BILL STEVENSON / DESCENDENTS / ALL

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My Little Drummerboy – Folge 10

Mit Legendenbildung tun wir uns im Punk ja bekanntlich etwas schwer, aber wenn jemand über 30 Jahre konstant großartige Alben abliefert und Bands wie den DESCENDENTS, ALL, BLACK FLAG und ONLY CRIME zu ihrem typischen Sound verholfen hat, dann sei dieser Begriff gerechtfertigt. Im Interview mit dem belgischen Video-Portal „Everything Sucks TV“ erzählte DESCENDENTS-Sänger Milo, dass Bill Stevenson der eigentliche Grund dafür ist, warum die DESCENDENTS so viele Fans unter den Musikern anderer Bands haben. Milo feiert Bill als lebende Punkrock-Legende und die einzige wirkliche Punkrock-Konstante in der Geschichte. Um so mehr freuten wir uns, dass Bill Stevenson sich beim Groezrock Festival die Zeit nahm, unsere Fragen zu seiner beeindruckenden Karriere zu beantworten.

Bill, hast du den typischen Start einer Schlagzeugerkarriere auf den Pfannen und Töpfen deiner Mutter hingelegt oder warst du eher ein Spätentwickler?

Nein, das war schon so eine typische „Töpfe und Pfannen“-Karriere. Ich habe bereits als kleiner Junge immer auf dem Tisch herumgeklopft und dann später mit Stiften auf meinen Büchern getrommelt. Ich ging meinen Eltern also schon immer damit auf die Nerven, dass ich auf irgendwas herumgetrommelt habe. Ich muss allerdings erwähnen, dass ich meine erste wirkliche Snaredrum erst im Alter von 13 Jahren bekommen habe. Mit 14 bekam ich dann mein erstes komplettes Schlagzeug, das war wirklich erst ein paar Monate, bevor wir mit den DESCENDENTS angefangen haben.

Hast du dir deine Grooves immer selbst beigebracht oder hast du auch mal Unterrichtsstunden genommen?

Der Typ, von dem ich mein erstes Drumset gekauft hatte, hat mir auch die ersten simplen Beats gezeigt. Das ging los mit technischen Dingen, wie man die Hand über der Hi-Hat hält, und dann ging der Rhythmus einfach immer Kick-Snare-Kick-Snare und so weiter. So fing es an, und von da an war ich dann auf mich allein gestellt. Unterricht habe ich nie genommen. Ich habe zu den verschiedensten Rock-Platten gespielt, die ich damals hörte. Das waren KISS, ROLLING STONES, AEROSMITH oder auch THE STOOGES. Aber eigentlich haben wir dann die Band so schnell gegründet, dass ich für solche Dinge gar keine Zeit hatte. Wir haben einfach angefangen und ich habe das Schlagzeugspielen wirklich bei den Bandproben gelernt.

Hätte es auch passieren können, dass du damals nicht der Schlagzeuger, sondern vielleicht Bassist oder Gitarrist hättest werden können?

Nein, das war eigentlich nie eine Option für mich, obwohl ich schon zugeben muss, dass ich auch sehr früh mit dem Songwriting angefangen habe. Ein Nachbar von mir hatte damals seinen Bass auf den Müll geschmissen und ich habe das Teil einfach herausgeholt. Dann habe ich mich damit zu Hause hingesetzt und begonnen, darauf herumzuklimpern. So habe ich meine ersten eigenen Songs geschrieben, und einige von diesen wirklich verrückten Bassrhythmen sind auch auf dem ersten DESCENDENTS-Album zu hören. „Miles“ ist da ein schönes Beispiel und wurde direkt auf diesem alten Schrottbass geschrieben, denn eine Gitarre hatte ich ja damals noch nicht.

Songwriting ist für Schlagzeuger nicht wirklich typisch. Hast du dich schon immer mit eigenen Songs ausdrücken wollen?

Mit meinem Schlagzeug fühle ich mich auf eine ebenso körperliche wie auch emotionale Weise verbunden. Mit dem Songwriting ist das etwas ganz anderes. Da kommt mehr meine literarische Seite zum Vorschein und ich fühle mehr mit meinem Herzen. Beides kommt aus zwei ganz unterschiedlichen Teilen von mir. Im Laufe der Jahre habe ich schon auf den verschiedensten Instrumenten Songs geschrieben. Zu Beginn war da immer nur der alte Bass und später lernte ich, mich auch auf der Gitarre und dem Piano auszudrücken, oder habe sogar Songs auf der Ukulele geschrieben. Außerdem spiele ich sehr gern Gitarre, ich kann mich für Stunden zurückziehen, um einfach nur Gitarre spielen.

Als ich dich das erste Mal spielen sah, dachte ich, dieser Typ schafft es nicht, einen Beat mal länger als vier Takte zu spielen, weil du immer diese vielen Breaks und Fills eingebaut hast. Wie würdest du selbst deinen Stil beschreiben?

Manche Leute betrachten einen Drummer ja als das Uhrwerk einer Band, aber ich fühle mich beim Trommeln eher wie auf einem Surf- oder Skateboard, das immer die Wellen rauf und runter gleitet, hier und da mal einen Haken schlägt, und immer mit den Emotionen eines Songs dahinrollt. Das ist auch der entscheidende Punkt, an dem sich das Songwriting und das Drumming begegnen. Man reagiert emotional auf den jeweiligen Song und daraus resultiert dann dieser unberechenbare Stil, der auf manche Menschen auch vielleicht etwas störend oder irritierend wirken mag. Ich mäandere eigentlich immer so durch den Song ... bin aber wohl nicht so gut darin, zu beschreiben, was ich tue. Ich bin definitiv besser in dem, was ich tue.

