggy Pop anhöre, dann ist da so eine starke, packende Energie drin. Wenn man so was einmal gebracht hat, dann gibt es kein Zurück mehr. Wenn ich etwas mag, dann muss ich es mir hundertmal anhören und es sezieren. Manchmal mache ich es mir damit kaputt, aber ich verwende einen Großteil meines Lebens darauf, ganz genau zu verstehen, welches innerste Gefühl der Impuls für ein Lied war. Der Stil der Musik ist dabei vollkommen egal.
Versuchst du deshalb, so viel wie möglich von dir selbst in deine Musik einzubringen?
Ja, wenn man nicht aufrichtig das eigene Ich in die Songs einfließen lässt, dann kann niemand verstehen, worum es einem wirklich geht. Das gelingt mir nicht jeden Tag, aber manchmal. Ich versuche es jedenfalls, denn nur dann kann jemand richtig zuhören. Wenn ich manche alte Songs von mir höre, dann ist mir das extrem peinlich, weil ich so ehrlich war, wie man es eigentlich niemals sein sollte, haha. Wenn man zu ehrlich ist, kann das Ärger geben. Doch wenn ich merke, dass jemand in der Kunst lügt, bin ich sofort raus.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #156 Juni/Juli 2021 und Nadine Schmidt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #155 April/Mai 2021 und Nadine Schmidt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #156 Juni/Juli 2021 und Nadine Schmidt