Gibt es irgendwelche Drums in deinem Set, die du besonders magst?

Nein, ich mag sie alle und habe da keine Favoriten.

Warum hast du deinen Drum-Hocker so auffällig niedrig eingestellt?

Das liegt daran, dass ich nicht besonders groß bin. Ich versuche einfach, aufrecht zu sitzen und meine Gelenke im richtigen Winkel zu haben. Jemand hat mir mal gesagt, dass der Körper ergonomisch so am besten ausgerichtet ist. Es gibt ja sogar Drummer, die noch viel niedriger sitzen als ich, und ich habe nie verstanden, wie man da überhaupt noch anständig trommeln kann.

An welchem Punkt deiner Musikerlaufbahn hast du dich entschieden, dass du von nun an von der Musik leben willst und keinem geregelten Job mehr nachgehst?

Um ehrlich zu sein, hat es diesen Zeitpunkt so nie gegeben. Es gibt sogar heute noch Tage, an denen ich aufwache und denke, ich sollte jetzt besser einen Job bei FedEx oder sonst wo antreten. Ich habe einfach immer wieder das Gefühl, all dies könnte irgendwann vorbei sein und dass die Leute sich nicht mehr für das interessieren, was ich tue. So habe ich schon immer gedacht. Ich habe ja auch nie einen normalen Job gehabt, weil ich schon so früh mit der Musik begonnen habe. Und natürlich kann es da passieren, dass es plötzlich einfach vorbei ist. Da schließe ich auch mein Studio Blasting Room mit ein, denn auch das ist natürlich Teil der Musik, die ich mache. Ich sollte vielleicht auch erwähnen, dass ich vor drei Jahren sehr krank war und fast an einem Hirntumor gestorben wäre. Jetzt habe ich mich vollständig erholt und kann auch als Drummer wieder sehr optimistisch in die Zukunft sehen.

Gut zu hören ... Gibt es in deiner langen Karriere eine bestimmte Platte, bei der du mit dem Drumming besonders zufrieden bist?

Tatsächlich warte ich immer noch darauf, dass ich diese eine Platte irgendwann mal aufnehmen werde. Gäbe es diese Platte schon, dann würde ich sofort aufhören und mich zur Ruhe setzen. Wir als Menschen haben doch alle den Anspruch, großartig zu sein und irgendetwas für die Nachwelt zu hinterlassen. Wir wollen lieben und geliebt werden, und diese Dinge lassen uns immer wieder nach Perfektion streben, sie treiben uns vorwärts. Und so sind wir nie wirklich zufrieden, sondern schauen uns immer wieder nach neuen Herausforderungen um.

Musst du im fortgeschrittenen Alter ein bestimmtes Fitnessprogramm absolvieren, um auf der Bühne immer noch den vollen Einsatz bringen zu können?

Durch meine Krankheit war ich gezwungen, hart an meiner Fitness zu arbeiten. Ich wog zwischenzeitlich mehr als 150 Kilo und habe in 14 Monaten über 50 Kilo abgenommen. Dafür musste ich ein hartes Fitnessprogramm durchziehen und besonders auf meine Ernährung achten. Ich habe mich vorher weder um das eine noch das andere gekümmert und war total unachtsam. Wirklich Sport getrieben habe ich allerdings nicht, denn das tägliche Trommeln sehe ich als mein regelmäßiges Training an. Durch meine Krankheit war meine Lunge fast völlig kaputt und ich hatte nur noch 50% meiner normalen Sauerstoffaufnahmekapazität. Durch Walking und ein bisschen Jogging musste ich meine Lungenkapazität wieder aufbauen, und das hat so gut funktioniert, dass ich heute wieder bei 85% bin. Ich arbeite hart daran.

Gibt es außer Punk noch andere Musikstile, die du gern mal ausprobieren würdest?

Wenn ich zu Hause ohne Band, also nur so für mich trommle, dann endet es eigentlich immer im Bebop, afro-kubanischer Musik oder Latin-Kram. Wenn du dir unsere Alben genau anhörst, dann stellst du fest, dass ich so was hier und da immer mal wieder in unsere Songs einbaue. „Van“ ist da ein gutes Beispiel. Ich sitze häufig zu Hause und spiele für mich alleine oder ich warte, dass jemand vorbeikommt und wir zusammen spielen können. Karl Alvarez wohnt in meiner Nachbarschaft und kommt manchmal rüber. Oder ONLY CRIME treffen sich bei mir.

Was sind deine nächsten Pläne?

Im Juli werden wir mit ONLY CRIME die nächste Platte aufnehmen. RISE AGAINST wollen noch ein paar neue Sachen mit mir einspielen und es sieht so aus, als ob ich mit Karl und Stephen wieder was machen werde. Ob das dann mit Chad, Scott oder Milo sein wird, kann ich aber heute noch nicht sagen. Aber wir sind zur Zeit alle in einer Stimmung, die sich sehr gut anfühlt. Die Tatsache, dass ich nicht gestorben bin, scheint uns wieder näher zusammengebracht zu haben. Wir spielen wieder Shows und kommunizieren viel mehr. Das ist ein sehr schönes Gefühl.